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Die Diskussion, ob die EU zu einer Supermacht aufsteigen sollte, die
den USA ebenbürtig ist, wurde durch den 3. Golfkrieg neu entfacht. Tatsächlich
aber führte nicht erst der tiefe Riss in den diplomatischen Beziehungen
zwischen den europäischen Staaten, die sich als "Kerneuropa" bezeichnen,
und den derzeitigen Machthabern in Washington zu den Überlegungen, die
EU zu einem Machtfaktor mit Supermacht-Allüren auszubauen. Mit dem Zusammenbruch
der UdSSR und dem Ende der bipolaren Weltordnung stellte sich für die
EU die Frage, welche Rolle sie zukünftig einnehmen soll.
Haben sich diese Überlegungen zunächst auf die Schaffung ziviler Konfliktlösungsmechanismen
gerichtet, führten die militärischen Konflikte der 90er Jahre zu einem
Umdenken in den Machtzentralen der europäischen Mittelmächte. Bereits
in Maastricht wurden die Grundlagen für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
errichtet, mit den Folgeverträgen von Amsterdam und Nizza wurden vor allem
auch die rechtlichen Grundlagen zur Sicherheitspolitik weiter ausgebaut.
Seitdem wird von den EU-StrategInnen in den Schaltzentralen der Macht
mit Hochdruck die Aufrüstung Europas betrieben. Bereits dieses Jahr soll
eine 60.000 Mann starke Eingreiftruppe bereit stehen, die innerhalb von
60 Tagen in einem bis zu 4000 km entfernten Einsatzort operieren kann;
dies für ein Jahr lang und wohlgemerkt ohne auf Nato-Ressourcen zurückzugreifen!
Was hier geschaffen wird, ist eine Interventionsstreitmacht, die weit
außerhalb europäischen Gebietes operieren kann, und dies ohne Unterstützung
der USA. Die EU rüstet auf - stellt sich die Frage, wozu?
Supermacht durch Aufrüstung?
Kann die EU erst zu einer Supermacht werden, wenn sie militärisch aufrüstet?
Dieser Logik scheinen zumindest allen voran Deutschland und Frankreich
zu folgen, denen nicht erst seit dem letzten Irak-Krieg klar wurde, dass
sie im nationalen Alleingang nicht in der Lage sind, ihre weltpolitischen
Ambitionen zu verfolgen. Die "Schwäche" der europäischen Mittelmächte
zeigte sich bereits in den Balkan-Konflikten. Militärisches Handeln ohne
Erlaubnis oder ohne Kooperation mit den USA ist und war bisher undenkbar.
Der deutsche Think Tank Centrum für angewandte Politikforschung (CAP)
verdeutlicht in seiner Studie "Europas Zukunft - 5 Szenarien" die erwachten
weltpolitischen Ambitionen Deutschlands. In den fünf Szenarien, die von
einem Szenario "Titanic", dem Auseinanderbrechen der EU, bis hin zum Szenario
"Supermacht Europa" reichen, wird die Aufrüstung und die Bildung einer
Militärmacht Europa als Voraussetzung für außenpolitische Machtentfaltung
angesehen. Geschieht dies nicht, bleibt die EU gegenüber den USA eine
marginale Mittelmacht. So heißt es etwa im Szenario "Methode Monnet" (Gleichbehaltung
des Status Quo): "Vor allem sind die Europäer nicht in der Lage, ihre
militärischen Fähigkeiten weitreichend zu verbessern." Folge hiervon ist,
dass die EU in der Außenpolitik ein "reaktiver Player" bleibt, dessen
Handeln sich zumeist auf den europäischen Kontinent beschränkt.
Lediglich im Szenario "Geschlossenes Kerneuropa" (Zusammenschluss einiger
weniger EU-Staaten, die auf intergouvernementaler Ebene eng zusammen arbeiten)
könnte die Außenpolitik der EU auf humanitäre und zivile Mittel beschränkt
bleiben. Allerdings nur, weil die "willigen und fähigen Staaten Europas"
unter Vorherrschaft der USA gemeinsam militärisch handeln. Während in
dem vierten Szenario "Offener Gravitationsraum" die Außenpolitik der EU
starke gemeinsame Züge aufweist, aber noch kein Gegengewicht zu den USA
darstellt, kann nur in dem fünften vom CAP entwickelten Szenario, "Supermacht
Europa", das "große Europa seinem objektiven Weltmachtpotential gerecht"
werden.
Dies soll vor allem durch den Aufbau militärischer Handlungsoptionen erreicht
werden, denn "...nur die Etablierung einer Sicherheits- und Verteidigungsunion
und vor allem der Aufbau der Vereinten Europäischen Strategischen Streitkräfte
(VESS), die sich unter einem gemeinsamen europäischen Oberkommando des
Atomwaffenpotentials Frankreichs und Großbritanniens bedienen können,
verändern die internationale Rolle der EU." Die Konsequenz hiervon zeigt
die Studie ebenfalls auf: "Die Supermacht Europa verabschiedet sich endgültig
von der Idee einer Zivilmacht und bedient sich uneingeschränkt der Mittel
internationaler Machtpolitik [...]. Die Errungenschaften der Europäischen
Sicherheits- und Verteidigungsunion führen zu einer Ausbalancierung des
internationalen Systems und zu einer Machtparität mit den Vereinigten
Staaten." Klarer formuliert bedeutet dies: Durch den Aufbau einer militärischen
Supermacht EU kann diese uneingeschränkt Militärgewalt benutzen, um ihre
Interessen durchzusetzen und mit den USA weltpolitisch gleichzuziehen.
Supermacht EU - ein Alternativmodell zu den USA?
Dies alles mag zwar noch wie Zukunftsmusik klingen, aber die Geschwindigkeit,
mit der an der Errichtung eines europäischen Militärpotentials gearbeitet
wird, ist atemberaubend, v.a. wenn man bedenkt, dass der EU Langsamkeit
in Entscheidungsprozessen nachgesagt wird. Innerhalb von knapp fünf Jahren
ist es den EU-StrategInnen gelungen, den Aufbau einer Interventionsarmee
fast zu vollenden. Die Planungen für die Eingreiftruppe sind durch die
unterschiedlichen Vorstellungen "Kerneuropas" und der europäischen Staaten
um Großbritannien, die eine enge Anbindung an NATO und die USA favorisieren,
ins Stocken geraten. Dennoch ließen Frankreich und Deutschland zusammen
mit Luxemburg und Belgien sich nicht davon abhalten, im April 2003 den
Aufbau einer Europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsunion (EVSP) mit
eigenem Hauptquartier in der Nähe von Brüssel zu verkünden. Zunächst von
Großbritannien und anderen USA-Getreuen kritisiert, zeichnet sich nun
langsam eine Annäherung ab, nachdem Tony Blair erklärte, dass er sich
durchaus eine EU-Armee ohne Anbindung an die NATO vorstellen kann.
Steht die EU somit kurz davor, zu einem Gegenpol zu den USA zu werden,
der in Lage ist, der Welt eine politische Alternative zum Neoliberalismus
amerikanischer Prägung zu bieten? Obwohl diese Hoffnung v.a. von antiamerikanischen
PolitikerInnen geteilt wird, ist diese Vorstellung illusorisch. Die wirtschaftlichen
Interessen der USA und der EU sind viel zu sehr miteinander verflochten
und sogar in vielen Fällen synchron. Zum anderen geht es beiden Machtblöcken
v.a. auch um die militärische Absicherung des westlichen Wohlstandes,
den freien Zugang zu den Märkten der zweiten und dritten Welt sowie die
Sicherung von Rohstoffquellen.
Davon abgesehen wäre eine konfrontative Auseinandersetzung ähnlich der
des kalten Krieges mit den USA kaum wünschenswert, wäre sie den realistisch.
Die EU rüstet daher auch nicht in der Hoffnung, die USA militärisch zu
übertreffen. Ein solches Unterfangen wäre von vorneherein sinnlos. Nicht
nur sind die USA der EU militärisch mehrere Jahre voraus; sie würde es
kaum tolerieren, dass eine Großmacht militärisch mit ihnen aufschließt.
Die Kosten hierfür wären immens und kaum tragbar. Die EU wird, selbst
wenn es ihr gelingen sollte zu einer Supermacht aufzusteigen, die den
Vergleich mit den USA nicht scheuen muss, kaum zu einer wirklichen Konkurrentin
für die USA werden, wie es die UdSSR einst war. Zum einen ist es unwahrscheinlich,
dass dies jemals im Interesse Europas liegen wird, zum anderen erscheint
es aufgrund der absoluten militärischen Vorherrschaft der USA unmöglich,
mit ihr in diesem Bereich aufzuschließen.
Die Chance auf eine weltpolitische Alternative besteht!
Dabei hätte die EU durchaus das Potential, ein weltpolitisches Alternativmodell
zu den USA zu werden, welches die Globalisierung maßgeblich beeinflussen
kann. Eine Supermacht der Demokratie, Prosperität, sozialen Gerechtigkeit,
zivilen Konfliktlösung und der Fairness in Internationalen Beziehungen.
Dazu müsste das Projekt einer zivilen Supermacht EU stärker unterstützt
werden, welches militärische Konflikte durch Früherkennung von Krisen
und ziviles Konfliktmanagement zu verhindern sucht. Hierfür muss die EU
demokratisch reformiert werden, um nicht mehr primär eine Wirtschaftsunion
zu sein, die sich allein nach den wirtschaftlichen Interessen der Mitgliedstaaten
richtet. Ein kooperatives multilaterales Auftreten der EU würde im Gegensatz
zum Unilateralismus der USA für Vertrauen v.a. im Rest der Welt sorgen
und das Modell "Zivile Supermacht EU" wäre eine Antwort auf die Pax Americana.
Die Tendenzen deuten allerdings in eine andere Richtung, auch wenn das
letzte Wort um die Gestaltung der Zukunft der EU noch nicht gesprochen
ist und in der nächste Dekade sich nichts an der hegemonialen Vormachtstellung
der USA ändern wird. Die Gefahr, dass die EU sich zu einer imperialen
Supermacht wandelt, ist real.
Pax Euro-Americana
Dem Rest der Welt droht durch eine imperiale Supermacht EU eine erdrückende
politische und militärische Übermacht in Form der beiden industriellen
Westmächte USA und EU, die ihre wirtschaftlichen Interessen rücksichtslos
durchsetzen könnten. Es ist dann v.a. zu befürchten, dass die EU auch
ihre durchaus positiven kooperativen Ansätze auf weltpolitischer Ebene
aufgibt: Die Stärkung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, die Einsicht,
dass die großen Probleme des 21. Jahrhunderts wie die Klimakatastrophe
nur durch multilaterales Handeln zu lösen sind, und die zivile Konfliktlösung.
Die Formulierung eines hochrangigen Beraters von Javier Solana "Wenn es
stimmt, dass die Welt ein Dschungel ist, dann sollten wir sicherstellen,
dass Europa zu den Tigern gehört - und nicht zu den Affen." lässt Gegenteiliges
befürchten.
Bereits das Handeln der EU auf Ebene der Weltwirtschaft lässt wenig Hoffnung
dafür, dass die EU nicht der Versuchung der Macht erliegt. Spätestens
mit der Einführung des Euro und der baldigen Erweiterung der EU auf 25
Mitglieder ist sie wirtschaftlich gesehen längst eine Supermacht. Beim
Kampf um die Weltmärkte zeigt die EU ihr wahres Gesicht. Seit Jahr und
Tag tobt die Schlacht um Schutzzölle, Staatsprotektionismus, Standorte,
Märkte und Agrar-Subventionen. Nicht nur ist die transatlantische Harmonie
hier eine Schimäre, es ist v.a. nichts von Fairness und multilateraler
Kooperation gegenüber dem Rest der Welt zu spüren. Bisher zeigt die EU
sich nämlich v.a. in den Bereichen als freundliche gerechte und multilaterale
Großmacht, in denen sie relativ zu den USA schwach ist oder bereits im
Vorteil, wie die Verhandlungen um den International Criminal Court oder
das Kyoto-Protokoll zeigten. Dass eine imperiale Supermacht EU den Weg
internationaler Verständigung gehen wird, ist unwahrscheinlich, denn,
wie James Chace und Nicholas Ritopoulus treffend formulierten: "Empires
have no interest in cooperation within an international system; they aspire
to be the international system."
David Zechmeister ist Doktorand an der Universität Hamburg
und Stipendiat der Rosa-Luxemburg Stiftung.
Literatur:
Wernicke, Christian, Von der Ohnmacht zur Weltmacht, in: Süddeutsche
Zeitung v. 7.6.2003.
Moshagen, Heiko, Frieden schaffen mit immer besseren Waffen, in:
Forum Recht 1/2001.
Messner, Dirk, Die Zukunft der Europäischen Union in der neuen
Weltpolitik, in: International Politics and Society 1/2001.
Chace, James / Rizopoulos, Nicholas, Towards a New Concert of Nations,
in: World Policy Journal Herbst 1999
Cooper, Robert, Macht und Ohnmacht - aus europäischer Sicht. Eine
Antwort auf die Thesen Robert Kagans, in: Internationale Politik 5/2003.
Centrum für angewandte Politikforschung (Hg.), Europas Zukunft
- 5 Szenarien, 2003.
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