Maria Wersig |
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Familienväter, Bedarfsgemeinschaft und versorgte Ehefrauen | Heft
3/2005 Hartz fear Seite 80-83 |
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"Hart IV" und das Geschlechterverhältnis |
Nicht umsonst war in den ersten Debatten um das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt von der "verstärkten Quick-Vermittlung der Familienväter"1 die Rede. Trotz der Lippenbekenntnisse, das Gesetz beachte das Prinzip des Gender Mainstreaming, basiert das neue Sozialgesetzbuch II - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) im Kern auf der Ausrichtung auf eine Zielgruppe der heterosexuellen Kleinfamilie mit geschlechtsspezifischer Rollenverteilung. Trotz früher Proteste besonders frauenpolitischer AkteurInnen kann grundsätzlich nicht davon die Rede sein, dass in dem Gesetz einer Vielfalt von Lebensformen Rechnung getragen wird oder dass eine moderne Vorstellung von Geschlechtergerechtigkeit im SGB II herrscht. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Elementen von Geschlechterstereotypen im Gesetz und stellt Überlegungen zu den Auswirkungen dieser Normenstruktur auf die Lebensrealität der Betroffenen an. Eigenverantwortung und Grundsicherung - Die Logik des SGB II Zum 1. Januar 2005 wurden durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen
am Arbeitsmarkt Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum neuen SGB II zusammengelegt.
Die Arbeitslosenhilfe, die bisher 53 % des vorherigen Nettoeinkommens
betragen hatte, wurde zugunsten von pauschalen Regelsätzen, die das Existenzminimum
absichern sollen, abgeschafft. Problematisch dabei ist, dass die Regelsätze
auf das Niveau des Jahres 2003 (Datengrundlage 1998) eingefroren sind
und daher eher das theoretische Existenzminimum darstellen. Die Regelsätze
betragen zudem für ein (Ehe-)Paar ohne Kinder 311 € pro Person im Westen
und 298 € pro Person in Ostdeutschland. Sie liegen damit unter dem Regelsatz
für Singles (345 €), um der Ersparnis durch gemeinsames Wirtschaften Rechnung
zu tragen. Frauen und Männer in der Logik des SGB II Welche Rolle spielt nun das Geschlecht? Im Gefüge einer aktivierenden
Arbeitsmarktpolitik liegen aus Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit
Chancen und Risiken. Für bisher auf die unbezahlte Familienarbeit und
in die stille Reserve des Arbeitsmarktes verwiesene Frauen könnte in der
grundsätzlichen Verpflichtung zur Erwerbsarbeit auch eine Chance zu Erwerbsintegration,
Qualifikation und eigenständiger Existenzsicherung liegen. Alleinerziehende
Frauen, bisher die größte Gruppe der SozialhilfeempfängerInnen, sollen
nicht länger notdürftig versorgt am Rand der Gesellschaft stehen. In §
1 SGB II ist zu lesen: "das Prinzip der Gleichstellung von Frauen und
Männern ist als durchgängiges Ziel zu verfolgen", geschlechtsspezifischen
Nachteilen werde "entgegengewirkt" und die "familienspezifischen Lebensverhältnisse
von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die Kinder erziehen oder pflegebedürftige
Angehörige betreuen", berücksichtigt. Wichtige Ziele, die bisher in Deutschland
in der Arbeitsmarkt und Sozialpolitik kaum eine Rolle spielten. Wie werden
sie umgesetzt? Der Vorrang des Privaten: Bedürftigkeitsprüfung und Subsidiarität Zunächst zu dem Problem des Zugangs zu Geldleistungen. Die Leistungen
des SGB II sind subsidiär gegenüber anderen Einkommensquellen. Subsidiarität
bedeutet im Recht der Sozialleistungen - was die kleinere Einheit (Familie)
allein bewältigen kann, braucht der Staat nicht zu regeln. Also: wer durch
einen Partner oder eine Partnerin versorgt ist, gilt als nicht bedürftig
und benötigt keine Sozialleistungen. Dieses Konzept ist nicht neu - es
galt auch schon in der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Subsidiarität in der Logik der Bedarfsgemeinschaft Wie setzt sich das Prinzip der Subsidiarität in den neuen Regelungen fort? Es wurde beibehalten und durch die Absenkung der Regelsätze auf das Niveau des Existenzminimums faktisch ausgebaut. Zugang zu Leistungen des SGB II wird über die Merkmale Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit definiert. Dies gilt für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit. Erwerbsfähig im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer für sich und die mit in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen den Bedarf nicht durch Arbeitsaufnahme, Einkommen oder Vermögen einschließlich Hilfe anderer oder andere Kräfte sichern kann. Wer die erforderliche Hilfe auch von anderen erhält oder erhalten kann, gilt ausdrücklich nicht als hilfebedürftig.6 Was ist dann eigentlich die Bedarfsgemeinschaft? Zur Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 SGB II gehören die erwerbsfähigen
Hilfedürftigen, die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende
Elternteil eines minderjährigen, unverheirateten erwerbsfähigen Kindes,
Partner (nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten, in eheähnlicher Gemeinschaft
lebende Personen, nicht dauernde getrennt lebende Lebenspartner) und dem
Haushalt angehörende minderjährige, unverheiratete Kinder. Man kann es
auch einfacher ausdrücken: Die Bedarfsgemeinschaft sind in einer Partnerschaft
und in einem gemeinsamen Haushalt lebende Menschen (ausgenommen homosexuelle
Paare ohne "Trauschein"7) und Kinder (zumindest eines) der PartnerInnen. Sozialpolitisches Leitbild des männlichen Ernährers Was im neuen SGB II so geschlechtsneutral formuliert daherkommt ist sozialpolitisch
ein alter Hut: das männliche Ernährermodell. Der in der Regel männliche
Normalarbeitnehmer versorgt mit seinem Erwerbseinkommen (Ehe)frau und
Kinder. Sozialversicherungsleistungen wie Kranken-, Arbeitslosenhilfe-
oder Rentenversicherung stehen dem Normalarbeitnehmer unmittelbar, den
Familienangehörigen nur mittelbar über Familienmitversicherung oder Hinterbliebenenrente
zur Verfügung.8 Bedarfsgeprüfte Sozialleistungen benötigt nicht, wer diese
familiäre Versorgung noch genießt - der Schutz greift erst ein, wenn die
"vorrangigen" privaten Versorgungsmechanismen versagen, das Einkommen
des Partners/der Partnerin nicht ausreicht oder ein Partner/eine Partnerin
nicht vorhanden ist. Privat versorgte Personen sind von Eingliederung in das Erwerbsleben ausgeschlossen Hinzu kommt, dass Personen, die wegen Versorgung durch den Partner/die
Partnerin nicht als hilfebedürftig gelten, auch von der Förderung des
SGB II ausgeschlossen sind. Auch das war schon in der Arbeitslosenhilfe
ein Problem, kommt jetzt aber noch stärker zum Tragen, weil die Anrechnung
verschärft wurde und mehr Menschen in der Situation sind, als versorgt
zu gelten. Die Maßnahmen des Förderns richten sich aber an erwerbsfähige
Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden
Personen. Menschen, die auf die Versorgung durch das Erwerbseinkommen
des Partners/der Partnerin verwiesen werden, sind nach der Logik des Gesetzes
aber weder hilfebedürftig, noch leben sie mit einer solchen Person in
einer Bedarfsgemeinschaft. Hilfe für ein Bemühen um eine eigenständige
Existenzsicherung wird ihnen deshalb auch nicht gewährt werden. Was ist die Liebe wert? Gründe für die Vergemeinschaftung Wie werden die Solidaritätspflichten juristisch begründet? Ehepaare und nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz institutionalisierte gleichgeschlechtliche PartnerInnen sind sich familienrechtlich zu gegenseitigem Unterhalt verpflichtet. Für nichteheliche Paare bestehen solche Pflichten nicht - eine familienrechtliche Legitimation der Anrechnung des Partnereinkommens gibt es für sie also nicht. Der Schutz von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz verbietet nach herrschender Auffassung aber die Schlechterstellung der Ehe gegenüber nichtehelichen Paaren. Also müssen diese mit ins Boot - ohne die Privilegien der Ehe (Ehegattensplitting) zu genießen. Zumindest stellt die Rechtsprechung gewisse Anforderungen an das Merkmal "eheähnlich" - nicht jede sexuelle Beziehung oder Wohngemeinschaft erfüllt dieses Merkmal: Die Partner müssen schon "in den Not- und Wechselfällen des Lebens füreinander einstehen" wollen bzw. dies erwarten lassen.10 Wann dies gegeben ist, lässt sich natürlich in der Verwaltungspraxis schwer ermitteln - so ist die Lektüre einschlägiger Urteile erfüllt von Geschichten von unbekleideten Männern und für zwei Personen zurechtgemachten Doppelbetten. Schon zu Zeiten des Bundessozialhilfegesetzes war frau unter Umständen schlecht beraten, beim Kontrollbesuch des Sozialamtes eine zweite Zahnbürste oder einen Einwegrasierer im Bad zu haben. Diese Suche nach in Anspruch zu nehmenden PartnerInnen wird allem Anschein nach auch unter Geltung des neuen Rechts fortgesetzt - in einem aktuellen Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf wurde jedoch der Auffassung, der unbekleidete Mann und das Doppelbett begründeten eine "eheähnliche Gemeinschaft" mit entsprechenden Einstandspflichten eine Absage erteilt.11 Wo liegt eigentlich das Problem Wenn man die Anrechnung von Partnereinkommen kritisiert, muss man sich
die Frage gefallen lassen, wo dabei eigentlich das Problem liegt. Die
Personen, die wegen Einkommen oder Vermögen des Partners als nicht bedürftig
eingestuft werden, sind immerhin versorgt und sollten der Allgemeinheit
nicht zur Last fallen - Politiker beschwören dann gern das Bild der Millionärsgattin,
die auf Kosten der schwer arbeitenden Putzfrau Arbeitslosengeld II beziehen
würde. Die Argumentation, dass private Solidarität angesichts leerer Staatskassen
selbstverständlich sei, ist keineswegs zwingend, sondern geht von einem
idealisierten Familienbild aus: Ehe mit traditioneller Rollenverteilung.
Dieses Ideal kann durchaus auch als Ideologie bezeichnet werden, die auch
rot-grüne Politik bestimmt. Tatsächlich ist es sicher verlockend, in einem
immer strenger wehenden Wind der Marktlogik den Rückzugsort Familie politisch
schmackhaft zu machen. Diese heile Welt des Privaten hat aber Risse. Maria Wersig ist Juristin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin in einem Forschungsprojekt zum Thema des männlichen Ernährermodells im deutschen Recht. Ihr Interesse gilt dem Verhältnis von Recht und Politik und dem Recht der Geschlechterverhältnisse. Anmerkungen: 1 Bericht der Kommission "Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" von
2002, www.sozialpolitik-aktuell.de. Literatur: Berghahn, Sabine, Der Ehegattenunterhalt und seine Überwindung
auf dem Weg zur individualisierten Existenzsicherung, in: Leitner, Sigrid
/ Ostner, Ilona / Schratzenstaller, Margit (Hrsg.), Wohlfahrtsstaat und
Geschlechterverhältnis im Umbruch. Was kommt nach dem Ernährermodell,
2004, 105-131 |