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Wem gehört die Natur?   Heft 4/2006
Transnational Concerns:
Facetten der Globalisierung
Seite 122-124
Die Inwertsetzung der biologischen Vielfalt erfordert einen rechtlichen Rahmen  
 

Der Schutz und die Nutzung biologischer Vielfalt ist eines der zentralen globalen umwelt- und ressourcenpolitischen Themen. Hier wird deutlich, dass es sich bei der Globalisierung weder um einen rein internationalen Prozess handelt, sondern lokale und nationalstaatliche Verhältnisse eine wichtige Rolle spielen. Bei den gegenwärtigen Transformationsprozessen handelt es sich sowohl um einen ökonomischen als auch einen politischen und kulturellen Prozess. Denn: Internationale ökonomische Transaktionen bedürfen der politisch-institutionellen Einbettung.
Der Begriff der biologischen Vielfalt ist nicht mit dem Begriff der Artenvielfalt gleichzusetzen, obwohl beides immer wieder synonym gebraucht wird. Neben der Artenvielfalt umfasst der Begriff biologische Vielfalt - synomym wird auch die Bezeichnung Biodiversität verwendet - die genetische Vielfalt sowie die Vielfalt an Habitaten und Ökosystemen. Vor allem die zweite Ebene, jene der genetischen Vielfalt, d.h. der vererbbaren Eigenschaften von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen, ist ein wichtiger potentieller "Rohstoff" für Pharma-, Agrar- und Kosmetikunternehmen. Die Biodiversitätsproblematik ist daher politisch hochbrisant: Es geht um die Frage, welchen wirtschaftlichen Wert die biologische und genetische Vielfalt auf der Erde hat. Die interessierten Unternehmen und Forschungsinstitute eignen sich diese genetischen Ressourcen an, häufig mit dem Ziel, sie später zu patentieren, d.h. die Verwertungsrechte zu monopolisieren. Dadurch werden sie in der Regel traditionellen Nutzerinnen und Nutzern entzogen, sie werden gleichsam enteignet. Wenn etwa indigene Völker über Jahrhunderte eine Pflanzensorte mit spezifischen Eigenschaften entwickeln oder eine Heilpflanze nutzen und bestimmte Eigenschaften dieser Pflanzen dann von Firmen in marktfähige Produkte eingekreuzt oder gentechnologisch eingebaut werden und anschließend mit geistigen Eigentumsrechten wie etwa Patenten geschützt werden, dann wird die Leistung der Indigenen nicht honoriert. Noch direkter sind die Auswirkungen, wenn auswärtige Firmen den lokalen Produkten Konkurrenz machen. Der hochwertige thailändische Jasminreis hat einen Exportwert von über 100 Millionen Dollar pro Jahr. Nun gibt es Versuche, eine Sorte an die Anbaubedingungen in den USA anzupassen und dort zu vermarkten, was die lokalen BäuerInnen in Thailand ökonomisch gefährden würde. Außerdem würden sie für ihre lange Züchtungsarbeit keinen Cent sehen. Ein ähnliches, Aufsehen erregendes Beispiel ist der Basmati-Reis aus Indien.1
Die nördlichen Regierungen und Patentämter spielen hier meist eine "ihre" Firmen und Forschungsinstitute unterstützende Rolle. Die Frage, wer über biologische Vielfalt und die daraus gewonnenen Lebensmittel und Medikamente verfügt, berührt Fragen der Ernähungssicherung, der Gesundheitsversorgung, des Schutzes von Nutzungsrechten indigener Gruppen sowie Umweltschutzfragen.

Biodiversität und internationale Politik

Die Aneignung der biologischen Vielfalt ist ohne internationale Regelungen nicht möglich ist. Sie setzt Regeln voraus zum einen hinsichtlich des Zugangs zu biologischer Vielfalt und zum anderen in Bezug auf die Absicherung der geistigen Eigentumsrechte im Falle der erfolgreichen Entwicklung und Vermarktung von aus den genetischen Ressourcen entwickelten Waren, z.B. Medikamenten, Saatgut etc.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Internationale Biodiversitätspolitik ist mehr als die ökonomische Taxierung von genetischen Ressourcen. Umweltschutzaspekte spielen genauso eine Rolle wie die Rechte indigener Völker. Gleichwohl ist zu beobachten, dass die beiden letztgenannten Aspekte vielfach hinter ökonomischen Interessen zurückstecken müssen. Beispielsweise spielt der gerechte Ausgleich zugunsten von indigenen Völkern, die über Jahrhunderte eine Pflanzensorte entwickelt haben, die nun von einem Saatgutunternehmen weiterentwickelt und patentiert wird - eine deutlich untergeordnete Rolle. Und auch Schutzaspekte werden immer stärker mit den Bedürfnissen einer effektiven Aneignung der genetischen Ressourcen in Einklang gebracht. Die Entwicklungen auf diesem Terrain werden v.a. angetrieben von den dominanten Interessen nördlicher Unternehmen und Forschungsinstitute, sich genetische Ressourcen anzueignen und sie im Agrar- und Pharmabereich zu verwerten.2
Für den Umgang mit biologischen Ressourcen sind mehrere internationale Abkommen von Bedeutung, deren Ansätze und Bestimmungen sich zum Teil unterscheiden. Drei der wichtigsten sind die Biodiversitäts-Konvention (CBD) von 1992, das Abkommen im Rahmen der Welthandelsorganisation angesiedelte, verwaltete und weiterverhandelte über handelsbezogene Aspekte geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen) von 1995 sowie der Internationale Vertrag zu pflanzengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (Saatgut-Vertrag) von 2001.3

Nach Rio und der WTO-Gründung

Die CBD wurde kurz vor dem UN-Gipfel über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro verabschiedet und auf diesem Gipfel von über 150 Staaten unterzeichnet. Sie trat 1993 in Kraft und verfolgt drei miteinander verbundene Ziele: den Schutz der biologischen Vielfalt, die nachhaltige Nutzung der biologische Ressourcen sowie die gerechte Aufteilung der Gewinne daraus. Die biologische Vielfalt wird nicht mehr wie zuvor als gemeinsames Erbe der Menschheit betrachtet, sondern es wird ein Verfügungsrecht der Nationalstaaten über biologische Ressourcen auf ihrem Territorium geschaffen. Die Konvention verpflichtet aber die Mitgliedsstaaten, die Rechte von indigenen Völkern und traditionellen Gemeinschaften in Bezug auf ihre biologischen Ressourcen und Wissenssysteme zu schützen, und verlangt die gerechte Teilung der Gewinne aus deren Nutzung.
Das TRIPS-Abkommen entstammt nicht wie die CBD der Debatte über globalen Umweltschutz, sondern Verhandlungen über den freien Handel: Es wurde 1995 in der Uruguay-Runde des internationalen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) beschlossen. Das Abkommen dient dem Schutz der geistigen Eigentumsrechte - darunter Urheberrechte, Handelsmarken, Geschäftsgeheimnisse und Patente - und setzt dafür Mindeststandards, die alle WTO-Mitglieder nach einer Übergangsfrist (für die ärmsten Länder 11 Jahre) gewährleisten müssen. Zum Beispiel müssen Patente mindestens 20 Jahre gelten. Der umstrittene Artikel 27 des Abkommens bestimmt, dass jede verwertbare Erfindung von Produkten oder Prozessen patentierbar sein muss; das unterstellt im Prinzip Lebewesen dem Patentrecht. Staaten dürfen medizinische Behandlungsmethoden und Pflanzen oder Tiere, nicht aber Mikroorganismen, von der Patentierbarkeit ausnehmen. Für Pflanzensorten müssen sie einen Patentschutz oder einen anderen wirksamen rechtlichen Schutz des geistigen Eigentums schaffen. Die WTO-Ministerkonferenz in Doha von 2001 hat erlaubt, auch lebenswichtige Medikamente vom Patentschutz auszunehmen.

Umstrittene Verträge

Der Saatgut-Vertrag von 2001, der an eine Vereinbarung von 1983 anknüpft, wurde im Rahmen der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) geschlossen und zielt auf den Schutz der weltweit wichtigsten Kultursorten und das Recht der Bauern, diese anzubauen und weiter zu züchten. Er unterstellt 35 für die Welternährung wichtige Nahrungspflanzen (darunter Reis und Weizen, die meisten Mais- und Bohnensorten sowie Kartoffeln) und 29 Futterpflanzen einem zu schaffenden "multilateralen System" und nimmt sie vom Patentschutz aus. Sie sollen frei ausgetauscht und angebaut werden dürfen. Strittig ist allerdings, ob Teile dieser Pflanzen, etwa Genabschnitte, patentiert werden dürfen. Der Vertrag ist seit Ende 2002 in Kraft.
Wie einzelne Bestimmungen der Verträge zu deuten sind, ist umstritten. Deutlich ist aber, dass sie sich zum Teil widersprechen. Nach dem TRIPS-Abkommen werden biologische Ressourcen bzw. das Wissen darum als privates geistiges Eigentum behandelt. Das Abkommen verlangt anders als die CBD weder, dass der Patentinhaber vor Sammlung von biologischen Ressourcen in einem Gebiet die Zustimmung des zuständigen Staates einholt, noch dass der Nutzen mit den ursprünglichen Besitzern geteilt wird. Die Bestimmungen des TRIPS-Abkommens in Bezug auf die Patentierbarkeit biologischer Ressourcen gefährden Belange der armen Länder: Sie unterstellen Medikamente im Prinzip dem Patentrecht, und der Schutz für Pflanzensorten stellt das Recht der Bauern in Frage, eigenes Saatgut ohne Lizenz zu züchten oder einen Teil der Ernte wieder auszusäen. Dies läuft dem Ansatz des Saatgut-Vertrages direkt zuwider. Welcher Vertrag im Konfliktfall Vorrang hat, ist unklar. Das TRIPS-Abkommen ermöglicht in der Praxis als Teil des WTO-Vertrags die schärfsten Sanktionen gegen Verstöße, d.h. Schiedssprüche gegen Mitglieder müssen am ehesten befolgt werden.4

Alternativen zum Patentrecht

Heftig umstritten ist aber auch, welche Produkte und Verfahren patentierbar sein sollen. Laut TRIPS-Abkommen müssen nur "Erfindungen" patentierbar sein, nicht jedoch Entdeckungen. Dabei bleibt aber unklar, was genau eine Erfindung auszeichnet und von Entdeckungen unterscheidet. So erregte die Patentierung des indischen Neem-Baums durch die US-amerikanische Firma W.R. Grace großes Aufsehen, da die Firma keine Innovation vornahm, sondern den Baum und das jahrhundertealte Wissen um die Wirkungen seiner Teile für sich patentieren ließ.
Alternativ zum Patenrecht können die Staaten Erfindungen nach dem TRIPS Abkommen auch durch anderweitige Schutzsysteme geistigen Eigentums aufgrund bestehender Rechtsvorschriften absichern. Aber sie müssen im Sinne des TRIPS-Abkommens effektiv sein.
Eine zentrale Frage ist, welche Spielräume das TRIPS-Abkommen auf nationaler Ebene tatsächlich lässt und wie diese am besten ausgenutzt werden können.5 Sowohl das Third World Network als auch die Afrikanische Union haben inzwischen Vorschläge für alternative rechtliche Vorschriften zum Schutz geistigen Eigentums vorgelegt, wobei aber noch unklar ist, inwieweit diese auch akzeptiert werden. Dennoch bleibt eine Hauptfrage ungeklärt, ob und inwieweit nämlich solche eigenständigen Rechtssysteme mit dem übergreifenden Verständnis des westlichen Begriffs von geistigem Eigentum kompatibel sind oder sein müssen, und inwieweit sie daher international akzeptiert werden. Die Regierungen der sog. Entwicklungsländer haben Mitte der 1990er Jahre dem TRIPS Abkommen unter politischem Druck, in Unkenntnis der weitreichenden Auswirkungen, aber durchaus auch mit positiven Erwartungen zugestimmt. Heute sind die negativen Auswirkungen klarer und entsprechend formieren sich seit Jahren Kritik und Proteste. Die aktuellen Blockaden innerhalb der Welthandelsorganisation hängen auch an Streitigkeiten um die Zukunft des TRIPS-Abkommens.

Demokratische Biodiversitätspolitik

Wie das Urteil über den indischen Neem-Baum zeigt, bei dem die Patente des US-amerikanischen Konzerns vom Europäischen Patentamt nachträglich rückgängig gemacht wurden, ist noch keineswegs endgültig geklärt, wie diese Regelungen in Zukunft ausgelegt werden. Seit einigen Jahren wächst die Kritik an den dominanten Aneignungsformen der biologischen Vielfalt. Insbesondere mit dem Begriff der Biopiraterie ist es gelungen, die rechtlich illegale wie auch die illegitime (d.h. legale, aber moralisch aus Sicht der KritikerInnen verwerfliche) Aneignung von genetischen Ressourcen und traditionellem Wissen zum politischen Thema zu machen.6
Chancen für eine demokratische Gestaltung ergeben sich auf internationaler Ebene vor allem dort, wo die Widersprüche zwischen Vertragswerken offenkundig geworden sind und ausgenutzt werden können. Denn im Gegensatz zum TRIPS-Abkommen haben in der CBD oder im Saatgut-Vertrag der FAO schwächere Akteure der internationalen Politik - südliche Regierungen, NGOs, indigene Völker und lokale Bauern und Bäuerinnen - wenigstens die Chance, Rechte zugesprochen zu bekommen. So sind in der CBD und der FAO etwa die Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften auf ihre Ressourcen und den Umgang damit anerkannt. Hinsichtlich der geistigen Eigentumsrechte ist jedoch zweifellos das TRIPS-Abkommen das bestimmende. Dennoch kann über politische Debatten und Druck durchaus erreicht werden, dass internationale Machtverhältnisse zumindest partiell aufgebrochen werden und mehr Transparenz in die politischen Prozesse kommt. Deshalb steht der Widerstand gegen die Patentierung genetischer Ressourcen zu Recht im Zentrum vieler Kampagnen. Denn ein Sachverhalt ist unglaublich wichtig: Das TRIPS-Abkommen ist in vielen Ländern noch nicht umgesetzt. Lokale und nationale Auseinandersetzungen bleiben deshalb ebenso unverzichtbar wie die Politisierung der Probleme. Schließlich wird dadurch deutlich, welche Interessen hinter welchen Vorschlägen stehen.
Bei der internationalen Absicherung der geistigen Eigentumsrechte über das TRIPS-Abkommen handelt es sich um ein Kernelement des gegenwärtigen Kapitalismus. Mit Hilfe solcher politisch gesicherten Eigentumsrechte verfügen die Inhabern dieser Rechte über ein bestimmtes Saatgut oder Medikament. Dass dies immer mehr verstanden wird und die sich daraus ergebenden extremen Ungleichheiten deutlich und politisch hinterfragt werden - gerade mit Blick auf das TRIPS-Abkommens und unter dem Begriff der Biopiraterie -, ist ein wichtiges Element in der konzeptionellen und praktischen Kritik an der neoliberalen Globalisierung.
Deutlich wird in den letzten Jahren aber auch, dass Politisierungen und Widerstand gegen die unrechtmäßige Aneignung genetischer Ressourcen und des Wissens ihrer Verwendung auf lokaler und nationaler Ebene wichtig und oft auch erfolgreicher sind. Diese Auseinandersetzungen sind jedoch darauf angewiesen, dass die dominanten Inhalte des bestehenden internationalen politischen Rahmens, der die Privatisierung der Natur vorantreibt, geschwächt werden.

Ulrich Brand, arbeitet als wissenschaftlicher Assistent am Fachgebiet Globalisierung und Politik der Universität Kassel und ist politisch aktiv in der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und im wissenschaftlichen Beirat von Attac. Er arbeitet seit vielen Jahren zu Themen internationaler Umweltpolitik und nachhaltiger Entwicklung.

Anmerkungen:

1 Vgl. diese und viele andere Beispiele in BUKO-Kampagne 2005.
2 Brand 2006.
3 Die knappe Skizze der drei Abkommen verdanke ich Bernd Ludermann.
4 Vgl. ausführlich Brand/Görg 2003.
5 Correa/Musungu 2002.
6 Vgl. Ribeiro 2002; BUKO-Kampagne 2005; www.biopiraterie.de.

Literatur:

Brand, Ulrich, Zwischen Schutz, Rechten und Kommerzialisierung. Die Konvention über biologische Vielfalt im Globalisierungsprozess und Chancen demokratischer Biodiversitätspolitik. Policy-Paper für die Heinrich-Böll-Stiftung zur 8. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über biologische Vielfalt im März 2006 in Curitiba, Brasilien, 2006, www.boell.de/downloads/cbd_cop_8maerz2006.pdf.
Brand, Ulrich / Görg, Christoph, Postfordistische Naturverhältnisse. Konflikte um genetische Ressourcen und die Internationalisierung des Staates, 2003. Erscheint in aktualisierter Version im Jahr 2007 auf Englisch als "Contested Terrains. Conflicts about genetic resources and the internationalisation of the state".
BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie, Grüne Beute. Biopiraterie und Widerstand - Argumente, Hintergründe, Aktionen, 2005.
Correa, Carlos / Musungu, Sisule F., The WIPO Patent Agenda: The Risks for Developing Countries. South Centre. http://www.southcentre.org/publications/wipopatent/toc.htm, 2002.
Görg, Christoph, Regulation der Naturverhältnisse. Zu einer kritischen Theorie der ökologischen Krise, 2003.
Ribeiro, Silvia, Biopiraterie und geistiges Eigentum. Zur Privatisierung von gemeinschaftlichen Bereichen, in: Görg, Christoph / Brand, Ulrich, Mythen globalen Umweltmanagements. Rio plus 10 und die Sackgassen "nachhaltiger Entwicklung", 2002, 118-136.