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Schrank der Schande
--> Nationalsozialismus. Die Art des Verbrechens kommt einen hinlänglich
bekannt vor. Die Opfer mussten sich ihre Massengräber selbst schaufeln,
ehe sie durch Kopf- oder Genickschüsse oder gar durch Sprengladungen getötet
wurden. Zuvor wurden einige von ihnen gefoltert und vergewaltigt. Innerhalb
weniger Stunden massakrierte am 14. Juli 1944 eine Wehrmachtseinheit in
der toskanischen Ortschaft San Polo 61 Menschen. Die Opfer, überwiegend
ZivilistInnen, starben aus Vergeltung für die Gefangennahme einiger deutscher
Soldaten durch italienische PartisanInnen.
Wegen einer ähnlichen Vergeltungsaktion in Genua wurde der Chef des SD
Friedrich Engel vor Gericht gestellt. Aktuell wird ein Verfahren gegen
die ehemaligen SS-Offiziere Gerhard Sommer, Ludwig Sonntag und Alfred
Schönenberg wegen des Massenmords von Sant'Anna di Stazzema geführt. Vor
allem in der Toskana und in angrenzenden Regionen sind von Wehrmachtseinheiten
insgesamt etwa 10.000 italienische ZivilistInnen getötet wurden (Forum
Recht 4/2004).
Die verspätete Strafverfolgung der Täter geht auf die Öffnung des so genannten
"Schrankes der Schande" zurück. In den fünfziger Jahren wurden 695 von
den Westalliierten angelegte Ermittlungsakten über deutsche Kriegsverbrechen
in Italien mit Rücksicht auf die Belange des westlichen Bündnispartners
in einen Aktenschrank auf unbestimmte Zeit verstaut. Erst 1994 entdeckten
Justizbeamte auf der Suche nach Beweismitteln gegen den NS-Täter Erich
Priebke die Aktenbündel. Die Auswertung macht es den Staatsanwaltschaften
möglich, diverse Verfahren gegen die noch lebenden Täter einzuleiten.
Für das Massaker in San Polo war das 274. Grenadierregiment verantwortlich.
Die Staatsanwaltschaft von La Spezia wirft den heute 90-jährigen und in
Ostholstein lebenden Klaus Konrad vor, als einer von drei Offizieren die
Exekutionen angeführt zu haben. Nachher soll er befördert und mit dem
Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden sein. Auch in der Bundesrepublik machte
der Mann Karriere. Von 1962 bis 1980 war Konrad Landtags- und später Bundestagsabgeordneter
der SPD sowie zwischenzeitlich juristischer Berater von Willy Brandt.
Unbeschadet überstand Konrad dabei Ermittlungen, die bereits Ende der
sechziger Jahre im Zusammenhang mit dem Massaker gegen ihn eingeleitet
worden waren. Die Gießener Staatsanwaltschaft, die nach den Ermittlungsergebnissen
den Fall nun an sich ziehen will, stellte das Verfahren damals wegen Verjährung
ein. Ein Umstand, der Konrad wiederholt zugute kommen könnte.
So blieb selbst Engel, der "Henker von Genua", nach einer Revisionsentscheidung
des Bundesgerichtshofes (BGH) auf freiem Fuß. Danach hätte der SS-Mann
bei der blutigen Vergeltungsaktion nicht grausam gehandelt und somit kein
Mordmerkmal erfüllt. Unterstützt wird der BGH dabei vom emeritierten Professor
für Staats- und Völkerrecht Ingo von Münch, der in seinem Buch "Geschichte
vor Gericht. Der Fall Engel" zugleich den politischen Hintergrund dieser
Rechtsprechung deutlich werden lässt. Von Münch spricht sich dagegen aus,
Kriegsverbrechen mit nationalsozialistischen Gewalttaten gleichzusetzen.
Es ginge nicht um die in der Geschichte einmalige, weil industriell betriebene
Ausrottung von Menschen, sondern es handele sich um Kriegsverbrechen,
die von den verjährbaren ungeheuerlichen Mordtaten der Nazis strikt zu
unterscheiden seien. In einem Strafverfahren, warnt von Münch, bedeute
der Vorwurf eines NS-Verbrechens, dass der Angeklagte immer auch als Akteur
der NS-Schreckensherrschaft verdammt werde. Die Tat Engels aber sei kein
NS-Verbrechen gewesen.
Tatsächlich dokumentieren gerade die Strafverfahren gegen die deutschen
Offiziere, wie eng die Wehrmacht in die Vernichtungsmaschinerie der nationalsozialistischen
Führung eingebunden war und diese auch ideologisch mittrug. Die erste
Wehrmachtsausstellung hatte seinerzeit aufgezeigt, dass die Truppen nicht
nur das Hinterland absicherten, in welchem die Vernichtungslager die Ausrottung
der europäischen Jüdinnen und Juden und der GegnerInnen des NS-Regimes
betrieben, sondern selbst mit traditionellen Kriegsmethoden mehr als ein
Drittel der Opfer des Nationalsozialismus ermordeten. Hannes Herr, der
ehemalige Leiter der Ausstellung über den Vernichtungskrieg, hat den Diskurs,
in welchem diese Zusammenhänge ausgeblendet oder bestritten werden, als
"Verschwinden der Täter" bezeichnet. Dieser Revisionismus droht nun gerichtsfest
gemacht zu werden. (str)
Germania
--> Neonazis. Die Enkel tragen ihre Schlachten vorerst vor den
Verwaltungsgerichten aus und verschaffen sich einstweilen ideologische
Grundlagen. So versucht die Kasseler Burschenschaft Germania ihre Gegnerinnen
und Gegner auf dem Campus per Gerichtsbeschluss mundtot zu machen. Auf
die Klage eines Korporierten hin verbot der Hessische Verwaltungsgerichtshof
dem AStA der Uni Kassel, weiterhin einen aufklärerischen Artikel über
das rechte Treiben deutscher Studentenverbindungen zu verbreiten. Danach
sei es "diffamierend", den Burschenschaften eine Nähe zum Rechtsextremismus
zu unterstellen.
Wie distanzlos das tatsächliche Verhältnis zwischen der Germania und den
Nazis ist, zeigte sich Ende November auf einen "burschenschaftlichen Abend"
im Verbindungshaus der als gemeinnützig anerkannten Korporation. Zu einem
Vortrag über den "Germanischen Glauben in unserer Zeit" war der Hamburger
Anwalt Jürgen Rieger geladen, der als Strafverteidiger militanter Neonazis
und Organisator des alljährlichen "Gedenkmarsches" für den Hitler-Stellvertreter
Rudolf Heß bundesweit bekannt ist. Eine solche Veranstaltung, in der Rieger
NS-Verbrechen geleugnet und zur Gewalt gegen MigrantInnen aufgerufen haben
soll, wird keine Ausnahme gewesen sein. So gab bereits der neonazistische
Liedermacher Frank Rennicke seine völkischen Schmonzetten vor den Burschen
zum Besten. Und regelmäßig wirbt die Germania in Publikationen wie Junge
Freiheit und Nation und Europa mit Anzeigen um neue Mitglieder. Fraglich
bleibt also am Ende, ob es als diffamierend empfunden wurde, dass der
AStA nur vor eine Nähe und nicht vor einer Eingebundenheit der Burschenhaft
in rechtsextreme Kreise gewarnt hat.
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