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Wozu Grundlagen?   Heft 2/2005
mehr Theorie wagen
Ansätze der Rechtskritik

Seite 48
 
 

"Juristische Grundlagenforschung ist eine besondere Abteilung innerhalb der Wissenschaft vom transzendentalen Unsinn."1

Grundlagen finden alle gut. Es gibt wohl niemanden, der bzw. die im politischen oder geschweige denn im juristischen Diskurs nicht bereit wäre, sich sofort vorbehaltlos zum essentiellen Stellenwert juristischer Grundlagenfächer wie der Rechtsgeschichte oder der Rechtsphilosophie zu bekennen. Vor allem den wertvollen Beitrag für die juristische Ausbildung betont jede(r) gerne. Wenn dann, allen Sonntagsreden zum Trotz, die Grundlagen an den Universitäten zusammengestrichen werden sollen, formieren sich in schöner Regelmäßigkeit die VertreterInnen der so "gebeutelten" Disziplinen zum Bollwerk, um dem drohenden curricularen Exitus zu entgehen. Es werden dann wieder einmal die Grundlagen als intellektuelle Unerlässlichkeit den dogmatischen Fächern angedient.
Dabei gibt es sie eigentlich gar nicht, "die Grundlagen". Denn nur von Außen wirken "Grundlagen" als monolithischer Block, angetreten gegen die bösen Dogmatiker. Tatsächlich besteht eine enorme Vielfalt, weniger höflich ausgedrückt: Eine erhebliche Uneinigkeit, was Grundlagen waren, sind und sein sollen. Wie soll sie auch gehen, die Einigkeit zwischen Luhmann und Habermas, Alexy und Derrida, zwischen Schmitt und Kelsen, Savigny und Kantorowicz, Windscheid und Gierke, Hegel und Kant? Innerhalb der jeweiligen Disziplinen kann man sich jedenfalls bis heute nicht einigen, nicht einmal auf ein einheitliches Forschungsprogramm.2
Die Präsentation von Grundlagen als sättigende Kulturnahrung für magere Dogmatik mag Festreden-geeignet sein, aber in Wahrheit bieten Grundlagen nichts von alledem - statt mehr Sicherheit weniger Sicherheit, statt philosophischem Überbau ein Dutzend divergierender philosophischer Vorverständnisse, statt metaphysischer Unterfütterung diesseitiger Rechtsentscheidungen metaphysik-zerstörerische Angriffe auf "Richtiges Recht" und "Richtige Rechtsfindung", statt Antworten (fast) nur Fragen. Es ist ihr eigentlicher, bedeutender Wert für eine Rechtswissenschaft, die sich in den Gesetzes- und Rechtsprechungsfluten zunehmend an die trügerische Sicherheit einer unkritischen Dogmatik zu klammern scheint.
Dann aber erzählt schon der Begriff Grundlagen viel von den Lebenslügen der Jurisprudenz: Ganz so als gäbe es eine von historischen oder theoretischen Einstellungen an sich unabhängige Dogmatik und dann eine jeweils an den philosophischen Fundamenten und Spitzen sich delektierende Grundlagenforschung. Eine grundlagen-lose Jurisprudenz gibt es aber nicht. Insofern ist alles Grundlagenfach, in dem einem Fall nur reflektiert und im anderen nicht. Eben das meinte Felix Cohen mit seinem provokanten Satz vom Anfang: Dass nämlich die Jurisprudenz angefüllt ist mit Erwägungen, die sie nicht reflektiert und die daher transzendentaler Unfug sind - und dass Grundlagenforschung ihren Namen nur verdient, wenn sie diesen Unfug abträgt, nicht wenn sie ihn stützt.

Fragen statt Antworten

Insofern ist das Grundlagen-Etikett viel weniger schmeichelhaft als man gerne denkt. Die großen Wirtschaftskanzleien jedenfalls rufen bemerkenswerter Weise gerade nicht nach mehr Wissen, mehr Details, oder gar mehr dogmatischen Kenntnissen, sondern nach mehr Grundlagen - in einer Stellungnahme von zahlreichen international tätigen Sozietäten3 träumt man einmütig nicht nur von mehr Grundlagen, sondern eindeutig von einem reinen Grundlagen-Studium wie in den USA, das dann erheblich kürzer wäre. Die eigentlichen juristischen Detailkenntnisse würden dann von den Kanzleien selbst vermittelt - das tun sie ja heute schon, mit fast 30-jährigen JunganwältInnen. Die "Praxis" ist also auch heute nicht der Gegner eines reinen Grundlagen-Studiums. Es sind dies wohl mehr die DogmatikerInnen selbst, die sich, von wenigen aber wichtigen Ausnahmen abgesehen, eingerichtet haben in einer keimfreien Dogmen-Bibliothek, in der endlose Bandreihen an Entscheidungssammlungen, Urteilsrezensionen und Kommentarliteratur schlichtweg keine Zeit mehr lassen für die Frage nach dem Warum.
Richtig verstandene "Grundlagen" sind so mit ihrem immer dekonstruierenden, Zweifel erzeugenden Potential vor allem eine latente Beunruhigung - und die Chance, endlich das Projekt einer "kritischen" Rechtswissenschaft umzusetzen, das zumindest als Bekenntnis zur Ausbildung "kritischer Juristen und Juristinnen" in einigen Landesausbildungsgesetzen steht. Denn Kritik ist nur durch Gewinnung eines Beobachterstandpunktes möglich. Rechtsgeschichte und Rechtstheorie, aber auch Rechtsvergleichung, Rechtssoziologie und Rechtsökonomie bieten dazu zahlreiche Möglichkeiten. Dann hätten wir eines Tages vielleicht wirklich ein Studium der Wissenschaft vom Recht statt nur des Rechts, das von kommerziellen Repetitoren intravenös verabreicht wird. Vielleicht würden dann JurastudentInnen Rechtswissenschaft nicht mehr als apodiktischen Austausch von Bekenntnissen und Vor-Urteilen, als zynische Simulation von Meinungsstreiten erleben, sondern Anteil nehmen an sich und den sich stellenden Rechts-Problemen - und vielleicht sogar Freude empfinden an ihrem Studium, weil es Ihnen mehr beigebracht hat als Recht.

Viktor Winkler promoviert in Frankfurt am Main

Anmerkungen

1 Cohen, Felix S., Transcendental Nonsense and the Functional Approach, in: Columbia Law Review, 1935, 809 [Übers. v. Verf.].
2 Siehe nur für die Rechtsgeschichte die Beiträge in: Eckert, Jörn (Hrsg.), Der praktische Nutzen der Rechtsgeschichte, 2003 und dazu die Besprechung von Cordes, Albrecht, in: Freiburger Universitätsblätter 2003, 99f.
3 Vgl. in: Wurmstein, Corinna / Pfeiffer, Roland (Hrsg.), Juristenausbildung - weiter so!?, 1998.