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Die gläserne Union?   Heft 2/2006
Zwischen Wir und Ich:
Europäische Idee und nationale Interessen
Seite 54-55
Informationsfreiheit auf EU-Ebene  
 

Bereits im Jahr 2001 befand sich die EU in einer tiefen institutionellen Krise: In einem Weißbuch konstatierte die EU-Kommission, dass die Menschen der Politik und den Institutionen der EU misstrauten oder sich von ihnen desinteressiert abwendeten. Als Reaktion hierauf legte sie Grundsätze fest, welche dazu beitragen sollten, die Legitimität der Entscheidungen sowie die Bürgernähe und Effizienz der Verwaltung zu verbessern. Einer dieser Grundsätze ist als Transparenz bezeichnet und umfasst das - als Informationsfreiheit bekannt gewordene - Recht, Zugang zu den Dokumenten der EU-Verwaltung zu erhalten. Dieses Recht ist mittlerweile in fast allen demokratischen Staaten gesetzlich verankert worden. Es hat zum einen das Ziel, die demokratische Kontrolle der Verwaltung durch BürgerInnen und insbesondere JournalistInnen zu erleichtern und damit auch zur Korruptionsbekämpfung beizutragen. Zum anderen soll der erleichterte Informationszugang die Partizipation der BürgerInnen und von NGOs an Gesetzgebungsverfahren und gesellschaftlichen Diskursen ermöglichen und fördern, da aktive und informierte BürgerInnen - nicht zuletzt bei der Wahlentscheidung - von essentieller Bedeutung für eine demokratische Gesellschaft sind. Vorschriften über den Informationszugang sind regelmäßig so konstruiert, dass ein Recht auf Zugang zu allen - je nach Gesetz- Informationen, Dokumenten oder Akten normiert wird, das allerdings durch darauf folgende Ausnahmevorschriften wieder eingeschränkt wird. Diese lassen sich nach ihrem Schutzzweck unterscheiden: öffentliche Schranken schützen Interessen des Staates wie die Funktionsfähigkeit der Verwaltung (welche viele Regierungen jedoch sehr schnell als gefährdet ansehen) oder bestimmte Bereiche des Staatsapparats wie Militär, Außenpolitik oder Rechtspflege; private Schranken dienen dem Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sowie von Betriebsgeheimnissen und Urheberrechten. Allerdings unterscheiden sich die Gesetze sehr darin, wie eng die Ausnahmevorschriften gefasst sind. Diese Unterschiede des Transparenzniveaus sind zum einen Ergebnis politischer Auseinandersetzungen, da die Gegner der Gesetze vor einer - in allen Ländern ausgebliebenen - Antragsflut warnten, welche die Verwaltung lahm legen und staatliche Geheimhaltungsinteressen in Gefahr bringen könnte. Zugleich sind die Gesetze aber auch Spiegelbild der (Verwaltungs-)Kultur eines Landes: So wäre das schwedische Recht, welches Einsicht in die Steuerbescheide aller BürgerInnen ermöglicht, mit der deutschen Konzeption des Datenschutzes wohl nur schwer in Einklang zu bringen.

Siegeszug der Informationsfreiheit in Europa

Informationsfreiheitsgesetze (IFGs) haben sich insbesondere in den letzten dreißig Jahren rasant in Europa verbreitet. Während in Schweden Transparenz bereits seit 1766 Verfassungsprinzip ist, erließen weitere westeuropäische Länder (Frankreich, Spanien, Niederlande) in den 70er Jahren IFGs, welche auch durch die amerikanische Gesetzgebung (Freedom of Information Act, 1967) beeinflusst waren. Auf der Ebene der EG war es zunächst das Europaparlament, das sich seit den 80er Jahren für den freien Zugang zu Verwaltungsinformationen einsetzte. Bedeutsam waren auch zwei Resolutionen des Europarates. Dynamik gewann das Thema schließlich in den 90er Jahren, als viele der ehemaligen Ostblockstaaten IFGs erließen. Zugleich stritten die Regierungen von transparenzfreundlichen Ländern wie Schweden zusammen mit NGOs (z.B. Statewatch) auf der europäischen Ebene für mehr Transparenz, wohingegen sich vor allem Deutschland und England als Bremser dieser Entwicklung betätigten. So blieb es lange Zeit allein bei einer bereichspezifischen Regelung für Umweltinformationen, die nur auf Druck von Umweltschutzorganisationen zustande kam und die in Deutschland durch den Erlass des Umweltinformationsgesetzes (UIG) 1994 umgesetzt wurde. Letztlich war es auch in diesem Fall eine Krise, ausgelöst durch die Referenden zum Maastricht-Vertrag in Dänemark und Frankreich, die Anlass für Bemühungen war, die EU bürgerfreundlicher zu gestalten. So wurde in Art. 1 des EU-Vertrages normiert, dass Entscheidungen möglichst offen und bürgernah zu treffen sind. Art. 255 EG-Vertrag (EGV) statuiert darüber hinaus ein Recht auf Zugang zu Dokumenten der EU, das durch die Verordnung Nr. 1049/2001 (Transparenzverordnung) konkretisiert wird. Grundrechtlicht verbürgt wird die Informationsfreiheit durch die Grundrechte-Charta (Art. 42) und den Verfassungsvertrag (Art. II-102), wobei jedoch der Charta keine Rechtsverbindlichkeit zuerkannt wird und der Verfassungsvertrag in der vorliegenden Form wahrscheinlich nicht in Kraft treten wird. Nach diesem Durchbruch erließen fast alle übrigen Mitgliedstaaten IFGs (England 2000/05, Deutschland 2006).

Rechtsgrundlagen

Gemäß Art. 255 Abs. 1 EGV hat jedeR UnionsbürgerIn sowie jede Person mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat das Recht auf Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission. Diese Regelung schränkt den Zugang in zweierlei Weise ein und ist daher reformierungsbedürftig: Der diskriminierende Ausschluss von Bürgern aus Drittstaaten, den auch der Verfassungsvertrag vorsieht, sollte gestrichen werden. Zu begrüßen wäre dagegen die positive Entwicklung, welche der Verfassungsvertrag im Hinblick auf die verpflichteten Organe mit sich brächte. Während Art. 255 Abs. 1 EGV allein das Parlament, den Rat und die Kommission bindet, betrifft die Regelung des Verfassungsvertrags alle Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der EU. Die zur Konkretisierung des Rechts aus Art. 255 Abs. 1 EGV erlassene Transparenzverordnung regelt Grundsätze des Dokumentenzugangs wie beispielsweise mögliche Einschränkungen und das Verfahren. Als Dokumente definiert werden alle Inhalte unabhängig von der Form des Speichermediums, die in einem Zusammenhang mit der Tätigkeit eines der Organe stehen (Art. 3 a); sie müssen darüber hinaus von einem verpflichteten Organ erstellt worden sein oder sich in dessen Besitz befinden (Art. 2 Abs. 3). Dagegen bleibt es Sache der Mitgliedstaaten, ob und wie weit sie "ihre" Verwaltungsakten öffnen: die Transparenzverordnung zielt explizit nicht auf eine Änderung der mitgliedstaatlichen Regelungen ab (15. Erwägungsgrund). Besonders deutlich wird dies im viel kritisierten Ausnahmetatbestand des Art. 4 Abs. 5, wonach ein Mitgliedstaat die EU-Organe ersuchen kann, ein von ihm stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten. Umstritten ist nun, ob hierdurch den Mitgliedstaaten ein Vetorecht gewährt wird, dass anderen Dritten nicht zusteht. Da die Auslegung der Transparenzverordnung eher für ein Vetorecht spricht, wäre es Sache der EU-Organe, diese zu ändern, da kaum verständlich ist, warum die Mitgliedstaaten im Vergleich zu anderen Dritten privilegiert werden. Die übrigen Ausnahmeregelungen des Art. 4 sind weder besonders eng noch unerträglich weit gefasst. Beinahe ebenso wichtig wie der Wortlaut der Vorschriften ist aber die Anwendung der Transparenzverordnung durch die EU-Organe. In diesem Zusammenhang ist zum einen die hohe Anzahl der Fälle positiv hervorzuheben, in denen Zugang zu Dokumenten gewährt wurde. Erwähnenswert ist auch, dass viele Dokumente direkt im Internet zugänglich sind, ohne dass zuvor ein Antrag gestellt werden musste. Wird kein Zugang gewährt, kann nach einem Zweitantrag nicht nur Klage, sondern auch eine Beschwerde zum Europäischen Bürgerbeauftragten erhoben werden. Dies ist besonders zu begrüßen, da sich der Bürgerbeauftragte seit Beginn seiner Tätigkeit immer mehr zu einem wichtigen Garanten für eine bürgerfreundliche EU entwickelt hat.

Europa als Vorbild?

Eine Bilanz des freien Zugangs zu den EU-Dokumenten fällt überwiegend positiv aus: Betrachtet man die seit 2001 deutlich gestiegenen Antragszahlen und setzt sie in Relation zur Einwohnerzahl der EU, so scheint zwar kein großes Interesse der BürgerInnen an Informationen zu bestehen. Dies erklärt sich jedoch aus der hohen Zahl im Internet frei zugänglicher Dokumente und daraus, dass BürgerInnen nur selten in direkten Kontakt zur EU-Verwaltung treten, da das Gemeinschaftsrecht vor allem von den Verwaltungen der Mitgliedstaaten vollzogen wird. Zudem haben Untersuchungen in Bundesländern mit einem IFG gezeigt, dass ein Interesse insbesondere an Informationen mit lokalem Bezug (z.B. Bausachen) besteht. Interessant ist des Weiteren, dass Anträge vor allem von Lobbygruppen, NGOs, RechtsanwältInnen und WissenschaftlerInnen, aber nur äußerst selten von JournalistInnen gestellt werden, was wahrscheinlich auf die Kurzlebigkeit medialer Schwerpunktsetzung zurückzuführen ist. Auch wenn das Dokumentenzugangsrecht also nicht in dem Maße in Anspruch genommen wird, wie es viele erhofft hatten, so prägen die Regelungen doch die Verwaltungskultur. Im Verbund mit anderen Instrumenten haben sie zum Ziel, dass aus einer Verwaltung, die sich dem Bürger überlegen glaubt, eine bürgerfreundliche Verwaltung wird. Nach einer der ersten Entscheidungen des EuG zur Transparenzverordnung kann sich beispielsweise die EU-Kommission ihrer Verpflichtung nicht entziehen, indem sie pauschal auf den hohen Arbeitsaufwand verweist, den die Bearbeitung eines Antrags verursachen würde. Ein Rückschlag insbesondere für die Arbeit von NGOs ist dagegen die (nicht rechtskräftige) Entscheidung des EuG, auch nach Abschluss des Entscheidungsfindungsprozesses im Rat keinen Zugang zu Gutachten des juristischen Dienstes zu gewähren. Für die deutschen NGOs waren die europäischen Regelungen allerdings von großer Bedeutung, da sie als Argumentationshilfe für die Einführung eines IFGs auf Bundesebene dienten. Die Entwicklung der Informationsfreiheit in den europäischen Staaten und auf der Ebene der EU hat mit dazu beigetragen, dass der Bundestag 2005 endlich ein IFG für die Bundesverwaltung verabschiedet hat. Zu hoffen bleibt nun, dass auch die Bundesländer, die überwiegend keine IFGs erlassen haben, ihre Verwaltungsakten öffnen.

Literatur:

Daniel Meltzian, Das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten der Gemeinschaftsorgane, 2004.
Thomas Hart u.a. (Hrsg.), Informationsfreiheit - Die "gläserne Bürokratie" als Bürgerrecht?, 2004.

Links:

http://www.europa.eu.int/documents/index_de.htm