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Zellenkonstruktion
--> Revolutionäre Zellen. Der Prozess gegen die mutmaßlichen Mitglieder
der "Revolutionären Zellen" (RZ) vor dem Berliner Kammergericht wurde
als einer der letzten großen Terroristenprozesse bezeichnet. Das Gericht
machte diesem Titel alle Ehre. Besser hätte es das Instrumentarium des
"Anti-Terror-Systems" um den Paragraphen 129a Strafgesetzbuch (StGB) nicht
anwenden können, um die fünf Beschuldigten entgegen grundlegender Regeln
eines fairen Strafverfahrens zu verurteilen.
Am 18. März - bezeichnender Weise am Tag der politischen Gefangenen -
wurden die fünf Angeklagten nach 174 Verhandlungstagen wegen Mitgliedschaft
in einer terroristischen Vereinigung sowie der Beteiligung an einem Anschlag
auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) in Berlin 1987
und einem versuchten Anschlag auf die Berliner Siegessäule 1991 verurteilt.
Rudolf Schindler und Sabine Eckle erhielten wegen so genannter Rädelsführerschaft
jeweils drei Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe, Matthias Borgmann
gar vier Jahre und drei Monate, weil er über den gesamten Prozess hinweg
die Aussage verweigert hatte. Harald Glöde und Axel Haug wurden zu zwei
Jahren und neun bzw. zehn Monaten verurteilt.
Die Aktionen der RZ knüpften oft an den Kampagnen sozialer Bewegungen
an, seit Mitte der 1980er Jahre richteten sie sich vor allem gegen die
AusländerInnen- und Asylpolitik der Bundesrepublik. In der Regel verursachten
sie materiellen Schaden, der zugleich aber auch praktischen Nutzen haben
sollte. So wurde unter anderem der Rechner im Ausländerzentralregister
zerstört, um Menschen vor der Abschiebung zu retten, oder Supermärkte
der Handelsgruppe Adler in Brand gesetzt, um die Lohnkämpfe der ArbeiterInnen
in den sweatshops Asiens zu unterstützen. Für viele Linke galt diese Form
der Politik als attraktiv, weil sie mehr war als der symbolische gewaltfreie
Protest, sich aber nicht zu gezielten Tötungen hinreißen ließ. Obgleich
sich die Militanz der RZ überwiegend gegen Sachen richtete, kam es vereinzelt
auch zu Attentaten auf FunktionsträgerInnen des Staates. 1986 wurde dem
damaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg ins Bein
geschossen und 1987 dem Vorsitzenden Richter des Asylsenats am Bundesverwaltungsgericht
Günter Korbmacher.
Obwohl die Taten verjährt waren, wurden nicht zuletzt diese Anschläge
immer wieder Gegenstand der Verhandlungen vor Gericht und dürften nach
Ansicht von ProzessbeobachterInnen auch eine wesentliche Motivation für
das Urteil gewesen sein. Hierbei folgte das Gericht im wesentlichen den
Anträgen der Bundesanwaltschaft (BAW).
Täterwissen
Diese stützte ihre Beweisführung vornehmlich auf die Aussagen ihres Kronzeugen
Tarek Mousli, der 1999 durch einen zufälligen Sprengstofffund verhaftet
und später zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden war. Das milde
Urteil für den Karatelehrer, dem immerhin ebenfalls Rädelsführerschaft
in den RZ vorgeworfen worden war, sei aber für das Gericht kein Beleg,
dass Mousli "die Angeklagten [...] aus Eigennutz über Gebühr belastete".
Die Vorsitzende Richterin Gisela Henning wies die Feststellung der Verteidigung
zurück, dass Mousli mittels einer hohen Haftandrohung zu den Einlassungen
gedrängt worden sei, mit den Worten zurück: "das ist keinesfalls Nötigung,
[...], sondern ein zulässiges Mittel der Strafverfolgungsbehörden." Zudem
beinhalteten die Aussagen des mittlerweile im Zeugenschutzprogramm des
Bundeskriminalamtes (BKA) aufgenommenen Kronzeugen eine "Fülle von Täterwissen".
Tatsächlich aber beruhten die Anschuldigungen Mouslis vielfach auf Hörensagen
und wiesen eine Reihe von Widersprüchen und offensichtlichen Falschbehauptungen
auf. So stimmte etwa der von ihm beschriebene Aufbau des Sprengsatzes
für die ZSA nicht mit den Untersuchungsergebnissen des BKA überein. Beispielhaft
ist auch die Behauptung Mouslis, im alternativen Berliner Mehringhof befände
sich ein Waffen- und Sprengstoffdepot der RZ, das die Polizei trotz wiederholter
Durchsuchung nie finden konnte. Als polizeilich dokumentierte Lüge stellte
sich schließlich auch die Beschuldigung heraus, dass der Angeklagte Glöde
sich an dem Sprengstoffanschlag von 1987 beteiligt haben soll, während
er tatsächlich im Polizeigewahrsam saß. Und schließlich bekannte sich
eine Zeugin zu den Schüssen auf die Knie Hollenbergs, welche Mousli Schindler
in die Schuhe schieben wollte.
All das blieb vom Gericht unbeachtet. Da nützten auch die Teilgeständnisse
von vier Angeklagten nichts, mit denen sie den Kernaussagen des Kronzeugen
widersprachen. Im Gegenteil: Die Angeklagten hatten sich nach Auffassung
des Gerichts damit zur Mitgliedschaft in den RZ bekannt. Wesentliche Teile
der Anklage und die Glaubwürdigkeit des Hauptzeugen seien somit "erhärtet
worden". Ein Urteil, das sich nur mit Hilfe des Terrorismusparagraphen
129a StGB konstruieren lässt. Mit dem Kollektivstraftatbestand müssen
konkrete Tatbeteiligungen nicht nachgewiesen werden, die unterstellte
Zugehörigkeit zu einer inkriminierten Gruppe reicht aus, um die Betroffen
für die strafbaren Handlungen der Gruppe haftbar zu machen.
Die Betroffenen können sich mit der von der Verteidigung angekündigten
Revision neue Hoffnung machen. Die Linke, die das Verfahren gegen die
RZ am Ende nur noch marginal begleitet hatte, hätte dann ebenfalls die
Möglichkeit, ihr Verhältnis zu diesem offenkundig politisch motivierten
Prozess zu revidieren. Denn die BAW verfolgte mit dem Prozess nicht nur
eine endgültige Abrechnung mit den Revolutionären Zellen, sondern beanspruchte
auch die Deutungshoheit über einen wichtigen Teil ihrer Geschichte - und
damit auch über die Historie der radikalen Linken. (str)
(Infos: www.freilassung.de)
Letzte Chance
--> Nationalsozialismus. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Da könnte
man froh sein, dass sich der Prozess des Ablebens bei so manchem Nazi
der Verfahrensdauer angepasst hat. Derzeit laufen nach Angaben des Simon-Wiesenthal-Zentrums
in Deutschland noch 58 Strafverfahren gegen NS-KriegsverbrecherInnen.
Das Zentrum stellte fest, dass einige Verfahren nur langsam voran getrieben
würden und befürchtet, dass angesichts der noch verbleibenden Zeit zur
Verfolgung der TäterInnen ein Scheitern der Ermittlungen droht. Mit der
"Operation letzte Chance" will die in Jerusalem ansässige Organisation
derweil die letzten noch lebenden NS-VerbrecherInnen in Europa aufspüren.
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