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In die Illegalität führen viele Wege. Der Beginn eines solchen kann durchaus
eine legale Einreise gewesen sein, als SaisonarbeiterIn, AsylsuchendeR,
GeschäftsreisendeR oder Flüchtling. Die Schwelle zwischen Be- und Entrechtigung
kann dann die Aufnahme von Arbeit sein, das Überschreiten der Aufenthaltserlaubnis
oder auch das der Ablehnung des Asylgesuchs, der Ausreiseaufforderung
oder der Abschiebungsankündigung folgende Abtauchen. Die Grenze von legalem
zu illegalem Aufenthalt ist fließend und schnell überschritten.
Ein anderer Weg mag eine illegale Einreise gewesen sein, heimliche Zuwanderung,
ein Grenzübertritt mit gefälschten Papieren, gefolgt von illegalem
Inlandsaufenthalt und illegaler Arbeitnahme. Denn obgleich die Möglichkeiten,
einen dokumentierten Aufenthaltstitel zu erhalten, äußerst
begrenzt sind, findet Migration statt. Und wenn, einmal im Land, der Asylantrag
nicht Schutz, sondern die Wahrscheinlichkeit der Abschiebung in sich birgt,
folgt der Mensch nur allzu häufig dem inneren Überlebenstrieb
und beginnt, sich in der Illegalität einzurichten, soweit dies gelingt.
Wie oft diese Wege beschritten werden, weiß niemand so genau.1 Sicher
ist hingegen eines: Das Leben in der Illegalität ist nicht nur eine Randerscheinung,
sondern eine gesellschaftliche Realität. Dennoch wird sie von den meisten
allenfalls peripher, wahrscheinlich eher gar nicht wahrgenommen.
Moderne Outlaws - Leben im rechtsfreien Raum
Ein Grund hierfür mag der abstrakte Charakter des "Illegalseins" sein,
ist Illegalität doch rein definitorischer Natur. Letzten Endes ist Illegalität
ebenso frei erfunden wie nationale Grenzen.2 Insofern ist man eben nicht
illegal, sondern wird als illegal deklariert. So hat sich in Deutschland
die Begrifflichkeit der "Illegalen" durchgesetzt, während MigrantInnen
ohne Papiere in Frankreich als "sans papiers", in Italien als "clandestini"
und in Großbritannien als "undocumented persons" bezeichnet werden. Angemessener
als dieses unglückliche und diskriminierende Etikett wäre etwa die Bezeichnung
als "Rechtslose". Wenn in diesem Text dennoch die Bezeichnung "Illegale"
benutzt wird, so allein, um die Tragweite der ausländerrechtlichen Rechtswidrigkeit
für die Betroffenen zu verdeutlichen.
Denn faktisch bedeutet diese Erfindung ein Leben in einem vollständig
rechtsfreien Raum, stets auf der Hut vor Entdeckung und somit vollkommen
schutzlos und angreifbar. "Bewegungsfreiheit ohne Aufenthaltsrecht hat
mit der Hasenjagd zu Zeiten der Jagd eine verzweifelte Ähnlichkeit"3 schrieb
Hannah Arendt in einer Analyse der Staatenlosen zwischen den beiden Weltkriegen.
Und auch heute gerät jede für normale BürgerInnen mehr als gewöhnliche
Alltagshandlung für Menschen ohne Aufenthaltsstatus zum Balanceakt. Dies
liegt primär an der permanenten Angst vor Entdeckung. Schließlich verpflichtet
der - auch als "Denunziationsparagraf" bekannte - § 76 des Ausländergesetzes
(AuslG) öffentliche Stellen, ohne Papiere im Lande lebende Menschen den
Behörden zu melden. Ebenso macht sich nach § 92a AuslG strafbar, wer wiederholt
oder zugunsten von mehreren AusländerInnen "Illegalen" hilft oder ihnen
Unterschlupf gewährt.
Schwierige Bedingungen, um sein Leben zu organisieren. Welche ÄrztInnen
behandeln PatientInnen ohne Krankenschein? Zahnschmerzen werden zum Problem,
eine Blinddarmentzündung zur mittleren Katastrophe. Die an sich für Kinder
selbstverständliche Schulbildung ist ebenso selbstverständlich nicht für
Kinder von MigrantInnen ohne Aufenthaltsstatus vorgesehen. Letztlich wird
die gesamte Lebenswelt "illegaler" Menschen beinahe vollständig von der
ihnen anhaftenden Illegalität durchdrungen und bestimmt.
Illegalität und Arbeit
Am deutlichsten äußert sich die Hilflosigkeit der Betroffenen, wenn es
um die Arbeitsbedingungen geht.4 Da die Möglichkeiten der Aus- oder Weiterbildung
in der Regel gültige Ausweispapiere voraussetzen, sind die meisten "Illegalen"
gezwungen, Arbeiten im Niedriglohnsektor, vorzugsweise in Branchen wie
dem Reinigungs- und Baugewerbe sowie in der Gastronomie oder in Privathaushalten
anzunehmen. Zumal weder Kündigungsschutz noch sonstige Arbeitnehmerrechte
geltend gemacht werden können, werden ArbeitnehmerInnen ohne Aufenthaltsstatus
äußerst gerne eingestellt. Nicht selten wird ihr Unvermögen, Arbeitnehmer-
oder auch sonstige Rechte einzufordern, missbraucht; so ist Berichten
zufolge Lohnraub durchaus nichts Ungewöhnliches.
Dies verbunden mit der dennoch vorhandenen Bereitschaft Heimlicher, sich
zu ausbeuterischen Löhnen abschuften zu dürfen, strahlt auf
den Arbeitsmarkt aus und kratzt auch an langwierig erkämpften Rechten
der ArbeitnehmerInnen. Denn je größer das Angebot an Arbeitskräften
für ein Fixum an Arbeit ist, desto geringer wird - einzig den Gesetzen
von Angebot und Nachfrage folgend - der Preis für die Arbeitskraft.
Dies schürt zwangsläufig Ängste und Vorurteile der "legalen"
ArbeitnehmerInnen und ist Wasser auf die Mühlen einer auf Ausgrenzung
basierenden Einwanderungspolitik, was wiederum zu verstärkter Illegalisierung
führt - ein Teufelskreis.
Illegalität und Menschenrechte
Letztlich macht diese kurze Beschreibung der Lebenswelt "Illegaler" eines
deutlich: Illegalität berührt Menschenrechte und stellt ihre umfassende
Geltung in Frage. Nicht nur ist ein solcher von Angst und Schutzlosigkeit
geprägter Alltag mit der Würde des Menschen offensichtlich unvereinbar,
auch widerspricht die Unsicherheit medizinischer Versorgung offensichtlich
dem Recht auf Gesundheit und medizinische Versorgung, wie es in Art. 12
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) der Vereinten Nationen
proklamiert wird. Ebenso steht die ungleiche Vergütung gleicher Arbeit
mit Art. 23 AEMR im Widerspruch: Diese enthält ein Diskriminierungsverbot,
also eben das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Und auch wenn "Illegale" zweifelsohne ebenso von demokratischen Entscheidungen
betroffen sind wie "Legale", ist ihnen doch die Teilhabe am demokratischen
Diskurs vollständig verschlossen. Zwar gewährt Art. 5 Grundgesetz "jedem"
das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Allerdings haben "Illegale" zumindest
in Deutschland wohl kaum eine reelle Möglichkeit, am Prozess der Willensbildung
öffentlich teilzunehmen. In anderen Ländern haben es die "Illegalen" geschafft,
sich zu organisieren und sich somit politisches Gehör zu verschaffen.
Paradebeispiel hierfür sind die "Sans papiers" in Frankreich, welche mittlerweile
durchaus politischen Einfluss zu nehmen in der Lage sind. Zumal sich hierzulande
jedoch noch keine solche Organisation gefunden hat, bleibt "Illegalen"
dieses Recht wohl auch in näherer Zukunft verwehrt.
Politische Leichname
Dabei stehen sich illegal in Deutschland aufhaltenden Personen diese
Menschenrechte selbstverständlich zu, dies ist keineswegs das Problem.
Der springende Punkt ist vielmehr, dass es faktisch keine Institution
gibt, die ihnen diese garantiert.
Hannah Arendt analysierte dieses Verhältnis zwischen theoretischen und
faktischen Rechten und beschrieb die entstehende Diskrepanz folgendermaßen:
"Denn das Unglück des Rechtlosen liegt nicht darin, dass er des Rechts
auf Leben, auf Freiheit, auf Streben nach Glück, der Gleichheit vor dem
Gesetz oder gar der Meinungsfreiheit beraubt ist; alle diese Formeln stehen
deshalb in gar keiner Beziehung zu seiner Situation, weil sie entworfen
wurden, um Rechte innerhalb gegebener Gemeinschaften sicherzustellen.
Die Rechtlosigkeit entspringt einzig der Tatsche, dass der von ihr Befallene
zu keiner irgendwie gearteten Gemeinschaft gehört."5
Hannah Arendt schließt sich somit nicht der Ansicht an, Menschenrechte
seien etwas absolut dem Menschen Innewohnendes und somit Garantiertes.
Die Krux sei vielmehr, dass Menschenrechte stets als unabdingbar und unveräußerlich
proklamiert wurden und werden, so dass ihre Gültigkeit sich auf kein anderes
Gesetz oder Recht berufen müsste, sondern sie vielmehr axiomatisch allen
anderen Rechten zugrunde gelegt werden sollten. Insofern bedurfte es scheinbar
auch keiner Autorität, um sie zu etablieren, denn da alle anderen Gesetze
aus ihr abgeleitet werden, wäre es paradox, ein besonderes zu ihrer Geltendmachung
zu schaffen.
Faktisch jedoch sind Menschenrechte wie alle Rechte immer nur das Resultat
eines Zusammenspiels des Individuums mit der jeweils rechtsgarantierenden
Institution; ohne diese keine Rechte.
Insofern folgert Hannah Arendt weiter: "Der Verlust der Menschenrechte
findet also nicht dann statt, wenn dieses oder jenes Recht, das gewöhnlich
unter die Menschenrechte gezählt wird, verloren geht, sondern nur wenn
der Mensch den Standort in der Welt verliert, durch den allein er überhaupt
Rechte haben kann und der die Bedingung dafür bildet, dass seine Meinungen
Gewicht haben und seine Handlungen von Belang sind. Etwas viel Grundlegenderes
als die in der Staatsbürgerschaft gesicherte Freiheit und Gleichheit vor
dem Gesetz also steht auf dem Spiel, wenn die Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft,
in die man hineingeboren ist, nicht mehr selbstverständlich und die Nichtzugehörigkeit
zu ihr keine Sache der Wahl ist oder, wenn Menschen in die Situation gebracht
werden, wo ihnen, (...) dauernd Dinge zustoßen, die ganz unabhängig davon
sind, was sie tun oder unterlassen. Auch wo ihnen eine noch intakte Zivilisation
das Leben sichert, sind sie, politisch gesprochen, lebende Leichname."6
Für Arendt bedeutet die Ausstoßung aus der Rechtsgemeinschaft somit mehr,
sie spricht von der "Ausstoßung aus der Menschheit insgesamt".
Recht auf Recht
Die Kernfrage ist somit folgende: Wie kann dem völkerrechtlich bestimmten
Flüchtlingsrecht und letztlich den allgemeinen Menschenrechten faktisch
Geltung verschafft werden? Letztlich eben nur durch nationalstaatlich
dem Individuum zugestandene, also auch einklagbare Bürgerrechte. Es geht
somit darum, jedem Menschen in jedem Staat einklagbare Rechte, beziehungsweise
eben die Einklagbarkeit der Rechte zuzugestehen. Arendt folgerte aus dieser
Erkenntnis ihr berühmtes "Recht, Rechte zu haben", also eine Art formeller
Verankerung der Menschenrechte, welche die Einklagbarkeit derselben begründen
könnte. Denn tatsächlich demonstrieren "Illegale", die vollständig auf
universelle Menschenrechte angewiesen sind, durch die Bedingungen, denen
ihr Leben unterworfen ist, dass Menschenrechte eben nicht universell garantiert
sind, sondern nur für Staatsangehörige und AusländerInnen mit Aufenthaltsrecht.
Es muss somit Aufgabe der Staaten sein, dafür Sorge zu tragen, dass niemand
innerhalb und außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes vollkommen außerhalb
des Rechtssystems zu stehen kommt. Dies ist nicht zuletzt eine zwingende
Folgerung des den Menschenrechtsdeklarationen eingeschriebenen Menschenbildes.
Es ist jedoch vor allem eine zwingende Forderung der Menschlichkeit.
Moritz Assall, Hamburg
1 Schätzungen hierzu in Mushoff, Tobias, Illegal in der BRD, in: Forum
Recht (FoR) 2004, 120 - 122.
2 Zur "Erfindung des Ausländers" siehe Kroidl, Lars/ v. Planta, Christoph,
Ausländer- und Zuwanderungsrecht, in: FoR, Wozu Jura studieren?,
2003/04, 22 - 23.
3 Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 613.
4 Hierzu Habbe, Heiko, "...und du bist nicht dabei!", in: FoR 2003,
121 - 124.
5 Arendt, a.a.O., 611.
6 Ebd., 613.
Literatur:
Arendt, Hannah, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft - Antisemitismus,
Imperialismus, totale Herrschaft, München 1986.
http://rechtauflegalisierung.de (19.09.2004).
http://www.asylnetz.de (19.09.2004).
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