|
Eigentlich sollte die Presse - als vierte Gewalt im Staate - neutrale
Beobachterin und Kommentatorin sein. Diesmal war sie selbst Partei. Selten
zuvor führte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
(EGMR) zu einer so heftigen Debatte in den Medien. Die Gefahr der Zensur
wurde beschworen, von der Politik wurden Reaktionen verlangt. Was war
geschehen?
Schon seit Jahren führt die monegassische Prinzessin Caroline, Lieblingsobjekt
der Boulevardpresse, immer wieder Prozesse gegen die Veröffentlichung
von Photos, die sie in verschiedenen privaten Situationen abbilden. Am
Ende stehen nun die beiden Urteile des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
und des EGMR, die die Grenzen zwischen Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit
unterschiedlich ziehen. Das BVerfG hatte in einem Grundsatzurteil 1999
entschieden, dass die Prinzessin zu den sog. absoluten Personen der Zeitgeschichte
gehört, obwohl sie keine offiziellen Funktionen ausübt. Damit war die
Veröffentlichung von Photos auch gegen ihren Willen zulässig, sofern nicht
im Einzelfall berechtigte Interessen des Persönlichkeitsschutzes entgegen
standen. Letzteres wird insbesondere angenommen bei Bildern, die in einer
gezielt geschaffenen räumlichen Privatsphäre aufgenommen wurden. Die Entscheidung
beruht auf der Annahme, dass die meinungsbildende Funktion der Presse
nicht allein durch die faktenorientierte Berichterstattung über öffentliche
Angelegenheiten erfüllt werden kann, sondern dass auch die auf Unterhaltung
ausgerichtete Darstellung der privaten Lebensführung von Prominenten einen
Beitrag dazu leisten kann, Wertvorstellungen und Lebensentwürfe des Publikums
zu prägen.
Dem EGMR dagegen schwebt eine eher klassische Aufgabenstellung der Presse
vor. Diese soll über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse bzw. über
die Amtsführung von PolitikerInnen berichten, nicht aber über das Leben
von Privatpersonen. Deshalb wurde der klagenden Prinzessin der Schutz
des Persönlichkeitsrechts zugesprochen und die Differenzierung nach öffentlichen
und privaten Örtlichkeiten abgelehnt. Die Konsequenz ist, dass Bilder
von Personen, die keine öffentliche Funktion ausüben, nur noch mit deren
Einwilligung abgebildet werden dürfen.
Dass damit die ökonomischen Interessen der Boulevardpresse beeinträchtigt
sind, liegt auf der Hand. Der Gefahr der Zensur dagegen - von vielen ChefredakteurInnen
gern an die Wand gezeichnet - liegt eher fern. Denn dass eine Berichterstattung
über das Verhalten von PolitikerInnen und anderen öffentlichen FunktionsträgerInnen
weiterhin möglich sein soll, hat der EGMR deutlich klar gestellt. Die
Frage ist eher, ob dessen Bild der Presse den Realitäten der Mediengesellschaft
noch angemessen ist.
Tobias Lieber, Berlin
|
|