Heft 4 / 2001: grenzenlos beschränkt MigrantInnenpolitik in BRD und Europa |
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Rechtlos? Ausgehend von der Annahme, daß eine Anpassung der Gesetzeslage und der Verwaltungspraxis unerlaubte Einreisen und Aufenthaltsverhältnisse nicht beseitigen wird, haben Jörg Alt und Ralf Fodor ein Rechtsgutachten zum Problem des Aufenthalts ausländischer Staatsangehöriger ohne Aufenthaltsrecht und ohne Duldung in Deutschland erstellt. In diesem Gutachten werden zunächst die größten Schwierigkeiten "illegal" in Deutschland lebender Menschen dargestellt und einer rechtlichen Beurteilung unterzogen. "Illegale" haben etwa große Probleme, im Bedarfsfall medizinische ambulante und stationäre Behandlung zu bekommen. Angst vor einer Statusaufdeckung mit dann folgender Ausreiseaufforderung halten sie von der Inanspruchnahme medizinischer Hilfe ab. Das Gutachten stellt klar, daß Menschen, die sich in der Bundesrepublik aufhalten und hierfür weder eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung, noch eine Aufenthaltsgestattung oder Duldung besitzen, bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt Ansprüche auf Leistungen des staatlichen Gesundheitswesen nach § 4 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 5 und 6 Asylbewerberleistungsgesetz, hilfsweise aus § 120 I S. 1 Bundessozialhilfegesetz haben. Es weist gleichzeitig darauf hin, daß Krankenhäuser zwar keiner der Übermittlungspflichen gemäß § 76 Ausländergesetz unterliegen, dafür aber die Sozialämter. Indem das Gutachten die Rechtslage von Illegalen in der Bundesrepublik darstellt, weist es gleichzeitig konkrete Möglichkeiten für eine Reform auf. Erschienen ist es unter dem Titel "Rechtlos? Menschen ohne Papiere" im von Loeper Literaturverlag, Karlsruhe. Illegal? Im Juni 1997 wurde auf der documentaX die Kampagne "kein mensch ist illegal" gestartet. Ihr Ziel war die Schaffung eines Netzwerks, das Gruppen miteinander in Bezug setzt, die illegalisierte Flüchtlinge und MigrantInnen unterstützen, "egal, ob diese Gruppen nun offen oder eher im Verborgenen arbeiten, aus christlicher oder anarchistischer Motivation heraus handeln, bereits über jahrelange Erfahrungen verfügen oder gerade anfangen wollen", so die InitiatorInnen der Kampagne. Es sei ihnen darum gegangen, zu propagieren, und auch tatsächlich anzubieten, was die Gesellschaft immer mehr Menschen prinzipiell verweigert: Juristische Beratung, medizinische Versorgung, Arbeit, Wohnung, Grenzübertritte und viele andere Formen von Unterstützung. "Klar war", so die InitiatorInnen weiter, "daß die Kampagne unter den spezifischen, deutschen Bedingungen keine soziale Bewegung, keine Organisation und erst recht nicht die Selbstorganisation von Flüchtlingen und MigrantInnen ersetzen konnte und je wollte. Beabsichtigt war aber auch nicht, in Mitleid oder Wohltätigkeit zu verharren, sondern vielmehr als Schnittstelle zu verschiedenen Fragmenten des sich auflösenden öffentlichen Raumes zu fungieren." So haben sich die TrägerInnen der Kampagne nie als repräsentative Einheit verstanden, stattdessen aber versucht, zu vernetzen und zu verknüpfen: Eine Flüchtlingsgruppe zum Beispiel und einen alternativen Internet-Provider, MedizinerInnen und Behandlung suchende Illegalisierte, Pop-Bands und Antifa-Gruppen, MedienaktivistInnen und BerufskünstlerInnen, Linksradikale und PfarrerInnen, und nicht zuletzt: Flüchtlinge aus verschiedenen Herkunftsländern, Menschen mit und Menschen ohne Papiere. Im Sommer 1999 ist das Handbuch "kein mensch ist illegal" im ID-Verlag Berlin erschienen. Es stellt die wichtigsten Aspekte praktischer Unterstützungsarbeit für illegalisierte Flüchtlinge und MigrantInnen vor. Anhand der bisherigen Schwerpunkte der Kampagne werden Erfahrungen bilanziert und vor dem Hintergrund des Regierungswechsels Perspektiven einer "Legalisierung von unten" diskutiert. Besonnen auf den Terror reagieren Unter den vielen Reaktionen auf die Terroranschläge in den USA gab es nur wenige, die so besonnen waren, wie die gemeinsame Presseerklärung der Gustav Heinemann-Initiative, der Humanistischen Union, des Komitees für Grundrechte und Demokratie, von Pro Asyl, vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein und von der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen. Nach Meinung der sechs Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen rechtfertigen es auch schwerste Verbrechen nicht, die notwendige Suche nach Anstiftern und Helfern und das Bemühen um ihre Bestrafung zum Krieg eskalieren zu lassen. Der Beschluß der NATO, die Anschläge in den USA als Bündnisfall zu behandeln, sei unangemessen und weit überzogen. "Ebenso wichtig, wie die Suche nach Mitschuldigen" sei, so die sechs Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen, "die Frage nach den Ursachen von Haß, religiösem Fanatismus und darauf basierender Gewalt." Wer solche Verbrechen verhindern wolle, müsse weltweit für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen. "Solange die reichen Industriestaaten mit erheblicher struktureller, vor allem wirtschaftlicher, oft auch mit direkter Gewalt verhindern, daß den hungernden und verhungernden Millionen in armen Ländern geholfen wird, düngen sie selbst den Boden, aus dem Haß, Fanatismus und blindwütige Gewalt hervorgehen." Die Verfolgung schwerer internationaler Verbrechen verlange politisches Tun. Dabei sei besonders darauf zu achten, daß nicht wegen einzelner Verbrechen ganze Länder, Bevölkerungen oder Religionsgemeinschaften diffamiert oder sogar angegriffen werden. Die sechs Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen rufen daher dazu auf, das internationale Recht zu stärken und die voreilige Eskalation der Verfolgung dieser schweren Verbrechen zum NATO-Bündnisfall und damit zum Krieg zurückzunehmen. Darüber hinaus weisen sie darauf hin, daß alle Pläne, Krieg gegen Afghanistan zu führen, wie es derzeit diskutiert wird, zweierlei übersehen. Viele Taliban in Afghanistan wie der dort lebende angebliche Anstifter der Anschläge, Osama bin Laden, seien nach Pressemeldungen von der CIA unterstützt oder sogar ausgebildet worden und hätten mit der Hilfe der USA den größten Teil Afghanistans erobert. "Die große Mehrheit der afghanischen Bevölkerung, insbesondere alle Frauen und Mädchen, werden von ihnen auf das Übelste unterdrückt. Jeder Angriff auf das Land würde diese Unterdrückten am schlimmsten treffen. Ein solches Unrecht müßte Haß, Fanatismus und gewalttätiges Aufbegehren gegen den reichen Teil der Erdbevölkerung weltweit verstärken und religiösen Fundamentalisten in die Hände arbeiten." Wer das nicht wolle, sei aufgerufen, der emotionalen Kriegsvorbereitung Besonnenheit und rechtsstaatliches und freiheitliches Denken entgegen zu setzen.
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