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Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 ist
die im Luftsicherheitsgesetz geregelte Abschussermächtigung für Passagierflugzeuge
mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher nichtig. Für diese Regelung
fehle es bereits an einer Gesetzgebungsbefugnis des Bundes. Darüber hinaus
sei sie unvereinbar mit dem Grundrecht auf Leben und der Menschenwürdegarantie
des Grundgesetzes (GG).
Für den Fall, dass ein Flugzeug wie am 11. September 2001 zu einer Waffe
umfunktioniert wird (sog. Renegade-Fall), hat der Gesetzgeber in der vergangenen
Legislaturperiode eine neue Eingriffsermächtigung für die Streitkräfte
geschaffen. Zur Verhinderung des Eintritts eines "besonders schweren Unglücksfalles"
ist gemäß § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz "die unmittelbare Einwirkung
mit Waffengewalt" zulässig, wenn "nach den Umständen davon auszugehen
ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden
soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr
ist".
Diese Regelung verstößt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts unter
anderem gegen Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. In seiner
Urteilsbegründung greifen die Richterinnen und Richter auf die so genannte
Objektformel zurück. Die Passagiere, die dem in § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz
geregelten Waffeneinsatz ausgesetzt seien, befänden sich in einer für
sie ausweglosen Lage. Sie könnten ihre Lebensumstände nicht mehr unabhängig
von anderen selbstbestimmt beeinflussen. Dies mache sie zum Objekt nicht
nur der TäterInnen. Auch der Staat, der in einer solchen Situation zur
Abwehrmaßnahme des § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz greife, behandele
sie als bloße Objekte seiner Rettungsaktion zum Schutze anderer. Eine
solche Behandlung missachte die Betroffenen als Subjekte mit Würde und
unveräußerlichen Rechten. "Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel
zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht;
indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den
als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen,
der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt."
Nicht gegen das Recht auf Leben und die Menschenwürdegarantie verstoße
dagegen der Waffeneinsatz gegen ein Flugzeug, das ausschließlich mit Personen
besetzt sei, die das Flugzeug als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen
auf der Erde einsetzen wollten. "Es entspricht der Subjektstellung des
Angreifers, wenn ihm die Folgen seines selbstbestimmten Verhaltens persönlich
zugerechnet werden und er für das von ihm in Gang gesetzte Geschehen in
Verantwortung genommen wird." Das ist auch die Begründung, mit der nach
wie vor der gezielte Todesschuss für zulässig gehalten wird.
Constanze Oehlrich, Berlin
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