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IGH-Gutachten zu Israels "Mauer"   Heft 4/2004
unmenschlich -
Migrationspolitik

Seite 140
 
 

Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat in seiner Entscheidung vom 9. Juli 2004 zur israelischen "Mauer" im Westjordanland so entschieden, wie zu erwarten war. Der von Israel so bezeichnete "Schutzzaun" zur Abwehr von Attentaten (tatsächlich besteht er nur zu 5 % aus Mauer) annektiere faktisch 17 % des Westjordanlandes mit 266.000 dort lebenden PalästinenserInnen und verhindere den Zugang von Hunderttausenden zu ihren Arbeitsplätzen, zu Schulen oder Krankenhäusern. Damit verstoße Israel gegen das Annexions-Verbot sowie gegen das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes. Auch stellten die RichterInnen verschiedenste Verstöße gegen das in der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention normierte humanitäre Völkerrecht sowie gegen die Menschenrechte der PalästinenserInnen fest, die in von Israel ratifizierten Verträgen garantiert sind. Als Konsequenz müssten die in den besetzten Gebieten errichteten Teile der "Mauer" abgerissen werden und die BewohnerInnen von Israel Entschädigung erhalten. Andere Staaten werden aufgefordert, die "illegale Situation" nicht anzuerkennen, die UN mögen über nötige Maßnahmen zur Wiederherstellung der Legalität beraten.
Argumente zugunsten der israelischen Seite, die sich selbst aus Protest nur gegen die Zuständigkeit des IGH gewandt hatte, fanden kein Gehör: Dass die Annexion nur vorübergehend und zum Schutz der Bevölkerung gerechtfertigt sei, wurde mit der schlichten Bemerkung abgetan, das Gericht sei davon "nicht überzeugt". Das Selbstverteidigungsrecht (Art. 51 UN-Charta) sei nicht einschlägig, denn die Angriffe stammten aus den von Israel besetzten Gebieten und seien keinem anderen Staat zuzurechnen.
Von vornherein bekannt war auch die geringe Wirkung des Urteils - handelte es sich doch nicht um den Entscheid eines Streitverfahrens, sondern um ein bloßes Gutachten. Die UN-Generalversammlung hatte es nach Art. 65 Abs. 1 IGH-Statut i.V.m. Art. 95 Abs. 1 UN-Charta zur Klärung der völkerrechtlichen Lage beantragt. Der Beschluss dazu - 90 zu 8 Stimmen bei 74 Enthaltungen, darunter die EU-Staaten - war von der Motivation getragen, an der US-Blockade des Sicherheitsrats vorbei Druck auf Israel auszuüben.
Interessant war die Haltung der EU-Staaten: Von Anfang an hatten sie für eine "politische Lösung" der heiklen Angelegenheit plädiert. Die realistische Befürchtung, die erwartete Entscheidung zu Ungunsten Israels werde den Friedensprozess noch weiter verkomplizieren, könnte diese Abkehr von der üblichen Betonung des Völkerrechts erklären. Der Beginn einer generellen Neubewertung der Frage nach dem Nutzen von Rechtsentscheidungen in politischen Konfliktsituationen ist darin aber wohl nicht zu sehen.

John Philipp Thurn, Freiburg