Tobias Lieber |
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BVerfG zu zauderhaft | Heft
2/2004 freie Leere Bildung für den Wettbewerb Seite 68 |
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Ihre Frustration über die zunehmende Demontage der grundrechtlich geschützten Freiheitssphäre des Individuums zugunsten einer technisch immer weiter perfektionierten Strafverfolgung ist den Richterinnen und Richtern des Bundesverfassungsgerichts deutlich anzumerken. Mit ihrem in wesentlichen Teilen einstimmig ergangenen Urteil vom 3. März erklärten sie wesentliche Teile des sog. "Großen Lauschangriff", der 1998 beschlossenen Regelungen über die akustische Wohnraumüberwachung, für verfassungswidrig. Die einfachgesetzlichen Normen der Strafprozessordnung hätten den Menschenwürdegehalt des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Grundgesetz = GG) nicht hinreichend berücksichtigt, der die Überwachung all derjenigen Kommunikation untersage, die dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung angehört. Zwar ist nach Ansicht der Senatsmehrheit der zugrundeliegende Art. 13 Abs. 3 GG noch mit der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar. Er verlange jedoch einfachgesetzliche Regelungen, die sicher stellen, dass der geschützte Kernbereich von Kommunikation in jedem Einzelfall gewahrt bleibe. Die Freude über die deutlichen Worte des Urteils mischt sich jedoch mit einem unguten Gefühl: Die vom Gericht aufgestellten Anforderungen, nach denen eine Überwachung zu unterlassen bzw. abzubrechen ist, wenn sich Anzeichen dafür ergeben, dass der Kernbereich privater Selbstentfaltung berührt wird, drohen in der Praxis leer zu laufen. Denn meist wird sich die besondere Schutzwürdigkeit der Kommunikation erst erweisen, wenn eine Aufzeichnung bereits stattgefunden hat. Dann aber ist der Eingriff schon erfolgt und das von den Strafverfolgungsbehörden einmal erlangte Wissen gerät selten wieder in Vergessenheit. Die Senatsmehrheit hätte also der insoweit abweichenden Meinung zweier Richterinnen mutiger folgen und gesetzliche Regelungen einfordern sollen, die den Behörden klare Grenzen ziehen, etwa indem bestimmte Räumlichkeiten pauschal von der Überwachung ausgenommen werden. Das Vertrauen auf die Prognoseentscheidung im Einzelfall überschätzt die Relevanz verfassungsrechtlicher Abwägungen im Alltag der Strafverfolgung. Denn wie der aussieht, müsste das Gericht spätestens seit seinem Urteil über den Richtervorbehalt bei der Anordnung von Hausdurchsuchungen wissen (BVerfGE 103, 142). Wo Ermittlungsmöglichkeiten erst einmal eröffnet sind, bieten Verfahrensregeln nur wenig Schutz vor Missbrauch, wenn - wie das Gericht selbst schreibt - "Formen von besonders gravierender Kriminalität [...] die Effektivität der Strafrechtspflege als Gemeinwohlinteresse manchem gewichtiger erscheinen lässt als die Wahrung der menschlichen Würde des Beschuldigten." Tobias Lieber, Berlin |