|
Ungefähr 30.000 Menschen werden jährlich aus Deutschland abgeschoben.
Von ihrem Schicksal erfährt die deutsche Öffentlichkeit fast nichts. Dabei
werden Abschiebungen gleichzeitig mit der verstärkten Abschottung der
"Festung Europa" immer mehr zum zentralen Bestandteil europäischer Einwanderungspolitik.
Tony Blairs Labour-Regierung setzt sich seit 2000 jährlich ein höheres
Ziel für die Zahl der Menschen, die aus Großbritannien deportiert werden
sollen, und auch die niederländische Regierung verkündete im März diesen
Jahres, bis zu 26.000 Menschen, deren Asylverfahren gescheitert ist, ausweisen
zu wollen - u.a. nach Afghanistan, Somalia und Tschetschenien.1 Wie auch
in der deutschen Abschiebepraxis befinden sich unter den Betroffenen auch
Kinder und viele Personen, die schon seit Jahren oder Jahrzehnten in Europa
leben oder hier aufgewachsen sind. Um Abschiebungen reibungslos durchzuführen,
werden sie vorher oft monatelang, in einigen europäischen Ländern sogar
mehrere Jahre, in Gefängnissen festgehalten, deren Haftbedingungen das
Europäische Komitee zur Verhinderung von Folter regelmäßig als menschenunwürdig
einschätzt.2
Gelegentlich wird bekannt, dass Flüchtlinge, deren Asylgründe in Europa
nicht anerkannt wurden, nach ihrer Abschiebung in ihrem Heimatland erneut
verfolgt oder sogar gefoltert wurden. Meist aber bleiben die Folgen von
Abschiebungen unbekannt und niemand wird für die Bedrohung von Leben und
Freiheit dieser Menschen zur Verantwortung gezogen.
Die Frage, ob es möglich ist, jemanden gegen seinen Willen auf menschliche
Art und Weise außer Landes zu bringen, ist aber nicht nur eine moralische,
sondern auch eine juristische. Denn auch die Würde von AusländerInnen
ist unantastbar.
Wer wird abgeschoben?
Abgeschoben werden sollen v.a. "Illegale", also Menschen, die ohne Aufenthaltserlaubnis
in Europa leben. Davon gibt es in der Bundesrepublik zurzeit schätzungsweise
über eine Million.3 "Illegal" ist, wer ohne aufenthaltsberechtigende Papiere
eingereist ist oder nach Ablauf des Visums oder Aufhebung des Flüchtlingsstatus
nicht umgehend das Land verlässt.
Aber auch Drogenkonsum, Straffälligkeit sowie längerfristige Obdachlosigkeit
können nach dem neuen Zuwanderungsgesetz4 als Abschiebungsgründe gelten.
Auch wer "die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der
Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet",
kann gezwungen werden, Deutschland zu verlassen. Generell fragt sich,
ob es angemessen ist, eine Person wegen dieser Art von Zuwiderhandlungen
in ein Land zu schicken, in dem ihr möglicherweise Krieg, Verfolgung oder
extreme Armut drohen. Vage Formulierungen im Gesetzestext ermöglichen
Missbrauch, v.a. bei der Berufung auf Terrorismus-Verdacht: AusländerInnen
sollen ausgewiesen werden, wenn "Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen"
dass sie einer terroristischen Vereinigung angehören. Es müssen also weder
Beweise vorliegen, noch ist definiert, wann eine Vereinigung als "terroristisch"
gilt.
Abschiebungshindernisse
Wer plausibel machen kann, dass ihr/ihm nach einer Abschiebung Folter,
Todesstrafe oder eine andere "Gefahr für Leib und Leben" drohen, kann
auf die Aussetzung der Abschiebung hoffen, solange diese Gefahr akut und
stichhaltig bewiesen ist. Entgegen der Bemühungen des Flüchtlingswerks
der Vereinten Nationen liegt die Beweislast für eine bestehende Bedrohung
im Herkunftsland in der Praxis fast ausschließlich bei den Flüchtlingen.
Asylverfahren scheitern allzu oft daran, dass RichterInnen den Schilderungen
Asylsuchender trotz gut dokumentierter Menschenrechtsverletzungen in ihrem
Herkunftsland keinen Glauben schenken wollen. So z.B. im Falle eines Syrers,
der aus Deutschland abgeschoben werden soll, da es ihm nicht gelang, das
Gericht davon zu überzeugen, dass ein Mensch in Syrien aufgrund bloßen
Sympathisantentums zur als terroristisch geltenden Kurdischen Arbeiterpartei
PKK verhaftet und gefoltert werden kann. Immer wieder scheitern auch Menschen
aus Kolumbien daran, vor europäischen Gerichten zu beweisen, dass ihr
Leib und Leben von den in Kolumbien üblichen tödlichen Racheakten der
Drogenmafia oder der Paramilitärs für Zeugenaussagen bedroht ist.5
Darf Europa abschieben?
Das Recht souveräner Staaten, ihre Grenzen zu kontrollieren und damit
auch unwillkommenen AusländerInnen die Einreise zu verweigern, war schon
immer ein weit gehend unangefochtener Bestandteil des Völkerrechts. Als
logische Folge müssten Staaten also auch das Recht haben, diejenigen,
die ohne ihre Zustimmung eingereist sind, wieder zu entfernen - notfalls
unter Anwendung staatlicher Gewalt.
Aber alle EU-Staaten und weitere 23 europäische Staaten haben die Europäische
Menschenrechtskonvention unterzeichnet, die meisten zudem den Internationalen
Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte und die Anti-Folterkonvention
der Vereinten Nationen. Wie bei allen menschenrechtlichen Verträgen geht
es hierbei um den Schutz der Menschenwürde. Wer den innerstaatlichen Rechtsweg
erfolglos ausgeschöpft hat, aber der Meinung ist, dass durch eine Abschiebung
seine in diesen Verträgen enthaltenen Menschenrechte verletzt werden,
kann sich, unabhängig von Staatsbürgerschaft oder rechtlichem Status,
an den UN-Menschenrechtsausschuss oder das Anti-Folterkomitee in Genf
bzw. an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) in Straßburg
wenden.
Internationaler Abschiebungsschutz
Besonders relevant bei Abschiebungen ist das in all diesen Verträgen
enthaltene Recht auf Schutz vor Folter und unmenschlicher Behandlung.
Wie die Rechtssprechung des EGMR zeigt, ist dieser Schutz absolut. Wenn
also die Gefahr besteht, dass ein Mensch als Folge einer Abschiebung in
einem anderen Land unmenschlich behandelt wird, ist der abschiebende europäische
Staat dafür verantwortlich, auch wenn sich die schrecklichen Ereignisse
ganz woanders zutragen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die/der Betroffene
sich legal oder illegal in Europa aufhält, straffällig wurde, oder ob
es gar eine "tatsachengestützte Prognose" gibt, laut derer von der abzuschiebenden
Person eine "terroristische Gefahr" ausgeht.6
Auch im neuen Zuwanderungsgesetz sind drohende Folter und Todesstrafe
im Herkunftsland als Abschiebungshindernisse aufgeführt. Der deutsche
Rechtsstaat möchte sich hier nichts zuschulden kommen lassen. Zusätzliche
internationale Schutzmechanismen werden aber v.a. dann relevant, wenn
deutsche RichterInnen bis hin zum Bundesverfassungsgericht die Glaubwürdigkeit
der Schilderungen von Bedrohten anzweifeln.
Außerdem verbieten internationale und europäische Menschenrechtskonventionen
nicht nur Folter, sondern auch "unmenschliche", "grausame" oder "entwürdigende"
Behandlung. Für den EGMR ist dabei irrelevant, ob diese Behandlung im
Herkunftsland von staatlichen Behörden ausgeht oder von Dritten, wenn
der Staat nicht in der Lage ist, Verfolgten den nötigen Schutz zu bieten.
In einem außergewöhnlichen Fall, D. v. UK, entschieden die Straßburger
RichterInnen sogar, dass auch angesichts unmenschlicher Verhältnisse im
Herkunftsland, die von niemandem direkt verursacht wurden, eine Abschiebung
menschenrechtswidrig wäre.7 D. war ein schwer kranker AIDS-Patient, der
in seinen Heimatstaat St. Kitts and Nevis abgeschoben werden sollte. Da
auf der Karibikinsel aber weder die für D. nötigen Medikamente vorhanden
waren, noch ihm Geld oder die Unterstützung von Familienmitgliedern zur
Verfügung standen und er demnach dort obdachlos und in extremer Armut
gelebt hätte, entschied der EGMR, dass Großbritannien gegen das Verbot
unmenschlicher Behandlung verstoßen würde und ihn daher nicht abschieben
dürfe.
In ähnlichen, etwas weniger schwer wiegenden Fällen beharrte der EGMR
allerdings darauf, dass die Schwelle für Menschenrechtsverletzungen unter
dem Folterverbot hoch angelegt sei. Eine bloße Verschlechterung der Situation
für den/die AsylbewerberIn reiche nicht aus, um eine Abschiebung zu verhindern.
So fanden die RichterInnen, dass es einem in London lebenden Algerier
zugemutet werden könne, mit einer schweren psychischen Krankheit nach
seiner Abschiebung in Algerien regelmäßig 75 Kilometer mit öffentlichen
Verkehrsmitteln durch ein Krisengebiet zum nächsten Krankenhaus zu fahren,
um sich die für ihn lebensnotwendigen Medikamente aushändigen zu lassen.8
Chancen und Grenzen
Wenn auch internationale Institutionen nur wenigen Personen direkt zu
ihrem Recht auf menschliche Behandlung verhelfen, so bleibt die Hoffnung,
dass die Präzedenzfälle sich positiv auf nationale Rechtssprechungen auswirken.
Gleichzeitig funktioniert ein internationales Menschenrechtsverfahren
auch durch den Druck der Öffentlichkeit: Kein Staat steht gern als Verletzter
der Menschenrechte im Rampenlicht. So haben sich in mehreren Fällen Staaten
während eines laufenden Verfahrens vor dem EGMR gütlich mit AsylbewerberInnen
geeinigt: Die Flüchtlinge bekamen einen Aufenthaltsstatus und das Verfahren
wurde eingestellt.
Natürlich haben die meisten erfolglosen AsylbewerberInnen weder die Mittel
noch die Kenntnis, um den langen Klageweg nach Genf oder Straßburg zu
nehmen. Und auch nur in wenigen Fällen wurde von diesen Menschenrechtsinstitutionen
im Interesse der AsylbewerberInnen entschieden. Das liegt v.a. daran,
dass es extrem schwierig ist, juristisch möglichst stichhaltig ein Ereignis
in der Zukunft zu "beweisen", nämlich dass man im Falle der Abschiebung
"mit hoher Wahrscheinlichkeit" große Gefahr läuft, Opfer einer besonders
schwer wiegenden Menschenrechtsverletzung zu werden.
Auch wenn dieser internationale, komplementäre Flüchtlingsschutz vielleicht
zunächst einmal das Leben bedrohter Personen retten kann, ist damit nur
der erste wichtige Schritt getan. Denn anstelle der Abschiebung gibt es
in vielen europäischen Ländern einen nur vorübergehenden Schutz, der jederzeit
beendet werden kann. Während dieser Zeit werden Flüchtlinge nur "geduldet",
befinden sich also in einem völlig rechtlosen Zustand. So wie Ahmed, der
1998 von Österreich nach Somalia abgeschoben werden sollte, wo ihm Verfolgung
drohte.9 Aufgrund eines Urteils des EGMR wurde zwar Ahmeds Abschiebung
ausgesetzt, es wurde ihm aber weder ein Aufenthaltsrecht gewährt noch
eine Arbeits- oder Wohnerlaubnis erteilt. Obdachlos und verzweifelt beging
er wenig später auf dem Grazer Platz der Menschenrechte Selbstmord.
Abschiebungen und "Sicherheitsmaßnahmen" im Zusammenhang damit bedrohen
und verletzen oft die Menschenrechte der rechtlich am wenigsten geschützten
Menschen in Europa. Internationale Institutionen spielen eine wichtige
Rolle dabei, die repressive Einwanderungspolitik von Nationalstaaten auf
die Einhaltung der Menschenrechte hin zu überwachen. Ihr Handlungsspielraum
ist jedoch begrenzt und kann nicht nationale Bemühungen in Politik und
Zivilgesellschaft um eine humane Einwanderungspolitik ersetzen. Da eine
Gesellschaft v.a. danach bewertet werden sollte, wie sie ihre schwächsten
Mitglieder behandelt, müssen sich europäische Staaten auch in Asylfragen
stärker an internationalen Menschenrechtsstandards orientieren.
Katharina Röhl hat Philosophie, Politik- und Wirtschaftswissenschaften
(BA) und Völkerrecht und Menschenrechte (MA) studiert. Sie engagiert sich
in der Asylgruppe von Amnesty International in Berlin.
Anmerkungen:
1 http://www.hrw.org/reports/2003/netherlands0403/.
2 http://www.cpt.coe.int/en/.
3 http://www.ggua.de/.
4 http://www.bmi.bund.de/dokumente/Bestellservice/ix_95217.htm.
5 H.L.R. v. France, EGMR.
6 Chahal v. UK. Alle Fälle des EGMR können unter www.echr.coe.int/Eng/Judgments.htm
eingesehen werden.
7 D. v. UK, EGMR.
8 Bensaid v. UK, EGMR.
9 Ahmed v. Austria, EGMR.
|
|