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Am Ende steht der Verwahrvollzug   Heft 3/2005
Hartz fear

Seite 84-87
 
 

Bundesweit sitzen in insgesamt 204 Strafanstalten 81.166 Gefangene ein, davon sind 4.152 Frauen und 7.021 Jugendliche. 4.051 Menschen sitzen eine sog. Ersatzfreiheitsstrafe ab,1 sind also im Gefängnis, weil sie eine verhängte Geldstrafe nicht zahlen konnten oder wollten.

Konzept des "Wegsperrens"

Diese hohen Zahlen beruhen auf dem von nahezu allen Bundesländern favorisierten konservativen Konzept des "Wegsperrens". Dieses betrifft jedoch nicht nur die Quantität der Gefangenen, sondern auch die Qualität des Vollzugs: Von den 81.166 Gefangenen befinden sich nur 10.878 im offenen Vollzug und das, obwohl ein nicht geringer Anteil der Strafgefangenen lediglich eine Freiheitsstrafe von bis einschließlich einem Jahr verbüßt.2
Diese Praxis ist in mehrfacher Hinsicht bedenklich. Sie widerspricht neben dem vom Gesetzgeber in § 2 Satz 1 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) normierten Gedanken der Resozialisierung auch den zahlreichen kriminologischen Forschungsergebnissen, die belegen, dass ein Gefängnisaufenthalt in der Mehrzahl der Fälle gerade nicht dazu führt, dass die Betroffenen keine weiteren Straftaten begehen. Vielmehr wird durch die mit einem Gefängnisaufenthalt einhergehende Stigmatisierung der Betroffenen sowie den Verlust von Wohnung, Arbeitsplatz und sozialen Beziehungen eine "kriminelle" Entwicklung gefördert.3 Zu diesem Ergebnis kommt auch eine vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebene Statistik, deren Ergebnisse seit Februar 2004 vorliegen. Demnach ist die geringste Rückfallquote (30 %) bei denjenigen zu verzeichnen, die lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt wurden - während die Rückfallrate derjenigen, die zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurden, mit 56 % die höchste darstellt (bei zu einer Bewährungsstrafe Verurteilten betrug die Rückfallquote 45 %). 4
Verschärfend kommt die Überbelegung der Haftanstalten hinzu. Auf die o.g. 81.166 Gefangenen kommen gerade mal 79.204 Haftplätze. Berücksichtigt man hierbei, dass die Haftanstalten grundsätzlich wegen der Dispositionsreserve ab einer Auslastung von 90 % als überbelegt gelten, heißt das in der Konsequenz, dass jede/r achte Gefangene in einer überbelegten Zelle lebt. Die gegenwärtige Praxis der Doppel- und Mehrfachbelegung von zu kleinen Zellen, in denen sich das Klo in der Regel innerhalb des Haftraums befindet, stellt jedenfalls einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar und ist gemäß der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts5 rechtswidrig.

Armut als Ursache von Kriminalität

Gänzlich ausgeblendet wird, dass die (Über-)Belegung der Gefängnisse auch unmittelbarer Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse ist. Ein Großteil derer, die in bundesdeutschen Gefängnissen ihre Strafe absitzen, sind nicht etwa Menschen, die wegen besonders schwerer Delikte wie Mord (4.613 Gefangene), Kindesmissbrauch (4.481 Gefangene) etc. verurteilt wurden, sondern überwiegend diejenigen, die durch die vorherrschende kapitalistische Verwertungslogik vom gesamtgesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen sind. Darauf lässt jedenfalls die Tatsache schließen, dass die Anzahl derer, die aufgrund von Eigentumsdelikten (Diebstahl und Raub) einsitzen, mit insgesamt 22.223 Gefangenen die mit Abstand größte Gruppe in bundesdeutschen Haftanstalten darstellt.6 Auch die soziale Struktur in den Gefängnissen deutet auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Armut und Kriminalität hin: 73 % der Gefangenen waren vor ihrem Gefängnisaufenthalt arbeitslos, 62 % lebten von Arbeitslosengeld/-hilfe oder Sozialhilfe, rund 46 % hatten keinen Schulabschluss.7 Neben der Kritik des Verwahrvollzugs ist also zu bedenken, dass in erheblichem Maße Personen einsitzen, hinsichtlich derer schon die Notwendigkeit und Angemessenheit eines resozialisierenden Vollzugs fraglich ist, da bestimmender Faktor für das kriminelle Verhalten kein behandelbarer persönlicher "Defekt" sondern die soziale Situation ist.
Dass die gegenwärtige Entwicklung in der BRD nicht darauf hoffen lässt, dass die Anzahl derer, die zur Erreichung eines besseren Lebensstandards zu illegalen Mitteln greifen, zukünftig abnehmen wird, zeigt u.a. der von der Bundesregierung Anfang März 2005 vorgelegte Armutsbericht. Demnach ist der Anteil der unter der Armutsgrenze lebenden Menschen von 1998 bis 2003 von 12,1 auf 13,5 % gestiegen. Von den Familien sind sogar 13,9 % verarmt. Damit gelten mehr als elf Millionen BundesbürgerInnen als arm. Gleichzeitig nahm der Besitzanteil der Reichsten im Lande am Gesamtvermögen zu. Während die unteren 50 % der Haushalte weniger als 4 % des gesamten Nettovermögens besitzen, haben die reichsten 10 % der Haushalte knapp 47 %.8
Insofern ist eine effektive Bekämpfung von Kriminalität aus politischer Perspektive nur dann möglich, wenn deren Ursachen, nämlich unter anderem die ungerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und die umfangreiche Kriminalisierung und Verfolgung von einfachster Eigentumskriminalität, wenn schon nicht beseitigt, so zumindest auf ein Minimum zurückgedrängt werden. Aus juristischer Sicht ist es erforderlich, die vorhandenen Sanktionsmöglichkeiten außerhalb des Freiheitsentzuges konsequent zu nutzen und - wenn die Schwere der Straftat dem entgegensteht - den Vollzug jedenfalls auf die Resozialisierung der/des Gefangenen auszurichten, wie es im Übrigen auch das Gesetz vorsieht.
Von Lösungsansätzen dieser Art wollen die HardlinerInnen der "law and order"-Politik selbstredend nichts wissen. Vielmehr ist insgesamt eine grundlegende Abkehr vom Behandlungs- bzw. Resozialisierungsvollzug zu sehen.9

Luxusurlaub und Modernisierung

So auch in der Freien und Hansestadt Hamburg: Seit dem Amtsantritt von Justizsenator Roger Kusch (CDU) am 31.10.2001 gehört die Praxis des vergleichsweise liberalen Strafvollzugs der Vergangenheit an. Kusch hatte von Anfang an keine Zweifel über seine Vorstellungen von Strafvollzug gelassen. Mit propagandistischen Aussprüchen wie "Haft darf kein Luxusurlaub sein. Haft muss wieder als Haft spürbar sein!"10 und "Für mich ist der geschlossene Vollzug die Regel, nicht der offene"11 machte der amtierende Justizsenator klar, dass unter seiner Leitung fortan nicht mehr die verfassungsrechtlichen12 und gesetzlichen Vorgaben (§ 2 StVollzG) der Resozialisierung als erstes Vollzugsziel gelten sollen, sondern statt dessen der Verwahrvollzug im Vordergrund steht.13
Anstatt also den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung auszurichten, worauf der/die Gefangene einen aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz folgenden grundrechtlichen Anspruch hat,14 setzt der konservative Justizsenator auf US-amerikanische Verhältnisse. Im Interesse der Modernisierung des Hamburger Strafvollzugs machte sich Kusch im August 2002 gar auf den weiten Weg nach Phoenix (US-Bundesstaat Arizona), um sich dort von Sheriff Joe Arpaio ein paar Anregungen zu holen.15 Sheriff Joe Arpaio gilt als der "härteste Sheriff der USA", weil er seine Gefangenen in rosa Unterwäsche hält, diese aus Schweinetrögen essen lässt und sie zudem in unmittelbarer Nähe zu Müllhalden unterbringt, damit diese "gleich wissen wo sie hingehören".16
Dass Verhältnisse wie in Arizona - jedenfalls die Rechte der Gefangenen betreffend - durchaus Vorbildcharakter für den Hamburger Strafvollzug haben können, machte Kusch dann auch im Zuge seines Modernisierungsprojektes unmissverständlich deutlich. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit wurden konsequent alle Spritzenautomaten in Hamburger Haftanstalten abgebaut und die Ausgabe von sterilen Spritzen durch MitarbeiterInnen der jeweiligen Vollzugsanstalt eingestellt. Drogenabhängige Gefangene erhalten seitdem nur noch für die Dauer eines Entzuges Methadon - wer rückfällig wird, wird mit Fernseh- oder Radioentzug, Besuchsbeschränkungen und sogar Arrest bestraft.17 Folge dieser repressiven Drogenpolitik im Strafvollzug ist, "dass nun wieder vermehrt eine Suchtbefriedigung im Haus zu beobachten ist", wie der Sprecher der Insassenvertretung, Sven Born, in einem offenen Brief schreibt.18
Mit diesem offenen Brief hatten sich die Gefangenen der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel, Haus II (Santa Fu) im August 2003 an die Öffentlichkeit gewandt, um auf die Verschlechterung ihrer Haftbedingungen aufmerksam zu machen. Kritisiert wurde neben der restriktiven Drogenpolitik die Streichung von Besuchstagen, die Kürzung der Hausarbeiterlöhne um 20 %, verlängerte Einschlusszeiten, die unverhältnismäßige Einschränkung der Telefonierzeiten, die von Kusch verfassungs- und rechtswidrig wieder eingeführte Doppelbelegung von Zellen und der Wegfall der Haftplätze im offenen Vollzug durch die Inbetriebnahme der JVA Billwerder. Der Justizsenator selbst hielt es, so eine weitere Kritik der Gefangenen, trotz mehrfacher Einladung nicht für nötig, sich mit den Gefangenen auseinander zu setzen.

8-qm-Zellen, Doppelbelegung und die Menschenwürde

Ähnliche Erfahrungen mit Kuschs Ignoranz hatten knapp ein Jahr zuvor bereits die Vorsitzenden der Hamburger Strafvollstreckungskammern gemacht. Mit Bezug auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts19, die in der Doppelbelegung der 8 qm kleinen Zellen mit offenen Toiletten und ohne Entlüftung in Santa Fu einen Verstoß gegen die Menschenwürde gesehen hat, verlangten die Vorsitzenden der Hamburger Strafvollstreckungskammern in einem gemeinsamen Schreiben an den Justizsenator die Einstellung der von diesem im Februar 2002 angeordneten rechtswidrigen Praxis der Doppelbelegung. Die Kammern selbst hatten dem bereits im Wege des Eilrechtsschutzes ein Ende bereitet. Trotzdem wurde die unzulässige Doppelbelegung nun auf "freiwilliger" Basis fortgesetzt und gipfelte schließlich darin, dass der Justizsenator die Haftanstalten Anfang März 2002 in einem Schreiben anwies, keine Doppelbelegung vorzunehmen, wenn erkennbar sei, dass diese im konkreten Fall durch die Strafvollstreckungskammer wieder aufgehoben würde. Kusch sah sich aber weder genötigt, zu der von ihm getätigten Anweisung Stellung zu beziehen, noch eine Zusicherung hinsichtlich einer generellen Einstellung der rechtswidrigen Doppelbelegungspraxis abzugeben.20

Ausnahmezustand als Normalität

Im Dezember 2003 schließlich machten die Gefangenen aus Haus II in Santa Fu ihrem Unmut Luft. Anlass hierfür war, neben den schon genannten Verschlechterungen, die geplante weitere Verkürzung der Aufschlusszeiten (Möglichkeit mit anderen Gefangenen gemeinsam die Freizeit zu verbringen)21 um eine Stunde.22 Anstatt am Ende der Freizeit in ihre Zellen zurückzukehren, versammelten sich zahlreiche Gefangene auf allen Etagen in der Mitte des Hafthauses und forderten eine Rücknahme der Einschränkungen. Zwar bestreitet der Senat, im Anschluss an die Protestaktionen Strafmaßnahmen verhängt zu haben - die von ihm eingeleiteten "Sicherheitsmaßnahmen" waren jedoch im Ergebnis nichts anderes: Haus II wurde ab dem 18. Dezember 2003 komplett unter Verschluss genommen und den Gefangenen vier Tage später von der Anstaltsleitung erklärt, dass dieser Zustand bis auf weiteres andauern würde. Vermeintliche "Rädelsführer" wurden ausgemacht und in andere Anstalten verlegt. Insgesamt vier Tage gab es für die Gefangenen keine Möglichkeit zu telefonieren, BesucherInnen wurden abgewiesen und den Gefangenen das über den Einkauf für die Weihnachtstage bestellte (und bezahlte) Fleisch nicht ausgehändigt. Ferner wurde angekündigt, dass "geeigneten" Gefangenen die "Chance" eingeräumt würde, ihren Vollzug freizügiger zu gestalten,23 oder um es mit anderen Worten zu sagen: Wer seinen Protest gegen die sich stetig verschlechternden Haftbedingungen aufgibt, kann auch mit Vergünstigungen rechnen.
Wie wirkungsvoll diese Versuche der Spaltung der Gefangenenproteste im Einzelnen waren, soll hier nicht beurteilt werden. Klar ist aber, dass der Senat die Proteste der Gefangenen zum Anlass genommen hat, längst geplante Verschärfungen im Strafvollzug schneller zu verwirklichen.24 Sprich: Der Ausnahmezustand ist seit Dezember 2003 Normalzustand in Haus II der JVA Fuhlsbüttel. Nach Angaben von Gefangenen wurde dort zudem ein sog. Stufenvollzug eingeführt, was bedeutet, dass sich nur die Gefangenen, die sich durch Wohlverhalten eine höhere Stufe "verdient" haben, in den Genuss bestimmter "Privilegien" kommen. Das betrifft sowohl die Dauer der Besuchszeiten (neue Gefangene, die zwangsläufig auf Stufe eins sind, haben z.B. nur alle 14 Tage Anspruch auf 60 Minuten Besuch) als auch die Sport- und Freizeitmöglichkeiten. Weiterhin gilt: 22 1/4 Stunden Einschluss am Tag für alle Gefangenen (die nicht arbeiten); eine Stunde Hofgang am Tag; Aufschluss gerade mal eine Dreiviertelstunde täglich nach dem Abendessen, während der sich die Gefangenen ausschließlich auf ihrer Station bewegen können, sowie der Wegfall von Besuchen am Montag und Freitag.

Geschlossener Vollzug als Regelvollzug

Nicht anders dürfte sich die Lebensrealität der derzeit 419 Gefangenen in der JVA Billwerder gestalten. Die vom Vorgängersenat mit 382 Plätzen im offenen Vollzug konzipierte Anstalt25 wurde unter Leitung von Kusch kurzerhand umfunktioniert und soll nach der Fertigstellung des zweiten Bauabschnitts im Herbst 2005 insgesamt 803 Plätze des geschlossenen Vollzugs umfassen.26 Damit würden dann für die derzeit 3.027 Strafgefangenen27 in Hamburg 2.915 Haftplätze im geschlossenen Vollzug "bereitstehen"28. Im Ergebnis bleiben dann nur noch 188 Haftplätze im offenen Vollzug - Ende 2001 waren es noch 631.29 Dabei wäre für viele Gefangene der offene Strafvollzug ausreichend und auch geeigneter. Das ergibt sich schon daraus, dass etwa die Hälfte der männlichen Gefangenen eine Freiheitsstrafe von unter einem Jahr absitzt und um die 70 % nicht wegen eines Verbrechens gegen Leib und Leben verurteilt wurden. Zudem liegen Erkenntnisse vor, dass ca. 30 % der Gefangenen auch die Voraussetzungen (keine Missbrauchs- und Fluchtgefahr, § 10 Abs. 1 StVollzG) für die Verlegung in den offenen Vollzug erfüllen.30
Für den Justizsenator bieten diese Tatsachen jedoch keinen Anlass, die Gestaltung des Vollzugs nach den gesetzlichen Vorgaben auszurichten, wonach gemäß § 3 StVollzG das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit als möglich angeglichen sein soll (§ 3 Abs. 1) und schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken ist (§ 3 Abs. 2). Der Vollzug ist deshalb darauf auszurichten, dem Gefangenen zu helfen, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern (§ 3 Abs. 3). Kusch hat vielmehr an die Stelle des gesetzlichen Auftrags die kostenintensive(re) "lebensfeindliche und lebensfremde Welt des halbmilitärischen Verwahrvollzugs"31 gesetzt, was neben der strikten Reduzierung von Haftplätzen im offenen Vollzug auch an dem massiven Abbau sonstiger Vollzugslockerungen (Ausgang, Urlaub, Freigang) sowie an der im Februar 2005 erfolgten Schließung der Übergangsanstalt Moritz-Liepmann-Haus deutlich zu sehen ist.32

Schließung sozialtherapeutischer Anstalten

Aufgegeben werden sollen auch die sozialtherapeutischen Anstalten Bergedorf und Altengamme. Trotz erheblicher Kosten für den erforderlichen Umbau und massiver Kritik33 an diesen Plänen soll der sozialtherapeutische Vollzug künftig in das Haus IV der JVA Fuhlsbüttel verlegt werden.34 Mit der Schließung der drei Anstalten will der Senat nach eigenen Angaben jährlich 0,7 Mio. Euro einsparen.35 Vor dem Hintergrund, dass sich allein die Kosten zur Gebäudeunterhaltung des Neubaus Billwerder (1,4 Mio. im Jahr)36 im Verhältnis zu den Einsparungen auf das Doppelte belaufen werden und dann zudem mit einer Unterbelegung von ca. 600 Haftplätzen im geschlossenen Vollzug zu rechnen ist, erscheint das Argument der Einsparungen geradezu lächerlich. Jedenfalls ist in den "Einsparungen" kein besonderer Grund i.S.v. § 123 Abs. 2 StVollzG zu sehen, so dass auch keine rechtsgültige Ermächtigung vorliegt, die sozialtherapeutischen Anstalten in eine Anstalt des geschlossenen Vollzugs einzugliedern.
Während in der Übergangsanstalt Moritz-Liepmann-Haus 45 behandlungs- und eingliederungsintensive Plätze zur Verfügung standen, werden bisher in der sozialtherapeutischen Anstalt Bergedorf (42 Plätze) schwerpunktmäßig Sexualstraftäter und in der Anstalt Altengamme (60 Plätze) überwiegend wegen Verbrechen gegen Leib und Leben verurteilte Menschen behandelt.37 Zahlreiche internationale und nationale Untersuchungen in Bezug auf die Effektivität der Sozialtherapie haben ergeben, dass die Rückfälligkeit nach Sozialtherapie deutlich seltener ist, als nach sozialtherapeutischen Maßnahmen im Regelvollzug.38 Die Ergebnisse der sozialtherapeutischen Anstalt Altengamme bestätigen dies insbesondere in Bezug auf die Rückkehrquote: Nach zwei Jahren waren 91 % und nach fünf Jahren 86 % nicht in den Strafvollzug zurückgekehrt. Die Rückkehrquote bei den aus dem Strafvollzug Entlassenen liegt dagegen bundesweit mit nur 71 % in Freiheit Gebliebenen nach vier Jahren ungleich höher.39
Der Erfolg der Sozialtherapie hängt jedoch unmittelbar davon ab, in welchem Rahmen sie stattfinden kann. Die organisatorischen Strukturen und Vorstellungen von Sicherheit und Ordnung einer Großanstalt des geschlossenen Vollzugs jedenfalls machen eine Straftäterbehandlung nach den Grundlinien der Sozialtherapie nahezu unmöglich.40 Schlussendlich unterläuft Kusch mit seinen "Einsparungen" nicht nur die gesetzlichen Vorgaben (§ 123 StVollzG), sondern nimmt auch wider besseren Wissens eine erhöhte Rückfallquote im Bereich der Schwerstkriminalität billigend in Kauf.

Wie weiter?

Die Tatsache, dass der Justizsenator offensichtlich ungeachtet der zahlreichen Proteste vollkommen unbeirrt seine rechts- und verfassungswidrigen Pläne in puncto Strafvollzug in Hamburg weiter verfolgt, veranlasst, die Frage nach dem "wie weiter" zu stellen. Wenn nicht Hamburger RichterInnen und JugendrichterInnen, nicht die ExpertInnen der kriminologischen Institute, nicht die (öffentliche) Amtsniederlegung des Anstaltsbeirats der JVA Fuhlsbüttel Gerhard Rehn, nicht die namhaften UnterzeichnerInnen des Hamburger Appells, nicht die Opposition und nicht die Gefangenen selbst der reaktionären Politik von Justizsenator Kusch Einhalt gebieten können, wer oder was dann?
Halten wir uns vor Augen, dass Kusch die einschneidenden Maßnahmen im Bereich des Strafvollzugs nur deshalb umsetzen konnte, weil er in seinen Vorhaben von der Regierung die notwendige Unterstützung erhielt und betrachten wir die politische Linie der Hamburger Regierung, so wird eines klar: Die Umstrukturierung des Hamburger Strafvollzugs ist Teil einer Politik, in deren Mittelpunkt jedenfalls nicht die Bedürfnisse und Interessen der Menschen stehen. Oder wie sonst sollten die massiven Kürzungen von Geldern in nahezu allen sozialen Bereichen, wie die Umstrukturierungsmaßnahmen an der Universität, die Kita-Gutscheine, die zehntausenden Ein-Euro-Jobs, die nächtlichen Abschiebungen, die rassistischen Polizeikontrollen, die Vertreibungen der "Drogenszene", das extrem verschärfte neue Hamburger Polizeigesetz - wie sonst sollte das alles zu verstehen sein, wenn nicht als Ausdruck eines konservativen, sich an kapitalistischen Wertvorstellungen orientierenden, politischen Selbstverständnisses des Hamburger Senats. Insofern kann der gegenwärtigen Politik, sowohl hinsichtlich des Strafvollzugs als auch alle anderen Bereiche des politischen und sozialen Lebens betreffend, nur dann Einhalt geboten werden, wenn sich die derzeit an vielen Punkten bestehende Kritik als Ausdruck einer allgemeinen, grundsätzlichen und von vielen Menschen getragenen Kritik an den bestehenden Verhältnissen artikuliert.
In diesem Sinne: Regierung stürzen!

Petra Dervishaj studiert Jura in Hamburg

Anmerkungen:

1 Vgl. Statistisches Bundesamt, Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten (...), Stichtagserhebung vom 31.03.2004, www.destatis.de - Publikationen - Rechtspflege.
2 Vgl. Statistisches Bundesamt, a.a.O.
3 Vgl. u.a. Dünkel, Frieder/Maelicke, Bernd, Irren ist (un-) menschlich, Neue Kriminalpolitik 2004, 131 (132).
4 Vgl. Pressemiteilung des Bundesjustizministeriums vom 04.02.2004, www.bmj.de.
5 Vgl. BverfG, Europäische Grundrechte-Zeitschrift (EuGRZ) 2002, 196 (198).
6 Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachreihe 10, Reihe 4.1., 2004.
7 Vgl. Dünkel, Frieder, Empirische Beiträge zum Strafvollzug, 1992; Kaiser, Günther/Schöch, Heinz, Strafvollzug, 5. Auflage 2003, 316.
8 Vgl. Spiegel Online am 02.03.2005.
9 Vgl. Dünkel/Maelicke, a.a.O., 131.
10 Kusch, Hamburger Abendblatt (HA) v. 18.01.2001.
11 Kusch, HA v. 29.01.2001.
12 Vgl. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) Band 35, 202 (235); 45, 187 (238), 98, 169 (200).
13 Vgl. Roth, Reinhold, Von den "Totengräbern im Hamburger Strafvollzug", Betrifft JUSTIZ 2002, 366 (366).
14 Vgl. BVerfGE 98, 169 (200).
15 Vgl. Junge Welt (jw) v. 30.06.2004.
16 Vgl. jw v. 30.06.2004; Die Zeit 3/2003.
17 Vgl. Pressemeldung der Justizbehörde, 07.02.2002, www.hamburg.de; Roth, a.a.O., 366.
18 Vgl. 2 Jahre Mitte-Rechts-Regierung in Hamburg - Strafvollzug in Santa Fu, Veränderungen aus der Sicht der betroffenen Gefangenen, Offener Brief, 14.08.2003.
19 BVerfG, Urteil vom 12.07.2000 - 2 BvQ 25/00.
20 Vgl. Roth, a.a.O.
21 Vgl. Feest, Johannes/Pécic, Denis, Alternativkommentar Strafvollzugsgesetz, 4. Auflage 2000, § 17, Rn. 2.
22 Vgl. Pressemitteilung der GAL, 14.01.2004, www.gal-fraktion.de.
23 Vgl. Bürgerschafts-Drucksache 17/3978, Drucksachen und Protokolle der Hamb. Bürgerschaft: www.buergerschaft-hh.de/parldok.
24 Justizsenator Kusch auf der Bürgerschaftssitzung am 28.01.2004, Protokoll 3124 A.
25 Vgl. Presserklärung der Justizbehörde, 26.06.03.
26 Vgl. Hamburg - Metropole des Rechts, Schlaglichter 2004, 16, www.hamburg.de.
27 Vgl. Justizbehörde Hamburg, Strafvollzugsamt, Stichtagserhebung vom 30.03.2005.
28 Vgl. Hamburg - Metropole des Rechts, a.a.O., 16.
29 Vgl. Hamburger Appell, Hinz und Kunzt, April 2005, www.hinzundkunzt.de.
30 Vgl. Rehn, Gerhard, Pressemitteilung zur Amtsaufgabe, 16.06.2004.
31 Rehn, a.a.O.
32 Vgl. Hamburger Appell, a.a.O.; Rehn, a.a.O.
33 Vgl. u.a.: Hamburger Appell, a.a.O.; Rehn, a.a.O.; Erklärung von Hamburger ProfessorInnen des Instituts für Kriminalwissenschaften und des Instituts für kriminologische Sozialforschung, 28.06.2004, www.gpk-ev.de/profbrief.pdf; Offener Brief von RichterInnen der Strafvollstreckungskammern des LG Hamburg, 18.06.2004, www.richterverein.de.
34 Vgl. Hamburger Appell, a.a.O.; taz hamburg v. 04.01.2005.
35 Vgl. Pressemitteilung der Justizbehörde, 26.08.2004.
36 Vgl. Offener Brief von RichterInnen (...), 18.06.2004.
37 Vgl. Rehn, a.a.O.
38 Vgl. Rehn, a.a.O.; Erklärung von Hamburger ProfessorInnen (...), 28.06.2004.
39 Vgl. Erklärung von Hamburger ProfessorInnen (...), 28.06.2004.
40 Vgl. Rehn, a.a.O.; Offener Brief von RichterInnen (...), 18.06.2004.