Augustín Jiménez Cuello ist Präsident der Stiftung Komitee der Solidarität mit den politischen Gefangenen CSPP (Comité de Solidaridad con los Presos Políticos). Die Organisation ist die älteste Nichtregierungsorganisation Kolumbiens und kümmert sich seit 30 Jahren um Personen, die aus politischen Gründen verfolgt werden oder inhaftiert sind. Angesichts der politischen Situation in Kolumbien sind davon keineswegs nur Guerilleros betroffen, sondern quasi alle sozialen und politischen Organisationen: Gewerkschaften, kommunale Kooperativen und Indigena-Organisationen sind einige davon. Wir trafen den 40jährigen Rechtsanwalt zu diesem Interview Ende 2004 in Bogotá. Sozialer Konflikt, Aufstandsbewegung, Repression In der europäischen Wahrnehmung wird mit Kolumbien meist Drogen und Bürgerkrieg
assoziiert, ohne dass eine differenzierende Betrachtung des lateinamerikanischen
Landes stattfinden würde.1 Kolumbien ist etwa drei Mal so groß wie die
Bundesrepublik und hat ca. 40 Millionen Einwohner. Und: es ist ein reiches
Land. Dies betrifft nicht nur Bodenschätze wie Erdöl, Edelsteine und verschiedene
Metallerze, darunter Gold, sondern auch sonstige natürliche Ressourcen.
Vom Regenwald über Karibikküste bis hin zum Hochgebirge der Anden hat
das Land zwischen Panama, Venezuela, Peru und Equador nahezu alle Klimazonen
zu bieten und weist u. a. deswegen mit die höchste Biodiversität der Welt
sowie sehr hohe Exportzahlen bspw. in den Bereichen Kaffee und Schnittblumen
auf. Juristische Tätigkeit in Kolumbien Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund ist auch die Tätigkeit als
JuristIn eine gänzlich andere als bspw. in Europa. Dies betrifft zum einen
das berufliche Selbstverständnis. Für nicht wenige Studierende der Rechtswissenschaft
sowie insbesondere auch RechtsanwältInnen stellt die juristische Tätigkeit
in ganz besonderem Maße eine emanzipative Perspektive, einen Weg gesellschaftlicher
Veränderung dar. Schließlich besteht ein wesentlicher Teil der Aufgaben
darin, die Rechte von Individuen und Gruppierungen einem Staat gegenüber
einzuklagen, der sich in weiten Teilen nicht an seine eigenen Gesetze
hält. Insofern sind die Tätigkeit als JuristIn und das Engagement für
einen grundlegenden sozialen und gesellschaftlichen Wandel keineswegs
ein Widerspruch, sondern entsprechen sich vielmehr mitunter. Interview: Agustín, Sie sind Präsident der Stiftung Komitee für die Solidarität mit politischen Gefangenen. Wie sieht die Arbeit des Komitees aus? Agustín: Das CSPP (Comité de Solidaridad con los Presos Políticos) ist mit 31 Jahren die älteste Nichtregierungs-Organisation Kolumbiens. Wir beschäftigen uns mit politischen Gefangenen und begleiten Menschen, deren Menschenrechte verletzt wurden, um Gerechtigkeit, Wahrheit und Schadenersatz zu erreichen. Dabei arbeiten wir mit nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen zusammen, damit die Täter bestraft werden. Gleichzeitig leisten wir kontinuierlich Arbeit in Gefängnissen und haben Anwälte, die aus politischen Gründen inhaftierte Personen vertreten, und versuchen, die sozialen Bewegungen und Menschenrechtsorganisationen zusammenzuführen, um kraftvoller an den Staat Forderungen stellen zu können. Wir arbeiten als Vermittler gegenüber der Regierung, um bessere Bedingungen für die Verteidigung der Menschenrechte zu schaffen, auch auf internationaler Ebene. Schließlich haben wir auch eine Forschungsabteilung, die sich mit den Themen Gefängnis, sozialer Rechtsstaat, Kriminalpolitik und Justiz beschäftigt. Dabei arbeiten wir auch auf internationaler Ebene. Wer sind für das Komitee alles politische Gefangene und wie viele gibt es? Agustín: Wir betrachten diejenigen als politische Häftlinge, die aufgrund
ihrer bewaffneten Opposition gegen die Regierung inhaftiert wurden. Dieser
bewaffnete Konflikt ist politisch. Darüber hinaus betrachten wir auch
alle inhaftierten Personen als politische Häftlinge, die nur deswegen
angeklagt wurden, weil sie - insbesondere die Bauern - in Gebieten leben,
in denen die Guerilla tätig ist. Diese Anklagen haben ebenso einen politischen
Charakter, wie auch solche gegen Vertreter politischer und sozialer Organisationen,
die beschuldigt werden, zu aufständischen Gruppen zu gehören, um ihre
Arbeit zu behindern und zu zerstören. Aber es geht um sehr unterschiedliche Anklagen? Agustín: Ja. Die Anklagen wegen Rebellion5 oder Aufstand machen etwa 30 Prozent aus, der Rest wird wegen Aufruhr bzw. Verschwörung und anderen Delikten angeklagt. Wieder andere werden wegen mit Rebellion zusammenhängenden Delikten angeklagt, wie zum Beispiel Entführung, illegaler Waffenbesitz etc. Wie werden die politischen Häftlinge behandelt? Agustín: Vor allem seitdem Uribe an der Macht ist, wird die Situation schlechter. Er ist mit dem Programm angetreten, strengere Haftbedingungen durchzusetzen, um das Verbrechen zu bekämpfen. In diesem Zusammenhang verbreitet die Regierung Uribe auch die Parole, die Behandlung der politischen Häftlinge müsse schlechter sein, weil sie Terroristen und nicht politische Häftlinge seien. Also werden sie nicht nur in die schlechtesten Gefängnisse gebracht, sondern dort auch noch unter schlechteren Bedingungen inhaftiert, als die anderen Gefangenen. Glücklicherweise ist es uns gelungen, die Lage einiger Gefangenen mittels unserer Arbeit zu verbessern. So haben wir zum Beispiel Strafanzeige bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte erstattet. Diese war es auch, die im vergangenen Jahr eine einstweilige Maßnahme zugunsten der Häftlinge in Palo Gordo in Bucaramanga beschloss, und so die Regierung auforderte, die politischen Gefangenen in einem eigenen Gefängnishof unterzubringen, um sie von den Paramilitärs zu trennen. Wie sieht die Arbeit in den Gefängnissen aus? Kann das CSPP die Situation der Gefangenen beeinflussen? Agustín: Wir besuchen die Gefängnisse regelmäßig, um vor allem die Situation der aus politischen Gründen inhaftierten Personen zu überprüfen, sie zu begleiten und ihnen zu helfen, sich zu organisieren. Damit wollen wir ihnen helfen, in einer Umwelt solidarisch miteinander sein zu können, die gefährlich ist, weil sie zusammen mit anderen Strafgefangenen und sogar mit Paramilitärs gefangenen sind. Mit dieser Organisierung erreichen wir gleichzeitig eine Art der Organisation aller Häftlinge überhaupt. Außerhalb der Gefängnisse arbeiten wir in Menschenrechtskomitees, die alle Gefangenen vertreten, um einige Änderungen am System zu erreichen, um die Situation sowohl der politischen als auch der anderen Gefangenen zu verbessern. Bei anderen sozialen Organisationen versuchen wir, soziale Solidarität mit den politischen Gefangenen zu wecken, damit sich die sozialen Organisationen um sie kümmern. Wie oft können Sie die Gefangenen besuchen? Agustín: Die Besuche hängen von der Gefängnisdirektion und von der Regierung ab. Normalerweise, wenn es keine Schwierigkeiten gibt, haben wir die Möglichkeit, alle 15 Tage das Gefängnis zu betreten; wenn es Schwierigkeiten gibt, nur einmal im Monat. Außerdem hängt die Häufigkeit der Besuche auch davon ab, ob wir eine Sektion in der Nähe des Gefängnisses haben. Nach Cómbita in Tunja können wir zum Beispiel nur einmal im Monat gehen, nicht wegen Problemen mit der Direktion, sondern weil wir aus Bogotá keine anderen Möglichkeiten haben. Wie lang sind die Strafen? Agustín: Bei Anklagen wegen Rebellion zwischen sechs und zwölf Jahren, je nachdem wie wichtig der Angeklagte innerhalb der Struktur der Guerilla ist: Wenn er ein Kommandant ist, erhält er eine Strafe von sieben bis neun Jahren, wenn er nur der Basis gehört, erhält er eine Strafe von sechs bis sieben Jahren. Aber Delikte, die mit Rebellion zusammenhängen, werden viel härter bestraft: Wegen Entführung kann man 30 Jahre bekommen und es gibt einen Vorschlag der Regierung, den Strafrahmen auf 60 Jahre zu erweitern. Wegen Terrorismus oder Unterstützung des Terrorismus erhält man 15 bis 25 Jahre. Außerdem werden die Strafen für die einzelnen Delikte kumulativ behandelt. Ist es wahr, dass die Strafe wegen Entführung höher ist als die wegen Mordes? Agustín: Nicht zur Zeit. Früher, ungefähr zwischen 1998 und 2000, wurde Entführung mit bis zu 60 Jahren bestraft, Mord nur mit 30 Jahren. Dies offenbarte die Funktion des Strafrechts, Taten, die die höchsten Schichten der Gesellschaft betreffen, besonders hart zu bestrafen. Wie lange dauern die Prozesse? Agustín: Eigentlich dauert ein Prozess wegen Rebellion etwa sechs Monate Ermittlungs- plus sechs Monate Gerichtsverfahren, weil die normale Justiz dafür zuständig ist. Viele dieser Verfahren dauern aber wegen der Taktiererei der Staatsanwälte und Richter auch länger als ein Jahr. Bei anderen Straftaten, wie Terrorismus und Entführung, beträgt die Zeit des Ermittlungsverfahrens etwa ein Jahr und die des Gerichtsverfahrens noch mal ein Jahr, oft werden daraus aber auch zweieinhalb oder gar drei Jahre. Währenddessen sitzt der Angeklagte ohne Urteil im Gefängnis. Werden bei den Prozessen rechtsstaatliche Standards eingehalten? Agustín: Zum Glück abgeschafft wurde ein Gesetz, das "gesichtlose" Staatsanwälte
und Zeugen erlaubte,6 so dass die Möglichkeiten der Verteidigung stark
eingeschränkt waren: Man durfte nicht mit dem Staatsanwalt reden und die
Identität von Zeugen konnte geheim gehalten werden. Hinzu kam die Regel
der gesichtlosen Richter, was die Lage noch schlimmer machte. Das hat
sich geändert, was uns viel mehr Möglichkeiten für die Verteidigung gegeben
hat. Gibt es Schadensersatz für Leute, die im Gefängnis saßen und deren Unschuld bewiesen werden konnte? Agustín: Die Verfassung garantiert das Recht auf Schadenersatz: Verletzt der Staat meine Rechte, dann kann ich ihn beim Verwaltungsgericht auf Schadenersatz verklagen. Oft versuchen Richter allerdings, eine solche Entscheidung zu vermeiden, indem sie sagen, der Angeklagte hätte Anlass zu einem fundierten Verdacht gegeben, aber man hätte keine Beweise finden können. Trotzdem ist es uns schon gelungen, dass der Staat verurteilt und dem Angeklagten Schadenersatz zuerkannt wurde. Dies hat aber keine politische Bedeutung: Der Staat zahlt zwar, bekennt aber nicht seinen Fehler. Sind die Prozesse gegen die politischen Gefangenen anders als sonstige Prozesse? Agustín: Bei Prozessen wegen Rebellion ist die normale Justiz zuständig,
während bei mit Rebellion verbundenen Delikte die Sonderjustiz zuständig
ist. Indes wird heutzutage fast niemand nur der Rebellion angeklagt, sondern
normalerweise wird man zusätzlich eines mit Rebellion verbundenen Deliktes
angeklagt, damit die Sondergerichtsbarkeit zuständig wird. Bei solchen
Verfahren handelt die Staatsanwaltschaft total gegen den Angeklagten und
hat eine klare Absicht, ihn zu verurteilen. Es gibt sehr wenige Staatsanwälte,
die die Beweise wirklich überprüfen. 2004 zum Beispiel klagte ein Staatsanwalt
in erster Instanz einen Gewerkschaftler der Erdölgewerkschaft USO (Unión
Sindical Obrera) an. Als sich später, zu einem Zeitpunkt von internationalem
Druck, ein anderer Staatsanwalt mit dem Fall beschäftigte, nannte er dies
einen Fehler und sagte, es hätte sich um eine ungerechte Verfolgung gehandelt
und es hätte keinen Grund zur Ermittlung gegeben. Jetzt warten wir darauf,
was der Richter entscheidet, weil auch die Generalstaatsanwaltschaft gesagt
hat, es handele sich um ungerechte Verfolgung. Wie ist die finanzielle Situation des Komitees? Agustín: Die Finanzierung ist kompliziert, vor allem weil wir uns in einer Zeit des globalen Kampfes gegen den "Terrorismus" befinden, was einen sehr großen Druck auf Organisationen wie die unsere verursacht hat. Unsere Arbeit ist zwar sehr eindeutig juristisch und wir haben immer öffentlich gezeigt, dass uns die Tatsache, politische Häftlinge zu verteidigen, nicht zu Anhängern ihrer Ideen macht. Wir haben eine autonome und unabhängige Haltung bewahrt und fordern auch von der Guerilla die Einhaltung der universalen Menschenrechte. Aber obgleich wir dank dieses konsequenten Verhaltens unsere Finanzierung behalten konnten, mussten wir dieses Jahr wegen der Massenverhaftungen drei neue Anwälte verpflichten, weswegen wir in eine schwierige finanzielle Lage gerieten. Momentan bin ich dabei, einige Leute um mehr Unterstützung zu bitten, weil wir sonst dieses Jahr nicht alles werden machen können, was wir wollen. Was sind Ihre zentralen Forderungen? Agustín: Wir haben viel von der Regierung gefordert, zum Beispiel ein menschlicheres System für alle Häftlinge und eine besondere Behandlung für politische Gefangene. Wir haben viel Druck ausgeübt. Aber dies ist keine gute Zeit, weil die Regierung alles erschwert. Dennoch ist es uns gelungen, dass die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte das Recht der politischen Inhaftierten anerkannt hat, wie solche behandelt zu werden. Außerdem verlangen wir vom Staat eine demokratische Kriminalpolitik, also dass sie diese Justiz abschafft, die nichts anderes macht, als die Situation der politischen Gefangenen zu verschlimmern, indem sie ihnen die Gleichheit vor dem Gesetzt nicht garantiert. Wenn der Staat die Rebellion als normales Delikt betrachtet, dann soll er die politischen Gefangenen genauso behandeln, wie die anderen. Weiterhin haben wir dafür gekämpft, dass die Menschenrechtsgesetzgebung erweitert statt angegriffen wird, dass die sowohl von der Verfassung als auch von den internationalen Abkommen anerkannten Menschenrechte gelten. Dafür arbeiten wir zusammen mit anderen Organisationen. Tobias Singelnstein hat in Berlin Jura studiert und promoviert dort, Fabian Singelnstein lebt und arbeitet als Tischler in Bogotá, Kolumbien. Anmerkungen: 1 Vgl. Braig , Forum Recht 2005, 129 ff. |