Maike Hellmig |
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Grüne Schleier? | Heft
1/2004 Europavisionen Ode an die Freude? Seite 9-12 |
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Europäisches Umweltrecht und Legitimationsverlust |
Über die rechtlichen und tatsächlichen Folgen der EU-Osterweiterung lässt
sich trefflich streiten: Kommen jetzt PolInnen, EstInnen und SlowenInnen
und schnappen uns auch noch die letzten Arbeitsplätze weg? Oder werden
wir mal wieder bei denen einfallen und neben günstigen Liegenschaften
sowie letzten Filetstücken zu privatisierender Unternehmen auch wichtige
Gestaltungsmöglichkeiten demokratischer Selbstbestimmung okkupieren? Mit
dem Beitritt haben sich die mittel- und osteuropäischen Länder verpflichtet,
ca. 80.000 bis 90.000 Seiten an Normen, d. h. die gesamten Rechtsakte
der EU, den sogenannten Acquis Communautaire, zu übernehmen. Dieser enthält
neben rechtlichen Grundlagen für unerwünschte Konsequenzen zumindest einen
Normenkomplex, dessen Implementation wenigstens hierzulande allseits begrüßt
wird: Den des europäischen Umweltrechts. Man kann sagen, dass die mittel- und osteuropäischen Länder zum Zeitpunkt der Regimewechsel aus ökologischer Sicht zweigeteilt waren. Als eine Folge der zentralistischen, auf quantitatives Wachstum ausgerichteten Systeme mit der Tendenz, Produktionsstätten an den Orten der Energieerzeugung anzusiedeln, finden sich auf der einen Seite ökologisch schwer geschädigte Regionen, die sogenannten Hot-Spot-Gebiete. Das bekannteste Beispiel ist sicher das durch Braunkohleabbau schwer geschädigte Schwarze Dreieck im Dreiländereck Tschechien, Polen und BRD. Daneben gibt es viele dünn besiedelte, noch relativ unberührte Gegenden, die z.B. eine hohe Artenvielfalt aufweisen.1 Aufgrund der transformationsbedingten Stilllegung vieler Betriebsanlagen entspannte sich die Lage in den Hot-Spot-Gebieten Anfang der 90er Jahre etwas, es traten die sog. rezessionsbedingten ökologischen Gratiseffekte ein. Mit einsetzendem Wirtschaftswachstum seit Mitte der 90er Jahre nehmen dafür Umweltprobleme westlichen Musters, z.B. steigendes Verkehrsaufkommen und Konsumgüterproduktion zu. Anfänge moderner Umweltpolitik sowie Unterstützung seitens internationaler Institutionen, beispielsweise durch das Phare-Programm der EU im Schwarzen Dreieck, üben teilweise lindernden Einfluss aus, sind aber unzureichend. Diese allgemeinen Charakteristika kann man auch in der Betrachtung einzelner ausgewählter Umweltbereiche wiederfinden. Stadt Land Fluss Die Luftverunreinigung durch traditionelle Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid (SO2), Kohlenmonoxid (CO) und Stickoxide (NoX) als auch durch Klimagase wie v.a. Kohlendioxid (CO2) ist ein dringendes Umweltproblem in Ost- und Mitteleuropa.2 Trotz eines beachtlichen rezessionsbedingten Rückgangs [in Tschechien z. B. von 180 kg/Person (1990) auf 80 kg/Person (1997), ähnlich in Estland von 160 kg/Person (1990) auf 90kg/Person (1997)]3, übersteigen die Luftschadstoffemissionen insgesamt den europäischen Durchschnitt um ein zwei- bis dreifaches. Die bekannten Folgen sind vermehrter Sommersmog, saurer Regen, Eutrophierung von Boden und Gewässern. Tendenziell wird im Bereich der Luftverunreinigung eine Angleichung an westliche Emissionsprofile beobachtet. Die Schadstoffemissionen, die über westlichem Niveau liegen, nehmen grundsätzlich - wenn auch nicht schnell genug - ab, diejenigen, die zumindest relativ niedrig waren, nehmen zu. Ein Beispiel hierfür wären die CO2-Werte in Slowenien, die seit 1990 kontinuierlich angestiegen sind. Ein virulentes Problem ergibt sich insb. aus der Zunahme des Personenkraftverkehrs seit Mitte der 90er Jahre (z.B. Polen 70% mehr PKW von 1989 bis 1995; bis 2010 wird ein Zuwachs um weitere 60% erwartet). Die zentrale Norm des europäischen Rechts im Bereich der Luftreinhaltung
ist die Rahmenrichtlinie Luft4 mit der Tochterrichtlinie über Schwefeldioxid,
Stickstoffdioxid, Partikel und Blei. Sie zielt auf eine Intensivierung
und Vereinheitlichung europäischer Umweltpolitik im Bereich der Luftreinhaltung.
Insbesondere werden Grundlagen für die Definition und Festlegung von Luftqualitätszielen
vorgeschrieben sowie Grundsätze zur Anwendung einheitlicher Methoden und
Laborstandards aufgestellt. Daneben wird die Verpflichtung zur Information
der Öffentlichkeit normiert (Festlegung von Alarmschwellen). In der Tochterrichtlinie
werden konkrete Grenzwerte und Verfahren (z. B. Messverfahren, Mindestzahl
von Probeentnahmen) bezüglich SO2, NoX, Partikel und Blei in der Luft
bestimmt und, worauf es letztlich ankommt, die Mitglieder zur Einhaltung
der Grenzwerte verpflichtet. Wasser In Mittel- und Osteuropa besteht das Problem der Übernutzung der natürlichen
Wasservorräte und unzureichender Abwasserreinigung.5 Es lässt sich jedoch
ein Rückgang industriellen, kommunalen und landwirtschaftlichen Wasserverbrauches
feststellen. Ursächlich hierfür sind wiederum die ökonomische Transformation,
aber auch die Anhebung der Wasserpreise und die Förderung effizienter
Wassernutzung. Mit dem Wirtschaftsaufschwung wird auch wieder ein Anstieg
des Wasserverbrauchs erwartet. Im Jahr 2000 lag der industrielle Wasserverbrauch
um ein zwei- bis dreifaches über dem OECD-Durchschnitt. Die Qualität der
Oberflächengewässer ist sehr uneinheitlich, besonders die Ostsee und das
Schwarze Meer sind als von geringem Wasseraustausch betroffene Binnengewässer
anfällig dafür, eingeleitete Schadstoffe zu akkumulieren. Kommunale Abwässer
werden, wenn überhaupt, unzureichend gereinigt. Erhebliche Anteile der
Bevölkerung sind nicht an die Kanalisation angeschlossen. Durch die Versickerung
ungeklärten Abwassers, v.a. in ländlichen Gebieten, ist die Trinkwasserversorgung
der Bevölkerung stark beeinträchtigt. In Polen z.B. versorgt sich (Daten
von 2000) die Hälfte der Landbevölkerung mit Wasser aus handbetriebenen
Brunnen, die von einer starken Nitratbelastung betroffen sind.6 Im Bereich der Abfallwirtschaft herrscht eine besonders schlechte Lage.11 Die Produktion industrieller Abfälle übersteigt den EU-Durchschnitt deutlich (EU 1 t pro Jahr und Einwohner, Tschechien 1,7, Estland sogar 5). Daneben nehmen, bedingt durch den Anstieg der Konsumgüterproduktion, die Verpackungsabfälle zu. Modernes Abfallmanagement findet hingegen kaum statt. Exemplarisch sei Polen genannt, wo 99% der Abfälle auf Deponien gelagert werden, die allerdings mehrheitlich nicht gegen Versickerung von Umweltgiften wie z.B. Schwermetallen gesichert sind. Wenigstens aber gibt es Deponien. In Ungarn dagegen bestand 1998 für nur ca. 50% der Bevölkerung ein organisiertes Abfallsystem, der Rest entsorgte den Müll am Waldrand oder in still gelegten Bergwerkshallen. Wiederum bieten hier die europäischen Vorgaben (Abfallrahmenrichtlinie12, Richtlinie über gefährliche Abfälle13, Verbrennungsanlagenrichtlinien, Richtlinien über Verpackungen und Verpackungsabfälle, Deponierichtlinie14) sinnvolle Rahmenvorgaben für den Erlass moderner Abfallgesetze, der ja auch teilweise bereits stattgefunden hat. Gar nicht mal so schlecht ... Diese einzelnen Beispiele sollen die Feststellung illustrieren, dass das europäische Umweltrecht zumindest partiell Normen bereitstellt, die geeignet sind, positiv auf den Umweltzustand in den Beitrittsstaaten einzuwirken. Zumindest theoretisch. Wie sieht es aber in der Praxis aus? Vertragsrechtlich scheint es, dass die Beitrittsstaaten ihrer in den Beitrittsabkommen vereinbarten Verpflichtung zur Übernahme wesentlicher Partien des Umweltacquis auch nachgekommen sind, sonst dürften sie ja nicht beitreten. Dass sie ihre Verpflichtung auch tatsächlich insgesamt erfüllt haben, wird ihnen in den abschließenden Fortschrittsberichten der Kommission auch bescheinigt ("beachtliche" bis "sehr gute" Fortschritte).15 Die formale Umsetzung in nationales Recht ist aber auch nicht so schwierig, man muss ja nur die Gesetzestexte übersetzen. (So hat man es z.B. wohl in Bulgarien gehandhabt). Insgesamt kann man sagen, dass die Rahmengesetzgebung weitestgehend beendet ist, die ausfüllende Rechtssetzung aber z.T. noch nicht abgeschlossen oder mangelhaft ist. Das Abfallrahmengesetz der Tschechischen Republik von 1997 z.B. musste gleich wieder eingestampft werden, weil die verwendete Abfalldefinition nicht dem europäischen Begriff entsprach. Aus dem selben Grund musste auch Polen sein Abfallgesetz novellieren. Das primäre Problem bei der Implementation des europäischen Umweltrechts in den mittel- und osteuropäischen Ländern ist allerdings, wie bereits angedeutet, nicht die formale Transformation in nationales Recht, sondern, was auch in den Mitgliedsstaaten den zentralen Missstand darstellt, der tatsächliche Vollzug. Zwei Aspekte sollen hierbei hervorgehoben werden: Verwaltung und Finanzierung. Ohne Moos nix los Die weitgehende Abschaffung der kommunalen Selbstverwaltung, also der
Handlungsfähigkeit auf lokaler Ebene, die Ablehnung des Prinzips der Gewaltenteilung,
also nicht nur eine unzureichende, sondern gar keine gerichtliche Kontrolle
staatlichen umweltschädlichen Handelns, stellen ein schweres Erbe für
den Aufbau halbwegs handlungsfähiger Verwaltungsstrukturen dar. Unzureichende
Behördenkoordination, Kompetenzüberschreitungen, zu wenig und zu schlecht
geschultes Personal, aber auch eine mangelnde verwaltungsgerichtliche
Praxis wären hier anzuführen. Umweltpolitik per Zwang ... Der Prozess der Rechtssetzung in den Beitrittsländern stellt eine Form
von Rechtstransfer dar, die durch starke Zwangselemente gekennzeichnet
ist.20 Die Beitrittsstaaten werden einseitig verpflichtet, einen komplexen
legislativen Apparat zu übernehmen, der in einem fremden kulturellen Kontext
über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten entwickelt wurde.21 Die Voraussetzung dafür, dass die Normen funktionieren, sei eine breit geteilte Wünschbarkeit der Zielzustände23, die mit der transferierten Politik erreicht werden sollen (also eine bessere Umweltsituation). Dies erscheint als Grundvoraussetzung für die Bereitschaft, auch die Kosten der Umsetzung zu tragen. Politik ist also nicht das Resultat von Sachzwängen, sondern entscheidend mit bestimmt von kognitiv verfügbaren Handlungsoptionen24. Diese bilden sich im gesellschaftlichen Diskurs heraus, der politischen Entscheidungen vorausgeht, aber nicht stattfindet, wenn politische Entscheidungen aufgrund von Zwang getroffen werden. Einfacher gesprochen: Wozu man keine Lust hat, klappt meistens schlechter, weil man sich weniger damit beschäftigt. Das Widerstreben der AdressatInnen endet in Politikversagen, eben weil durch den Zwang das Recht zu übernehmen eine Auseinandersetzung mit der Idee, die hinter der Norm steht, nicht stattfindet. Dies zeichnet sich auch in den Beitrittsländern ab. Die Verpflichtung zur Übernahme des Umweltacquis ist dort der Hauptantrieb umweltrechtlicher Aktivitäten geworden, umweltpolitische Diskurse wurden, wohl noch deutlicher als bei uns, von den dringenden sozialen Folgen der Transformationsprozesse in den Hintergrund, um nicht zu sagen ins völlige Abseits gedrängt. Die Normen müssen übernommen werden, weil das Voraussetzung für den Beitritt ist. Die Ratio der Normübernahme wird also gelöst von der Ratio der ursprünglichen Normschaffung. Damit ändert sich die Natur der Rechtsnorm, die eigentlich das Resultat einer Mehrheitsentscheidung nach einer Diskussion über die beste Lösung eines bestimmten Problems ist, grundlegend. ... eine feine Sache? Aus dem bis jetzt Dargestellten ergibt sich meines Erachtens eine paradoxe
Situation. Die beschriebenen Normsetzungsverfahren genügen demokratischem
Verständnis überhaupt nicht. Das Argument, dass die aufoktroyierten Normen
in fremden kulturellen Kontexten entwickelt wurden, kann man vielleicht
noch entkräften. Der kulturelle Kontext ist möglicherweise nicht so fremd,
auch in den Beitrittsländern hat ja mehr oder weniger parallel zu Westeuropa,
wenn auch unter anderen Rahmenbedingungen, eine Entwicklung von Umweltbewusstsein
und Umweltbewegungen stattgefunden. Weiter genügen die Normen des europäischen
Umweltrechts in der Regel tatsächlich dem Subsidiaritätsprinzip, indem
Rahmenvorgaben gemacht werden, die konkrete Umsetzung aber offen gelassen
wird. Damit scheint eine Anpassung an andere kulturelle Kontexte grundsätzlich
möglich. Gar nicht mal so gut ... Diese Problematik lenkt den Blick auf die Frage nach der Natur der Rechtsnorm. Kann man sagen, dass das Vorhandensein eines Gesetzes grundsätzlich bereits eine bestimmte Form von objektivem Sollen, also einen Schritt in Richtung der Verwirklichung des materiellen Normgehaltes darstellt? Wenn der Normsetzungsprozess in einem demokratisch legitimierten Verfahren stattgefunden hat, kann man das vielleicht annehmen. Ein solches Verfahren hat aber gerade im Erweiterungsprozess nicht stattgefunden. Beachtet man daneben weitere Delegitimierungsvorgänge, wie z.B. den globalisierungsbedingten Verlust makroökonomischer und fiskalischer Steuerungsinstrumente auf nationalstaatlicher Ebene und den damit einher gehenden Verlust der Fähigkeit zur Redistribution sozialer Ressourcen, die dazu führen, dass allgemein Normsetzungsprozesse auf dieser Ebene von Legitimationsverlusten betroffen sind, muss man diese Frage wohl verneinen. Vielleicht wird durch Normsetzung in solchen Verfahren sogar eher das Gegenteil erreicht. So könnte man überspitzt formulieren, dass sich in Ost- und Mitteleuropa im Bereich des Umweltrechts die Entwicklung der Menge an Gesetzen umgekehrt proportional zur Menge demokratischer Diskurse, die eigentlich der Verabschiedung solcher Gesetze vorausgehen sollten, verhält. Daraus könnte man folgern, dass solche Gesetze, auch wenn sie materiell die Förderung demokratischer Prozesse beinhalten, eben auch geeignet sind, das Verschwinden demokratischer Prozesse zu verdecken. Nach traditionellem demokratischem Verständnis indiziert die Existenz eines Gesetzes, dass ein Diskurs stattgefunden hat. Das aber ist ja gerade nicht mehr der Fall. Damit könnte also der auf vielen Ebenen stattfindende Verlust demokratischer Legitimität verschleiert werden, ebenso wie die Notwendigkeit, die durch die Globalisierungsprozesse erforderlich gewordenen neuen politischen Handlungsformen und neuen Formen der Begründung demokratischer Legitimität zu entwickeln. Maike Hellmig hat Jura studiert und lebt in Köln. Anmerkungen: 1 v. Hohmeyer u.a. 2001, 25. Literatur von Homeyer, Ingmar/Bär, Stefani/Carius, Ingmar/Deim, Szilvia,
Umweltpolitik in Mittel- und Osteuropa. Analyse der EU-Osterweiterung,
2001. |