Heft 2/2000:
Mächtig organisiert - Die neue Weltordnung
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Verena Meyer Zum ersten Artikel des Schwerpunkts Zum ersten Artikel des Forums Zur Rubrik Ausbildung Zur Rubrik Recht kurz Zum Sammelsurium Zur Rubrik Politische Justiz Zur BAKJ-Seite
Die Quadratur des Kreises
Über die Zukunft der Vereinten Nationen
 

Die Vereinten Nationen sind mit inzwischen 185 Mitgliedstaaten die größte der internationalen Organisationen und allgemein anerkannt auch von den wenigen verblieben Nicht-Mitgliedstaaten. Bieten ihnen diese Voraussetzungen die Möglichkeit, eine Führungsrolle bei der Lösung der anstehenden globalen Probleme zu übernehmen? Oder versagen sie, weil die meisten Staaten einer internationalen Organisation im Grunde nie eine wirkliche Chance einräumen wollten? Was vermag eine solche Organisation überhaupt zu leisten?

Finanzkrise und Zahlungsmoral

Die Finanzierung der Vereinten Nationen basiert hauptsächlich auf den Pflichtbeiträgen zum ordentlichen Haushalt und den Beiträgen für die Friedensoperationen. Für die Jahre 1998/99 belief sich dieser Haushalt auf knapp unter 2,5 Mrd. US-Dollar, ca. 1,3 Mrd. US-Dollar für den ordentlichen Haushalt und 1,2 Mrd US-Dollar für die Friedensmissionen. Diese Summe ist geradezu lächerlich gering. Zum Vergleich: dies entspricht den Ausgaben, die die Stadt New York im Jahr für Polizei und Feuerwehr zur Verfügung hat.
Die Organisation ist chronisch unterfinanziert und mit schöner Regelmäßigkeit muß der Generalsekretär die Zahlungsunfähigkeit bekannt geben. Angefangen hat dies schon in den sechziger Jahren, als sich die damalige Sowjetunion weigerte, ihren vollen Beitrag zu den Friedensmissionen zu zahlen. Auch heute ist die Hauptursache für die Finanzkrise die fehlende Zahlungsmoral der Mitgliedstaaten: allen voran der USA. Im Haushaltsjahr 1994 haben beispielsweise nur 21 Mitgliedstaaten ihre Beitragspflicht pünktlich und in vollem Umfang erfüllt. Insgesamt fehlen den Vereinten Nationen zur Zeit circa 3 Mrd. US-Dollar. Davon schulden allein die USA etwa 1,3 Mrd. US-Dollar und dies, obwohl der Beitrag der USA zum ordentlichen Haushalt nur 315 Mio. US-Dollar beträgt - 1,30 US-Dollar pro Amerikaner.
Dennoch halten die Mitgliedstaaten nicht sich selbst verantwortlich für die Finanzkrise, sondern schieben die Verantwortung auf die Vereinten Nationen und ihren Verwaltungsapparat.
Zugegeben: die Vereinten Nationen sind nicht ganz unschuldig an dem Problem. Die Weltorganisation hat im Laufe der Jahre ein fast unüberschaubares Gebilde von Ausschüssen, Unter- und Sonderorganisationen entwickelt. Die Vereinten Nationen arbeiten ineffektiv. Korruption und Vetternwirtschaft in Personalfragen, Nepotismus und Ämterschacher haben ihren Ruf kaputt gemacht. Bei Untersuchungen des eigens geschaffenen Amtes für Interne Aufsichtsdienste (Office of Internal Oversight Services, OIOS) wurde unter anderem festgestellt, daß bei den Friedenssicherungsmaßnahmen in Somalia 3,9 Mio. Dollar gestohlen worden waren. Die Innenrevision arbeitet nur mangelhaft, es fehlt eine Überwachung. Die Organisation ist überbesetzt; 10-15% des Personals könnten abgebaut werden1 .
Die OIOS entwickelte bei ihrer Arbeit ein differenziertes Bild von den finanziellen Problemen der Vereinten Nationen, das nicht den Horrorklischees entsprach, die alle so gern hören wollten. Gelähmt wird die Organisation bei ihrer Arbeit auch von einem unzureichend ausgebildeten Personalkörper, der aus allen Teilen der Welt stammt und entsprechend vielfältige Vorstellungen von Verwaltung hat. Die Vereinten Nationen bemühen sich seit Jahren um Reformen. Aber die Mitgliedstaaten haben verschiedene Vorstellungen darüber, was die Organisation sein soll und was sie leisten soll. Entsprechend schwierig ist es, eine Reform auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner durchzuführen.
Aber auch die OIOS kommt zu dem Schluß, daß die Arbeit der Vereinten Nationen vor allem von ihrer Schuldenkrise gelähmt wird. Unbestritten muß sich die Zahlungsmoral der Mitglieder ändern. Aber bis dahin ist es ein weiter Weg. In Zeiten knapper Kassen wächst vor allem in den Industriestaaten der Wunsch, lästige Kosten zumindest hinauszögern zu können. Und die Vereinten Nationen können sich kaum dagegen wehren: zwar kann nach Artikel 19 UN-Charta den betreffenden Staaten das Stimmrecht in der Generalversammlung entzogen werden. Doch vor der offenen Konfrontation vor allem mit den USA scheuen viele zurück. So wird seit Mitte der 60er Jahre der größte Teil der Beschlüsse der Generalversammlung im sogenannten consensus-Verfahren getroffen, also ohne formelle Abstimmung.
Dies zeigt, daß die Vereinten Nationen eine eigene Einnahmequelle - zum Beispiel in Form einer Steuer auf den internationalen Güter- und Dienstleistungsverkehr - brauchen. Zweifellos müssen die Pflichtbeiträge weiterhin der wichtigste Pfeiler der Finanzierung sein. Doch die Abhängigkeit von den Hauptbeitragszahlern muß verringert werden. Nur so können die Vereinten Nationen ein Stück von der Pflicht zum politischen Wohlgefallen losgelöst werden.
Um so enttäuschender ist es, daß alle Ideen zu einer alternativen Finanzierung wenig Anklang finden. So bemüht sich auch Deutschland als drittgrößter Beitragszahler nicht darum, mit diesem Gewicht eine Reformierung der Finanzpolitik voranzutreiben. Den Mitgliedstaaten scheint es wenig darauf anzukommen, die Vereinten Nationen zu einer unabhängigen Organisation zu machen, denn so würden die Staaten ein Stück Kontrolle über sie verlieren.

Sicherheitsrat - Der Club der ewig Gestrigen

Der Sicherheitsrat setzt sich aus fünf ständigen (USA, Großbritannien, Frankreich, Rußland und China) und zehn nichtständigen Mitgliedern zusammen. Die nichtständigen Mitglieder gehören dem Rat für jeweils zwei Jahre an. Durch diese Aufteilung wollte die Siegerallianz des 2. Weltkrieges ihre Vormachtstellung auch in der neu geschaffenen Organisation deutlich machen. Außerdem war allen bewußt, daß ein Weltfrieden entscheidend von den Weltmächten abhängen würde.
Schon bald aber zeigte sich die Schwäche dieser Konstruktion, insbesondere das Veto-Recht der fünf ständigen Mitglieder verhinderte eine konstruktive Arbeit. Bei nicht prozeduralen Fragen bedarf es nämlich der Zustimmung aller ständigen Mitglieder (Veto). Auch die Entscheidung über die Natur einer Frage unterliegt dem Veto (Doppelveto). Während des Kalten Krieges führte dies immer wieder zur Blockade des Sicherheitsrates in wichtigen Fragen: im Zeitraum von 1946 - 1970 hat hauptsächlich die Sowjetunion von ihrem Vetorecht Gebrauch gemacht, im Zeitraum von 1970 - 1990 wiederum waren die USA diejenigen, die 68 Mal mit ihrem Veto eine Entscheidung verhinderten. Zwar bemühen sich die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates seit dem Ende des Kalten Krieges, Einigkeit in ihren Beschlüssen zu erzielen, doch diese Bemühungen könnten nur von kurzer Dauer sein.
Die sinnvollste Lösung wäre es, das Veto-Recht abzuschaffen und so eine grundlegende Neustrukturierung des Sicherheitsrates zu ermöglichen. Es gäbe dann keinen exklusiven Club mehr, der im Verdacht steht, nur seine eigenen Interessen zu verfolgen. Die in der Präambel der Vereinten Nationen proklamierte Gleichheit aller Mitgliedstaaten wäre endlich verwirklicht. So wünschenswert diese Lösung auch wäre, so utopisch ist sie zur gleichen Zeit. Wenn nicht einmal Großbritannien und Frankreich auf ihr Veto zugunsten eines EU Veto-Rechts verzichten würden, um wieviel weniger sind dann die USA, Rußland oder gar China als aufstrebende Weltmacht dazu bereit?
Die Kritik am Veto-Recht hängt eng zusammen mit der Besetzung des Sicherheitsrats. Diese ist spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges nurmehr ein Relikt vergangener Kolonialherrenmacht und Hindernis bei der Friedenssicherung. Die westlichen Staaten sind überrepräsentiert. Staaten der sogenannten Dritten Welt sind keine ständigen Mitglieder des Rates. Nicht zu unrecht werden deshalb die Entscheidungen des Sicherheitsrates von vielen Staaten der Dritten Welt als die Fortsetzung des Imperialismus und Kolonialismus mit anderen Mitteln angesehen. Zwar gibt es eine interne Festlegung, daß zu den nichtständigen Mitgliedern immer fünf afroasiatische und zwei lateinamerikanische Staaten gehören müssen, dies ändert an der Ungerechtigkeit aber wenig. Nur eine ständige Mitgliedschaft würde es ermöglichen, Interessen der sog. Dritten Welt dauerhaft Gehör zu verschaffen.
Eine Erweiterung des Rates ist jedoch nicht so einfach. Denn wieviele neue ständige Mitglieder soll er bekommen? Gerade auch Staaten wie Deutschland und Japan pochen auf einen eigenen ständigen Sitz für ihre Länder. Für die Aufnahme eines weiteren ständigen Sicherheitsratsmitgliedes ist eine 2/3 Mehrheit in der Generalversammlung notwendig, in der die Staaten der sog. Dritten Welt die Mehrheit haben. Warum sollten sie noch einen weiteren westlichen Staat in den Sicherheitsrat schicken, selbst wenn dieser auf ein Veto-Recht verzichten würde, wie es Außenminister Fischer in einer Rede anbot? Aber auch alle ständigen Ratsmitglieder müßten der Erweiterung zustimmen; jedoch zeigen sie wenig Interesse, ihre Privilegien zu teilen.
Der Sicherheitsrat ist das wichtigste Entscheidungsorgan der Vereinten Nationen; seine Erweiterung um so wichtige Staaten wie Nigeria, Indien oder Brasilien ist notwendig, denn nur so wird die Zusammensetzung des Gremiums der aktuellen Weltlage entsprechen. Doch solange gerade diejenigen Staaten, die eine solche Reform vorantreiben könnten, mit eigenem Prestigedünkel beschäftigt sind, statt an die Zukunft der Organisation zu denken, solange landet jede Reform unweigerlich in der Sackgasse politischer Machtverhältnisse. Gerade hier verpaßt die deutsche Außenpolitik eine Chance, inhaltlich Akzente zu setzen, statt wie ein Erbsenzähler nur auf seine Beitragslast zu verweisen und daraus Verantwortlichkeit ableiten zu wollen.

Frieden schaffen ohne Waffen?

Wohl die größte Enttäuschung bot das Versagen der Vereinten Nationen bei der Friedenssicherung. Somalia, Ruanda, Ex-Jugoslawien markieren nur einige vergebliche Versuche, Frieden und Sicherheit wiederherzustellen.
Am Ende des Kalten Krieges befand sich die Welt in einer Aufbruchstimmung, die auch auf die Vereinten Nationen übersprang. Viele Hoffnungen wurden in sie gesetzt. Noch 1996 verkündete die SPD-Fraktion während einer Debatte im Deutschen Bundestag, daß die Vereinten Nationen das alleinige friedensschaffende Mandat hätten. Nur in Kooperation mit den UN und unter ihrer Kontrolle wären Aktionen von NATO und WEU gerechtfertigt. Aber was ist aus diesen Vorsätzen geworden? Im Kosovo-Krieg haben die USA und die europäischen Staaten sich lieber einer Organisation wie der NATO bedient, in der sie unter sich waren.
So ersparten sie sich bei der Entscheidungsfindung das lästige Einschalten von Rußland und China oder gar der Staaten der sogenannten Dritten Welt. In den Vereinten Nationen würden sich die westlichen Staaten am Ende nur mit unbequemen Wahrheiten konfrontiert sehen. Denn fest steht, daß den Vereinten Nationen im Jahr für die Friedenssicherung nur circa 1,2 Mrd. US-Dollar zur Verfügung stehen, während auf der anderen Seite allein die USA im Jahr 4 Mrd. Dollar für die Kreditierung bzw. Finanzierung ihrer Waffenkäufe ausgeben. Insgesamt verkauften die Industriestaaten 1992 für 23,9 Mrd. US-Dollar Waffen an die Staaten der sog. Dritten Welt, in eben jene Länder wie Somalia, Ruanda und den Kongo, in denen wenig später blutige Bürgerkriege begannen, die - natürlich - die Vereinten Nationen schlichten sollten2 .
Dies macht eins deutlich: die Hauptlast liegt bei den einzelnen Staaten; sie müssen ihre Politik an den Regeln der Friedenssicherung ausrichten. Dabei bedeutet Friedenssicherung mehr als bloße Außenpolitik; sie ist vor allem auch Innenpolitik, eine effektive Rüstungskontrolle und die Unterbindung von Waffenexporten. Wie können Friedensmissionen eine Chance haben, wenn jedes Jahr pro Kopf der Weltbevölkerung nur 60 Cents dafür ausgegeben werden, für Rüstungsgüter dagegen 150 US-Dollar? Vor den richtigen Konsequenzen aber scheuen sich vor allem die Industriestaaten. Lieber reagieren, als agieren. Lieber nachher eine Einsatztruppe in das Krisengebiet schicken, als daheim die Rüstungsindustrie zügeln. Lieber Arbeitsplätze retten, statt Menschenleben. Dazu jedoch braucht man keine Vereinten Nationen, dazu genügt eine mobile Einsatztruppe, die man bei Bedarf schnell an den Krisenherd schicken kann, ohne sich groß rechtfertigen zu müssen.
Aber die Vereinten Nationen haben sich bei ihren friedensschaffenden Einsätzen verschätzt. Ihre frühere Wunderwaffe, die sogenannten Blauhelmtruppen, können nur mit Einverständnis der Konfliktparteien zum Einsatz kommen. Gewaltanwendung ist für sie tabu. Dies ist die Strategie des Peace-keeping, die 1956 vom Generalsekretär Dag Hammarskjöld entwickelt wurde und ein Mittelding zwischen der friedlichen Streitbeilegung und dem militärischen Eingreifen darstellt. Nicht erst seit dem Somalia-Einsatz wird aber erwogen, eben dieses Tabu zu brechen und zu einem robusten Peace-keeping, also zur Friedenserzwingung, überzugehen. Bei der robusten Mandatsdurchsetzung wird auf die Zustimmung der Konfliktparteien zum Einsatz verzichtet und damit gleichzeitig der Widerstand der Bevölkerung im Einsatzgebiet provoziert. Kann dies jedoch von den Vereinten Nationen geleistet werden? Kann Frieden erzwungen werden? Sicherlich ist es nicht hinnehmbar, im Falle eines Krieges wegzuschauen. Aber man sollte seine Kräfte auch nicht überschätzen. In jüngster Vergangenheit hatten es die Vereinten Nationen hauptsächlich mit Bürger- und Sezessionskriegen zu tun. Kriegsformen, die bei der Erschaffung der Friedenssicherung nicht bedacht worden sind.
Frieden und Sicherheit können einem Staat nicht oktroyiert werden. Genau nach diesem Muster ist in der Vergangenheit aber verfahren worden. Dies kann funktionieren, wie das Beispiel Kambodscha zeigt, viel öfter aber scheitert es. Friedenssicherung ist zu komplex, um von einer Organisation allein bewerkstelligt werden zu können.

Alles steht und fällt mit dem Willen der Mitglieder

Die Vereinten Nationen bestehen inzwischen seit 55 Jahren. Sie ist die einzige Organisation mit einem so umfassenden Aufgabenfeld. Die Krise, in der sich die Vereinten Nationen befinden, beruht sicherlich auch auf den Schwächen, die keine Verwaltung der Welt gänzlich vermeiden kann. Viel schwerer wiegt jedoch die Heuchelei der Mitgliedstaaten, die den Vereinten Nationen einerseits diese Aufgabenfülle aufgebürdet haben, sie aber gleichzeitig nicht mit ausreichenden finanziellen Mittel ausstatten. Es ist leicht, den Vereinten Nationen Unfähigkeit vorzuwerfen, wenn die Zahlung der Mittel für UN-Missionen verweigert wird. Der Erfolg der Vereinten Nationen hängt so letztlich immer vom Willen ihrer Mitglieder ab.

Verena Meyer studiert Jura und lebt in Trier.

Literatur:

Czempiel, Ernst-Otto, Die Reform der UNO, 1994
Hüfner, Klaus, Finanzierung des Systems der Vereinten Nationen, zu beziehen über: UNO-Verlag, Dag-Hammarskjöd-Haus, Poppelsdorfer Allee 55, 53115 Bonn
Herz, John H., Staatenwelt und Weltpolitik, 1974

Anmerkungen:

1 VEREINTE NATIONEN 1/1996 S.4 und 2/1996 S.41 und 6/1999 S.187
2 Czempiel 1994, 164