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Oft stell(t)en sich die Beziehungen von Juristinnen und Juristen zu den
Herrschenden als eine Unterwerfung unter deren Rechtsanschauung dar.
Allerdings befanden sich Juristinnen und Juristen historisch nicht immer
nur auf Seiten der Reaktion. Meist war ein Eintreten für eine fortschrittliche
Entwicklung von Recht und Gesellschaft aber verbunden mit einer Isolierung
innerhalb der JuristInnenzunft ihrer Zeit. Hinzu tritt oft auch die Ignoranz
späterer Generationen von RechtswissenschaftlerInnen und -praktikerInnen
gegenüber ihrem Leben und Werk. Im folgenden Beitrag sollen deshalb exemplarisch
das Leben sowie das Wirken von vier RechtsanwältInnen aus der Weimarer
Republik skizziert werden.
Die Auswahl erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Die dargestellten
JuristInnen unterscheiden sich in den jeweiligen Motivationen für ihr
Handeln. Gemeinsam ist allen, dass für sie der Anwaltsberuf mehr war als
nur ein Weg zu gutem Einkommen und gesellschaftlichem Prestige. Und gemeinsam
ist allen, dass sie bereits im Jahr 1933, unmittelbar nach Hitlers Ernennung
zum Reichskanzler, Verfolgung und Repression ausgesetzt waren. Die beschriebenen
Schicksale, die Verfolgung und Vertreibung sind nur knappe Beispiele für
den enormen Verlust an (Rechts-)Kultur, den Deutschland mit der Nazi-Barbarei
erlitt. Das Ausmaß des Verlusts wird nie vollständig erfasst werden können.
Ein Bewusstsein für diesen Verlust zu schaffen ist eine bleibende Aufgabe.
Felix Halle1
In Felix Halles Schicksal verbindet sich die doppelte Tragik der Biographien
vieler kommunistischer Flüchtlinge während des 2. Weltkriegs. Zur Flucht
aus Deutschland gezwungen, wurde er 1937 in Folge der Stalinschen "Säuberungen"
in der Nähe von Moskau erschossen.
Vor dem 1. Weltkrieg gehörte Halle den Freimaurern an. Während des Krieges
entwickelte er sich zum Kommunisten. Eine Professur an der Juristischen
Fakultät der Berliner Universität konnte er nach seiner Berufung 1919
aufgrund des Widerstands der reaktionären Professorenschaft nicht wahrnehmen.
Im Jahr 1922 wurde Halle Leiter der juristischen Zentralstelle der kommunistischen
Fraktionen in Reichstag und preußischem Landtag. Zudem war er Leiter der
juristischen Abteilung der Roten Hilfe.
Einen wichtigen Teil der Arbeit von Felix Halle machte die Vermittlung
von Rechtskenntnissen an die Arbeiterschaft aus. Seine Broschüre "Wie
verteidigt sich der Proletarier in politischen Strafsachen vor Polizei,
Staatsanwaltschaft und Gericht?" erschien in einer Auflage von insgesamt
76.000 Exemplaren. Weitere Themen seiner Veröffentlichungen sind das Abtreibungsrecht
- hier setzte sich Halle für eine Legalisierung ein - sowie das Recht
auf politisches Asyl. In einer Reihe von Rechtsgutachten setzte sich Halle
für von der Auslieferung an ihren jeweiligen Verfolgerstaat bedrohte KommunistInnen
ein.
Anfang 1933 wurde Felix Halle verhaftet, nach einigen Monaten aber wieder
aus dem KZ entlassen. Auf Grund seiner kommunistischen Betätigung sowie
seiner jüdischen Herkunft und seiner früheren Verbundenheit mit den Freimaurern
war ein Verbleiben in Deutschland lebensbedrohlich. Halle und seine Frau
emigrierten zunächst nach Paris, dann in die Sowjetunion. Dort gehörte
er zu dem Komitee, das die Verteidigung des in Deutschland inhaftierten
ehemaligen KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann vorbereitete. 1936 wurde Felix
Halle aus Deutschland ausgebürgert.
In der UdSSR geriet Halle in die Maschen der stalinistischen Säuberungen.
Da die Rote Hilfe überparteilich agierte, waren ihre FunktionärInnen dem
besonderen Verdacht ausgesetzt, entweder AgentInnen des Faschismus oder
TrotzkistInnen oder beides zu sein.2 Wie viele andere gehörte Halle dabei
zu den BefürworterInnen des Kurses Stalins. Trotzdem wurde er 1937 verhaftet.
Es ist bittere Ironie, dass ausgerechnet der entschiedene Streiter für
das Asylrecht von seinem Gastland umgebracht wird. Aus dem Moskauer Gefängnis
wird überliefert, andere Gefangene hätten Halle aufgefordert, doch ein
neues Buch zu schreiben. Titel: "Wie verteidigt sich ein deutscher Proletarier
vor einem sowjetischen Gericht?"
Max Hirschberg3
Max Hirschberg war Rechtsanwalt in München. Während der Weimarer Republik
verteidigte er in einer Vielzahl von politischen Verfahren. Privat begeisterte
sich Hirschberg für die russische Literatur des 19. Jahrhunderts. Neben
einer Vielzahl juristischer Publikationen brachte er ein Buch "Meisterwerke
der russischen Literatur" mit Nachdichtungen und Kommentierungen bedeutender
russischer Schriftsteller heraus.
Im Kern seines rechtswissenschaftlichen Interesses stand das gerichtliche
Fehlurteil. Sein Buch "Das Fehlurteil im Strafprozess" stellt noch heute
eine beeindruckend zu lesende Sammlung richterlicher Fehlentscheidungen,
vor allem aber von deren Gründen dar. Auch der politische Prozess findet
hier eindrucksvolle Berücksichtigung. Kritisiert wird jedoch zu Recht,
dass die besonderen Gründe von Fehlurteilen im politischen Prozess, nämlich
die bewusste Rechtsbeugung durch das Gericht, nicht behandelt werden.
Ein Grund mag darin zu sehen sein, dass Hirschberg als enthusiastischer
Anhänger des Rechtsstaats politische Gründe in der Urteilsfindung einfach
nicht akzeptieren wollte.
Aus seiner anwaltlichen Tätigkeit ist eine Begebenheit überliefert, die
einen interessanten Eindruck von der Persönlichkeit Max Hirschbergs, zugleich
aber auch einen beklemmenden Eindruck von der Atmosphäre vor den Strafgerichten
der Weimarer Republik vermittelt: Der später in Folge der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse
hingerichtete Hans Frank, einer der Hausjuristen der Nazis, bedrohte Hirschberg
mit den Worten: "Wenn wir einmal zur Macht kommen, werden Sie sehen, was
Ihnen geschieht." Nach einer kurzen Pause antwortete Max Hirschberg: "Da
der Vorsitzende es nicht für nötig hält, es zu rügen, wenn ein amtierender
deutscher Rechtsanwalt in offener Gerichtssitzung mit Ermordung bedroht
wird, rüge ich es selbst."
Einer der berühmtesten Prozesse Hirschbergs war der "Fall Fechenbach":
Felix Fechenbach, Sekretär von Kurt Eisner während der Münchener Räterepublik
1919, war wegen der Weitergabe von Dokumenten zur Kriegsschuld des Deutschen
Reichs wegen Landesverrats verurteilt worden. Eine von Hirschberg initiierte
reichsweite Kampagne führte letztlich zu einer Begnadigung Fechenbachs
durch die bayerische Landesregierung 1924. Felix Fechenbach wurde 1933
auf dem Transport in das KZ Dachau erschossen.
Auch Max Hirschberg geriet 1933 in das Visier der Nazis. Er wurde für
mehr als fünf Monate verhaftet. Auf Grund seiner jüdischen Herkunft, aber
auch wegen seiner Verteidigung in politischen Prozessen war dem SPD-Mitglied
Hirschberg ein Verbleiben in Deutschland nicht mehr möglich. Der Weg in
der Emigration führte ihn über Mailand nach New York. Dort starb Dr. Max
Hirschberg am 21. Juni 1964.
Hans Litten4
Hans Litten wurde 1903 als Sohn eines Professors für römisches und bürgerliches
Recht in Königsberg geboren. Er entwickelte sich schon als Schüler deutlich
im Gegensatz zu seinem dem preußischen Obrigkeitsstaat verhafteten Vater.
Nach dem Weltkrieg wandte er sich zunehmend linkssozialistischen und kommunistischen
Kreisen zu. Dabei ließ sich sein Weltbild nie im Sinne einer Parteilinie
fassen. Hans Litten wird von Zeitgenossen sowohl als revolutionärer Marxist,
wie auch als einem Christentum im Sinne der Bergpredigt verbundener Mensch
bezeichnet. Viel spricht eher für eine Charakterisierung im ersteren Sinne.
In jedem Fall waren Denken und Handeln Littens von einem enormen Drang
nach dem Ausgleich des Unrechts, das die Arbeiterschaft erfuhr, geprägt.
Die Wirkenszeit als Rechtsanwalt war für Hans Litten kurz. 1928 ließ er
sich mit dem ebenfalls für die Rote Hilfe tätigen Anwalt Ludwig Babasch
in Berlin nieder. Im Jahr 1930 gelang es Litten, Adolf Hitler im Zeugenstand
vor dem Kriminal-Gericht Berlin-Moabit politisch bloßzustellen. Anlass
war ein Verfahren gegen ein Rollkommando der SA, das die Sitzung eines
Arbeitervereins in einem Charlottenburger Tanzlokal gestürmt und etliche
Anwesende zum Teil schwer verletzt hatte. Litten gelang es als Vertreter
der Nebenklage, das Gericht zu einer Ladung Hitlers als Zeugen zu bewegen.
Erst kurz zuvor hatte Hitler vor dem Reichsgericht den Weg seiner Partei
zur Macht als ausschließlich demokratischen Spielregeln folgend dargestellt.
Konfrontiert mit Aussagen von Nazi-Propagandist Goebbels, die klar dieser
Linie widersprachen - gefordert wurde beispielsweise "die Gegner zu Brei
zu zerstampfen"5 - musste sich Hitler von seinem wichtigen Schergen offiziell
distanzieren. Gegen Ende der Verhandlung habe Hitler "geschrieen wie eine
hysterische Köchin".6
Bis 1933 trat Hans Litten in vielen großen Prozessen zugunsten angeklagter
ProletarierInnen auf. Trotz der absehbaren Bedrohung durch die Nazis -
Litten musste sich oft mit einem Begleitschutz aus Arbeitern durch Berlin
bewegen - lehnte er es ab, das Land zumindest vorübergehend zu verlassen.
Die im Gerichtssaal zugefügte Schmach hat Adolf Hitler nicht vergessen.
In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde Hans Litten verhaftet. Es folgte
ein fünf Jahre dauernder Marterweg durch verschiedene Konzentrationslager.
Zu seinen Peinigern gehörten auch Angehörige der SA, denen er zuvor in
Prozessen im Gerichtssaal gegenüber gestanden hatte. Im Februar 1938 starb
Hans Litten im KZ Dachau.
Elisabeth Kohn7
Die Zulassung von Frauen zum zweiten Staatsexamen erfolgte in Deutschland
erst im Laufe der 1920er Jahre. Ihr Anteil in Justiz und Rechtspflege
blieb bis zur Machtergreifung der Nazis äußerst gering. Zwar hatte die
Weimarer Verfassung von 1919 in Artikel 128 Abs. 1 und 2 postuliert: "Alle
Staatsbürger ohne Unterschied sind [...] zu den öffentlichen Ämtern zuzulassen.
Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt." Die
erste Richterin wurde in Preußen aber erst 1924 ernannt. Im Jahr 1933
waren 36 Frauen in der Justiz beschäftigt, 252 Frauen waren als Anwältinnen
tätig. Linke Anwältinnen hatten sich also nicht nur gegen eine verbreitet
reaktionär eingestellte Justiz durchzusetzen, sondern mussten sich auch
mit Vorurteilen über ihre angebliche Unfähigkeit zur Ausübung juristischer
Berufe auseinander setzen.
Elisabeth Kohn wurde 1902 in München geboren. Nach ihrem Jurastudium wurde
sie als eine der ersten Rechtsanwältinnen in Bayern zugelassen. Im Jahr
1928 trat sie in die Kanzlei von Max Hirschberg und Philipp Löwenfeld
ein. Über die Details ihrer Tätigkeit als Anwältin sind nicht viele Informationen
überliefert. Elisabeth Kohn gehörte zu den MitbegründerInnen der Roten
Hilfe Deutschlands sowie der Internationalen Roten Hilfe, war Mitglied
der SPD und des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und engagierte
sich vor allem in der Liga für Menschenrechte. Die Tätigkeit in der bekannten
und in einer Vielzahl von politischen Prozessen involvierten Anwaltskanzlei
sowie ihre politischen Aktivitäten vor allem in der Liga für Menschenrechte
hätten für sich schon genügt, um den Zorn der Nazis auf Elisabeth Kohn
zu lenken.
Am 5. August 1933 wurde ihr aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen
Gemeinde in München die Zulassung als Anwältin entzogen.8 In den folgenden
Jahren arbeitete sie im Wohlfahrtsamt der Israelitischen Kultusgemeinde
München. Die Situation für die jüdische Bevölkerung in Deutschland wurde
immer lebensbedrohlicher. Angebote, FreundInnen zu folgen und in die USA
auszuwandern lehnte sie ab, um mit ihrer Mutter Olga und ihrer Schwester
Marie Luise zusammen bleiben zu können.
Im Spätherbst des Jahres 1941 fiel auch Elisabeth Kohn der Vernichtungsmaschinerie
der Nazis zum Opfer. Zusammen mit Mutter und Schwester wurde sie am 20.
November nach Riga deportiert. Weder das genaue Todesdatum noch der exakte
Ort ihres Todes sind bekannt. Allgemein wird angenommen, das Elisabeth
Kohn 1941 noch auf dem Weg nach Riga starb.9
Thilo Scholle studiert Jura in Münster.
Anmerkungen:
1 Zusammengestellt nach: Stascheit, Ulrich, Felix Halle (1884-1937).
Justitiar der Kommunistischen Partei, in: Kritische Justiz (KJ) (Hg.),
Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, 1988, 153 ff.; Schneider,
Heinz-Jürgen/Schwarz, Erika/Schwarz, Josef, Die Rechtsanwälte der Roten
Hilfe Deutschlands, 2002, 141.
2 Vgl. hierzu Stascheit, Ulrich, Die ‚Rote Hilfe' in der ‚stalinistischen
Säuberung', in: KJ 1979, 376 ff. (387 ff.).
3 Zusammengestellt nach: Hannover, Heinrich, Max Hirschberg (1883-1964).
Der Kritiker des Fehlurteils, in: KJ (Hg.) (Fn. 1), 165 ff.
4 Zusammengestellt nach: Düx, Heinz, Hans Litten (1903-1938). Anwalt gegen
Naziterror, in: KJ (Hg.) (Fn. 1), 193 ff.; Litten, Irmgard, Eine Mutter
kämpft gegen Hitler, 2000; Paech, Norman, 'Ich habe nur als proletarischer
Anwalt meine Pflicht den angeklagten Proletariern gegenüber erfüllt.'
Hans Litten, Rechtsanwalt (1903-1938), in: Demokratie und Recht
1988, 70 ff.
5 Zit. nach Düx (Fn. 4), 198.
6 Kommentar von Max Fürst, zit. nach Düx (Fn. 4), 200.
7 Zusammengestellt nach: Schneider/Schwarz/Schwarz (Fn. 1), 182; Löwenthal,
E.G., Bewährung im Untergang - Ein Gedenkbuch, 1965, 103 f.; Deutscher
Juristinnenbund e.V. (Hg.), Juristinnen in Deutschland, 3. Auflage, 1998.
8 Löwenthal (Fn. 7), 103.
9 Ebenda, 104.
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