Paul Kramer |
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An die Arbeit | Heft
4/2003 Arbeit Ausgrenzung und Ausbeutung Seite116-120 |
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Zur Marxschen Differenzierung zwischen Arbeit und Lohnarbeit |
"In der kapitalistischen Gesellschaft ist die Arbeit die Ursache des geistigen Verkommens und körperlicher Verunstaltung." (Paul Lafargue) Heinrich Böll schreibt in der "Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral" über eine Begegnung in einer Hafenstadt. Dort spricht ein Tourist einen einheimischen Fischer an, der statt zu arbeiten in der Sonne döst. Auf Nachfragen des Touristen warum der Fischer nicht arbeitet, antwortete dieser, dass der erste Fang des Tages derart gut gewesen ist, dass er für Heute und Morgen genug gearbeitet hat. Der Tourist macht dem Fischer Vorwürfe, warum er nicht mehr arbeitet, kein zweites, drittes, viertes Mal zum Fischfang hinausfährt. Er könnte sich, wenn der Fang jedes Mal gut sei, mehr und bessere Boote kaufen und neue Leute anstellen, sich vielleicht später sogar eine eigene Fischfabrik kaufen usw., usf. Letztlich hat sich der Tourist derart in Rage geredet, dass es ihm die Sprache verschlägt. Auf die Frage des Fischers, was er dann letztlich davon hätte, antwortet der Tourist: "Dann können Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen - und auf das herrlich Meer blicken." Der Fischer belehrt daraufhin den Touristen, dass er dieses doch jetzt schon tue. Daraufhin zieht der Tourist nachdenklich von dannen, "denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeitet, um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen". Böll gelingt es, in prägnanter Weise ein grundlegendes Missverhältnis
der bestehenden Gesellschaftsordnung zu illustrieren. Die Arbeit, mit
der dem Menschen die Emanzipation von der Natur gelang, ist unter der
kapitalistischen Ordnung zur Unterdrückung geworden. Der in Bölls Kurzgeschichte
beschriebene Arbeitsethos des Touristen resultiert dabei aus der im Kapitalismus
vollzogenen Organisation der Arbeit als Lohnarbeit. Während es dem Fischer
darum geht, die Früchte seiner Arbeit zu genießen, also neben der notwendigen
Arbeit auch ein schönes Leben zu führen, ist der Tourist dem kapitalistischen
Arbeitsethos verfallen. Für ihn ist Arbeit nicht ein Mittel zum Zweck,
sondern sich selbst Zweck - es dreht sich alles nur noch um Verwertbarkeit
und Profitabilität, während das Versprechen auf Glück eine Illusion bleibt.
Die weiteren Gestaltungsformen der Arbeit, die sich u. a. in der Kodifikation
des bürgerlichen Arbeits- und Wirtschaftsrechts niederschlagen, sind der
Ausdruck dieses kapitalistischen Dogmas. Gesellschaft und Arbeit Die spezifische Differenz zwischen Arbeit und Lohnarbeit wird von Karl Marx (1818-83) unter den Begriffen Arbeitsprozess und Verwertungsprozess kritisch herausgearbeitet.1 Arbeit wird als ein Prozess zwischen Mensch und Natur verstanden; Arbeit ist die Auseinandersetzung mit der äußeren Natur. Mittels der gesellschaftlichen Arbeit, die in einer bestimmten Gesellschaft verrichtet werden muss, um deren Fortexistenz zu garantieren, wird der Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur organisiert. Der Arbeitsprozess ist abstrakt betrachtet zunächst unabhängig von jeder bestimmten gesellschaftlichen Form.2 Er ist die zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten mittels derer sich die Menschen die Natur entsprechend ihrer Bedürfnisse aneignen. Der Arbeitsprozess ist die "allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam".3 Arbeit ist auf der einen Seite eine Naturnotwendigkeit zur Selbsterhaltung der Gattung Mensch, anderseits enthält sie aber die Möglichkeit zur Emanzipation des Menschen von den Naturzwängen. Im Prozess der Arbeit hat der Mensch ein instrumentelles Verhältnis zur Natur, während die Entscheidung der konkreten Bearbeitung einen Willen voraussetzt. Die konkrete Bearbeitung der äußeren Natur durch den Menschen bedeutet die Verwirklichung sich selbst gesetzter Zwecke. Inwiefern sich die tätigen Menschen dessen voll bewusst sind, ist hier nicht entscheidend. Im Arbeitsprozess treffen sich geistige und materielle Tätigkeit. Arbeit umfasst sowohl die Seite des instrumentellen Handelns als auch die Willensäußerung, der Entschluss zur konkreten Verwirklichung der eigenen Zwecke. Gesellschaftliche Arbeit Der Mensch ist das Resultat der Verwirklichung seiner selbstgesetzten Zwecke in der Natur, er erzeugt sich mittels seiner Arbeit selbst. Als natürliches, leibliches Wesen muss der Mensch seine der Leiblichkeit geschuldeten Bedürfnisse befriedigen. Diese "ewige Naturbedingung" muss zum Erhalt der Gattung Mensch durch den Menschen selbst verrichtet werden. Sie bedingt auf der einen Seite die Unterwerfung des Menschen unter die Naturzwänge. Jedoch steckt in der produktiven Anwendung der Natur auf sich selbst mittels der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Umsetzung im Produktionsprozess auch die Möglichkeit zur einer weitgehenden Emanzipation von den Zwängen der Natur. Diese Emanzipation von den Naturzwängen kann nie vollständig sein, da der Mensch sowohl Natur- als auch Geisteswesen ist. Aber die notwendigen Arbeiten, die zur Erhaltung der Gattung verrichtet werden müssen, wie beispielweise die Produktion von Lebensmitteln, können durch die Weiterentwicklung der Produktivkräfte auf ein Minimum reduziert werden. Mittels der geistigen Durchdringung der Natur und der produktiven Anwendung der Naturgesetze im Produktionsprozess besteht die Möglichkeit für eine weitgehende Emanzipation der Menschheit von der Naturnotwendigkeit. Die Befreiung - historisch und aktuell - immer nur einer kleinen Elite von der Notwendigkeit, sich tagtäglich in der Auseinandersetzung mit der ersten Natur abzuplagen, eröffnet die Möglichkeit einer weitgehenden geistigen und kulturellen Entwicklung des Menschen. Gesellschaftliche Arbeit ist die Organisation des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur; dieses ist eine "ewige Naturbedingung" (Marx) der sich die konkreten Menschen gemäß ihres Standes der Entwicklung der Produktivkräfte widmen. Inwiefern sich dieses auf die Freiheit jedes Einzelnen auswirkt ist eine politisch-moralisch Frage (Klassenkämpfe). Die konkrete Organisation des Stoffwechsels sind die Produktionsverhältnisse, diese entwickeln sich im historischen Prozess. Die Annahme einer linearen geschichtlichen Entwicklung, sowohl der Produktivkräfte als auch der Produktionsverhältnisse, gehört zu den fundamentalen Irrtümern des traditionellen Marxismus. Zur Kritik einer Gesellschaft muss die konkrete Form, das Wechselverhältnis zwischen Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen, analysiert werden. Die Organisation der gesellschaftlichen Arbeit als Lohnarbeit ist dabei nur eine historisch-spezifische Form. Gewalt und Struktur Die gegenwärtige ökonomische Struktur der Gesellschaft beruht nach wie
vor auf Lohnarbeit. Der Kritik dieser historisch-spezifischen Form der
gesellschaftlichen Arbeit, der kapitalistischen Produktionsweise, widmete
sich Marx in seinem Hauptwerk "Das Kapital. Zur Kritik der Politischen
Ökonomie". Die dort entwickelten Kategorien haben ihren Anspruch auf Gültigkeit
noch nicht eingebüßt. Im folgenden sollen einige Aspekte der Kritik skizziert
werden. Besitz und Arbeit Die Voraussetzungen für den Konkurrenzkampf sind allerdings höchst unterschiedlich.
Die Trennung in ProduktionsmittelbesitzerInnen und LohnarbeiterInnen,
die nichts weiter besitzen als ihre Arbeitskraft, markiert diese Differenz.
Für die einzelne Proletarierin ist es entscheidend, ob sie ihre Arbeitskraft
verkaufen kann oder nicht, an ihrem Status ändert sich dadurch jedoch
nichts. Sie ist keine Produktionsmittelbesitzerin, die Möglichkeit zur
individuellen Reproduktion ist für sie nur über den Verkauf ihrer Ware
Arbeitskraft gegeben Ob sich diese verkaufen lässt, liegt nicht bei ihr,
sondern an der Nachfrage nach Arbeitskräften. Sie ist und bleibt als Proletin,
als Verkäuferin ihrer Ware Arbeitskraft, Objekt der Gesellschaft. Arbeitslosigkeit
ist nur die Kehrseite der Lohnarbeit. Gebrauchswert und Tauschwert Nach Marx ist die Differenzierung im Arbeitsbegriff, die Herausarbeitung
des Doppelcharakters der Arbeit, der "Springpunkt, um den sich das Verständnis
der politischen Ökonomie dreht"7. Marx knüpfte bei seiner Analyse kritisch
an die klassische Politische Ökonomie an, deren prominenteste Vertreter
Adam Smith (1723-90) und David Ricardo (1772-1823) waren. Diese hatten
bereits in Gebrauchswert und Tauschwert zu unterscheiden gewusst, konnten
aber nicht die Qualität der Gleichsetzung angeben. Konkrete und abstrakte Arbeit Das gesellschaftliche Verhältnis erscheint also versachlicht an den Waren. Im Akt des Austausches wird die Gleichsetzung konkret vollzogen. Im Austausch zweier Waren gegeneinander wird von der Gebrauchswertseite abstrahiert. Die Waren werden als "bloße Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit, d.h. der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die Form ihrer Verausgabung"9 gleichgesetzt und gegeneinander ausgetauscht. In der Beziehung zweier Waren zueinander wird der Widerspruch offenbar, der in jeder Ware als Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Wert existiert. Während sich die zu tauschenden Gebrauchswerte notwendigerweise voneinander unterscheiden, ist das Quantum der verausgabten Arbeitskraft, das in beiden Waren gleichermaßen steckt, identisch. Indem die Produktion für den Markt gesellschaftlich vorherrschende Form wird, wie in der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft, wird der Gebrauchswert unter den Wert subsumiert. Wie schon erwähnt, müssen die Waren zwar einen Gebrauchswert haben, um damit irgendein beliebiges Bedürfnis zu befriedigen, aber ihre vorherrschende Form ist die des Werts. Jede einzelne Ware ist die Einheit des Widerspruchs zwischen Gebrauchswert und Wert. Weil Warenproduktion immer für einen Markt bestimmt ist, erfolgt die Produktion der Waren nur unter dem Aspekt des Austausches bzw. des Werts. Welche Waren der einzelne Kapitalist produzieren lässt, ist ihm gleichgültig, ihm geht es allein um den in den Waren enthaltenden Mehrwert. Die Akkumulation des Mehrwerts ist sein alleiniges Anliegen, alle darüber hinausgehenden moralischen Überlegungen des Kapitalisten verschlechtern i.d.R. seine Konkurrenzfähigkeit. Gesellschaftlich befinden sich die verschiedenen KapitalistInnen in Konkurrenz zueinander, jedeR versucht, möglichst viel Profit herauszuschlagen, ihre Interessen stehen sich dabei diametral entgegen. Konkrete Arbeit im Kapitalismus ist wesentlich warenproduzierende Lohnarbeit. In jeder produzierten Ware ist ein bestimmtes Quantum abstrakt-menschlicher Arbeit enthalten, diese bildet den Wert. Der Wert, dessen Maß das Quantum der verausgabten Arbeitszeit ist, ist die Qualität der Gleichsetzung zweier Waren. "Karl Marx kritisiert diese Identifikation von abstrakter und konkreter Arbeit,[...] durch die Lehre vom 'Doppelcharakter der in den Waren dargestellten Arbeit'. Aber er verwirft die Identifikation nicht als schlicht falsch, sondern als realitätsgerecht: Smith's theoretische Identifikation wird real im Warentausch vollzogen."10 Um Waren gegeneinander austauschen zu können, muss von deren Gebrauchswert abstrahiert werden. Real im Austausch von Waren gegen Geld wird tagtäglich diese Abstraktion vollzogen, die Waren- bzw. GeldbesitzerInnen haben diesbezüglich kein Bewusstsein; sie wissen nicht, dass sie Ungleiches gleichsetzen, aber sie tun es. Dieses gesellschaftlich unbewusste Verhältnis bewusst zu machen, um es der Kritik auszusetzen und letztlich abzuschaffen, ist das Grundanliegen der kritischen Theorie von Marx. Lohnarbeit und Mehrwert Im Kapitalismus verkaufen die LohnarbeiterInnen ihre Ware Arbeitskraft an die KapitalistInnen. Diese zahlen ihnen dafür einen bestimmten Lohn, der i.d.R. die Reproduktion der Arbeitskraft gewährleistet, also die laufenden Lebenshaltungskosten deckt. Mit dem Abschließen des Arbeitsvertrages hat die Lohnarbeiterin einen Teil ihres Tages an den Kapitalisten abgetreten. Für den Teil des Tages, der den Arbeitstag ausmacht, ist sie nicht unabhängig, sondern vertraglich zur bestimmten Form der Verausgabung ihrer Arbeitskraft gezwungen. Das Resultat ihrer Arbeit gehört ihr genauso wenig wie die dazu angewendeten Produktionsmittel. Dem Kapitalisten, der produzieren lässt, geht es dabei nicht im geringsten um das Wohlergehen der Arbeitenden, noch darum was er produziert. Sein einziges Anliegen ist es, die produzierten Waren, seien es nun Kuchen, Kampfflugzeuge oder Kinderspielzeug, zu verkaufen, um den darin eingeschlossenen Mehrwert zu realisieren. "Gebrauchswerte werden hier überhaupt nur produziert, weil und insofern sie materielles Substrat, Träger des Tauschwerts sind. Und unsrem Kapitalisten handelt es sich um zweierlei. Erstens will er einen Gebrauchswert produzieren, der einen Tauschwert hat, einen zum Verkauf bestimmten Artikel, eine Ware. Und zweitens will er eine Ware produzieren, deren Wert höher als die Wertsumme der zu ihrer Produktion erheischten Waren, der Produktionsmittel und der Arbeitskraft, für die er sein gutes Geld auf dem Warenmarkt vorschoß. Er will nicht nur einen Gebrauchswert produzieren, sondern eine Ware, nicht nur Gebrauchswert, sondern Wert, und nicht nur Wert, sondern auch Mehrwert."11 Die Akkumulation von Mehrwert, und die weitere Verwertung des Werts, ist das zentrale Prinzip des Kapitalismus. Dass die Waren dabei ein Bedürfnis befriedigen, ist nur Mittel zum Zweck bei der Realisierung des Mehrwerts. Mehrwert oder andersgesagt Mehrarbeit ist der Teil des Arbeitstages, denn der Lohnarbeiter kostenlos für die Kapitalistin arbeitet. Der Arbeitstag teilt sich in notwendige Arbeit und Mehrarbeit, im ersten Teil produziert der Arbeiter den Gegenwert für seinen Lohn und die verausgabten Produktionsmittel, im zweiten produziert er kostenlos für die Kapitalistin, er schafft Mehrwert. Die Mehrwertproduktion ist unabdingbare Voraussetzung für den Kapitalismus. Würde der Kapitalist der Arbeiterin den kompletten Wert ihrer verausgabten Arbeitskraft in Lohn auszahlen, also auch den Teil des Arbeitstages den die Arbeiterin über das notwendige Maß zur Produktion ihres Lohnes hinausarbeitet, dann wäre der Sinn des Kapitalismus, die Akkumulation zur weiteren Verwertung, verfehlt. Ferner wäre der Kapitalist seiner Einkommensquelle beraubt. Reichtum Kritisch betrachtet, beruht Reichtum auf der Aneignung von Mehrarbeit, während Armut und Arbeit ihren spezifischen Nexus haben. Die ArbeiterInnen verarmen zumindest relativ, während die KapitalistInnen Reichtum akkumulieren. Die Trennung in KapitalistInnen und ArbeiterInnen ist ohne die Ausbeutung, also die Mehrwertaneignung seitens der KapitalistInnen, nicht denkbar. Kapitalismus bedeutet das Kommando über fremde Arbeit. Der gesellschaftliche Reichtum in der bürgerlichen Gesellschaft ist das Resultat der produktiven Verausgabung der menschlichen Arbeitskraft. Der Reichtum stellt sich in Geld oder Waren dar, seine Substanz ist aber akkumulierte abstrakte Arbeit. Reichtum zeichnet sich nicht mehr aus durch den Besitz einer Vielzahl von Gebrauchswerten. Reichtum hat nicht mehr wie in historisch vorhergehenden Epochen eine bestimmte Form. Im Kapitalismus gilt nicht als reich, wer alle notwendigen und einige zusätzliche Gebrauchswerte sein eigen nennt, sondern als reich gilt, wer über ein hohe Summe Geld verfügt. Während die Summe der von einer Person verwendbaren Gebrauchswerte ihre Grenze findet, ist die Akkumulation von abstraktem Reichtum letztlich unbegrenzt. Es geht nicht mehr um konkrete Gebrauchswerte, sondern um die Verfügung über die Option; nicht um deren Gebrauch, sondern um deren Besitz. Der sinnliche Ausdruck des Reichtums ist das Geld, dort wird die Nivellierung aller konkreten Gebrauchswerte augenfällig. Geld tauscht sich gegen jede beliebige Ware. Das Geld ist jedoch nur der augenfällige Ausdruck der Nivellierung, nicht dessen Ursache. Die Gleichsetzung von Ungleichem vollzieht sich tagtäglich im Austausch von Waren gegen Geld. Die theoretische Analyse und Kritik der Gleichsetzung von Ungleichem ist, wie oben gezeigt wurde, wesentlicher Inhalt der Kritik der Politischen Ökonomie. Der Terror der Lohnarbeit Im Kapitalismus kommt es zu einer Umkehrung des Verhältnisses: Arbeit
als freie Lebensäußerung, als Selbsterzeugung des Menschen, ist zu einem
Mittel der Unterdrückung geworden. Die LohnarbeiterInnen setzen sich ihre
Ziele nicht selbst, sondern müssen sich in das Zwangssystem der Lohnarbeit
einfügen, allein um ihrer Selbsterhaltung willen. Das Ziel der kapitalistischen
Produktion ist nicht die Bedürfnisbefriedigung, sondern die Akkumulation
von abstrakter Arbeit. Die Befriedigung der Bedürfnisse ist dabei nur
Mittel zum Zweck. Lohnarbeit ist eine Herrschaftsform, in dem sich die
Beteiligten frei wähnen und auch formal frei und gleich sind, jedoch mit
den gesellschaftlich erzeugten "Sachzwängen" ein abstraktes und unpersönliches
Herrschaftssystem aufgerichtet haben. Die Herausarbeitung der Differenz zwischen Arbeit und Lohnarbeit verdeutlicht den Terror der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft. Es ist eminent wichtig, auf der Differenzierung zwischen Arbeit und Lohnarbeit zu insistieren, und dieses gerade auch kritisch gegen die mediale und diskursive Identifikation von Lohnarbeit mit Arbeit. Allenthalben wird unreflektiert von Arbeit geredet, wo es sich kritisch betracht um eine historisch-spezifische Form handelt - um Lohnarbeit. In der bürgerlichen Ideologie gilt Arbeit als Quelle allen Reichtums. Diese Identifikation ist ein bürgerlicher Topos, der geneigt ist, das System der Lohnarbeit auf alle Ewigkeit hin als festgeschrieben erscheinen zu lassen; denn auf die Produktion von Reichtum wird man in keiner Gesellschaft verzichten können. Genauer betrachtet müsste dieser Satz jedoch lauten: In kapitalistischen Gesellschaften ist die mehrwertproduzierende Lohnarbeit die Quelle allen Reichtums. Eine fundamentale Kritik muss genaue diese Basis der Produktion von Reichtum und das damit einhergehende Herrschaftsverhältnis hinterfragen. Blinder Fleck Dass in der Linken über diese Frage kein Einvernehmen besteht, vielmehr gähnendes Desinteresse herrscht, ist ein Armutszeugnis. Entweder aus mangelndem Differenzierungsvermögen oder weil in der medialen Öffentlichkeit fortwährend die Identifikation von Arbeit mit der historisch-spezifischen Form der Lohnarbeit stattfindet, meinen Teile der Linken sich nicht um eine Auseinandersetzung bemühen zu müssen. Sicherlich hat es praktischen und polemischen Nutzen mit einer provokativen Ablehnung der Arbeit aufzutreten. Sollte dieses aber auch die theoretische Quintessenz ausmachen, also auf eine Differenzierung verzichtet werden, dann werden diese theoretischen Mängel auch späterhin praktische Auswirkungen haben. Die Kritik würde dann bei einer abstrakten Ablehnung enden, anstatt detailliert und konkret die Potentiale für eine emanzipatorische Entwicklung auszuloten. Um diesen blinden Fleck zu beleuchten wird man um eine differenzierte Betrachtung des Arbeitsbegriffes nicht umhinkommen. Und kritische JuristInnen werden sie zur Grundlage ihrer Auseinandersetzung mit der rechtlichen Ausgestaltung der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft machen müssen. Paul Kramer studiert Soziologie in Hamburg. Anmerkungen: 1 Marx 1980, 192 ff. Literatur Habermas, Jürgen, Erkenntnis und Interesse,1999. |