Jörg Schindler |
|
||||
Ohne Rente sehen alle ganz schön alt aus | Heft
1/2004 Europavisionen Ode an die Freude? Seite 23-24 |
||||
Für ein solidarisches existenzsicherndes Rentensystem! |
"Wir brauchen jetzt [...] eine politische Allianz von Kräften, die den Mut hat, einer selbstzufriedenen Generation die laufende Rechnung zu präsentieren: Rentenerhöhungen auch nur im Rahmen des Inflationsausgleichs sind bis auf weiteres auszusetzen [...]"1 Renten sind zu einem Jugendthema geworden. Immer unverhohlener behaupten v.a. jüngere Bundestagsabgeordnete von SPD und Grünen bis CDU / CSU und FPD, die Alten fräßen den Jungen die Haare vom Kopf. Deshalb müssten im Interesse der Jugend jetzt endlich auch mal die RentnerInnen den Gürtel enger schnallen. Unter dem populären Slogan "Generationengerechtigkeit" werden dann Verschärfungen für RentnerInnen gefordert: Verlängerung der Lebensarbeitszeit, Kürzungen beim Rentenniveau oder sogar die schrittweise Privatisierung des Rentensystems. Alles im Interesse der jungen Generation, versteht sich. Die jungen Bundestagsabgeordneten behaupten, sie verträten mit solchen Forderungen die Interessen der Jugendlichen. Das ist falsch. Gegen Panikmache mit der "Alterspyramide" In einer Zeit, in der alle zu RentenexpertInnen werden können, die in der Lage sind, eine Pyramide aufs Blatt zu malen und dazu ein sorgenvolles Gesicht zu machen, haben es die Stimmen der Vernunft nicht leicht. Tatsächlich unterliegt das System der Altersversorgung strukturellen Problemen wie der steigenden Rentenbezugsdauer (aufgrund der verlängerten Lebenserwartung), der sinkenden Geburtenrate und sich verändernden Familienstrukturen. Diese demografischen Veränderungen müssen jedoch niemanden in Angst und Schrecken versetzen. Denn das Verhältnis zwischen Alten und Jungen ist nur ein Teil der Geschichte. Wenn z.B. die Produktivität steigt, dann können auch weniger mehr Menschen versorgen. Relevant ist somit die Relation zwischen gesellschaftlichem Reichtum und sozialen Ausgaben wie der Altersversorgung. Nach einer Prognose des DIW wird es im Jahr 2050 etwa so viele Menschen über 60 Jahre geben wie Menschen zwischen 20 und 60 Jahren (1999 lag das Verhältnis noch bei etwa 41 %). Allerdings stieg allein in den Jahren 1990 bis 1998 das Bruttoinlandsprodukt um 38 %, über den Zeitraum von 1950 bis 1990 gar um 473%2. Selbst wenn sich also in den nächsten 20 Jahren die Anzahl der RentnerInnen im Verhältnis zur erwerbstätigen Bevölkerung verdoppeln sollte, stellt das noch nicht automatisch ein Problem dar. Die Zahlen zeigen vielmehr, dass die Gesellschaft genügend Reichtum erwirtschaftet, der ein sorgenfreies Leben für Alte wie Junge ermöglicht. Keine Frage der Generationen, sondern der Verteilung Das bestehende umlagefinanzierte Rentensystem basiert zu großen Teilen
auf den Rentenbeiträgen der Erwerbstätigen. Wie viel Geld sich in den
Rentenkassen befindet, hängt maßgeblich von Lohnhöhe, Erwerbs- und Arbeitslosenquote
ab. Die Reallöhne sind aber seit den 80er Jahren in vielen Bereichen trotz
Produktivitätssteigerung gesunken oder haben stagniert. Dies hat die Finanzkrise
der Rentenversicherung verschärft. Anders herum gilt: Eine saftige Bruttolohnerhöhung
würde die Rentenkassen insgesamt deutlich entlasten. Die jährliche Anpassung
der Renten an die Entwicklung der Nettolöhne bliebe dann beibehalten,
ohne dass die Erwerbstätigen dadurch automatisch real schlechter gestellt
würden. Das größte Problem für das bestehende Rentensystem ist jedoch
die herrschende Massenarbeitslosigkeit, denn Arbeitslose fallen als BeitragszahlerInnen
aus. Hinzu kommt die zunehmende Auflösung sozialversicherungspflichtiger
Arbeitsverhältnisse zugunsten prekärer und häufig scheinselbständiger
Erwerbstätigkeiten - eine Entwicklung, die durch die rot-grüne Arbeitsmarktpolitik
der letzten Jahre weiter vorangetrieben wurde. Generation Teneriffa? Denkste! Immer wieder bekommt man zu hören, die Gesetzliche Rentenversicherung
ermögliche den RentnerInnen einen Lebensabend in Saus und Braus. Die nackten
Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache: So beliefen sich im Jahre
2001 die durchschnittlichen Altersrenten in der Arbeiterrentenversicherung
auf 1.624 DM (Männer) bzw. 691 DM (Frauen). In der Angestelltenversicherung
lagen die Durchschnittswerte bei 1.113 DM (Männer) und 1.098 DM (Frauen).
Eine Rente von 2.500 DM und mehr erhielten in der Arbeiterrentenversicherung
5,5 % der Männer und 0 % der Frauen. In der Angestelltenversicherung wird
dieser Betrag von 37,2 % der Männer und 1,8 % der Frauen erreicht. Renten
von mehr als 3.000 DM ließen sich in beiden Versicherungszweigen nur für
Männer feststellen, bei der Arbeiterrentenversicherung erhielten diesen
Betrag 0,5 % und bei der Angestelltenversicherung 5,3 % der Männer. Gezielte Panikmache zur Demontage des Rentensystems Die Entwicklung der letzten Jahre gehen jedoch noch über diese quantitativen
Verschlechterungen hinaus. So wird inzwischen ganz offen die gesetzliche
Rentenversicherung in Frage gestellt und die Privatisierung der Altersversorgung
gefordert. Das alles verteidigen und noch viel mehr Der Kampf um die Beibehaltung der bestehenden umlagefinanzierten Altersvorsorge
ist nicht mehr als eine Abwehrmaßnahme gegen den neoliberalen Umbau der
sozialstaatlichen Sicherungssysteme. Auch wenn fortschrittliche Menschen
momentan gezwungen sind, die umlagefinanzierte Rentenversicherung zu verteidigen,
so muss festgestellt werden, dass diese in der Tat reformbedürftig ist
- allerdings, weil es viel zu vielen alten Menschen noch viel zu schlecht
geht! Eine stabile Existenz sichernde Alterversorgung kann mittelfristig
nur durch den Abbau der Arbeitslosigkeit und eine Politik der Umverteilung
von oben nach unten gewährleistet werden. Zudem ist der BeitragszahlerInnenkreis
auf Selbständige und BeamtInnen auszuweiten. Und es müssen alle Einkommensarten,
etwa auch aus Unternehmensgewinnen, Kapitaleinkünften oder Vermietung,
in die Beitragsgrundlage einbezogen werden. Denn es ist nicht einzusehen,
weshalb nur die abhängig Beschäftigten mit ihrem Einkommen die Altersversorgung
absichern sollten. Jörg Schindler ist Jurist und Mitglied im Bundesarbeitskreis Wirtschaft und Soziales der JungdemokratInnen - Junge Linke. Anmerkungen: 1 Schubert, Die Generation Teneriffa, taz vom 21./22.06.2003.
|