Linus Viezens und John Philipp Thurn |
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Vermeintlicher Fortschritt | Heft
4/2003 Arbeit Ausgrenzung und Ausbeutung Seite 138 |
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Die Reform der JuristInnenausbildung |
Nach langer Debatte über eine Reform der JuristInnenausbildung ist sie
nun beschlossene Sache. Grundtendenzen sind eine Spezialisierung des Studiums,
"Profilbildung" der Fakultäten und "Veranwaltlichung" der gesamten Ausbildung.
Nicht alles anders, aber vieles schlechter Allseits erklärtes Ziel der Reform war eine stärkere Orientierung der
Ausbildung am Anwaltsberuf, den erfahrungsgemäß der Großteil der AbsolventInnen
ergreift. Vorschläge, die eine einstufige Anwaltsausbildung, d.h. ohne
eine Trennung von Studien- und Referendarzeit, vorsahen, konnten sich
nicht durchsetzen. Es bleibt also bei der traditionellen VolljuristInnenausbildung,
eine Strukturierung des Studiums nach Berufssparten findet nicht statt. Die Schwerpunktausbildung bietet nämlich neben den Chancen der Spezialisierung
auch deren Gefahren. Die Züchtung von engstirnigen WirtschaftsjuristInnen
rückt zumindest näher, orientieren sich doch Fakultäten in der Wahl ihrer
Schwerpunkte gerne an den Bedürfnissen von Unternehmen und Anwaltschaft.
Diesen Trend könnte die Betonung der praxisnahen "Schlüsselqualifikationen",
zu Lasten der ohnehin vernachlässigten Grundlagenfächer, verstärken. Die
juristischen Fakultäten drohen - Stichwort "Profilbildung" - insgesamt
zu konkurrierenden Dienstleistungsunternehmen zu werden, die ihren KundInnen
praktisch verwertbare Rechtskunde vermitteln.1 Erste Schritte lassen sich
gut an der Freiburger Umsetzung der Vorgaben von Bund und Land erkennen.
Heraus kamen u.a. wohlklingende Schwerpunkte wie "Handel und Wirtschaft",
"Europäische und internationale Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen" oder
"Recht der Informationsgesellschaft". Diese Beispiele legen nahe, dass
gewisse Grundlagen und Perspektiven unter den Tisch zu fallen drohen.
Auch ein weiterer Kritikpunkt zeigt sich am Beispiel der Freiburger Fakultät:
Die vom Grundgedanken her lobenswerte Vorgabe zum Ausbau des fachspezifischen
Fremdsprachenprogramms wird nicht weiter beachtet. Auch wenn insofern einige Reformziele den Sprung in die Realität verfehlen dürften: Es geht in die falsche Richtung. Wünschenswert wäre eine ganz andere Ausbildungsreform: Sie würde auf Vermittlung von juristischer Denkweise und wissenschaftlicher Methode setzen, statt eine immer weitere Anhäufung hochspezialisierten Wissens zu fordern. Einer kritischen Beschäftigung mit Recht, nicht zuletzt in historischen, soziologischen, philosophischen und politischen Zusammenhängen, würde mehr Raum geboten. Und die Moral von der Geschicht': Wenn JuristInnen die Ausbildung ihres Nachwuchses regeln, geht es immer auch um ihr Verständnis vom Recht und von sich selbst. Dass sie dabei dem "Markt!"-schreienden Zeitgeist hinterherlaufen, ist nicht verwunderlich, aber bedauerlich. John Philipp Thurn und Linus Viezens waren als studentische Mitglieder des Fakultätsrates in Freiburg an der Umsetzung der Reform beteiligt. Anmerkungen: 1 So auch Gilles, Peter/Fischer, Nikolaj, Anmerkungen zur neuesten Ausbildungsreform,
Neue Juristische Wochenschrift 2003, 707 (711). |