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Die Europäische Union gibt sich gern als umweltpolitische Vorreiterin
und Verfechterin des Multilateralismus - im Gegensatz zu den USA. America
bashing liegt im Trend. Gut ins Bild passte Rumsfelds Gegenüberstellung
der USA mit dem "alten Europa". Die Grünen ließen sich sofort Aufkleber
und T-Shirts mit dem neuen Schlagwort bedrucken. Während die USA auf der
anderen Seite des Atlantiks den unilateralen Angriffskrieg gegen den Irak
vorbereiteten, stand das "alte Europa" für Menschenrechte und Demokratie.
Dort Krieg für Öl, hier Umweltschutz und erneuerbare Energien - geht diese
Rechnung auf? Klar ist: Die USA haben weltweit mit Abstand den höchsten
Ressourcenverbrauch und sind am wenigsten gewillt, sich an internationalen
Umweltabkommen zu beteiligen. Ist aber die EU wirklich umweltpolitische
Vorreiterin in der Welt? Und: Sind die USA allein verantwortlich für die
vermeintliche Krise des Multilateralismus? Im Jahr 2002 fand in Johannesburg
der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung "Rio + 10" statt. Anhand der
Verhandlungen zum Hauptdokument des Gipfels, dem Plan of Implementation1,
soll diesen beiden Fragen nachgegangen werden.
WTO und Umweltschutz
Der Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002 war der
bisher größte Gipfel in der Geschichte der Vereinten Nationen (UN). An
ihm nahmen Delegierte aus 191 Staaten teil. Entsprechend wurde eine ganze
Fülle von Themen diskutiert und verhandelt. Dies geschah nicht nur in
Johannesburg selbst, sondern u.a. auf vier offiziellen UN-Vorbereitungskonferenzen.
Auf der Agenda stand auch das Verhältnis von multilateralen Umweltabkommen
und den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Dieser Verhandlungspunkt
verdeutlicht den Widerspruch zwischen Image und tatsächlicher Rolle der
EU in Abgrenzung zu den USA.
Die Welthandelsorganisation wurde 1994 in Marrakesch gegründet und
steht komplett außerhalb des UN-Systems. Sie verfolgt das Ziel eines
grenzenlosen Freihandels, auf dem Kapital und Waren sich ungehindert entsprechend
Angebot und Nachfrage bewegen können. Ökologische und soziale
Kriterien werden zurück gestellt. Das schafft natürlich Rivalitäten
zu den Umweltabkommen. Zum Beispiel verbieten einige Staaten unter Berufung
auf das Vorsorgeprinzip von Rio den Anbau und Import von gentechnisch
veränderten Organismen. Nach den Regeln der Welthandelsorganisation
ist jedoch ein solches Importverbot eine unerlaubte Handelsbarriere.
Im Gegensatz zu den Umweltabkommen verfügt die Welthandelsorganisation
über Sanktionsmechanismen, d.h. ein Verstoß gegen ihre Regeln zieht für
den jeweiligen Mitgliedsstaat eventuell Strafen nach sich, ein Verstoß
gegen die Umweltabkommen nicht. In der Praxis genießen die Regeln der
Welthandelsorganisation deshalb Vorrang vor den Umweltabkommen, obwohl
internationale Abkommen grundsätzlich gleichwertig nebeneinander existieren.
In der EU wird der Anbau und Import von Gentech-Produkten de facto nicht
erlaubt. Die USA haben deshalb ein Beschwerdeverfahren bei der Welthandelsorganisation
eingeleitet. Bei der Gentechnik scheint der Fall deshalb klar: Die USA
wollen Freihandel um jeden Preis, das "alte Europa" sorgt sich auch um
Mensch und Umwelt. Umweltminister Trittin rühmte sich, in Johannesburg
den Vorrang der Welthandelsorganisation verhindert und die Gleichrangigkeit
der Umweltabkommen und der Regeln der Welthandelsorganisation durchgesetzt
zu haben (in Art. 92, Plan of Implementation).2 Dies ist jedoch eine einseitige
Darstellung, denn zum einen ist die verabschiedete Formulierung nicht
ganz so klar und zum zweiten verursachte auch die EU den Schaden, den
es zu verhindern galt.
Vermeintliche Vorreiterin EU
Im Vorfeld des Gipfels von Johannesburg hatte es nämlich eine Absprache
zwischen EU und USA zum Vorrang der Regeln der Welthandelsorganisation
gegeben. In Johannesburg stimmte dann auch die Gruppe der Entwicklungsstaaten
der Formulierung zu. Die Verabschiedung konnte nur durch das Veto einer
Hand voll Reststaaten, die keinem der großen Blöcke angehören, verhindert
werden. Bei genauerem Hinsehen also verliert die EU die Rolle der Umwelt-Märtyrerin.
Von Seiten der Nichtregierungsorganisationen hieß es sogar, die EU sei
der letzte Verhandlungsblock gewesen, der eingelenkt hätte - noch nach
den USA.3
Der von Trittin mit Lob versehene endgültige Plan of Implementation sieht
zudem neben der vorläufigen Gleichrangigkeit der Umweltabkommen und der
Regeln der Welthandelsorganisation auch die Unterstützung des Arbeitsprogramms
von Doha vor. Bei der Doha-Konferenz der Welthandelsorganisation im November
2001 war die Klärung der Verhältnisses von Welthandelsorganisation und
Umweltabkommen an einen Ausschuss der Welthandelsorganisation delegiert
worden. Dass das Verhältnis durch die Welthandelsorganisation entschieden
werden soll, lässt bereits auf einen Vorrang der Welthandelsorganisation
schließen und ist aus umweltpolitischer Sicht höchst bedenklich. Der Fuchs
wurde hier gewissermaßen zum Wärter im Hühnerstall gemacht. Im Grunde
haben sich somit die USA in den Verhandlungen durchgesetzt. Zwar wurde
der Vorrang der Welthandelsorganisation nicht formal entschieden, aber
der Weg dafür bereitet.
Die EU bildete in den erläuterten Verhandlungen kein Gegengewicht zu
den USA. Das lag nicht daran, dass sie nicht genug Gewicht gehabt hätte,
sondern daran, dass sie keine deutliche Gegenposition einnahm. Die gravierende
Interessengegenüberstellung in der Welt verläuft schließlich nicht zwischen
den USA und der EU, sondern zwischen Industrie- und Entwicklungsstaaten
bzw. in der Umweltpolitik zwischen Verursachern und denen, die die Folgen
von Umweltzerstörung und Klimawandel mitzutragen haben.4 Die klassische
Gegenüberstellung zwischen globalem Norden und Süden tritt allerdings
immer mehr in den Hintergrund. Im Mittelpunkt der aktuellen Debatte steht
der Gegensatz von EU und USA.
Die Entwicklungsstaaten sind den Industriestaaten trotz des UN-Prinzips
one country - one vote nicht ebenbürtig. Das beginnt damit, dass
die Entwicklungsstaaten es sich oft nicht leisten können, überhaupt
Delegierte zu den UN-Versammlungen zu schicken. Darüber hinaus kommen
in der G 77 / China, der Gruppe der Entwicklungsstaaten, sowohl die Interessen
der ärmsten Länder als auch beispielsweise der ölfördernden
Länder zusammen. Das spaltet sie und schwächt ihre Position
in den multilateralen Verhandlungen - neben der Tatsache, dass sie eben
keine donors, keine Geber-, sondern Empfängerstaaten, d.h. auf Finanztransfers,
zum Beispiel in Form von Entwicklungshilfe, angewiesen sind. Im Vordergrund
der Verhandlungen stehen deshalb oft Themen, welche die Industriestaaten
beschäftigen. In der Folge wird der Gegensatz zwischen globalem Norden
und Süden und damit die Bedürfnisse und Interessen der Entwicklungsstaaten
marginalisiert.
Der Multilateralismus in der Krise
Spätestens seit der 5. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation
in Cancun im September 2003 ist die Rede von der Krise des Multilateralismus.
Entweder die Verhandlungen scheiterten ganz oder es käme zu einer Einigung
auf dem "kleinsten gemeinsamen Nenner". In der Umweltpolitik ist in diesem
Zusammenhang oft die Rede von der "Verhinderung des Rückschritts" bzw.
einem drohenden roll back. Dabei wird übersehen, dass es nicht zu einem
Zustand ohne kollektive Regelung kommt, wenn in internationalen Verhandlungen
keine Einigung erzielt wird, sondern der jeweilige Status quo erhalten
bleibt.
In der Umweltpolitik gibt es nur wenige Staaten, die es sich leisten können,
sich über bestehende global vereinbarte Standards hinwegzusetzen, ohne
darunter ernsthaft materiell zu leiden. Viele meinen, dass sogar nur die
USA als einzig verbliebene Supermacht in der Lage sind, sich über multilaterale
Vereinbarungen und internationale Standards hinwegzusetzen. Das Kyoto-Protokoll
ist nur ein Beispiel. Der Supermacht wurde in Johannesburg vorgeworfen,
dass sie, dieser Logik folgend, durch Androhen ihres Vetos, in allen Bereichen
Entscheidungen auf den "kleinsten gemeinsamen Nenner" gedrückt hätte.
Dabei wird vergessen, dass das Prinzip one country - one vote den Staaten
kein Veto im Sinne einer einfachen Zustimmungsverweigerung durch eine
Gegenstimme, die eine Einigung verhindert, zugesteht, sondern einen Ausstieg
aus den Verhandlungen bedeutet. Ein solcher Ausstieg birgt Kosten. Hätten
die USA etwa den Plan of Implementation nicht mit verabschiedet, wäre
das für sie mit einem dramatischen Imageverlust verbunden gewesen. Sie
hätten international erst recht als dirty actor gegolten. Dies ist nicht
im Interesse der USA. Grundsätzlich sind auch sie am Multilateralismus
interessiert. Sie ließen sich deshalb entgegen vieler Darstellungen auch
in Johannesburg auf Zugeständnisse ein.
Kuhhandel Wasser gegen erneuerbare Energien
Selbst wenn ein Staat - und das gilt auch für die Supermacht USA - in
einem bestimmten Verhandlungspunkt nicht an einer Einigung, sondern der
Erhaltung des Status quo interessiert ist, gilt, dass in multilateralen
Verhandlungen normaler Weise kein Punkt nur für sich verhandelt wird.
Es kommt zum bargaining zwischen verschiedenen Verhandlungspunkten, d.h.
zum Beispiel zum Kuhhandel Energie gegen Wasser: Im Bereich sauberes Trinkwasser
und sanitäre Grundversorgung konnte die EU in Johannesburg einen Erfolg
verbuchen, bei den erneuerbaren Energien gab sie den USA nach.
Im Punkt erneuerbare Energien hatte sich die EU die Verabschiedung eines
quantitativen Zeitziels vorgenommen. Die USA stellten sich grundsätzlich
gegen jede Art von konkreten Zielen. Da die Ölindustrie den Wahlkampf
des US-Präsidenten Bush finanziert hatte, rechnete wohl niemand damit,
dass die USA in Johannesburg von ihrer ablehnenden Haltung im Punkt erneuerbare
Energien abrückten. Das Bild des dirty actor USA und der umweltpolitischen
Vorreiterin EU traf zu.
Bei genauerem Hinsehen wird aber selbst in diesem Punkt deutlich, dass
die EU sich nur im Vergleich zu den USA als Vorreiterin darstellen kann.
Sie schlug als Ziel bis 2010 einen verbindlichen Primärenergieanteil erneuerbarer
Energien von 15% vor - ein äußerst moderates Ziel angesichts eines bereits
bestehenden weltweiten Anteils von 14%. Bei einem insgesamt steigenden
Energieverbrauch bliebe diese Zuwachsrate von nur einem Prozentpunkt bedeutungslos,
weil die Energieemissionen so trotzdem stiegen.5
Aus der Gruppe der Entwicklungsstaaten kam ein sehr viel weiter gehender
Vorschlag. Brasilien schlug die Erhöhung des Primärenergieanteils sogenannter
"neuer" erneuerbarer Energien (Sonne, Wind, Biogas) auf 10 % bis 2010
vor, was einer Steigerung um 8 Prozentpunkte (von 2 auf 10 %) bedeuten
würde. Die EU unterstützte ihn nicht. Der verabschiedete endgültige Plan
of Implementation enthält keine konkreten Ziele zu erneuerbaren Energien,
sieht allerdings eine "substantielle Erhöhung des globalen Anteils erneuerbarer
Energiequellen" vor.
Der Verzicht auf ein quantitatives Zeitziel für erneuerbare Energien,
der eine Vielzahl von Staaten enttäuschte, ermöglichte im Austausch einen
Verhandlungserfolg im Artikel zu sauberem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung,
bei dem die USA in Paketverhandlungen nachgaben.
Das UN-Millenniumsziel sieht die Halbierung des Anteils der Menschen,
die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben (etwa 1,2 Mrd. Menschen),
bis 2015 vor. Dieses Ziel wurde in Johannesburg bestätigt und erweitert.
Zusätzlich wurde für den selben Zeitraum die Halbierung des Anteils der
Menschen, die keinen Zugang zu sanitärer Grundversorgung haben (etwa 2,4
Mrd. Menschen), vereinbart.
Die Erweiterung des Ziels um sanitäre Grundversorgung geht maßgeblich
auf die Initiative der EU zurück, die von der G 77 / China unterstützt
wurde. Die USA widersetzten sich dem Ziel zur Abwasserentsorgung bis kurz
vor Konferenzschluss. Die Regierungen konnten sich in Johannesburg erst
verständigen, nachdem die USA ihre Opposition aufgaben und dafür mittels
einer Paketslösung im Gegenzug auf die Festlegung von Zielen zu erneuerbaren
Energien verzichtet wurde. Es kam also insgesamt nicht bloß zu einer Einigung
auf den "kleinsten gemeinsamen Nenner". Weil ein Veto mit dem Ausstieg
aus den Verhandlungen Kosten birgt, sind Zugeständnisse selbst für die
USA attraktiv. Der Multilateralismus ist nicht grundsätzlich zum Scheitern
verurteilt
Koalition der Willigen statt klassischem Multilateralismus
In vielen Resümees zum Weltgipfel wird nur der Punkt erneuerbare Energien
herausgegriffen, der - für sich genommen - die Krise des Multilateralismus
zu belegen scheint. An ihm knüpfen auch deshalb Überlegungen zu Alternativen
zum "klassischen" Multilateralismus an, weil die EU in der Endphase des
Weltgipfels in Johannesburg eine Erklärung gleich gesinnter Staaten zur
Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien vorlegte.
In dieser Erklärung kündigen die Unterzeichnerstaaten an, ambitionierte
Ziele auf globaler, regionaler und nationaler Ebene mit klaren Zeitplänen
zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien zu setzen. Auf ein konkretes
quantitatives Ziel legte sich die "Koalition der Willigen" jedoch ebenfalls
nicht fest. Zu ihren UnterstützerInnen gehörten neben den EU-Mitgliedstaaten
und der Europäischen Kommission eine Vielzahl weiterer Staaten. Dabei
war die Beteiligung großer Länder wie Brasilien und sogar Öl exportierender
Länder wie Mexiko und Venezuela von besonderer Bedeutung. Wenn den Worten
Taten folgen, ist eine solche Koalition vor allem als Vorreiterin für
weitere multilaterale Vereinbarungen zu begrüßen.
Die EU - umweltpolitische Vorreiterin im Vergleich zu den
USA
Die angeführten Beispiele machen deutlich, dass der Gegensatz zwischen
umweltfreundlichem Europa und dirty actor USA zwar auf den ersten Blick
zutrifft. Bei näherem Hinsehen wird aber deutlich, dass die EU sich nur
im Vergleich zu den USA als Vorreiterin darstellen kann. Zwar setzte sich
das "alte Europa" in Johannesburg für ein Zeitziel zur Förderung erneuerbarer
Energien ein. Das von ihr vorgeschlagene Ziel war jedoch lächerlich. Auch
der "Koalition der Willigen" gelang es nicht, ein konkretes Ziel festzulegen.
Die Unterzeichnerstaaten kündigen ein solches in ihrer Erklärung lediglich
an. Die Vorreiterrolle blieb also rein rhetorisch. Es bleibt fraglich,
ob die "Koalition der Willigen" als Motor zur Verbreitung erneuerbarer
Energien weltweit dient.
Die Verhandlungen zum Verhältnis von internationalen Umweltabkommen und
den Regeln der Welthandelsorganisation führen vor Augen, wie sehr USA
und EU im Grunde an einem Strang ziehen. Es wäre wünschenswert, wenn die
EU wie im Punkt Wasser enger mit den G 77 / China kooperieren und sie
die USA gemeinsam unter Druck setzen würden, um eine ehrgeizigere Weltumweltpolitik
durchzusetzen. Sehr realistisch erscheint dies jedoch nicht. Denn eine
engere Kooperation zwischen der EU und den G 77 / China hat im Gegensatz
zum America bashing die Konsequenz, dass sich die EU dem Süden stellen
und einschränken müsste: Ein Europäer bzw. eine Europäerin ist schließlich
für acht mal mehr Treibhausgas-Emissionen verantwortlich als eine Afrikanerin
oder ein Asiat!
Lena Partzsch hat in ihrer politikwissenschaftlichen Diplomarbeit
die Krise des Multilateralismus anhand der Verhandlungen zum Plan of Implementation
untersucht. Zur Zeit arbeitet sie als parlamentarische Assistentin der
grünen Europaabgeordneten Hiltrud Breyer.
Anmerkungen:
1 Dokument 2309, abrufbar auf: www.johannesburgsummit.org,
15.10.03.
2 Vgl. www.bmu.de/reden/rede_trittin020904.php,
08.01.03.
3 Vgl. www.germanwatch.org/kliko/ks05.htm,
28.05.03.
4 Vgl. Hoffmann, Rasmus: Der Zusammenhang zwischen sozialem und ökologischen
Problemen; in: Forum Recht 03/2003, S. 76-79.
5 Vgl. Maier, Jürgen: Weder Durchbruch noch Rückschlag. Eine erste Bilanz
des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung, in: Vereinte Nationen
5/2002, S. 180.
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