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Eine andere Tradition   Heft 4/2003
Arbeit
Ausgrenzung und Ausbeutung

Seite 139-141
Erinnerung an kritische Juristinnen und Juristen  
 

Oft stell(t)en sich die Beziehungen von Juristinnen und Juristen zu den Herrschenden als eine Unterwerfung unter deren Rechtsanschauung dar.
Allerdings befanden sich Juristinnen und Juristen historisch nicht immer nur auf Seiten der Reaktion. Meist war ein Eintreten für eine fortschrittliche Entwicklung von Recht und Gesellschaft aber verbunden mit einer Isolierung innerhalb der JuristInnenzunft ihrer Zeit. Hinzu tritt oft auch die Ignoranz späterer Generationen von RechtswissenschaftlerInnen und -praktikerInnen gegenüber ihrem Leben und Werk. Im folgenden Beitrag sollen deshalb exemplarisch das Leben sowie das Wirken von vier RechtsanwältInnen aus der Weimarer Republik skizziert werden.
Die Auswahl erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Die dargestellten JuristInnen unterscheiden sich in den jeweiligen Motivationen für ihr Handeln. Gemeinsam ist allen, dass für sie der Anwaltsberuf mehr war als nur ein Weg zu gutem Einkommen und gesellschaftlichem Prestige. Und gemeinsam ist allen, dass sie bereits im Jahr 1933, unmittelbar nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, Verfolgung und Repression ausgesetzt waren. Die beschriebenen Schicksale, die Verfolgung und Vertreibung sind nur knappe Beispiele für den enormen Verlust an (Rechts-)Kultur, den Deutschland mit der Nazi-Barbarei erlitt. Das Ausmaß des Verlusts wird nie vollständig erfasst werden können. Ein Bewusstsein für diesen Verlust zu schaffen ist eine bleibende Aufgabe.

Felix Halle1

In Felix Halles Schicksal verbindet sich die doppelte Tragik der Biographien vieler kommunistischer Flüchtlinge während des 2. Weltkriegs. Zur Flucht aus Deutschland gezwungen, wurde er 1937 in Folge der Stalinschen "Säuberungen" in der Nähe von Moskau erschossen.
Vor dem 1. Weltkrieg gehörte Halle den Freimaurern an. Während des Krieges entwickelte er sich zum Kommunisten. Eine Professur an der Juristischen Fakultät der Berliner Universität konnte er nach seiner Berufung 1919 aufgrund des Widerstands der reaktionären Professorenschaft nicht wahrnehmen. Im Jahr 1922 wurde Halle Leiter der juristischen Zentralstelle der kommunistischen Fraktionen in Reichstag und preußischem Landtag. Zudem war er Leiter der juristischen Abteilung der Roten Hilfe.
Einen wichtigen Teil der Arbeit von Felix Halle machte die Vermittlung von Rechtskenntnissen an die Arbeiterschaft aus. Seine Broschüre "Wie verteidigt sich der Proletarier in politischen Strafsachen vor Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht?" erschien in einer Auflage von insgesamt 76.000 Exemplaren. Weitere Themen seiner Veröffentlichungen sind das Abtreibungsrecht - hier setzte sich Halle für eine Legalisierung ein - sowie das Recht auf politisches Asyl. In einer Reihe von Rechtsgutachten setzte sich Halle für von der Auslieferung an ihren jeweiligen Verfolgerstaat bedrohte KommunistInnen ein.
Anfang 1933 wurde Felix Halle verhaftet, nach einigen Monaten aber wieder aus dem KZ entlassen. Auf Grund seiner kommunistischen Betätigung sowie seiner jüdischen Herkunft und seiner früheren Verbundenheit mit den Freimaurern war ein Verbleiben in Deutschland lebensbedrohlich. Halle und seine Frau emigrierten zunächst nach Paris, dann in die Sowjetunion. Dort gehörte er zu dem Komitee, das die Verteidigung des in Deutschland inhaftierten ehemaligen KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann vorbereitete. 1936 wurde Felix Halle aus Deutschland ausgebürgert.

In der UdSSR geriet Halle in die Maschen der stalinistischen Säuberungen. Da die Rote Hilfe überparteilich agierte, waren ihre FunktionärInnen dem besonderen Verdacht ausgesetzt, entweder AgentInnen des Faschismus oder TrotzkistInnen oder beides zu sein.2 Wie viele andere gehörte Halle dabei zu den BefürworterInnen des Kurses Stalins. Trotzdem wurde er 1937 verhaftet.
Es ist bittere Ironie, dass ausgerechnet der entschiedene Streiter für das Asylrecht von seinem Gastland umgebracht wird. Aus dem Moskauer Gefängnis wird überliefert, andere Gefangene hätten Halle aufgefordert, doch ein neues Buch zu schreiben. Titel: "Wie verteidigt sich ein deutscher Proletarier vor einem sowjetischen Gericht?"

Max Hirschberg3

Max Hirschberg war Rechtsanwalt in München. Während der Weimarer Republik verteidigte er in einer Vielzahl von politischen Verfahren. Privat begeisterte sich Hirschberg für die russische Literatur des 19. Jahrhunderts. Neben einer Vielzahl juristischer Publikationen brachte er ein Buch "Meisterwerke der russischen Literatur" mit Nachdichtungen und Kommentierungen bedeutender russischer Schriftsteller heraus.
Im Kern seines rechtswissenschaftlichen Interesses stand das gerichtliche Fehlurteil. Sein Buch "Das Fehlurteil im Strafprozess" stellt noch heute eine beeindruckend zu lesende Sammlung richterlicher Fehlentscheidungen, vor allem aber von deren Gründen dar. Auch der politische Prozess findet hier eindrucksvolle Berücksichtigung. Kritisiert wird jedoch zu Recht, dass die besonderen Gründe von Fehlurteilen im politischen Prozess, nämlich die bewusste Rechtsbeugung durch das Gericht, nicht behandelt werden. Ein Grund mag darin zu sehen sein, dass Hirschberg als enthusiastischer Anhänger des Rechtsstaats politische Gründe in der Urteilsfindung einfach nicht akzeptieren wollte.
Aus seiner anwaltlichen Tätigkeit ist eine Begebenheit überliefert, die einen interessanten Eindruck von der Persönlichkeit Max Hirschbergs, zugleich aber auch einen beklemmenden Eindruck von der Atmosphäre vor den Strafgerichten der Weimarer Republik vermittelt: Der später in Folge der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse hingerichtete Hans Frank, einer der Hausjuristen der Nazis, bedrohte Hirschberg mit den Worten: "Wenn wir einmal zur Macht kommen, werden Sie sehen, was Ihnen geschieht." Nach einer kurzen Pause antwortete Max Hirschberg: "Da der Vorsitzende es nicht für nötig hält, es zu rügen, wenn ein amtierender deutscher Rechtsanwalt in offener Gerichtssitzung mit Ermordung bedroht wird, rüge ich es selbst."

Einer der berühmtesten Prozesse Hirschbergs war der "Fall Fechenbach": Felix Fechenbach, Sekretär von Kurt Eisner während der Münchener Räterepublik 1919, war wegen der Weitergabe von Dokumenten zur Kriegsschuld des Deutschen Reichs wegen Landesverrats verurteilt worden. Eine von Hirschberg initiierte reichsweite Kampagne führte letztlich zu einer Begnadigung Fechenbachs durch die bayerische Landesregierung 1924. Felix Fechenbach wurde 1933 auf dem Transport in das KZ Dachau erschossen.
Auch Max Hirschberg geriet 1933 in das Visier der Nazis. Er wurde für mehr als fünf Monate verhaftet. Auf Grund seiner jüdischen Herkunft, aber auch wegen seiner Verteidigung in politischen Prozessen war dem SPD-Mitglied Hirschberg ein Verbleiben in Deutschland nicht mehr möglich. Der Weg in der Emigration führte ihn über Mailand nach New York. Dort starb Dr. Max Hirschberg am 21. Juni 1964.

Hans Litten4

Hans Litten wurde 1903 als Sohn eines Professors für römisches und bürgerliches Recht in Königsberg geboren. Er entwickelte sich schon als Schüler deutlich im Gegensatz zu seinem dem preußischen Obrigkeitsstaat verhafteten Vater. Nach dem Weltkrieg wandte er sich zunehmend linkssozialistischen und kommunistischen Kreisen zu. Dabei ließ sich sein Weltbild nie im Sinne einer Parteilinie fassen. Hans Litten wird von Zeitgenossen sowohl als revolutionärer Marxist, wie auch als einem Christentum im Sinne der Bergpredigt verbundener Mensch bezeichnet. Viel spricht eher für eine Charakterisierung im ersteren Sinne. In jedem Fall waren Denken und Handeln Littens von einem enormen Drang nach dem Ausgleich des Unrechts, das die Arbeiterschaft erfuhr, geprägt.
Die Wirkenszeit als Rechtsanwalt war für Hans Litten kurz. 1928 ließ er sich mit dem ebenfalls für die Rote Hilfe tätigen Anwalt Ludwig Babasch in Berlin nieder. Im Jahr 1930 gelang es Litten, Adolf Hitler im Zeugenstand vor dem Kriminal-Gericht Berlin-Moabit politisch bloßzustellen. Anlass war ein Verfahren gegen ein Rollkommando der SA, das die Sitzung eines Arbeitervereins in einem Charlottenburger Tanzlokal gestürmt und etliche Anwesende zum Teil schwer verletzt hatte. Litten gelang es als Vertreter der Nebenklage, das Gericht zu einer Ladung Hitlers als Zeugen zu bewegen. Erst kurz zuvor hatte Hitler vor dem Reichsgericht den Weg seiner Partei zur Macht als ausschließlich demokratischen Spielregeln folgend dargestellt. Konfrontiert mit Aussagen von Nazi-Propagandist Goebbels, die klar dieser Linie widersprachen - gefordert wurde beispielsweise "die Gegner zu Brei zu zerstampfen"5 - musste sich Hitler von seinem wichtigen Schergen offiziell distanzieren. Gegen Ende der Verhandlung habe Hitler "geschrieen wie eine hysterische Köchin".6

Bis 1933 trat Hans Litten in vielen großen Prozessen zugunsten angeklagter ProletarierInnen auf. Trotz der absehbaren Bedrohung durch die Nazis - Litten musste sich oft mit einem Begleitschutz aus Arbeitern durch Berlin bewegen - lehnte er es ab, das Land zumindest vorübergehend zu verlassen.
Die im Gerichtssaal zugefügte Schmach hat Adolf Hitler nicht vergessen. In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde Hans Litten verhaftet. Es folgte ein fünf Jahre dauernder Marterweg durch verschiedene Konzentrationslager. Zu seinen Peinigern gehörten auch Angehörige der SA, denen er zuvor in Prozessen im Gerichtssaal gegenüber gestanden hatte. Im Februar 1938 starb Hans Litten im KZ Dachau.

Elisabeth Kohn7

Die Zulassung von Frauen zum zweiten Staatsexamen erfolgte in Deutschland erst im Laufe der 1920er Jahre. Ihr Anteil in Justiz und Rechtspflege blieb bis zur Machtergreifung der Nazis äußerst gering. Zwar hatte die Weimarer Verfassung von 1919 in Artikel 128 Abs. 1 und 2 postuliert: "Alle Staatsbürger ohne Unterschied sind [...] zu den öffentlichen Ämtern zuzulassen. Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt." Die erste Richterin wurde in Preußen aber erst 1924 ernannt. Im Jahr 1933 waren 36 Frauen in der Justiz beschäftigt, 252 Frauen waren als Anwältinnen tätig. Linke Anwältinnen hatten sich also nicht nur gegen eine verbreitet reaktionär eingestellte Justiz durchzusetzen, sondern mussten sich auch mit Vorurteilen über ihre angebliche Unfähigkeit zur Ausübung juristischer Berufe auseinander setzen.
Elisabeth Kohn wurde 1902 in München geboren. Nach ihrem Jurastudium wurde sie als eine der ersten Rechtsanwältinnen in Bayern zugelassen. Im Jahr 1928 trat sie in die Kanzlei von Max Hirschberg und Philipp Löwenfeld ein. Über die Details ihrer Tätigkeit als Anwältin sind nicht viele Informationen überliefert. Elisabeth Kohn gehörte zu den MitbegründerInnen der Roten Hilfe Deutschlands sowie der Internationalen Roten Hilfe, war Mitglied der SPD und des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und engagierte sich vor allem in der Liga für Menschenrechte. Die Tätigkeit in der bekannten und in einer Vielzahl von politischen Prozessen involvierten Anwaltskanzlei sowie ihre politischen Aktivitäten vor allem in der Liga für Menschenrechte hätten für sich schon genügt, um den Zorn der Nazis auf Elisabeth Kohn zu lenken.

Am 5. August 1933 wurde ihr aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde in München die Zulassung als Anwältin entzogen.8 In den folgenden Jahren arbeitete sie im Wohlfahrtsamt der Israelitischen Kultusgemeinde München. Die Situation für die jüdische Bevölkerung in Deutschland wurde immer lebensbedrohlicher. Angebote, FreundInnen zu folgen und in die USA auszuwandern lehnte sie ab, um mit ihrer Mutter Olga und ihrer Schwester Marie Luise zusammen bleiben zu können.
Im Spätherbst des Jahres 1941 fiel auch Elisabeth Kohn der Vernichtungsmaschinerie der Nazis zum Opfer. Zusammen mit Mutter und Schwester wurde sie am 20. November nach Riga deportiert. Weder das genaue Todesdatum noch der exakte Ort ihres Todes sind bekannt. Allgemein wird angenommen, das Elisabeth Kohn 1941 noch auf dem Weg nach Riga starb.9

Thilo Scholle studiert Jura in Münster.

Anmerkungen:

1 Zusammengestellt nach: Stascheit, Ulrich, Felix Halle (1884-1937). Justitiar der Kommunistischen Partei, in: Kritische Justiz (KJ) (Hg.), Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, 1988, 153 ff.; Schneider, Heinz-Jürgen/Schwarz, Erika/Schwarz, Josef, Die Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands, 2002, 141.
2 Vgl. hierzu Stascheit, Ulrich, Die ‚Rote Hilfe' in der ‚stalinistischen Säuberung', in: KJ 1979, 376 ff. (387 ff.).
3 Zusammengestellt nach: Hannover, Heinrich, Max Hirschberg (1883-1964). Der Kritiker des Fehlurteils, in: KJ (Hg.) (Fn. 1), 165 ff.
4 Zusammengestellt nach: Düx, Heinz, Hans Litten (1903-1938). Anwalt gegen Naziterror, in: KJ (Hg.) (Fn. 1), 193 ff.; Litten, Irmgard, Eine Mutter kämpft gegen Hitler, 2000; Paech, Norman, 'Ich habe nur als proletarischer Anwalt meine Pflicht den angeklagten Proletariern gegenüber erfüllt.' Hans Litten, Rechtsanwalt (1903-1938), in: Demokratie und Recht 1988, 70 ff.
5 Zit. nach Düx (Fn. 4), 198.
6 Kommentar von Max Fürst, zit. nach Düx (Fn. 4), 200.
7 Zusammengestellt nach: Schneider/Schwarz/Schwarz (Fn. 1), 182; Löwenthal, E.G., Bewährung im Untergang - Ein Gedenkbuch, 1965, 103 f.; Deutscher Juristinnenbund e.V. (Hg.), Juristinnen in Deutschland, 3. Auflage, 1998.
8 Löwenthal (Fn. 7), 103.
9 Ebenda, 104.