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Politische Justiz   Heft 4/2004
unmenschlich -
Migrationspolitik

Seite 142
 
 

Sant'Anna di Stazzema

--> Nationalsozialismus. Der Überlebende Enrico Pieri betonte, er wolle "keine Rache, nur Wahrheit und Gerechtigkeit". Auch der deutsche Innenminister fand bekennende Worte zum sechzigsten Jahrestag des Massakers von Sant'Anna di Stazzema. Angesichts des brutalen und grausamen Massenmords überkomme ihn "Entsetzen" und "Trauer" sowie "Zorn, weil die strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Mörder nur zögerlich und viel zu spät in Gang gekommen sind".
Am 12. August 1944 überfielen 400 Soldaten der 16. SS-Panzergrenadierdivision "Reichsführer-SS" das toskanische Bergdorf und gingen im Rahmen des berüchtigten "Bandenbekämpfungsbefehls" mit aller Grausamkeit gegen die Zivilbevölkerung vor. AugenzeugInnenberichten zufolge wurden die meisten BewohnerInnen zusammengetrieben und erschossen, andere in ihren Häusern mit Handgranaten umgebracht. Später übergossen die deutschen Soldaten die Leichen mit Benzin und verbrannten sie. 560 Menschen wurden getötet. Sant'Anna di Stazzema steht in einer Reihe von 250 weiteren italienischen Orten, in denen teilweise die gesamte Zivilbevölkerung massakriert wurde. Vor allem in der Toskana und in angrenzenden Regionen sind von der Waffen-SS und anderer Wehrmachtseinheiten insgesamt etwa 10.000 italienische ZivilistInnen getötet worden.
Die Strafverfolgung der Täter setzte erst mehr als ein halbes Jahrhundert später ein. In Italien wurden die dokumentierten Verbrechen mit Rücksicht auf den westdeutschen Bündnispartner lange Zeit in dem so genannten "Schrank der Schande" unter Verschluss gehalten, bis schließlich die italienische Staatsanwaltschaft die ehemaligen SS-Offiziere Gerhard Sommer, Ludwig Sonntag und Alfred Schönenberg wegen des Massenmords von Sant'Anna di Stazzema anklagte. Erst dann rührten sich auch die deutschen Ermittlungsbehörden und strengten ein eigenes Strafverfahren gegen die hochbetagten SS-Männer an.
Was von derartigen Prozessen zu erwarten ist, zeigt eindrucksvoll der Fall des NS-Verbrechers Friedrich Engel. Der SS-Sturmbannführer hatte als Chef des Sicherheitsdienstes (SD) von Genua die Ermordung von 246 italienischen Geiseln zu verantworten. Im Juli 2002 wurde er vom Hamburger Landgericht wegen einer Vergeltungsaktion, bei der 59 italienische Gefangene in eine zuvor von ihnen ausgehobene Grube regelrecht hineingeschossen wurden, zu sieben Jahren Haft wegen Mordes verurteilt. Auf die Revision Engels hin hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil nun kassiert. Das Hamburger Gericht hätte nicht ausreichend belegt, dass der in Italien als "il boila di Genova" (der Henker von Genua) berüchtigte SS-Mann auch vorsätzlich grausam handelte. Somit fehle es an dem Mordmerkmal der Grausamkeit. Die BundesrichterInnen stellten das Verfahren gleich für immer ein, mit Hinweis auf das fortgeschrittene Alter des 95-jährigen Greises und der Tatsache, dass "mit einer ernstlichen Verfolgung" Engels erst 1995 "und damit unbegreiflich spät begonnen wurde". So schließen sich die Kreise im strafrechtlichen Umgang mit der Vergangenheit, in denen weder Wahrheit noch Gerechtigkeit noch Sühne Platz finden. (str)

Radikalenerlass

--> Berufsverbote. Als vor zwei Jahren Betroffene an die Tausenden von Berufsverbotsverfahren gegen Linke im Öffentlichen Dienst erinnerten, schien das nicht mehr als ein Rückblick in die hysterische Zeit der Bundesrepublik zu sein. Schließlich hatte 1995 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die auf dem so genannten Radikalenerlass von 1972 basierende Verbotspraxis als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit bezeichnet.
In Baden-Württemberg ist sie jedoch weiterhin Realität, wie der Heidelberger Michael Csaszkóczy erfahren musste. Seine Einstellung als Realschullehrer hat ihm das Kultusministerium auf Anweisung seiner Ministerin Anette Schavan (CDU) "wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue" verwehrt. Ihm wird u.a. Mitgliedschaft in der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) und der Roten Hilfe vorgehalten, wegen derer er auch seit zwölf Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Csaszkóczy hat gegen den Beschluss des Ministeriums Widerspruch eingelegt. In seiner Stellungnahme kommentierte er treffend: "Ein Klima, in dem der Einzelne Angst haben muss, seine Meinung frei zu äußern, wenn sie nicht regierungskonform ist, weil er sonst Gefahr läuft, vom Inlandsgeheimdienst bespitzelt und mit der Vernichtung seiner beruflichen Existenz bestraft zu werden, ist der Tod jeder Demokratie, die diesen Namen verdient." (www.gegen-berufsverbote.de)

Keine Meinung

--> Neonazis. Das Bundesverfassungsgericht urteilte indes, dass für rechtsextreme Organisationen das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit zu gelten habe und gaben damit dem NPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen Recht. Dieser hatte gegen das Verbot einer geplanten Demonstration in Bochum geklagt, die unter dem Motto "Keine Steuergelder für den Synagogenbau. Für Meinungsfreiheit." als Ersatzveranstaltung für eine Aktion mit dem Leitspruch "Stoppt den Synagogenbau - 4 Millionen fürs Volk!" stattfinden sollte. Die Polizei und später das Oberverwaltungsgericht Münster hatten in diesen antisemitischen Parolen Hinweise für zu erwartendende neonazistische Äußerungen gesehen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellten. Darauf allein könne eine Versammlungsverbot jedoch nicht gestützt werden, so die Karlsruher RichterInnen. (Az.:1 BvQ 19/04)

Geständnis

--> RAF. Ein düsteres Kapitel in der Geschichte der deutschen Linken offenbart sich im Prozess gegen die ehemalige RAF-Aktivistin Andrea Klump. Ihr wird vorgeworfen, 1991 an einem Anschlag auf russische Juden und Jüdinnen in Budapest beteiligt gewesen zu sein, die sich auf der Ausreise nach Israel befanden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hatte sich eine palästinensische Organisation namens "Bewegung zur Befreiung Jerusalems" zu dem Anschlag bekannt. In einer Einlassung vor dem Oberlandesgericht Stuttgart am 12. August räumte die Angeklagte nun ein, von den Planungen zum Attentat gewusst zu haben. Sie habe es abgelehnt, sich daran zu beteiligen, habe aber ihrem Lebensgefährten Horst Meyer, der zu den Attentätern gehörte, bei der Beschaffung von Wohnung und Lebensmitteln geholfen. Beide wurden 1999 in Wien gestellt, Horst Meyer wurde dabei erschossen.