xxx

  Linus Viezens und John Philipp Thurn   Forum Recht Home

 

Vermeintlicher Fortschritt   Heft 4/2003
Arbeit
Ausgrenzung und Ausbeutung

Seite 138
Die Reform der JuristInnenausbildung  
 

Nach langer Debatte über eine Reform der JuristInnenausbildung ist sie nun beschlossene Sache. Grundtendenzen sind eine Spezialisierung des Studiums, "Profilbildung" der Fakultäten und "Veranwaltlichung" der gesamten Ausbildung.
Durch das Gesetz zur Reform der Juristenausbildung vom 17. Juli 2002 wurden die Ausbildung betreffende Normen im Deutschen Richtergesetz und in der Bundesrechtsanwaltsordnung geändert. An die Stelle des einheitlichen Ersten Staatsexamens tritt nun eine zweigeteilte "Erste Prüfung", die zu 70 % aus einer staatlichen Prüfung in den Pflichtfächern und zu 30 % aus einer studienbegleitenden universitären "Schwerpunktprüfung" besteht. Die neu geschaffene dreisemestrige Schwerpunktausbildung nach dem Grundstudium soll eine weitergehende Spezialisierung ermöglichen als die bisherigen Wahlfächer. Studiengegenstand sollen auch so genannte Schlüsselqualifikationen (Verhandlungsmanagement, Rhetorik, Vernehmungslehre etc.) sowie die Verbesserung fachspezifischer Fremdsprachenkenntnisse werden. Die Anwaltsstation im Referendariat wird auf mindestens neun Monate verlängert. AnwältInnen sollen sich vermehrt an der Ausbildung beteiligen.
Die bundesgesetzliche Regelung wurde in einem ersten Schritt von den Landesgesetzgebern in den entsprechenden Ausbildungsordnungen ausgestaltet und dann von den Fakultäten in deren Studienordnungen konkretisiert.

Nicht alles anders, aber vieles schlechter

Allseits erklärtes Ziel der Reform war eine stärkere Orientierung der Ausbildung am Anwaltsberuf, den erfahrungsgemäß der Großteil der AbsolventInnen ergreift. Vorschläge, die eine einstufige Anwaltsausbildung, d.h. ohne eine Trennung von Studien- und Referendarzeit, vorsahen, konnten sich nicht durchsetzen. Es bleibt also bei der traditionellen VolljuristInnenausbildung, eine Strukturierung des Studiums nach Berufssparten findet nicht statt.
Doch auch die moderaten Änderungen führen zu einigen Verschlechterungen. Nicht nur, dass mit mehr Examensstoff - dem Mehr im Schwerpunkt steht keine angemessene Kürzung im Pflichtbereich gegenüber - und einer Verlängerung des Studiums um mindestens ein Semester zu rechnen ist, was den Freischuss-Druck weiter erhöht und die Probleme von BAföG-EmpfängerInnen verstärkt. Es droht auch inhaltlich ein weiterer Schritt auf dem Weg von Wissenschaftlichkeit und selbständig-kritischem Denken zu wenig reflektiertem ExpertInnentum in marktgerechten Nischen.

Die Schwerpunktausbildung bietet nämlich neben den Chancen der Spezialisierung auch deren Gefahren. Die Züchtung von engstirnigen WirtschaftsjuristInnen rückt zumindest näher, orientieren sich doch Fakultäten in der Wahl ihrer Schwerpunkte gerne an den Bedürfnissen von Unternehmen und Anwaltschaft. Diesen Trend könnte die Betonung der praxisnahen "Schlüsselqualifikationen", zu Lasten der ohnehin vernachlässigten Grundlagenfächer, verstärken. Die juristischen Fakultäten drohen - Stichwort "Profilbildung" - insgesamt zu konkurrierenden Dienstleistungsunternehmen zu werden, die ihren KundInnen praktisch verwertbare Rechtskunde vermitteln.1 Erste Schritte lassen sich gut an der Freiburger Umsetzung der Vorgaben von Bund und Land erkennen. Heraus kamen u.a. wohlklingende Schwerpunkte wie "Handel und Wirtschaft", "Europäische und internationale Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen" oder "Recht der Informationsgesellschaft". Diese Beispiele legen nahe, dass gewisse Grundlagen und Perspektiven unter den Tisch zu fallen drohen. Auch ein weiterer Kritikpunkt zeigt sich am Beispiel der Freiburger Fakultät: Die vom Grundgedanken her lobenswerte Vorgabe zum Ausbau des fachspezifischen Fremdsprachenprogramms wird nicht weiter beachtet.
Unfreiwillige Komik enthält so manches Resümee eines Reformbefürworters: "Der zukünftige Unternehmensjurist festigt seine Fremdsprachenqualifikation im Zuge einer englischsprachigen Vorlesung zum Europäischen Gesellschaftsrecht; der Studierende mit dem Interessengebiet Strafrecht erlernt seine Rhetorik am Plädoyer des Strafverteidigers - eine wahrhaft faszinierende Vorstellung".2
Bisher ist allerdings nicht abzusehen, wie etwa die Vermittlung der "Schlüsselqualifikationen" durch und mit AnwältInnen stattfinden soll. Die von Personalabbau betroffenen oder bedrohten Fakultäten belassen es bislang bei bloßen Lippenbekenntnissen. Man mag grundsätzlich die besitzstandswahrende Konservativität der Professorenschaft kritisieren - hier könnte sie möglicherweise Schlimmeres verhindern.

Auch wenn insofern einige Reformziele den Sprung in die Realität verfehlen dürften: Es geht in die falsche Richtung. Wünschenswert wäre eine ganz andere Ausbildungsreform: Sie würde auf Vermittlung von juristischer Denkweise und wissenschaftlicher Methode setzen, statt eine immer weitere Anhäufung hochspezialisierten Wissens zu fordern. Einer kritischen Beschäftigung mit Recht, nicht zuletzt in historischen, soziologischen, philosophischen und politischen Zusammenhängen, würde mehr Raum geboten. Und die Moral von der Geschicht': Wenn JuristInnen die Ausbildung ihres Nachwuchses regeln, geht es immer auch um ihr Verständnis vom Recht und von sich selbst. Dass sie dabei dem "Markt!"-schreienden Zeitgeist hinterherlaufen, ist nicht verwunderlich, aber bedauerlich.

John Philipp Thurn und Linus Viezens waren als studentische Mitglieder des Fakultätsrates in Freiburg an der Umsetzung der Reform beteiligt.

Anmerkungen:

1 So auch Gilles, Peter/Fischer, Nikolaj, Anmerkungen zur neuesten Ausbildungsreform, Neue Juristische Wochenschrift 2003, 707 (711).
2 Hommelhoff, Peter/Teichmann, Christoph, Modernisierung in Kontinuität - die Revolution der Juristenausbildung, Juristische Schulung 2001, S.841 (843).