General Motors will ganze Werksteile aus den Fertigungsstätten für Opel auslagern. Losgehen soll es im Werk Bochum. GME-Produktionschef Eric Stevens sagte, das Bochumer Werk diene als "Vorreiter". Demnach werden weitere Auslagerungen folgen.1 Solche oder ähnliche Meldungen sind aus der heutigen Medienlandschaft gar nicht mehr wegzudenken. Es ist immer das Gleiche: Die Unternehmen fordern die Senkung der Lohnkosten und Abgabenbelastung. Ansonsten drohen sie mit Arbeitsplatzabbau und Standortverlagerungen. Auch wenn die Politik diesem Erpressungsdruck immer wieder nachgibt, sind Betriebsschließungen- und verlagerungen an der Tagesordnung. Immer mehr Betriebe werden von Industrienationen wie Deutschland in Länder verlegt, in denen wesentlich weniger oder kaum Steuern und Sozialabgaben anfallen. Eine außenwirtschaftliche Liberalisierung hat dazu geführt, dass Zölle und mengenmäßige Importbeschränkungen ihre Schutzfunktion für die heimische Produktion längst einbüßten. War der Konkurrent eines Unternehmens vorwiegend nur innerhalb staatlicher Grenzen zu suchen, so ist er nun überall auf der Welt zu finden. Durch Betriebsverlagerungen zielen Unternehmen folglich auf Handlungsmöglichkeiten, die sie benötigen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Für die betroffenen ArbeitnehmerInnen hingegen bedeutet das den Verlust des Arbeitsplatzes und damit verbunden gravierende wirtschaftliche Nachteile. Daneben belasten auch immatrielle Beeinträchtigungen, wie der Verlust sozialer Beziehungen oder Entwertung von langjährigem fachlichen Wissen, die Menschen stark. Aber auch die Menschen, zu denen die Arbeit kommt, müssen diese oftmals ohne arbeitsrechtliche und soziale Absicherung, in völliger Abhängigkeit von dem "Unternehmenswillen" verrichten. Ein Abwertungswettlauf um ArbeitnehmerInnenrechte und Sozialstandarts wurde ausgelöst. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, ob und welche Reaktionsmöglichkeiten die Arbeitnehmervertretungen besitzen, um die einschneidenden Folgen für die Betroffenen zu verhindern oder doch zumindest abzumildern. Reaktionsmöglichkeiten des Betriebsrats Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei solchen Betriebsänderungen
sind in §§ 111-113 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) normiert.
Danach hat der Betriebsrat Beteiligungsrechte in Form von Unterrichtungs-,
Beratungs- und Mitbestimmungsrechten. Daher wird er von der Unternehmensleitung
informiert und aufgefordert, Verhandlungen über einen Interessenausgleich
und Sozialplan (§§ 112,112a BetrVG) aufzunehmen. Gewerkschaften und die Standortentscheidung Nachdem das Unternehmen den Betriebsrat aufgefordert hat, Verhandlungen
mit ihr aufzunehmen, kommt regelmäßig die zuständige Gewerkschaft ins
Spiel. Durch diese erweitern sich die Handlungsmöglichkeiten der ArbeitnehmerInnen
enorm. Denn nur die Gewerkschaften besitzen das Druckmittel des Streiks.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob hier den Gewerkschaften ein Mitbestimmungsrecht
an der Standortentscheidung zukommen kann, das dann durch einen Arbeitskampf
erzwungen werden könnte. Dieses könnte sich zwar aufgrund ihrer Tarifautonomie
aus Art. 9 III Grundgesetz (GG) ergeben, wonach die Koalitionen (Gewerkschaften
und Unternehmen bzw. Arbeitgeberverbände) Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen
durch Abschluss von Tarifverträgen selbständig und ohne staatliche Einflussnahme
regeln können3, jedoch nur, wenn die unternehmerische Standortentscheidung
auch tarifvertraglich frei regelbar, also tarifierbar ist. Denn ein Streik
kommt nur für tarifierbare Sachverhalte in Betracht. Tarifautonomie als Gegenargument Allerdings hat sich diese Entscheidung, welche die Tarifmacht der Gewerkschaften
nur auf die sozialen Folgen einer Unternehmensentscheidung beschränkt
(wie im Folgenden noch dargestellt wird), während die Standortentscheidung
allein beim Unternehmen verbleibt, in der Literatur nicht durchsetzen
können und wird als "extrem" bezeichnet.7 Denn dadurch würde wiederum
die gewerkschaftliche Tarifautonomie unzulässig eingeengt.8 Vielmehr müssten
auch solche Entscheidungen tarifierbar sein, bei denen sich die wirtschaftliche
und soziale Seite nicht voneinander trennen lassen. In solchen Fällen
müsse eine Interessenabwägung zwischen Unternehmens- und Tarifautonomie
stattfinden.9 Bei Betriebsverlagerungen ins Ausland hängt die unerwünschte
soziale Folge, nämlich die Arbeitslosigkeit, untrennbar mit der Unternehmensentscheidung
zusammen. Dies bedeutet bei einer Interessenabwägung pro Tarifautonomie
die Tarifierbarkeit der Standortentscheidung und somit eine unmittelbare
Mitbestimmung der Gewerkschaften. Gültigkeit eines Tarifsozialplans Aus diesen Gründen enthält der bei einer anstehenden Betriebsverlagerung von den Gewerkschaften angestrebte Tarifsozialplan regelmäßig folgende Forderungen: Massive Verlängerung der Kündigungsfristen10, einen Anspruch auf bis zu drei Jahre andauernde Qualifizierungsmaßnahmen unter Fortzahlung der vollen Vergütung11 und Abfindungen in Höhe von zwei Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr12. Diese Forderungen sind im Arbeitgeberlager auf großen Widerstand gestoßen, handelt es sich doch um solche, die bisher in einem Sozialplan auf Grundlage des BetrVG zwischen dem Unternehmen und dem Betriebsrat verhandelt wurden. Es wurde argumentiert, dass die Forderung nach solch einem Tarifsozialplan unzulässig sei, da es sich bei den §§ 111 ff. BetrVG um abschließende Regelungen handle. Diese würden betriebsverfassungsrechtliche Regelungen, sowohl inhaltlich als auch nach der Zuständigkeit auf die Ebene des BetrVG beschränken. Die Rechtsprechung befand aber, dass es sich bei diesen Forderungen um Sozialplaninhalte handelt, die mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen in Zusammenhang stehen und deshalb als Beendigungsnormen in § 1 I Tarifvertragsgesetz (TVG) zulässiger Weise gefordert werden können.13 Auch stellten sie keine abschließende Zuständigkeitsregelung dar. Schließlich könnten nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Beteiligungsrechte des Betriebsrats durch Tarifvertrag erweitert und gestärkt werden.14 Was bedeute, dass umgekehrt die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien auf betriebsverfassungsrechtliche Regelungsgegenstände nicht ausgeschlossen werden sollen.15 Somit können die §§ 111 ff. BetrVG nicht als abschließend betrachtet werden. Des Weiteren wurde von den Arbeitgebern hervorgebracht, die Generalklausel des § 112 V BetrVG enthalte auch eine Zuständigkeitssperre für die Tarifvertragsparteien (sogenannte Tarifsperre). Die Regelungen der §§ 111 ff. BetrVG könnten nur von den Betriebsparteien getroffen werden, die auch gesetzlich an die strengen Ermessensgrenzen des § 112 V BetrVG gebunden seien. Da eine solche Bindung für die Tarifparteien nicht existiere, sei eine Regelungsbefugnis dieser auszuschließen. Die Landesarbeitsgerichte vermochten aber keine Tarifsperre zu erkennen. § 112 V BetrVG regele lediglich, was von der betrieblichen Einigungsstelle beim Abschluss von Sozialplänen zu beachten sei. Er enthalte jedoch keinen Ausschluss der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien. Kritik an massiven Forderungen Auch die Ansicht der Arbeitgeber, dass die Forderungen von Sozialplaninhalten durch die Gewerkschaften so massiv ausfallen und besonders die Addition dieser auch im Hinblick auf einen Arbeitskampf zur Durchsetzung eine autonome Unternehmensentscheidung unmöglich machen könnte, wiesen die Gerichte zurück. Da diese Forderungen grundsätzlich tarifierbar seien, müssten an die Prüfung, ob sie aufgrund des Forderungsumfangs den Kernbereich der Unternehmensautonomie verletzen, strenge Maßstäbe angesetzt werden. Es müsse offensichtlich sein, dass die tariflichen Forderungen der Gewerkschaft die freie Standortentscheidung des Unternehmers tangiert, da ansonsten die Tarifautonomie ihrerseits in ihrem Kernbereich verletzt wäre. Dafür sei der Arbeitgeber grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtig. Er müsse darlegen, dass er die mitbestimmungsfreie geplante Betriebsänderung nicht mehr durchzuführen in der Lage ist, weil die Umsetzung der Tarifforderung zu einer "wirtschaftlichen Erdrosselung" des Unternehmers führen würde. Er müsse also beweisen, dass die Umsetzung das "Ob" der freien Standortentscheidung rechtswidrig tangiert. Auch an diese Darlegungspflicht des Arbeitgebers werden strenge Anforderungen gestellt. Damit die Tarifierbarkeit der geforderten Kündigungsfristen und Abfindungszahlungen genau beurteilt werden kann, muss er die Beschäftigungszeiten aller Arbeitnehmer, die von der Kündigung bedroht sind, konkret darlegen. Es muss nachvollziehbar sein, in welchem zeitlichen Rahmen die Verlagerung stattfinden wird. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann das "Ob" der Betriebsverlagerung rechtswidrig tangiert sein.16 Somit kommen die Landesarbeitsgerichte zutreffend zu dem Schluss, dass ein Tarifsozialplan sowohl inhaltlich als auch bezüglich der Zuständigkeit und konkreten Umsetzung zulässig ist und auch in einem Betrieb mit Betriebsrat durch einen Streik erzwungen werden kann. Gewerkschaften als global player Dies alles ermöglicht den ArbeitnehmerInnen immerhin, die Folgen, den
der Verlust ihres Arbeitsplatzes mit sich bringt, abzumildern, auch wenn
eine Verhinderung der Verlagerung nicht möglich ist. Burak Kuru studiert Jura in Göttingen Anmerkungen: 1 TAZ vom 01.08.2006, 7. |