xxx

  Tanja Nitschke   Forum Recht Home

 

Anita Augspurg   Heft 2/2004
freie Leere
Bildung für den Wettbewerb

Seite 69
Kämpferin für Frauenrechte und Frieden  
 

Für die Sonntagsreden des Internationalen Frauentags hätte sie wohl wenig Verständnis gehabt: Anita Augspurg war eine der radikalsten und engagiertesten Kämpferinnen für Frauenrechte, die ihre Ziele nicht nur durch Reden und Schriften, sondern auch in ihrer juristischen Tätigkeit verfolgte. Obwohl ihre Forderungen und ihre Kritik noch heute erstaunliche Aktualität besitzen, ist über ihr Werk und Wirken recht wenig bekannt.
Augspurg wurde 1857 in Verden / Aller als Tochter einer bürgerlichen Juristenfamilie geboren. Sie wurde zunächst Lehrerin - die einzige Form höherer Bildung, die Frauen damals erlaubt war. Zugleich nahm sie Schauspielunterricht und eröffnete nach mehreren Bühnenengagements mit ihrer Freundin Sophie Goudstikker 1887 in München das Fotoatelier "Elvira", das wegen seiner avantgardistischen Arbeiten in KünstlerInnenkreisen hoch angesehen war. Zu dieser Zeit begann sie auch, sich in der Frauenbewegung zu engagieren. So wirkte sie 1891 an einer Petition zur Zulassung von Frauen zum Hochschulstudium mit und initiierte 1893 in Karlsruhe die Gründung des ersten Mädchengymnasiums, dessen Abschlussprüfung zum Studium an deutschen Hochschulen berechtigte.
Um fundierter für Frauenrechte streiten zu können, studierte sie ab 1893 in Zürich Jura. Dort gründete sie gemeinsam u.a. mit Rosa Luxemburg den "internationalen Studentinnenverein". 1897 beendete sie ihr Studium als erste promovierte Juristin des Deutschen Kaiserreichs.

Frauenfrage als Rechtsfrage

Aufgrund ihrer Erkenntnis, dass die Frauenfrage "in allererster Linie aber Rechtsfrage [ist], weil nur von der Grundlage verbürgter Rechte [...] an ihre sichere Lösung überhaupt gedacht werden kann"1, stritt sie in der Diskussion um die Entwürfe zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) für die Berücksichtigung der Interessen und Rechte von Frauen und mobilisierte auf zahlreichen Agitationsreisen andere Mitstreiterinnen. Ihre Kritik an den BGB-Entwürfen machte sich an der "dauernden Bevormundung der [...] Ehefrau"2 fest, insbesondere daran, dass der Ehemann die alleinige Macht über Kinder und Vermögen sowie das Recht hatte, das Arbeitsverhältnis seiner Ehefrau zu kündigen; ferner kritisierte sie die "für eine selbständige Individualität unwürdige Aufgabe [des] Namens" der Ehefrau3 und die Rechtlosigkeit nichtehelicher Kinder. Trotz der im Grundgesetz erkämpften Gleichberechtigung wurden diese Forderungen erst ab 1957 bzw. in den Familienrechtsreformen 1975 und 1998 schrittweise umgesetzt.
Augspurg engagierte sich auch auf der Kehrseite der bürgerlichen Ehemoral: Als Mitbegründerin der deutschen Sektion der Internationalen Abolitionistischen Föderation stritt sie für die Entkriminalisierung der Prostitution. Sie führte u.a. einen Aufsehen erregenden Prozess gegen den Hamburger Senat wegen gesetzwidriger Haltung von Bordellen und lancierte entsprechende parlamentarische Anfragen im Reichstag. Ähnlich Aufsehen erregend griff sie weitere Tabuthemen auf, etwa indem sie in mehreren Vergewaltigungsfällen die polizeiliche Willkür und die milden Urteile gegen die Täter als "krasse Geschlechtsjustiz" anprangerte4.

Wahlrecht und Frieden

Die Radikalität Augspurgs zeigte sich vor allem in ihrem Kampf um das Stimmrecht und das Recht auf politische Betätigung für Frauen. Während die bürgerliche Frauenbewegung eine bloße Öffnung des preußischen Dreiklassenwahlrechts für Frauen forderte, stritt Augspurg für ein allgemeines, gleiches und geheimes Wahlrecht von Frauen wie Männern; dies spaltete letztlich die Frauenbewegung.
1915, während des Ersten Weltkrieges, initiierte Augspurg eine internationale Frauen-Friedenskonferenz in Den Haag, aus der die spätere Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) hervorging. Die überwiegend nationalistisch eingestellten deutschen Frauenverbände schlossen die Pazifistinnen Augspurg und ihre Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann, für die sich Kriegsgegnerinnenschaft logisch aus der Ablehnung des "männlichen Gewaltprinzips"5 ergab, daraufhin aus. Augspurg und Heymann arbeiteten nach Kriegsende beim Aufbau der Münchener Räterepublik mit; nach deren blutiger Unterwerfung konzentrierten sie sich auf feministisch-pazifistische Arbeit.
Nach Hitlers Machtergreifung 1933 erfuhren Augspurg und Heymann während einer Reise vom Erlass des Ermächtigungsgesetzes und kehrten nicht mehr nach Deutschland zurück. Sie standen auf einer schwarzen Liste von zu liquidierenden Personen der Nationalsozialisten, da sie 1923 nach gewalttätigen Übergriffen von Nazis gegen angeblich jüdisch aussehende Menschen vom bayerischen Innenminister die Ausweisung des Österreichers Hitler gefordert hatten. Augspurg und Heymann arbeiteten von ihrem Züricher Exil aus weiter für die IFFF, publizierten und halfen Flüchtlingen. Beide starben kurz nacheinander 1943 im Exil.

Tanja Nitschke ist Doktorandin in Karlsruhe/Nürnberg.

Anmerkungen:

1 Augspurg, Gebt acht, so lange noch Zeit ist!, in: Die Frauenbewegung, 1. Jahrgang (Jg.) 1895, 4.
2 Augspurg, Die Frau und das Recht, in: Die Frauenbewegung, 2. Jg. 1896, 157.
3 Augspurg, Ein typischer Fall der Gegenwart, in: Die Frauenbewegung, 11. Jg. 1905, 81.
4 Augspurg, Wieder ein Schlag ins Gesicht der Frau. In mehreren Fortsetzungen erschienen in: Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung, 1905, Nr. 3 ff.
5 Heymann, in: Twellmann (Hg.), 1972, passim.

Literatur

Dünnebier, Anna / Scheu, Ursula, Die Rebellion ist eine Frau. Anita Augspurg & Lida G. Heymann - Das schillerndste Paar der Frauenbewegung, München 2002.
Twellmann, Margit (Hg.), Erlebtes - Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden, Meisenheim am Glan 1972. [Memoiren von L. G. Heymann und A. Augspurg]