Björn Josten |
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Let's deal - Das Geschäft mit der Gerechtigkeit | Heft
1/2004 Europavisionen Ode an die Freude? Seite 29-31 |
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Erstmals im Jahr 1982 wurde von einem Rechtsanwalt auf ein Phänomen aufmerksam
gemacht, das man nur aus Amerika zu kennen glaubte. Der vorsichtshalber
unter dem Pseudonym Detlef Deal aus Mauschelhausen schreibende Strafverteidiger
berichtete über eine bis dahin unter das Deckmäntelchen des Schweigens
gehüllte strafprozessuale Praxis, die gerne beschönigend als Absprache
oder Verständigung bezeichnet wird.1 Das Gericht entscheidet dabei nicht
wie in § 261 der Strafprozessordnung (StPO) vorgesehen nach seiner freien,
aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung, sondern entsprechend
dem im stillen Kämmerlein zwischen den Verfahrensbeteiligten ausgehandelten
Deal. Die Hauptverhandlung stellt dann nur noch ein für die Öffentlichkeit
inszeniertes Schmierentheater mit vorher einstudierten Rollen dar. Der Deal Die Möglichkeit zu dealen gibt es in verschiedenen Stadien des Verfahrens.
Im Rahmen der Hauptverhandlung läuft ein Deal in der Regel so ab, dass
der oder die Angeklagte ein Geständnis ablegt und dadurch weitere Beweiserhebungen
erspart. Im Gegenzug stellen der oder die StaatsanwältIn und die beteiligten
RichterInnen in Aussicht, dass das Strafmaß eine bestimmte Höhe nicht
überschreiten wird, gegebenenfalls auch Teilkomplexe des Verfahrensstoffs
gemäß den §§ 154, 154a StPO ausgeschieden werden. Für den Fall einer entsprechenden
Entscheidung vereinbaren die Verfahrensbeteiligten oftmals, dass sie auf
Rechtsmittel verzichten werden. Die Aushandlung des Deals erfolgt dabei
üblicherweise außerhalb der Hauptverhandlung. Prozessökonomie statt materieller Wahrheit Als Gründe für die Notwendigkeit strafprozessualer Absprachen werden
zumeist Zeitmangel, schwierige Sachverhalte und die unzureichende personelle
Ausstattung der Justiz genannt6. Unabhängig davon, ob dies tatsächlich
zutrifft oder nur subjektiv so empfunden wird, führt eine drohende langwierige
Beweisaufnahme ebenso wie eine unklare Rechtslage oder Beweissituation
bei den Beteiligten häufig zum Wunsch nach einer Beschleunigung des Verfahrens.
Damit ist der Boden bereitet für eine konsensuale Verfahrensbeendigung,
von der alle Seiten profitieren. Rationeller Rationalismus? Legitimiert wird der Paradigmenwechsel mit einem angeblichen Wandel der
Gerechtigkeitsvorstellungen. Im Gegensatz zum früher vorherrschenden Vergeltungsgedanken
der absoluten Straftheorien sollen verfahrensbeschleunigende Absprachen
in Einklang stehen mit den modernen am zweckrationalen Präventionsprinzip
orientierten relativen Straftheorien. So soll die Herstellung von Rechtsfrieden
durch Konsensfindung als Ziel des Strafverfahrens das alte Ideal der inquisitorischen
Wahrheitsfindung zurück treten lassen7. Dabei wird übersehen, dass sich
die unzweifelhaft wichtige Rechtsfriedensfunktion des Strafrechts nicht
von der Ermittlung der materiellen Wahrheit trennen lässt. Denn für die
Akzeptanz einer Entscheidung und damit den Rechtsfrieden ist die Orientierung
an der materiellen Wahrheit entscheidend. Geheime Kammerjustiz Nicht nur der für den Strafprozess an sich zentrale Ermittlungsgrundsatz bleibt beim Deal auf der Strecke, sondern auch die Maxime eines öffentlichen, mündlichen und unmittelbaren Strafverfahrens spielt häufig keine Rolle mehr. Die Grundsätze der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit sind als Errungenschaften der Aufklärung darauf gerichtet, das Verfahren transparent zu gestalten. Durch die Praktizierung von Absprachen kehren die Rechtsgelehrten zurück zur mittelalterlichen geheimen Kammerjustiz. Ein außerhalb des Gerichtssaals ausgehandeltes Geständnis, dessen Glaubhaftigkeit allenfalls freibeweislich anhand der Akten geprüft wird, verlagert wesentliche Teile des Beweisgangs aus der Hauptverhandlung hinaus. Vermutung der Schuld Neben dem Prinzip der Ermittlung der materiellen Wahrheit sind im Strafverfahren die Rechte des Beschuldigten zu beachten. Elementarer Bestandteil der Beschuldigtenrechte ist die Unschuldsvermutung, die flankiert wird durch das Recht auf ein faires Verfahren und das Schweigerecht. Sobald ein Deal im Raum steht, ist es jedoch auch mit der Unschuldsvermutung nicht mehr weit her. Selbst Angeklagte, die die ihnen zur Last gelegte Tat nicht begangen haben, werden dem verlockenden Angebot einer milderen Strafe für den Fall eines Geständnisses häufig kaum widerstehen können. Zudem impliziert das Angebot eines Deals natürlich zugleich die Drohung einer Strafschärfung für den Fall, dass der oder die Angeklagte nicht kooperiert. Dies erinnert an den mittelalterlichen Inquisitionsprozess, bei dem ein gravierender Tatverdacht das Recht zur peinlichen Befragung und damit eine Pflicht zur Geständnisablegung begründete. Nur ist an die Stelle der körperlichen Martern heute die stillschweigende Androhung der Strafschärfung getreten9. Rechtsbeugung? An sich ist ein auf Grund einer Absprache ergangenes Urteil ein klarer
Fall von Rechtsbeugung im Sinne des § 339 des Strafgesetzbuches (StGB).
Das Recht beugt, wer sich in schwerwiegender Weise bewusst von Recht und
Gesetz entfernt. Obwohl eine eindeutigere und systematischere Beugung
des Rechts als beim Deal kaum vorstellbar ist, hält die große Mehrheit
der an Strafverfahren beteiligten RichterInnen, StaatsanwältInnen und
VerteidigerInnen Absprachen und Vereinbarungen für legal. Auch der Bundesgerichtshof
(BGH) hat den Deal grundsätzlich nicht in Frage gestellt und es so der
Praxis ermöglicht, sich weit gehend von den schützenden Formen des Verfahrensrechts
zu lösen. In seinem Urteil vom 28.08.1997 hat der BGH lediglich versucht,
Absprachen durch das Aufstellen von Regeln in geordnete Bahnen zu lenken.
Danach sollen Absprachen nur in der Hauptverhandlung stattfinden, keine
bestimmte Strafe von Seiten des Gerichts und kein Rechtsmittelverzicht
von Seiten der Beschuldigten zugesagt werden. Allerdings lässt das Urteil
vielfältige Schlupflöcher: So können außerhalb der Hauptverhandlung Vorgespräche
geführt, Strafobergrenzen vereinbart sowie ein Geständnis aus rein verfahrenstaktischen
Gründen strafmildernd berücksichtigt werden. Das Opportunitätsprinzip Trotz alledem könnte man dem Deal vielleicht doch etwas abgewinnen, wenn er allen Beschuldigten gleichermaßen zugute kommen würde. Denn schließlich ist es ja nicht grundsätzlich schlecht, dass Beschuldigte der Repression der staatlichen Strafverfolgung nur eine möglichst kurze Zeit ausgesetzt sind und es ihnen durch eine konsensuale Verfahrensbeendigung zudem ermöglicht wird, an der an sich allein der Strafjustiz zustehenden Definitionsmacht teilzuhaben. Doch liegt in der Missachtung der von Art. 3 I Grundgesetz garantierten und sich auch im Legalitätsprinzip (§§ 152 II, 170 I StPO) widerspiegelnden Gleichheit vor dem Gesetz das gravierendste Problem strafprozessualer Absprachen. Das Legalitätsprinzip verpflichtet die Staatsanwaltschaft an sich gegen alle Verdächtigen ohne Ansehen der Person in der gleichen Weise zu ermitteln und möglicherweise Anklage zu erheben. Allerdings hat der Gesetzgeber das Legalitätsprinzip durch die Vorschriften der §§ 153 ff StPO eingeschränkt. Das darin verankerte Opportunitätsprinzip ist zum Einfallstor der faktischen gesellschaftlichen Machtverhältnisse in das Strafverfahren geworden. Insbesondere die auf Grund des § 153 a StPO mögliche Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer Geldbuße hat zu einer deutlichen Bevorzugung statushoher TäterInnen geführt. Denn das nötige Kleingeld, um sich aus einem Strafverfahren freizukaufen und sich für die Verhandlung mit der Staatsanwaltschaft erforderliche hochqualifizierte AnwältInnen zu leisten, hat halt nicht jedeR. Zudem scheinen Staatsanwaltschaften und Gerichte gewisse Hemmungen bei der Durchführung eines Strafverfahrens zu haben, sobald sie es mit prominenten Beschuldigten aus Wirtschaft oder Politik zu tun haben. Ein besonders haarsträubendes Beispiel stellt der Fall des ehemaligen Bundeskanzlers und CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl dar, der auf Grund des Unterhaltens von Treuhand-Anderkonten wegen Untreue einem Verfahren ausgesetzt war, das jedoch nach § 153 a StPO gegen Zahlung von 300.000 DM eingestellt wurde. Die Chance der Mächtigen Die gleichen Faktoren, die eine Einstellung nach § 153 a StPO begünstigen,
spielen auch bei der konsensualen Verfahrensbeendigung während der Hauptverhandlung
eine Rolle. Auch hier kommen vor allem die wohlhabenden Angeklagten komplizierter
Wirtschafts- und Steuerstrafsachen in den Genuss dieser Begünstigung.
Es ist jedoch nicht allein die Komplexität der Verfahren, die den Boden
für einen Deal bereitet, sondern auch die soziale Stellung der Angeklagten
an sich begünstigt das Zustandekommen von Absprachen. Im Gegensatz zum
allgemeinen Strafverfahren gehören RichterInnen und StaatsanwältInnen
zumeist einer ähnlichen sozialen Schicht wie die Angeklagten an und fühlen
sich ihnen nicht überlegen. Die Verfahrensbeteiligten sehen sich vielmehr
als ebenbürtige VerhandlungspartnerInnen, die das Verfahren möglichst
schnell und für alle Seiten zufrieden stellend beenden wollen. Dies wird
noch durch den Umstand begünstigt, dass statushohe TäterInnen die finanziellen
Ressourcen haben, um sich die für diese Verhandlungen erforderlichen AnwältInnen
leisten zu können. Reformbedarf Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, im Rahmen einer Reform des Strafprozessrechts der entstandenen Klassenjustiz entgegenzuwirken und die Chancengleichheit aller Beschuldigten wiederherzustellen. Insbesondere muss ein ausdrückliches Verbot verfahrensbeendender Absprachen in die StPO aufgenommen werden. Vielleicht sollte man auch noch einen Schritt weiter gehen und in § 339 StGB klarstellen, dass ein Deal Rechtsbeugung darstellt. Um Missbrauch vorzubeugen, muss zudem die Einstellungsmöglichkeit des § 153 a StPO ausdrücklich auf Bagatelldelikte beschränkt werden. Björn Josten studiert Jura in Münster. Anmerkungen: 1 Deal, StV 1982, 545. Literatur Bußmann, Kai-D./ Lüdemann, Christian, Diversionschancen der Mächtigen?
Eine empirische Studie über Absprachen im Strafprozess, in: Kriminologisches
Journal (KrimJ) 1989, 54-72. |