|
Für die Sonntagsreden des Internationalen Frauentags hätte sie wohl wenig
Verständnis gehabt: Anita Augspurg war eine der radikalsten und engagiertesten
Kämpferinnen für Frauenrechte, die ihre Ziele nicht nur durch Reden und
Schriften, sondern auch in ihrer juristischen Tätigkeit verfolgte. Obwohl
ihre Forderungen und ihre Kritik noch heute erstaunliche Aktualität besitzen,
ist über ihr Werk und Wirken recht wenig bekannt.
Augspurg wurde 1857 in Verden / Aller als Tochter einer bürgerlichen Juristenfamilie
geboren. Sie wurde zunächst Lehrerin - die einzige Form höherer Bildung,
die Frauen damals erlaubt war. Zugleich nahm sie Schauspielunterricht
und eröffnete nach mehreren Bühnenengagements mit ihrer Freundin Sophie
Goudstikker 1887 in München das Fotoatelier "Elvira", das wegen seiner
avantgardistischen Arbeiten in KünstlerInnenkreisen hoch angesehen war.
Zu dieser Zeit begann sie auch, sich in der Frauenbewegung zu engagieren.
So wirkte sie 1891 an einer Petition zur Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium
mit und initiierte 1893 in Karlsruhe die Gründung des ersten Mädchengymnasiums,
dessen Abschlussprüfung zum Studium an deutschen Hochschulen berechtigte.
Um fundierter für Frauenrechte streiten zu können, studierte sie ab 1893
in Zürich Jura. Dort gründete sie gemeinsam u.a. mit Rosa Luxemburg den
"internationalen Studentinnenverein". 1897 beendete sie ihr Studium als
erste promovierte Juristin des Deutschen Kaiserreichs.
Frauenfrage als Rechtsfrage
Aufgrund ihrer Erkenntnis, dass die Frauenfrage "in allererster Linie
aber Rechtsfrage [ist], weil nur von der Grundlage verbürgter Rechte [...]
an ihre sichere Lösung überhaupt gedacht werden kann"1, stritt sie in
der Diskussion um die Entwürfe zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) für die
Berücksichtigung der Interessen und Rechte von Frauen und mobilisierte
auf zahlreichen Agitationsreisen andere Mitstreiterinnen. Ihre Kritik
an den BGB-Entwürfen machte sich an der "dauernden Bevormundung der [...]
Ehefrau"2 fest, insbesondere daran, dass der Ehemann die alleinige Macht
über Kinder und Vermögen sowie das Recht hatte, das Arbeitsverhältnis
seiner Ehefrau zu kündigen; ferner kritisierte sie die "für eine selbständige
Individualität unwürdige Aufgabe [des] Namens" der Ehefrau3 und die Rechtlosigkeit
nichtehelicher Kinder. Trotz der im Grundgesetz erkämpften Gleichberechtigung
wurden diese Forderungen erst ab 1957 bzw. in den Familienrechtsreformen
1975 und 1998 schrittweise umgesetzt.
Augspurg engagierte sich auch auf der Kehrseite der bürgerlichen Ehemoral:
Als Mitbegründerin der deutschen Sektion der Internationalen Abolitionistischen
Föderation stritt sie für die Entkriminalisierung der Prostitution. Sie
führte u.a. einen Aufsehen erregenden Prozess gegen den Hamburger Senat
wegen gesetzwidriger Haltung von Bordellen und lancierte entsprechende
parlamentarische Anfragen im Reichstag. Ähnlich Aufsehen erregend griff
sie weitere Tabuthemen auf, etwa indem sie in mehreren Vergewaltigungsfällen
die polizeiliche Willkür und die milden Urteile gegen die Täter als "krasse
Geschlechtsjustiz" anprangerte4.
Wahlrecht und Frieden
Die Radikalität Augspurgs zeigte sich vor allem in ihrem Kampf um das
Stimmrecht und das Recht auf politische Betätigung für Frauen. Während
die bürgerliche Frauenbewegung eine bloße Öffnung des preußischen Dreiklassenwahlrechts
für Frauen forderte, stritt Augspurg für ein allgemeines, gleiches und
geheimes Wahlrecht von Frauen wie Männern; dies spaltete letztlich die
Frauenbewegung.
1915, während des Ersten Weltkrieges, initiierte Augspurg eine internationale
Frauen-Friedenskonferenz in Den Haag, aus der die spätere Internationale
Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) hervorging. Die überwiegend
nationalistisch eingestellten deutschen Frauenverbände schlossen die Pazifistinnen
Augspurg und ihre Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann, für die sich Kriegsgegnerinnenschaft
logisch aus der Ablehnung des "männlichen Gewaltprinzips"5 ergab, daraufhin
aus. Augspurg und Heymann arbeiteten nach Kriegsende beim Aufbau der Münchener
Räterepublik mit; nach deren blutiger Unterwerfung konzentrierten sie
sich auf feministisch-pazifistische Arbeit.
Nach Hitlers Machtergreifung 1933 erfuhren Augspurg und Heymann während
einer Reise vom Erlass des Ermächtigungsgesetzes und kehrten nicht mehr
nach Deutschland zurück. Sie standen auf einer schwarzen Liste von zu
liquidierenden Personen der Nationalsozialisten, da sie 1923 nach gewalttätigen
Übergriffen von Nazis gegen angeblich jüdisch aussehende Menschen vom
bayerischen Innenminister die Ausweisung des Österreichers Hitler gefordert
hatten. Augspurg und Heymann arbeiteten von ihrem Züricher Exil aus weiter
für die IFFF, publizierten und halfen Flüchtlingen. Beide starben kurz
nacheinander 1943 im Exil.
Tanja Nitschke ist Doktorandin in Karlsruhe/Nürnberg.
Anmerkungen:
1 Augspurg, Gebt acht, so lange noch Zeit ist!, in: Die Frauenbewegung,
1. Jahrgang (Jg.) 1895, 4.
2 Augspurg, Die Frau und das Recht, in: Die Frauenbewegung, 2.
Jg. 1896, 157.
3 Augspurg, Ein typischer Fall der Gegenwart, in: Die Frauenbewegung,
11. Jg. 1905, 81.
4 Augspurg, Wieder ein Schlag ins Gesicht der Frau. In mehreren Fortsetzungen
erschienen in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung,
1905, Nr. 3 ff.
5 Heymann, in: Twellmann (Hg.), 1972, passim.
Literatur
Dünnebier, Anna / Scheu, Ursula, Die Rebellion ist eine Frau.
Anita Augspurg & Lida G. Heymann - Das schillerndste Paar der Frauenbewegung,
München 2002.
Twellmann, Margit (Hg.), Erlebtes - Erschautes. Deutsche Frauen
kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden, Meisenheim am Glan 1972. [Memoiren
von L. G. Heymann und A. Augspurg]
|
|