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  Katharina Röhl   Forum Recht Home

 

Abschiebung - eine Menschenrechtsfrage   Heft 4/2004
unmenschlich -
Migrationspolitik

Seite 112
 
 

Ungefähr 30.000 Menschen werden jährlich aus Deutschland abgeschoben. Von ihrem Schicksal erfährt die deutsche Öffentlichkeit fast nichts. Dabei werden Abschiebungen gleichzeitig mit der verstärkten Abschottung der "Festung Europa" immer mehr zum zentralen Bestandteil europäischer Einwanderungspolitik. Tony Blairs Labour-Regierung setzt sich seit 2000 jährlich ein höheres Ziel für die Zahl der Menschen, die aus Großbritannien deportiert werden sollen, und auch die niederländische Regierung verkündete im März diesen Jahres, bis zu 26.000 Menschen, deren Asylverfahren gescheitert ist, ausweisen zu wollen - u.a. nach Afghanistan, Somalia und Tschetschenien.1 Wie auch in der deutschen Abschiebepraxis befinden sich unter den Betroffenen auch Kinder und viele Personen, die schon seit Jahren oder Jahrzehnten in Europa leben oder hier aufgewachsen sind. Um Abschiebungen reibungslos durchzuführen, werden sie vorher oft monatelang, in einigen europäischen Ländern sogar mehrere Jahre, in Gefängnissen festgehalten, deren Haftbedingungen das Europäische Komitee zur Verhinderung von Folter regelmäßig als menschenunwürdig einschätzt.2
Gelegentlich wird bekannt, dass Flüchtlinge, deren Asylgründe in Europa nicht anerkannt wurden, nach ihrer Abschiebung in ihrem Heimatland erneut verfolgt oder sogar gefoltert wurden. Meist aber bleiben die Folgen von Abschiebungen unbekannt und niemand wird für die Bedrohung von Leben und Freiheit dieser Menschen zur Verantwortung gezogen.
Die Frage, ob es möglich ist, jemanden gegen seinen Willen auf menschliche Art und Weise außer Landes zu bringen, ist aber nicht nur eine moralische, sondern auch eine juristische. Denn auch die Würde von AusländerInnen ist unantastbar.

Wer wird abgeschoben?

Abgeschoben werden sollen v.a. "Illegale", also Menschen, die ohne Aufenthaltserlaubnis in Europa leben. Davon gibt es in der Bundesrepublik zurzeit schätzungsweise über eine Million.3 "Illegal" ist, wer ohne aufenthaltsberechtigende Papiere eingereist ist oder nach Ablauf des Visums oder Aufhebung des Flüchtlingsstatus nicht umgehend das Land verlässt.
Aber auch Drogenkonsum, Straffälligkeit sowie längerfristige Obdachlosigkeit können nach dem neuen Zuwanderungsgesetz4 als Abschiebungsgründe gelten. Auch wer "die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet", kann gezwungen werden, Deutschland zu verlassen. Generell fragt sich, ob es angemessen ist, eine Person wegen dieser Art von Zuwiderhandlungen in ein Land zu schicken, in dem ihr möglicherweise Krieg, Verfolgung oder extreme Armut drohen. Vage Formulierungen im Gesetzestext ermöglichen Missbrauch, v.a. bei der Berufung auf Terrorismus-Verdacht: AusländerInnen sollen ausgewiesen werden, wenn "Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen" dass sie einer terroristischen Vereinigung angehören. Es müssen also weder Beweise vorliegen, noch ist definiert, wann eine Vereinigung als "terroristisch" gilt.

Abschiebungshindernisse

Wer plausibel machen kann, dass ihr/ihm nach einer Abschiebung Folter, Todesstrafe oder eine andere "Gefahr für Leib und Leben" drohen, kann auf die Aussetzung der Abschiebung hoffen, solange diese Gefahr akut und stichhaltig bewiesen ist. Entgegen der Bemühungen des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen liegt die Beweislast für eine bestehende Bedrohung im Herkunftsland in der Praxis fast ausschließlich bei den Flüchtlingen. Asylverfahren scheitern allzu oft daran, dass RichterInnen den Schilderungen Asylsuchender trotz gut dokumentierter Menschenrechtsverletzungen in ihrem Herkunftsland keinen Glauben schenken wollen. So z.B. im Falle eines Syrers, der aus Deutschland abgeschoben werden soll, da es ihm nicht gelang, das Gericht davon zu überzeugen, dass ein Mensch in Syrien aufgrund bloßen Sympathisantentums zur als terroristisch geltenden Kurdischen Arbeiterpartei PKK verhaftet und gefoltert werden kann. Immer wieder scheitern auch Menschen aus Kolumbien daran, vor europäischen Gerichten zu beweisen, dass ihr Leib und Leben von den in Kolumbien üblichen tödlichen Racheakten der Drogenmafia oder der Paramilitärs für Zeugenaussagen bedroht ist.5

Darf Europa abschieben?

Das Recht souveräner Staaten, ihre Grenzen zu kontrollieren und damit auch unwillkommenen AusländerInnen die Einreise zu verweigern, war schon immer ein weit gehend unangefochtener Bestandteil des Völkerrechts. Als logische Folge müssten Staaten also auch das Recht haben, diejenigen, die ohne ihre Zustimmung eingereist sind, wieder zu entfernen - notfalls unter Anwendung staatlicher Gewalt.
Aber alle EU-Staaten und weitere 23 europäische Staaten haben die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet, die meisten zudem den Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte und die Anti-Folterkonvention der Vereinten Nationen. Wie bei allen menschenrechtlichen Verträgen geht es hierbei um den Schutz der Menschenwürde. Wer den innerstaatlichen Rechtsweg erfolglos ausgeschöpft hat, aber der Meinung ist, dass durch eine Abschiebung seine in diesen Verträgen enthaltenen Menschenrechte verletzt werden, kann sich, unabhängig von Staatsbürgerschaft oder rechtlichem Status, an den UN-Menschenrechtsausschuss oder das Anti-Folterkomitee in Genf bzw. an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) in Straßburg wenden.

Internationaler Abschiebungsschutz

Besonders relevant bei Abschiebungen ist das in all diesen Verträgen enthaltene Recht auf Schutz vor Folter und unmenschlicher Behandlung. Wie die Rechtssprechung des EGMR zeigt, ist dieser Schutz absolut. Wenn also die Gefahr besteht, dass ein Mensch als Folge einer Abschiebung in einem anderen Land unmenschlich behandelt wird, ist der abschiebende europäische Staat dafür verantwortlich, auch wenn sich die schrecklichen Ereignisse ganz woanders zutragen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die/der Betroffene sich legal oder illegal in Europa aufhält, straffällig wurde, oder ob es gar eine "tatsachengestützte Prognose" gibt, laut derer von der abzuschiebenden Person eine "terroristische Gefahr" ausgeht.6

Auch im neuen Zuwanderungsgesetz sind drohende Folter und Todesstrafe im Herkunftsland als Abschiebungshindernisse aufgeführt. Der deutsche Rechtsstaat möchte sich hier nichts zuschulden kommen lassen. Zusätzliche internationale Schutzmechanismen werden aber v.a. dann relevant, wenn deutsche RichterInnen bis hin zum Bundesverfassungsgericht die Glaubwürdigkeit der Schilderungen von Bedrohten anzweifeln.
Außerdem verbieten internationale und europäische Menschenrechtskonventionen nicht nur Folter, sondern auch "unmenschliche", "grausame" oder "entwürdigende" Behandlung. Für den EGMR ist dabei irrelevant, ob diese Behandlung im Herkunftsland von staatlichen Behörden ausgeht oder von Dritten, wenn der Staat nicht in der Lage ist, Verfolgten den nötigen Schutz zu bieten. In einem außergewöhnlichen Fall, D. v. UK, entschieden die Straßburger RichterInnen sogar, dass auch angesichts unmenschlicher Verhältnisse im Herkunftsland, die von niemandem direkt verursacht wurden, eine Abschiebung menschenrechtswidrig wäre.7 D. war ein schwer kranker AIDS-Patient, der in seinen Heimatstaat St. Kitts and Nevis abgeschoben werden sollte. Da auf der Karibikinsel aber weder die für D. nötigen Medikamente vorhanden waren, noch ihm Geld oder die Unterstützung von Familienmitgliedern zur Verfügung standen und er demnach dort obdachlos und in extremer Armut gelebt hätte, entschied der EGMR, dass Großbritannien gegen das Verbot unmenschlicher Behandlung verstoßen würde und ihn daher nicht abschieben dürfe.
In ähnlichen, etwas weniger schwer wiegenden Fällen beharrte der EGMR allerdings darauf, dass die Schwelle für Menschenrechtsverletzungen unter dem Folterverbot hoch angelegt sei. Eine bloße Verschlechterung der Situation für den/die AsylbewerberIn reiche nicht aus, um eine Abschiebung zu verhindern. So fanden die RichterInnen, dass es einem in London lebenden Algerier zugemutet werden könne, mit einer schweren psychischen Krankheit nach seiner Abschiebung in Algerien regelmäßig 75 Kilometer mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch ein Krisengebiet zum nächsten Krankenhaus zu fahren, um sich die für ihn lebensnotwendigen Medikamente aushändigen zu lassen.8

Chancen und Grenzen

Wenn auch internationale Institutionen nur wenigen Personen direkt zu ihrem Recht auf menschliche Behandlung verhelfen, so bleibt die Hoffnung, dass die Präzedenzfälle sich positiv auf nationale Rechtssprechungen auswirken. Gleichzeitig funktioniert ein internationales Menschenrechtsverfahren auch durch den Druck der Öffentlichkeit: Kein Staat steht gern als Verletzter der Menschenrechte im Rampenlicht. So haben sich in mehreren Fällen Staaten während eines laufenden Verfahrens vor dem EGMR gütlich mit AsylbewerberInnen geeinigt: Die Flüchtlinge bekamen einen Aufenthaltsstatus und das Verfahren wurde eingestellt.
Natürlich haben die meisten erfolglosen AsylbewerberInnen weder die Mittel noch die Kenntnis, um den langen Klageweg nach Genf oder Straßburg zu nehmen. Und auch nur in wenigen Fällen wurde von diesen Menschenrechtsinstitutionen im Interesse der AsylbewerberInnen entschieden. Das liegt v.a. daran, dass es extrem schwierig ist, juristisch möglichst stichhaltig ein Ereignis in der Zukunft zu "beweisen", nämlich dass man im Falle der Abschiebung "mit hoher Wahrscheinlichkeit" große Gefahr läuft, Opfer einer besonders schwer wiegenden Menschenrechtsverletzung zu werden.
Auch wenn dieser internationale, komplementäre Flüchtlingsschutz vielleicht zunächst einmal das Leben bedrohter Personen retten kann, ist damit nur der erste wichtige Schritt getan. Denn anstelle der Abschiebung gibt es in vielen europäischen Ländern einen nur vorübergehenden Schutz, der jederzeit beendet werden kann. Während dieser Zeit werden Flüchtlinge nur "geduldet", befinden sich also in einem völlig rechtlosen Zustand. So wie Ahmed, der 1998 von Österreich nach Somalia abgeschoben werden sollte, wo ihm Verfolgung drohte.9 Aufgrund eines Urteils des EGMR wurde zwar Ahmeds Abschiebung ausgesetzt, es wurde ihm aber weder ein Aufenthaltsrecht gewährt noch eine Arbeits- oder Wohnerlaubnis erteilt. Obdachlos und verzweifelt beging er wenig später auf dem Grazer Platz der Menschenrechte Selbstmord.
Abschiebungen und "Sicherheitsmaßnahmen" im Zusammenhang damit bedrohen und verletzen oft die Menschenrechte der rechtlich am wenigsten geschützten Menschen in Europa. Internationale Institutionen spielen eine wichtige Rolle dabei, die repressive Einwanderungspolitik von Nationalstaaten auf die Einhaltung der Menschenrechte hin zu überwachen. Ihr Handlungsspielraum ist jedoch begrenzt und kann nicht nationale Bemühungen in Politik und Zivilgesellschaft um eine humane Einwanderungspolitik ersetzen. Da eine Gesellschaft v.a. danach bewertet werden sollte, wie sie ihre schwächsten Mitglieder behandelt, müssen sich europäische Staaten auch in Asylfragen stärker an internationalen Menschenrechtsstandards orientieren.

Katharina Röhl hat Philosophie, Politik- und Wirtschaftswissenschaften (BA) und Völkerrecht und Menschenrechte (MA) studiert. Sie engagiert sich in der Asylgruppe von Amnesty International in Berlin.

Anmerkungen:

1 http://www.hrw.org/reports/2003/netherlands0403/.
2 http://www.cpt.coe.int/en/.
3 http://www.ggua.de/.
4 http://www.bmi.bund.de/dokumente/Bestellservice/ix_95217.htm.
5 H.L.R. v. France, EGMR.
6 Chahal v. UK. Alle Fälle des EGMR können unter www.echr.coe.int/Eng/Judgments.htm eingesehen werden.
7 D. v. UK, EGMR.
8 Bensaid v. UK, EGMR.
9 Ahmed v. Austria, EGMR.