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"Wer als Ausländer in Deutschland sein Gastrecht missbraucht und kriminell
wird, für den gibt es nur eins: raus, und zwar sofort." So tönt es mit
schöner Regelmäßigkeit aus dem Mund von PolitikerInnen, wenn einmal wieder
die Geschichte eines straffälligen Ausländers bzw. einer straffälligen
Ausländerin durch die Presse geht. Nun, ganz so einfach ist es zum Glück
meist nicht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Urteil vom
29. April 2004 festgestellt, dass es mit dem Recht auf Freizügigkeit nicht
vereinbar ist, wenn nationale Rechtsvorschriften eine automatische Ausweisung
von straffälligen AusländerInnen mit der Staatsbürgerschaft eines anderen
Mitgliedstaates der EU vorsehen. Vielmehr sei in jedem Einzelfall zu prüfen,
ob Verhalten und Persönlichkeit des oder der Betroffenen eine gegenwärtige
Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen. Diese Entscheidung müsse
hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit gerichtlich überprüfbar
sein.
Dem Urteil lagen die Fälle eines Italieners und eines Griechen zugrunde,
die seit ihrer Geburt bzw. seit dem zwölften Lebensjahr in Deutschland
gelebt hatten und in Zusammenhang mit ihrer Drogenkrankheit wegen Betäubungsmitteldelikten
und anderen Straftaten zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. Das
Regierungspräsidium Stuttgart hatte bei beiden auf Grund der in § 47 Ausländergesetz
vorgesehenen Regelausweisung die Abschiebung in ihre "Heimat" verfügt.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat diese Rechtsprechung des EuGH
nunmehr in mehreren Urteilen vom 3. August 2004 auf Deutschland übertragen
und dabei ausgeweitet. Es hatte zu entscheiden, ob die strengeren Maßstäbe
zur Ausweisung von EU-BürgerInnen auch auf einen türkischen Arbeitnehmer
anzuwenden sind, der wegen Drogenhandels zu einer zwölfjährigen Haftstrafe
verurteilt worden war. Zwischen der Türkei und der EU bestehen seit langem
Assoziationsabkommen, die türkische StaatsbürgerInnen hinsichtlich des
Aufenthaltsrechts partiell mit EU-BürgerInnen gleich stellen. Auf dieser
Grundlage hielt das BVerwG eine Regelausweisung ohne Einzelfallprüfung
auch gegenüber TürkInnen für unzulässig.
Mit dieser Rechtsprechung wird die repressive Ausweisungspraxis gegenüber
hier lebenden Menschen mit fremder Nationalität nur partiell gebessert.
Immerhin aber betrifft sie durch die Einbeziehung der türkischen StaatsbürgerInnen
die größte in Deutschland lebende Gruppe von AusländerInnen. Und durch
die Pflicht zur Einzelfallprüfung sind die Behörden nunmehr zumindest
formal daran gehindert, straffällige AusländerInnen aufgrund der bloßen
Vermutung weiterer Straftaten in ihre "Heimat" abzuschieben - eine Heimat,
die viele Betroffene vorher selten gesehen haben.
Tobias Lieber, Berlin
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