Martin Kimmich |
|
||||
Kündigungsschutz unter Druck | Heft
3/2004 Dataismus - eine Gesellschaft überwacht sich selbst Seite 92-95 |
||||
Über die (fehlende) Notwendigkeit einer Reform des Kündigungsschutzgesetzes |
Am 1. Januar 2004 traten zahlreiche Gesetzesänderungen im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts in Kraft. Dem gingen intensive Debatten voraus, in denen, so kontrovers sie auch geführt wurden, die AkteurInnen von Bundestag und Bundesrat sich in einem Punkt einig waren: "Wir werden das Arbeits- und Sozialrecht in den Bereichen reformieren, in denen sich im Laufe der Jahre Beschäftigungshemmnisse entwickelt haben." Mit diesem Satz aus seiner "Agenda-Rede" vom 14. März 2003 leitete Bundeskanzler Schröder die nachfolgende Deregulierungsdebatte ein, in deren Zuge auch das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) teilweise ein neues (altes!) Gesicht bekam. Allerdings sind die politischen AkteurInnen bislang handfeste empirische Belege für die beschäftigungshemmende Wirkung des Kündigungsschutzes schuldig geblieben. Geschichte des KSchG Das KSchG hatte von seinem Inkrafttreten 1951 bis zu den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts keine besonders bewegte Geschichte. Zu seiner Einführung unter einer konservativen Regierung Adenauer war es noch umkämpft. In der Weimarer Republik war der Kündigungsschutz noch im Betriebsrätegesetz verankert und setzte die Existenz eines Betriebsrates voraus. Durch das KSchG sollte der Schutz vor willkürlicher Entlassung auf eine breitere Basis gestellt werden. Gerade die SPD-Fraktion im deutschen Bundestag wollte das Gesetz bereits in Betrieben mit drei Beschäftigten gelten lassen, was wiederum die Liberalen auf den Plan rief. Letztendlich kam es zu dem Kompromiss, das Gesetze ab mehr als fünf Beschäftigten greifen zu lassen. Zum ersten mal ins Zentrum der politischen Deregulierungsdebatte geriet das KSchG Mitte der 90er Jahre, als die Kohl-Regierung 1996 den Schwellenwert für die Anwendbarkeit des KSchG auf zehn Beschäftigte anhob und die betriebsbedingte Kündigung stark vereinfachte. Nach dem rot-grünen Wahlsieg wurde das KSchG ab 1. Januar 1999 wieder auf den alten Stand gebracht. Inhalt und Praxis des deutschen Kündigungsschutzes Der Begriff "Kündigungsschutzgesetz" ist letztlich missverständlich.
Denn es "schützt" nicht grundsätzlich vor Kündigungen. Wie jedes Dauerschuldverhältnis
im deutschen Recht ist natürlich auch das Arbeitsverhältnis einseitig
kündbar. Aufgrund der besonderen sozialen Bedeutung des Arbeitsverhältnisses
auf der Beschäftigtenseite wird aber durch das KSchG ein Schutz vor willkürlicher
Kündigung geschaffen. Es stellt damit einen Gegenentwurf zum so genannten
"hire and fire"-System dar. ArbeitgeberInnen sollen lediglich in sachlich
begründeten Fällen rechtswirksam kündigen können. Außerdem gilt dieses
Gesetz nicht für alle. Zum einen muss das betreffende Arbeitsverhältnis
länger als ein halbes Jahr bestehen und zum anderen müssen im Betrieb
eine Mindestanzahl an ArbeitnehmerInnen beschäftigt sein. Diese Mindestanzahl
ist, wie bereits erwähnt, schon Inhalt von Reformen des KSchG gewesen
und war es auch im aktuellen Fall. Die Formulierungen im Gesetz sind so offen gehalten und derart gespickt
mit unbestimmten Rechtsbegriffen, dass mittlerweile eine umfassende Rechtsprechung
zu allen drei Kündigungsgründen existiert, welche die Praxis des Kündigungsschutzes
entscheidend geprägt hat und den Ausgang von Kündigungsschutzverfahren
nur schwer prognostizierbar macht. Auch dies ist wohl ein Grund für die
durchaus vorhandene Bereitschaft auf Seiten des/der ArbeitgeberIn, in
Abfindungsvergleiche einzuwilligen. Inhalte der aktuellen Reform des KSchG Die jetzige Reform ist letztlich nur ein Neuaufguss der von 1996 bis
1998 geltenden Rechtslage. Der Schwellenwert des KSchG, der den Anwendungsbereich
des Gesetzes bestimmt, wurde wieder auf Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten
heraufgesetzt. Bei betriebsbedingten Kündigungen muss der Arbeitgeber
bei einer etwaigen Sozialauswahl in Zukunft nur vier im Gesetz genannte
Kriterien berücksichtigen: Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten
und Schwerbehinderteneigenschaft. Diese Kriterien mussten zwar zum Teil
auch zuvor zwingend berücksichtigt werden, jedoch hatte die Aufzählung
früher keinen abschließenden Charakter. Schließlich können ArbeitgeberIn
und Betriebsrat bei betriebsbedingten Kündigungen Namenslisten der zu
kündigenden Beschäftigten erstellen. Dies wird die Erfolgschancen der
Kündigungsschutzklagen der Beschäftigten drastisch reduzieren, denn anders
als bei einer ohne Namensliste ausgesprochenen Kündigung besteht die gesetzliche
Vermutung, dass der Namensliste eine "gerechte" Sozialauswahl zu Grunde
liegt. Das Arbeitsgericht prüft die Sozialauswahl dann nur noch im Hinblick
auf eine grobe Fehlerhaftigkeit, während bisher auch einfache Verstöße
berücksichtigt wurden. Die Debatte um die Deregulierung des KSchG ist damit aber noch nicht verstummt. Die jüngsten Präsidien-Beschlüsse von CDU/CSU legen nahe, dass bei einem Machtwechsel im Jahre 2006 das KSchG wohl erneut zur Schlachtbank getragen werden soll. Die CDU/CSU ist in die abgelaufenen Verhandlungen im Bundesrat noch mit einem Schwellenwert von 20 Beschäftigten gegangen. Was das quantitativ bedeutet, wird deutlich, wenn man diese Zahl mit den aktuellen Betriebs- und Beschäftigtenzahlen abgleicht. 91% der Betriebe würden nicht mehr unter den Kündigungsschutz fallen. Dies betrifft neun von insgesamt ca. 27 Mio. Personen, die in der Bundesrepublik sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Wohin die (Deregulierungs-)Reise noch gehen kann wird deutlich, wenn man sich die Bemerkungen etwa des Direktors des Wirtschaftsforschungsinstitutes IFO, Hans-Werner Sinn, ansieht: Er äußerte, dass man doch gänzlich auf das KSchG verzichten könne. Das KSchG als Beschäftigungshindernis? Mittlerweile gehört es sowohl in der Politik als auch in den Wirtschafts-
oder Rechtswissenschaften zum nicht hinterfragten Mainstream, dem aktuellen
KSchG eine beschäftigungshemmende Wirkung zuzuschreiben. Dem entsprechend
soll eine Deregulierung des Gesetzes auch einen entsprechenden positiven
Arbeitsmarkteffekt erzielen können. Dies will erst einmal nicht einleuchten.
Warum soll die Erleichterung von Kündigungen, also die Erleichterung beim
Abbau von Beschäftigung, deren Aufbau fördern? Die Argumentation lautet
durchweg, dass ArbeitgeberInnen aufgrund der Schwierigkeiten bei der Entlassung
von Beschäftigten bzw. ihrer negativen Erfahrungen, vor Einstellungen
zurückschreckten. Ein jüngstes Beispiel dafür, wie man es besser nicht macht, lieferte eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit in Auftrag gegebene und von dem Meinungsforschungsinstitut Forsa im März 2003 durchgeführte Umfrage unter 1001 Betrieben mit ein bis fünf Beschäftigten. Danach sollen durch Anhebung des Schwellenwertes rund 300.000 neue Stellen möglich sein - in welchem Zeitraum wird allerdings nicht gesagt, auch nicht, wie die Anzahl der Einstellungen errechnet wird, die Kleinstunternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten vornehmen würden. Gegen die Validität dieser Befragung gibt es erhebliche Einwände. So wird bei der Interpretation der Ergebnisse außer Acht gelassen, dass die Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die unbedingte und unumgängliche Voraussetzung für Neueinstellungen ist. Die Forsa-Fragen richteten sich nicht auf eine empirisch nachprüfbare konkrete personalpolitische Praxis, sondern lediglich auf Einstellungsabsichten. Zuverlässige Aussagen über das tatsächliche Verhalten von Kleinstbetrieben lassen sich auf Grundlage dieser Daten jedenfalls nicht treffen. Damit sind die Befunde von Forsa eher als das Ergebnis einer Meinungsumfrage zu bewerten, in der die politische Einstellung der Kleinstbetriebe zum Kündigungsschutz erhoben wurde. Die deutsche Debatte unter der empirischen Lupe Internationale Studien haben vielmehr gezeigt, dass eine eindeutig negative
Wirkung der Rigidität von Kündigungsschutzregeln auf das Beschäftigungsniveau
auch im internationalen Vergleich nicht nachweisbar ist.1 Sie kommen allerdings
auch zu dem Ergebnis, dass die Beschäftigungsschwelle in der Bundesrepublik
im Vergleich relativ hoch ist. Das bedeutet, dass es hierzulande länger
dauert, bis sich ein wirtschaftlicher Aufschwung in Beschäftigungszuwächsen
niederschlägt. In Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs dauert es jedoch
auch länger, bis Beschäftigung abgebaut wird. Ob das KSchG hierfür eine
Ursache ist, lässt sich anhand dieser Daten aber nicht sagen. Vielmehr
greifen deutsche ArbeitgeberInnen in wirtschaftlichen Schwankungsphasen
offenbar bevorzugt auf Mittel interner Flexibilisierung (Arbeitszeitausweitungen/-einschränkungen,
Qualifizierung von Beschäftigten etc.) anstelle von Mitteln externer Flexibilisierung
(Einstellungen, Leiharbeit, Outsourcing etc.) zurück. Die Ursachen hierfür
sind auch auf Grund dieser Studien nicht klar. All das wird in der Bundesrepublik bei der aktuellen Debatte um die Reform des Kündigungsschutzes weitgehend ignoriert. Gerade aus der Rechtswissenschaft tönen immer wieder dieselben Stimmen und behaupten, der deutsche Kündigungsschutz sei teuer, da die ArbeitgeberInnen in häufigen und teuren Kündigungsschutzprozessen in Abfindungsvergleiche getrieben würden, die ihre Existenz bedrohten. Angesichts dieser Probleme würden sich Kleinstbetriebe hüten, in den Anwendungsbereich des KSchG "hineinzuwachsen" und vermieden tunlichst die Einstellung des/der 11. Beschäftigten. Wie sieht es aber mit Belegen hierzu aus? Klagequoten sind gering In der Bundesrepublik sind Studien zu diesem Thema rar gesät. Die letzte
Studie, die sich mit der Kündigungspraxis und dem Kündigungsschutz beschäftigte,
stammt aus dem Jahre 1981 (!).2 Aus dem Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen
Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung kommen in Zusammenarbeit mit
Infratest Sozialforschung zwei repräsentative Studien jüngeren Datums.
Die eine beleuchtet die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Befragung
von 2000 repräsentativ ausgewählten Beschäftigten näher3, die andere beschäftigt
sich mit der Personalpolitik 2000 repräsentativ ausgewählter Unternehmen.4
Alle aufgezählten Studien zeichnen ein anderes als das behauptete Bild
von der Praxis des Kündigungsschutzrechtes. Kosten halten sich in Grenzen Sie sind auch nicht besonders teuer. Lediglich 15 % aller befragten Beschäftigten,
die ihren Arbeitsplatz durch Kündigung des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin
verloren haben, erhielten eine Abfindung. Allerdings erhöht sich die Chance,
eine Abfindung zu erhalten, enorm, wenn die betroffene Person gegen die
Kündigung klagt. Hier erhalten dann 48 % eine Abfindung. Das verwundert
allerdings nicht sonderlich. Selbstredend kommen oftmals gerade die besonders
konfliktgeladenen Fälle vor das Arbeitsgericht. Wissensdefizite bei ArbeitgeberInnen Wie sieht es aus mit der Reaktion der ArbeitgeberInnen auf diese "unhaltbaren"
Zustände? Auch hier lassen sich erstaunliche Befunde finden. So wurden
im Rahmen der WSI-Befragung zur betrieblichen Personalpolitik die Personalverantwortlichen
gefragt, ob ihr Betrieb unter den Anwendungsbereich des KSchG fällt (zum
Befragungszeitpunkt lag der Schwellenwert noch bei fünf Beschäftigten).
64 % der Befragten in der Betriebsgrößenklasse zwischen einem/einer und
fünf Beschäftigten gingen fälschlicherweise davon aus, dass das KSchG
für ihren Betrieb gelte. Immerhin 14 % aus der Größenklasse sechs bis
neun Beschäftigte glaubten, es gelte für sie nicht.9 Da stellt sich die
Frage, wozu eigentlich der Schwellenwert zum Nachteil der Beschäftigten
geändert werden soll, wenn diejenigen, die darauf mit Einstellungen reagieren
sollen, von der betreffenden Regelung gar keine Ahnung haben. Folgerichtig
lässt sich so etwas auch nicht an dem Einstellungsverhalten der Beriebe
unterhalb der Schwelle ablesen. Es unterscheidet sich eben gerade nicht
besonders von dem der Betriebe oberhalb der Schwelle.10 Anekdoten statt Belege Die Behauptungen über die Praxis des Kündigungsschutzes bestätigen sich
also nicht. Wer jedoch mit dem Argument der Beschäftigungsförderung die
Deregulierung des KSchG rechtfertigen will, trägt für dieses Argument
auch die Beweislast. Wenn es aber an solchen Belegen fehlt, woher nehmen
die EntscheidungsträgerInnen dann diese Gewissheit und worin soll dann
der Grund für eine Reform liegen, die ArbeitnehmerInnen-Rechte beschneidet?
Martin Kimmich ist Doktorand im Forschungsprojekt "Regulierung des Arbeitsmarktes" (REGAM) des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. Anmerkungen: 1 Truger / Hein, "Schlusslicht Deutschland": Resultat institutioneller
Verkrustung?, in: Wirtschaftsdienst 8/2003, 509. OECD, Employment
Outlook 1999. Literatur: Pfarr/Bothfeld/Kaiser/Kimmich/Peuker/Ullmann, REGAM-Studie: Die
Einschätzung der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes in den Kleinbetrieben,
in: Betriebsberater (BB) 2003, 2061 ff. |