Stephen Rehmke |
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Cops on the Top | Heft
1/2004 Europavisionen Ode an die Freude? Seite 4-8 |
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Die Hymne auf die europäisierte Strafverfolgung ist ein Abgesang auf die Freiheitsrechte |
"Die Union bildet einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem die Grundrechte geachtet und die verschiedenen Rechtstraditionen und -ordnungen der Mitgliedstaaten berücksichtigt werden." (Art. III - 158 Abs.1)1 Mit diesen hehren Worten wird das Kapitel über die polizeiliche und justizielle
Zusammenarbeit im dritten Teil des Verfassungsentwurfs für die Europäische
Union eingeleitet. Wer der Sprache der europäischen BürokratInnen nicht
mächtig ist, wird dies als deutliches Bekenntnis zu einem harmonisierten
rechtsstaatlichen System verstehen wollen, wird hier doch ausdrücklich
die Achtung der Grundrechte betont. TREVI Die polizeiliche Kooperation in Europa begann zu einem Zeitpunkt, als
sich nahezu alle nationalen Regierungen der damaligen Europäischen Gemeinschaft
(EG) in Auseinandersetzungen mit teils militant agierenden linken Bewegungen
in ihren Ländern befanden. Die repressive Bekämpfung der diversen Widerstandsgruppen
sollte sich auch auf der Gemeinschaftsebene fortsetzen. Bereits 1974 forderte
der Bund Deutscher Kriminalbeamter die Vereinheitlichung des EG-Strafrechts
und die Schaffung einer europäischen Polizei. Dieses Ansinnen wurde von
Deutschland aus erfolgreich in die EG getragen: 1976 beschlossen die Innen-
und PolizeiministerInnen der Mitgliedsstaaten die Einrichtung eines informellen
Gremiums namens TREVI. Bis heute ist unklar, ob dies als richtungsweisende
Abkürzung für "Terrorisme, Radicalisme, Extremisme, Violence International"
steht oder lediglich für den damaligen Tagungsort "Fontana di Trevi".2
Das entsprechend undurchsichtige Gremium verfolgte einen in zwei Arbeitsgruppen
organisierten Austausch von Ermittlungsergebnissen (TREVI I) und von Erkenntnissen
in Fragen der Polizeipraxis und -ausbildung (TREVI II). EUROPOL Derweil hatte TREVI bereits den entscheidenden Schritt zu einer gemeinsamen
Strafverfolgung getätigt, als es zur Bekämpfung des illegalisierten Drogenhandels
den Aufbau einer European Drug Intelligence Unit initiierte und damit
das Fundament der heutigen europäischen Polizeibehörde EUROPOL schuf.
In der Drogeneinheit standen VerbindungsbeamtInnen der Mitgliedsstaaten
mit ihren heimischen Behörden im ständigen Kontakt und ermöglichten so
einen umfangreichen und umstandslosen Datenaustausch. Sehr schnell übernahm
diese Polizeieinheit die logistische Führung in der grenzüberschreitenden
Observation und Kontrolle von Drogenlieferungen im Raum der EU. Datenschätze Die Erhebung und Weitergabe von Daten innerhalb einer solchen Institution
hat mehr Konsequenzen, als es auf den ersten Blick scheint. Denn die peniblen
EUROPOL-BeamtInnen in Den Haag sammeln nicht nur Daten von verurteilten
StraftäterInnen, Beschuldigten und Verdächtigen, sondern u.a. auch von
Kontakt- und Begleitpersonen, ZeugInnen, Opfern oder ganzen Risikogruppen,
ohne dass dem wirksame Kontroll- und Datenschutzmechanismen zur Seite
stehen. Dabei enthalten die Datensätze neben Angaben zu den jeweiligen
Straftaten auch höchstpersönliche Hinweise über die "rassische Herkunft",
die politische und religiöse Orientierung, das Sexualverhalten oder die
Gesundheit.5 Solcherlei Datenerfassungen stellen damit einen erheblichen
Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, welches
den Einzelnen das Recht auf die Preisgabe und Verwendung persönlicher
Daten und Lebenssachverhalte garantiert. Kontrollierte Lieferungen Zudem ist die Rolle, die EUROPOL bei grenzüberschreitenden Polizeioperationen
spielt, für die Garantie eines rechtsstaatlichen und fairen Strafverfahrens
äußerst prekär. EUROPOL wirkt maßgeblich an der verdeckten Ermittlungsmethode
der "kontrollierten Lieferung" mit, bei der beispielsweise ein Drogentransport
grenzüberschreitend vom Herkunftsort bis zur Auslieferung observiert wird.
Erst am Ende werden die mutmaßlichen SchmugglerInnen und HändlerInnen
dingfest gemacht und die Rauschmittel beschlagnahmt. Die Dokumentationen
solcher "kontrollierten Lieferungen" sind in den Ermittlungsakten, so
berichten StrafverteidigerInnen, hingegen nur lückenhaft geführt.6 Bestenfalls
fänden sich Hinweise darauf, von wem der jeweilige Tipp für den späteren
erfolgreichen Zugriff kam. Unter solchen Umständen bleibt stets unklar,
wie der Verdacht zustande kam, ob verdeckte ErmittlerInnen beteiligt waren
oder gar agents provocateurs agierten - essentielle Angaben für die Durchführung
eines fairen Strafprozesses. Strategische Lieferungen Über die kriminalistische Arbeit mit personenbezogenen Daten hinaus betätigt
sich EUROPOL auch als Lieferantin von Berichten und so genannten strategischen
Analysen zur Kriminalitätslage. Ausgehend von der in der Konvention festgehaltenen
Aufgabe, nicht näher definierte kriminelle Organisationsstrukturen zu
bekämpfen, erhebt EUROPOL regelmäßig Lageberichte zur so genannten Organisierten
Kriminalität. Da unter diesem unbestimmten Begriff quasi jede halbwegs
durchdachte illegale Handlung gefasst werden kann, ist es möglich, eine
derartige Bedrohung über den Drogenhandel hinaus auch auf andere Bereiche
auszudehnen.8 Verfassungsrechte Die bisherige Entwicklung der europäischen Polizeiarbeit zeigt, dass
den Prinzipien des Rechtsstaats und der Gewaltenteilung allenfalls marginal
nachgekommen wurde. Die nationalen Regierungen und die europäischen Sicherheitsbehörden
begannen lange vor den Ratifikationen der EU-Verträge von Maastricht und
Amsterdam und mithin ohne gesicherte Rechtsgrundlage mit der polizeilichen
Kooperation. Diese bauten sie solange in informeller und weder von Parlamenten
noch Gerichten kontrollierter Zusammenarbeit aus, bis sie schließlich
nachträglich legitimiert wurden. Dabei wurden die entsprechenden Rechtsakte
durch die Regierungen der Mitgliedsstaaten durchgesetzt, die sich oftmals
an akuten Bedürfnissen orientierten.10 Eine parlamentarische Diskussion
fand hingegen kaum statt. Es wird versucht, dieser Form der Rechsetzung
mit dem Begriff der "gubernativen Rechtsetzung" ein legitimierendes Modell
zu verpassen, das sich aus der Notwendigkeit der europäischen Gemeinschaft
ergebe.11 Verfassungskonvent In diesem Zusammenhang erhofften sich viele Bürgerrechtsgruppen von der Ausarbeitung einer europäischen Verfassung eine Abhilfe für das undemokratische und grundrechtsfeindliche Kompetenzgeflecht der europäischen Strafverfolgung. Suggeriert der bürgerliche Verfassungsbegriff doch, dass die Staatsgewalt rechtsstaatlich begrenzt und insbesondere die Grundfreiheiten der Bürgerinnen und Bürger gesichert werden. Ihre Hoffnung stützte sich insbesondere auf die in Nizza im Jahr 2001 verabschiedete und 54 Artikel umfassende Grundrechte-Charta, die im zweiten Teil der Verfassung aufgenommen werden soll und damit Rechtsverbindlichkeit erhalten wird. Inwiefern diese Bürgerrechte vor dem Europäischen Gerichtshof dann durchgesetzt werden können, bleibt vorsichtig abzuwarten. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass der entsprechende Verfassungsartikel im zweiten Teil des Entwurfs die Freiheit und die Sicherheit in einem Atemzug nennt: "Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit." (II-6), und so eine wohlgefällige Abwägung zugunsten sicherheitspolitischer Aspekte geradezu aufdrängt. Skepsis ergibt sich daher vor allem bei näherer Betrachtung des eingangs erwähnten vierten Kapitels im dritten Teil des Verfassungsentwurfs über die europäische Zusammenarbeit der Polizei und Justiz im so genannten "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts". Raum der Sicherheitsbehörden Danach sollen in der Europäischen Union die Tätigkeiten der nationalen
Justizbehörden stärker koordiniert und einige ihrer Kompetenzen zusammengeführt
werden. Nach diesen Vorgaben wird der Europäische Rat die strategischen
Leitlinien für die gemeinsame Innen- und Rechtspolitik setzen, aus denen
sich eigene Europäische Gesetze oder Rahmengesetze zur Bekämpfung grenzüberschreitender
Delikte u. a. in den Bereichen des Menschen-, Waffen- und Drogenhandels,
der Geldwäsche, der Computerkriminalität und schließlich des Terrorismus
sowie der Organisierten Kriminalität entwickeln können. Diese EU-Gesetze
sollen die Straftaten einheitlich kodifizieren und auch Mindestvorschriften
für das Strafmaß festlegen. Auch die europäische Verfassung hantiert demzufolge
mit der Beschreibung allgemeiner Kriminalitätsphänomene, deren Unbestimmtheit
einer klaren Abgrenzung der Zuständigkeiten der Union und der Mitgliedsstaaten
zuwider läuft. Auch nach den Konventsvorschlägen werden die Parlamente an den entsprechenden
Gesetzen und nachfolgenden Maßnahmen für die europäische Praxis der Strafverfolgung
im wesentlichen nicht mit zu entscheiden haben. Ihnen kommt allenfalls
eine begleitende Funktion in der Rechtssetzung zu, indem sie in die Ausarbeitung
einiger Gesetzesvorhaben einbezogen werden. Ansonsten verbleibt ihnen
lediglich die Möglichkeit, sich an den "Bewertungsmechanismen" (Art. III-160)
der Maßnahmen des Ministerrates und an der politischen Kontrolle der Strafverfolgungsbehörden
zu beteiligen. Terrorism Roadmap Wie gravierend eine solche rein gouvernementale Rechtssetzung sein kann,
zeigte sich nach den Terroranschlägen des 11. September 2001. Die europäischen
Sicherheitsbehörden entsannen sich eines alten Bedrohungsszenarios, das
seinerzeit ihre Gründung legitimierte: den Terrorismus. In den eiligst
präsentierten Lagebildern fand sich eine neue Gefahrenbeschreibung über
vermeintliche und tatsächliche internationale terroristische Aktivitäten.
Nur wenige Tage nach den Überfällen auf die USA berieten und verabschiedeten
die Innen- und JustizministerInnen eine von der Europäischen Kommission
vorgeschlagene "terrorism roadmap". Europäischer Haftbefehl Auch der Europäische Haftbefehl ist eine jener Hauptstrecken der roadmap.
Dieser soll bei bestimmten, in einer Positivliste geführten Delikten die
vollständige richterliche Überprüfung der bisherigen Rechtshilfe- und
Auslieferungsverfahren umgehen und die einfache Überstellung der mutmaßlichen
StraftäterInnen ermöglichen. Die Liste arbeitet ebenfalls mit vagen Kriminalitätskomplexen,
fast gebetsmühlenartig werden auch hier Schlagworte wie Terrorismus, Cybercrimes
oder Sabotage bemüht. EUROJUST Im Zuge dieser Entwicklung wurde im Übrigen auch das insbesondere von Deutschland angetriebene Projekt der justizbehördlichen Verbindungsstelle EUROJUST abgeschlossen. Die seit Ende 2002 dort arbeitenden JustizvertreterInnen aus den 15 EU-Staaten dienen als Anlaufstelle für nationale Behörden, um Kompetenzen, Ermittlungen und Verfahren bei internationalen Delikten in den gängigen, unbestimmten Bereichen der schweren und organisierten Kriminalität zu koordinieren. EUROJUST soll insbesondere Fachwissen zur Anwendung und Auslegung der jeweiligen Rechtshilfeabkommen bereitstellen und bei Ersuchen um gemeinsame Strafverfolgungsmaßnahmen behilflich sein. EUROJUST sind allerdings weder Weisungs- noch Kontrollbefugnisse gegenüber EUROPOL übertragen worden. Ihr obliegt es vielmehr, die Analyseergebnisse der Polizeibehörde in effiziente nationale Ermittlungen umzusetzen. Dabei wird die Behörde der Staatsanwaltschaften auch selbst Datensammlungen vornehmen können.16 Europäische Staatsanwaltschaft Die mit der vorgeblichen Terrorismusbekämpfung in beschleunigten Gang
gesetzte justizielle Zusammenarbeit wird in dem Verfassungsentwurf des
Europäischen Konvents fortgeschrieben. Ausgehend von EUROJUST soll nach
den Vorstellungen des Verfassungskonvents eine europäische Staatsanwaltschaft
nun stellenweise die polizeilichen Tätigkeiten begleiten. Dabei wird die
Strafverfolgungsbehörde zunächst bei schweren Vergehen gegen die finanziellen
Interessen der EU die grenzüberschreitenden Ermittlungen leiten (Art.
III-175). "Die Realität der Arbeit der europäischen Staatsanwaltschaft wird geprägt sein von der Effektivität. Ist primäre Aufgabe die Verbrechensbekämpfung, wird die Staatsanwaltschaft den nützlichsten Weg wählen, Sachverhalte zu ermitteln und ein gerichtliches Verfahren weitgehend im Hinblick auf die Möglichkeiten einer Verurteilung des Beschuldigten zu strukturieren. Die erste Vernehmung wird man nicht in Spanien durchführen, wenn man auf die Anwesenheit des Verteidigers keinen großen Wert legt. Stattdessen würden sich Frankreich, Österreich oder die Niederlande anbieten, die den Verteidiger bei der polizeilichen Vernehmung ausschließen und sogar jegliche Belehrung des Beschuldigten in dieser Richtung für entbehrlich erachten. Zur Schaltung einer - europaweiten - Telefonüberwachung bietet sich eine Rückkehr zum spanischen Ermittlungsrichter an, der eine solche Maßnahme nicht vom Vorliegen einer Katalogtat oder der Definition besonders schwerer Kriminalität abhängig macht, sondern dies bei jeder Straftat anordnen kann. Soll eine zwangsweise körperliche Untersuchung des Beschuldigten zu Beweismitteln führen, empfiehlt sich abzuwarten, bis der Beschuldigte die Niederlande verlassen hat; dort wäre eine solche Maßnahme nicht zulässig. Die englischen Gerichte erscheinen als optimales Feld für den europäischen Staatsanwalt zur Anklageerhebung, wenn dem Gericht negative Schlussfolgerungen aus dem bisherigen Schweigen des Beschuldigten nahe gelegt werden sollen. Sollte demgegenüber ein Zeuge vom Hörensagen maßgebliches Beweismittel darstellen, wird die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anklage die Flucht zum Festland antreten, da nur dort ein solches Beweismittel Grundlage für die Überzeugungsbildung eines Gerichts sein kann."18 Grünbuch Es ist bezeichnend, dass das 2003 von der Kommission nachgeschobene "Grünbuch
der Kommission, Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen
Union" hauptsächlich die in Art. 6 Abs. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention
(EMRK) festgehaltenen Mindeststandards ("minimal rights") behandelt. Das
Grünbuch verliert sich in Detailausführungen über unentgeltliche Rechtsbeistände
und DolmetscherInnen, während es elementare Prinzipien des Strafprozesses
wie beispielsweise das Legalitäts- und das Offizialprinzip, das Recht
auf Aussageverweigerung oder die Gestaltungsprinzipien der Unmittelbarkeit,
Mündlichkeit und Öffentlichkeit nicht benennt oder nur unzureichend begründet.19
Dass sich das Grünbuch ebenfalls nicht zu der staatsanwaltschaftlichen
Vorgehensweise des Forum Shoppings äußert, ist getreue Konsequenz.20 Verfassungsfeinde Mit dem vielgestaltigen Ausbau der Europäischen Union wurden und werden zunehmend wesentliche Eigenschaften und Inhalte des Strafverfahrensrechts und des materiellen Strafrechts dem nationalstaatlichen Souveränitätsvorbehalt entzogen. Das ist für sich genommen nicht zu bedauern. Doch in Ermangelung jedweder Einsprüche der Parlamente und der europäischen Öffentlichkeit geschieht dies nach unbeeinträchtigter Gutsherrenart. Mit entsprechendem Ergebnis: Die nicht zuletzt von deutschen Behörden maßgeblich initiierten innen- und rechtspolitischen Rechtsakte des Staatenverbundes etablieren ein autoritäres Polizei- und Strafverfolgungsregime, das neben dem mit den bekannten Ressentiments beladenen Schreckgespenst des Organisierten Verbrechens vermehrt auch die Protestbewegungen in Europa ins Visier nimmt. Das darf nicht allein die um ihre Arbeitsgrundlage fürchtenden Strafverteidigungsvereinigungen auf den Plan rufen. Auch die europäische Linke sollte sich - zumindest solange sie es noch straflos kann - als verfassungsfeindlich bekennen und die kommende europäische Verfassung als das ablehnen, was sie als "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" nicht ist: Eine Grundordnung, die die Freiheitsrechte der Menschen garantiert. Stephen Rehmke studiert Jura in Hamburg. Anmerkungen: 1 Wenn nicht anders bezeichnet, stehen alle zitierten Artikel des Verfassungsentwurfs
im Teil III, Titel III, Kapitel IV des Entwurfs "Vertrag über eine Verfassung
für Europa" des Europäischen Konvents vom 18.Juli 2003 (CONV 850/03).
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