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"Juristische Grundlagenforschung ist eine besondere Abteilung innerhalb
der Wissenschaft vom transzendentalen Unsinn."1
Grundlagen finden alle gut. Es gibt wohl niemanden, der bzw. die im politischen
oder geschweige denn im juristischen Diskurs nicht bereit wäre, sich sofort
vorbehaltlos zum essentiellen Stellenwert juristischer Grundlagenfächer
wie der Rechtsgeschichte oder der Rechtsphilosophie zu bekennen. Vor allem
den wertvollen Beitrag für die juristische Ausbildung betont jede(r) gerne.
Wenn dann, allen Sonntagsreden zum Trotz, die Grundlagen an den Universitäten
zusammengestrichen werden sollen, formieren sich in schöner Regelmäßigkeit
die VertreterInnen der so "gebeutelten" Disziplinen zum Bollwerk, um dem
drohenden curricularen Exitus zu entgehen. Es werden dann wieder einmal
die Grundlagen als intellektuelle Unerlässlichkeit den dogmatischen Fächern
angedient.
Dabei gibt es sie eigentlich gar nicht, "die Grundlagen". Denn nur von
Außen wirken "Grundlagen" als monolithischer Block, angetreten gegen die
bösen Dogmatiker. Tatsächlich besteht eine enorme Vielfalt, weniger höflich
ausgedrückt: Eine erhebliche Uneinigkeit, was Grundlagen waren, sind und
sein sollen. Wie soll sie auch gehen, die Einigkeit zwischen Luhmann und
Habermas, Alexy und Derrida, zwischen Schmitt und Kelsen, Savigny und
Kantorowicz, Windscheid und Gierke, Hegel und Kant? Innerhalb der jeweiligen
Disziplinen kann man sich jedenfalls bis heute nicht einigen, nicht einmal
auf ein einheitliches Forschungsprogramm.2
Die Präsentation von Grundlagen als sättigende Kulturnahrung für magere
Dogmatik mag Festreden-geeignet sein, aber in Wahrheit bieten Grundlagen
nichts von alledem - statt mehr Sicherheit weniger Sicherheit, statt philosophischem
Überbau ein Dutzend divergierender philosophischer Vorverständnisse, statt
metaphysischer Unterfütterung diesseitiger Rechtsentscheidungen metaphysik-zerstörerische
Angriffe auf "Richtiges Recht" und "Richtige Rechtsfindung", statt Antworten
(fast) nur Fragen. Es ist ihr eigentlicher, bedeutender Wert für eine
Rechtswissenschaft, die sich in den Gesetzes- und Rechtsprechungsfluten
zunehmend an die trügerische Sicherheit einer unkritischen Dogmatik zu
klammern scheint.
Dann aber erzählt schon der Begriff Grundlagen viel von den Lebenslügen
der Jurisprudenz: Ganz so als gäbe es eine von historischen oder theoretischen
Einstellungen an sich unabhängige Dogmatik und dann eine jeweils an den
philosophischen Fundamenten und Spitzen sich delektierende Grundlagenforschung.
Eine grundlagen-lose Jurisprudenz gibt es aber nicht. Insofern ist alles
Grundlagenfach, in dem einem Fall nur reflektiert und im anderen nicht.
Eben das meinte Felix Cohen mit seinem provokanten Satz vom Anfang: Dass
nämlich die Jurisprudenz angefüllt ist mit Erwägungen, die sie nicht reflektiert
und die daher transzendentaler Unfug sind - und dass Grundlagenforschung
ihren Namen nur verdient, wenn sie diesen Unfug abträgt, nicht wenn sie
ihn stützt.
Fragen statt Antworten
Insofern ist das Grundlagen-Etikett viel weniger schmeichelhaft als man
gerne denkt. Die großen Wirtschaftskanzleien jedenfalls rufen bemerkenswerter
Weise gerade nicht nach mehr Wissen, mehr Details, oder gar mehr dogmatischen
Kenntnissen, sondern nach mehr Grundlagen - in einer Stellungnahme von
zahlreichen international tätigen Sozietäten3 träumt man einmütig nicht
nur von mehr Grundlagen, sondern eindeutig von einem reinen Grundlagen-Studium
wie in den USA, das dann erheblich kürzer wäre. Die eigentlichen juristischen
Detailkenntnisse würden dann von den Kanzleien selbst vermittelt - das
tun sie ja heute schon, mit fast 30-jährigen JunganwältInnen. Die "Praxis"
ist also auch heute nicht der Gegner eines reinen Grundlagen-Studiums.
Es sind dies wohl mehr die DogmatikerInnen selbst, die sich, von wenigen
aber wichtigen Ausnahmen abgesehen, eingerichtet haben in einer keimfreien
Dogmen-Bibliothek, in der endlose Bandreihen an Entscheidungssammlungen,
Urteilsrezensionen und Kommentarliteratur schlichtweg keine Zeit mehr
lassen für die Frage nach dem Warum.
Richtig verstandene "Grundlagen" sind so mit ihrem immer dekonstruierenden,
Zweifel erzeugenden Potential vor allem eine latente Beunruhigung - und
die Chance, endlich das Projekt einer "kritischen" Rechtswissenschaft
umzusetzen, das zumindest als Bekenntnis zur Ausbildung "kritischer Juristen
und Juristinnen" in einigen Landesausbildungsgesetzen steht. Denn Kritik
ist nur durch Gewinnung eines Beobachterstandpunktes möglich. Rechtsgeschichte
und Rechtstheorie, aber auch Rechtsvergleichung, Rechtssoziologie und
Rechtsökonomie bieten dazu zahlreiche Möglichkeiten. Dann hätten wir eines
Tages vielleicht wirklich ein Studium der Wissenschaft vom Recht statt
nur des Rechts, das von kommerziellen Repetitoren intravenös verabreicht
wird. Vielleicht würden dann JurastudentInnen Rechtswissenschaft nicht
mehr als apodiktischen Austausch von Bekenntnissen und Vor-Urteilen, als
zynische Simulation von Meinungsstreiten erleben, sondern Anteil nehmen
an sich und den sich stellenden Rechts-Problemen - und vielleicht sogar
Freude empfinden an ihrem Studium, weil es Ihnen mehr beigebracht hat
als Recht.
Viktor Winkler promoviert in Frankfurt am Main
Anmerkungen
1 Cohen, Felix S., Transcendental Nonsense and the Functional Approach,
in: Columbia Law Review, 1935, 809 [Übers. v. Verf.].
2 Siehe nur für die Rechtsgeschichte die Beiträge in: Eckert, Jörn (Hrsg.),
Der praktische Nutzen der Rechtsgeschichte, 2003 und dazu die Besprechung
von Cordes, Albrecht, in: Freiburger Universitätsblätter 2003,
99f.
3 Vgl. in: Wurmstein, Corinna / Pfeiffer, Roland (Hrsg.), Juristenausbildung
- weiter so!?, 1998.
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