Heft 2 / 2002:
Wach- und Schließgesellschaft
Konsequenzen der Kriminalisierungspolitik
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Politische Justiz
 

Todesurteil gegen Mumia Abu-Jamal ausgesetzt

Der US-Bundesbezirksrichter William H. Yohn hat das Todesurteil gegen den Journalisten und "Black Panther"-Aktivisten Mumia Abu-Jamal aufgehoben. Abu-Jamal wird beschuldigt, 1981 den Polizisten Daniel Faulkner erschossen zu haben. Richter Yohn begründete seine Entscheidung mit der Feststellung, dass seinerzeit die Jury mögliche mildernde Umstände bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt hätte und somit Abu-Jamals Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden sei. Innerhalb von 180 Tagen soll nun vor dem Staatsgericht Philadelphia neu um die Strafhöhe verhandelt werden.
Den Antrag der Verteidigung auf einen neuen Prozess, in dem die eigentlichen Tatumstände behandelt werden können, lehnte der Bundesrichter hingegen ab. Die Verteidigung hat seit 1995 immer wieder Beweise vorgelegt, die für die Unschuld Abu-Jamals sprechen und den rassistischen Charakter des damaligen Verfahrens unter dem Vorsitz des "Hanging Judge" Albert Sabo belegen. Insbesondere das Geständnis des tatsächlichen mutmaßlichen Täters Arnold Beverly ist nie von einem Gericht gehört wurden. Der Berufskiller erklärte öffentlich, er habe im Auftrag der Mafia den für die Bestechung von Polizeibediensteten hinderlichen Polizisten Faulkner umgebracht.
Die neu einzuberufene Jury wird bei der Strafzumessung allerdings nicht viel Auswahl haben: die Mindeststrafe für Polizistenmord ist die lebenslange Haft ohne Entlassung vor dem Tode. Verständlich, dass Mumia Abu-Jamal der nunmehr anerkannten Verletzung seines verfassungsmäßiges Rechts auf faire Strafzumessung nicht viel abgewinnen kann. Für einen Unschuldigen stelle sich die lebenslängliche Freiheitsstrafe ohne Bewährung nun einmal nicht anders dar als "ein langsamer Tod". Der Polizeigewerkschaft Fraternal Order of Police und der Staatsanwaltschaft von Philadelphia ist das freilich nicht schnell genug, sie haben gegen die Aufhebung des Todesurteils Berufung eingelegt.

Bayerische Linie

"Die bayerische Linie hat sich hervorragend bewährt", triumphierte der Innenminister des Freistaates Günther Beckstein am Ende der NATO-Sicherheitskonferenz. Nachdem der Verfassungsschutz von 3000 in Anmarsch befindlichen "Chaoten" fabulierte, bestätigte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof kurzfristig ein Demonstrationsverbot, das sich für die Dauer der Militärtagung über das gesamte Stadtgebiet erstreckte. Anzeichen für eine "Vielzahl gewaltbereiter Personen" konnten indessen nicht festgestellt werden. Sieht man mal von dem massiven Polizeiaufgebot ab, das das Versammlungsverbot gegen 7000 anwesenden DemonstrantInnen durchsetzen sollte. Mit "brutaler Härte", äußerten sich Mitglieder des Bündnisses gegen die NATO-Sicherheitskonferenz, seien über 800 Personen in Gewahrsam genommen und 50 festgenommen worden. Zuvor wurde mittels intensiver Vorkontrollen bereits einer Unzahl von Menschen die Einreise in die Landeshauptstadt verweigert.

Berufsverbote

Betroffene erinnerten jüngst an den sogenannten "Radikalenerlass", der vor dreißig Jahren, am 28. Januar 1972 offiziell als neue "Grundsätze über die Mitgliedschaft von Beamten in extremistischen Organisationen" von der Ministerpräsidentenkonferenz unter Vorsitz des Bundeskanzlers Willy Brandt erlassen worden war. Zur Abwehr vermeintlicher Verfassungsfeinde sollten Personen, die nicht die Gewahr baten, "jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten", aus dem Öffentlichen Dienst ferngehalten bzw. entlassen werden. 3,5 Millionen BewerberInnen wurden seinerzeit mithilfe der "Regelanfragen" vom Verfassungsschutz auf ihre politische Zuverlässigkeit durchleuchtet. Es wurden 11000 Berufsverbotsverfahren eingeleitet, in deren Folge es zu 2200 Disziplinarverfahren, 1250 Ablehnungen und 265 Entlassungen kam. Auch wenn sich die Richtlinien gleichermaßen gegen den "Links-" wie den Rechtsextremismus richten sollten, waren tatsächlich vor allem Linke betroffenen. Denn oft war nicht einmal die Zugehörigkeit zu einer kommunistischen Gruppierung nötig, um mit einem Berufsverbot belegt zu werden. Vielfach reichte es aus, mit KommunistInnen in einer Organisation wie beispielsweise der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), der deutschen Friedensgesellschaft (DFG) oder der Vereinigung demokratischer Juristen (VDJ) zusammengearbeitet zu haben. Obgleich Willy Brandt nach anhaltenden Protesten 1980 den Radikalenerlass als Irrtum seiner Regierung bezeichnete, hielt die Praxis der Regelanfragen an den Verfassungsschutz bis Ende der achtziger Jahre an. Aber auch nach Aufhebung der Berufsverbote fand eine materielle, rechtliche oder politische Rehabilitierung der Betroffenen nicht statt.

Revolutionäre aus den Zellen

Rudolf Schindler hatte ersichtlich die Schnauze voll. Dem Betroffenen und vier anderen Beschuldigten wird vorgeworfen, sich in den achtziger Jahren an Aktionen der Revolutionären Zellen (RZ) beteiligt zu haben. Seit über 24 Monaten saß der Frankfurter mit den anderen zusammen in Untersuchungshaft, viermal länger als es das in der Strafprozessordnung angegebene Höchstmaß von sechs Monaten vorsieht. Und seit gut einem Jahr läuft das womöglich letzte große Hauptverfahren der berüchtigten deutschen "Terroristenprozesse" vor dem Berliner Kammergericht und es macht dieser Tradition alle Ehre.
Als bisher alleiniges Beweismittel fungieren nämlich die Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli. Dieser musste, wohl um seinen eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen zu können, in den unzähligen Vernehmungen durch die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt die eine oder andere Räuberpistole hinzudichten. Den dicksten Bären band der Berliner Karatelehrer den BundesbeamtInnen wohl mit der Behauptung auf, im alternativen Mehringhof in Berlin sei ein Waffendepot der RZ zu finden. Tausend PolizistInnen durchsuchten daraufhin Ende 1999 das Kulturzentrum nach dem Sprengstoff und ließen ein Bild der Verwüstung zurück. Fündig wurden die BeamtInnen indessen nicht, vielmehr mussten Sprengstoffexperten die Feststellung machen, dass sich am dem besagten Ort höchstwahrscheinlich noch nie irgendwelche Explosivstoffen befunden haben. Dennoch sollten die Angaben von Mousli genügen, die Untersuchungshaft und die spätere Anklage zu begründen. Im nachfolgenden Prozess gelang es der Verteidigung ein um das andere Mal die Aussagen des Kronzeugen Lügen zu strafen. Das Verfahren wurde trotzdem aufrecht erhalten. Die Bundesanwälte und das Kammergericht halfen ihrem Kronzeugen immer wieder aus den Widersprüchen seiner Geschichten.

Entnervt entschied sich Schindler nun seinerseits eine Aussage zu machen, um aufzuzeigen "wo und in welchen Umfang die Aussagen von Tarek Mousli falsch sind". Er gab zu, sich in den achtziger Jahren wegen der staatlichen Asylpolitik den Revolutionären Zellen angeschlossen und sich an mehreren Aktionen beteiligt zu haben. Den Einlassungen Schindlers schloss sich seine ebenfalls beschuldigte Lebensgefährtin Sabine Eckle an und auch der Mitangeklagte Axel Haug äußerte sich in einer persönlichen Erklärung. Tatsächlich trugen die Aussagen dazu bei, die Legendenbildung des Kronzeugen heftig erschüttern zu lassen. So sei Mousli keinesfalls ein unscheinbarer Mitläufer, sondern vielfach einer der Haupttäter der RZ-Aktionen gewesen. Auch spielten sich diese anders ab, als von Mousli geschildert. Vielmehr decken sich die Angaben der drei Angeklagten im wesentlichen mit den damaligen polizeilichen Ermittlungen. Ob dieses innerhalb der Linken nicht unumstrittene Manover seine erhoffte Wirkung erzielen wird, bleibt abzuwarten. Zur Zeit wird an den Aussagen des Kronzeugen festgehalten. Schließlich sind die Angaben nach der 1999 vorerst abgelaufenen Kronzeugenregelung ja auch teuer erkauft worden. Neben rechtsstaatlichen Prinzipien wie dem Legalitätsgrundsatz oder dem Recht auf ein faires Verfahren kostet es dem Staat im Fall Mousli auch ein monatliches Entgelt von 2400 Mark sowie Miete, Versicherung, Auto und Telefon. Schindler, Eckle und Haug sind derweil immerhin aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

Adelheid Schulz begnadigt

Aussagen von Kronzeugen bildeten im übrigen 1994 auch die Grundlage für die Verurteilung der früheren RAF-Aktivistin Adelheid Schulz zu lebenslanger Haft. Schon 1982 wurde sie verhaftet und drei Jahre später zu dreimal lebendlänglich verdonnert. Nach 16 Jahren Knast wurde sie schließlich im Oktober 1998 mit Rücksicht auf ihren schlechten Gesundheitszustand vorläufig entlassen. Den Rest ihrer Haftstrafe hat ihr nun Bundespräsident Rau erlassen. Am 1. Februar begnadigter er sie "nach eingehender Prüfung des Sachverhalts".

Zuwanderungsbegrenzung

In den letzten neun Jahren kamen nach einer Dokumentation der Berliner Antirassistischen Initiative in Folge der deutschen Asylpolitik über 260 Menschen ums Leben. Allein 130 Menschen starben auf dem Weg nach Deutschland, davon 100 an dessen Ostgrenzen. 99 Flüchtlinge hätten sich angesichts ihrer drohenden Abschiebung getötet oder starben bei dem Versuch, der Abschiebung zu entgehen. Fünf Menschen starben während einer Abschiebemaßnahme. Der Bericht spricht weiterhin von mehreren hundert Fällen, bei denen Menschen nach der Abschiebung in dem jeweiligen Aufnahmestaat misshandelt, gefoltert oder getötet wurden oder spurlos verschwanden. Aufgezählt werden außerdem andere polizeiliche Maßnahmen sowie Brandanschläge und weitere rassistische Übergriffe bei denen Flüchtlinge verletzt oder getötet wurden.

Ähnlich menschenverachtend wie die deutsche Abschottungspolitik ist allen Anschein nach auch die sie verwaltende Justiz. So hat nach Auskunft der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl die Ausländerbehörde in Trier versucht, durch eine Penis-Begutachtung die Staatsangehörigkeit eines Asylsuchenden festzustellen. Den Angaben des Flüchtlings, er würde aus Armenien stammen, wurde kein Glauben geschenkt. Und da angeblich 94 Prozent der Armenier Christen und damit unbeschnitten sind, kam die Behörde auf die Idee, hieran die Staatsangehörigkeit festzumachen. Der Betroffene ist beschnitten - wie unter anderem auch jene Moslems, die die restlichen sechs Prozent der Bevölkerung ausmachen. Als juristischer Beweis für die vermeintliche Falschaussage des Flüchtlings taugte die Übung also nicht, er wird weiterhin in Deutschland geduldet.

Neue Rechtslage für Wehrmachtsdeserteure?

1998 wurde das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile erlassen. Rund 60 Urteilsarten der NS-Gerichte gelten nach dem Gesetz generell als aufgehoben. Urteile gegen Deserteure der Wehrmacht und gegen Homosexuelle sind davon bislang ausgenommen, sie können nur in einer Einzelfallprüfung durch die damals zuständige Staatsanwaltschaft annulliert werden (siehe Forum Recht 1/2001).

Das wollte sich offensichtlich ein Historiker und Major in Reserve zunutze machen. Der Bundeswehroffizier hatte am 20. Juli 2000 Freunde des Wehrmachtsdeserteurs Ludwig Baumann aufgefordert, sie mögen dafür sorgen, dass der "Straftäter" das Gelände des Berliner Bendler-Blocks verlasse. Seinerzeit fand auf dem Hof des einstigen Heeresamtes der Nazis eine offizielle Gedenkfeier für die Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944 statt. Baumann hatte seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Vereinigung "Opfer der NS-Militärjustiz" darauf bestanden, an diesem Tag auch an die von NS-Richtern zu Tode verurteilten Kriegsdienstverweigerer zu gedenken und einen Kranz niederzulegen. Gegen den Offizier wurde wegen Beleidigung ein Strafbefehl über 5000 Mark erlassen. Er legte Widerspruch ein und es kam zur Verhandlung am Amtsgericht Tiergarten. Dort erklärt der Soldat der Richterin, er habe lediglich eine Rechtslage festgestellt. Das Gericht erkannte geringe Schuld und stellte nach einer Entschuldigung des Offiziers das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße an die Kriegsgräberfürsorge ein.

Ein Antrag der PDS hat derweil die rot-grüne Bundestagsmehrheit an ihre Zusage im Koalitionsvertrag erinnert, die eine Rehabilitierung der verurteilten Deserteure und Homosexuelle versprach. Bis zum Sommer soll eine entsprechende Gesetzesergänzung vorgenommen werden. Widerstände regen sich dabei nicht nur unter RevanchistInnen, die in dem Gesetz einmal mehr eine Verletzung des Andenkens an die ehrenhafte deutsche Wehrmacht sehen, sondern auch im Bundesfinanzministerium. Das befürchtet bei einer offiziellen Anerkennung des NS-Unrechts Ansprüche auf Entschädigungszahlungen. Aber da haben sich ja schon an anderer Stelle kostengünstige Lösungen gefunden. Zu hoffen bleibt, dass der Verband der "Opfer der NS-Militärjustiz" deshalb nicht das Gegenteil bewirkt, wenn er angesichts der noch 150 lebenden Opfer mit den Worten "denn die letzten Betroffenen sterben uns nach und nach weg" zur Eile mahnt.