Heft 2 / 2002: Wach- und Schließgesellschaft Konsequenzen der Kriminalisierungspolitik |
Susanne Benöhr | |
"Wir kriegen euch alle - früher oder später!" | |
Ein Plädoyer für die unverzügliche Etablierung eines Weltgerichtshofes |
Hier: relevante Vorschriften des IStGH-Statuts. Prolog Der 11. September 2001 wird als Zäsur in die Geschichtsbücher eingehen. Die juristischen und politischen Folgen sind unübersehbar und trotz oder gerade wegen der weltweiten amerikanischen Omnipräsenz und Omnipotenz, bleibt das ungute Gefühl, dass sich die momentane Ruhe in der westlichen Hemisphäre als trügerisch erweisen könnte. Zudem ist zu befürchten, dass die Skala an Verbrechen dieser Art noch längst nicht erschöpft ist. Angesichts dessen, stellt sich die dringende Frage, wie und durch wen die Verantwortlichen zu bestrafen sind. In diesem Zusammenhang könnte sich die Etablierung eines Ständigen Internationalen Gerichtshofes (IStGH) als probate Lösung erweisen. Vorerst existiert diese Institution nur auf dem Papier. So soll die Arbeit des Weltgerichtshofes zwar im Jahre 2003 in Den Haag beginnen - aber mit Sicherheit sagen kann das niemand. Selbst wenn aufgrund des Rückwirkungsverbotes die Anstifter und Helfershelfer der Anschläge nie vor dem Weltstrafgerichtshof stehen werden, soll anhand der Attentate die zwingende Notwendigkeit dieser Institution noch einmal verdeutlicht werden. Dies beinhaltet einerseits die rechtliche Schilderung und Bewertung der Ereignisse des 11. September 2001. Angesichts der globalen Dimension der Anschläge wird sodann der juristische Rahmen um rechtspolitische Fragen erweitert. 11. September 2001 Am Morgen des 11. September 2001 entführten 19 junge Männer vier amerikanische Linienflugzeuge. Sie überwältigten bzw. ermordeten die Crew sowie die Piloten und steuerten sodann die vollgetankten Passagiermaschinen mit eigener Hand in die anvisierten Ziele. Im Abstand von 18 Minuten flogen zwei Flugzeuge in die Zwillingstürme des WTC. Aufgrund des durch die Explosion freigesetzten Kerosins schmolzen die Stahlträger der Gebäude, so dass sie um 10.05 h und um 10.28 h einstürzten. Eine halbe Stunde vor dem Einsturz des ersten Towers ging ein weiteres Flugzeug auf das Pentagon nieder. Die vierte Maschine verfehlte ihr Ziel. Sie wurde von den Passagieren um 10.10 h zum Absturz gebracht. Bei den vier Anschlägen wurden, den letzten Schätzungen zufolge, insgesamt 3.226 Menschen getötet 1 und alleine in New York 600 zum Teil schwer verletzt. Die Gesamtschadenssumme wird auf 40 bis 60 Milliarden Euro beziffert. 2 Es wird davon ausgegangen, dass die Attentäter dem Terrornetzwerk"Al Qaida" angehörten. Diese Organisation, unter der Leitung von Osama bin Laden, hatte zu den Taten angestiftet, die Attentäter ausgebildet und die Durchführung finanziert. 3 Fehlender Terrorismustatbestand Unbeschadet der Tatsache, dass ausländische Terroristen den Anschlag verübten und über 50 Nationen Tote zu beklagen hatten, ist nach heute geltendem Recht die amerikanische Strafjustiz für die Aburteilung der Verbrechen zuständig. 4 Dies ist Ausfluss des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips. 5 Nebenbei ist fraglich, ob das Völkerrecht überhaupt Anwendung findet. 6 Traditionell regelt das Völkerrecht nämlich nur zwischenstaatliche Beziehungen. Nicht zuletzt durch die Menschenrechtsverletzungen in Ex-Jugoslawien und in Ruanda werden jedoch mittlerweile Verstöße von Individuen gegen international anerkannte Rechtsgrundsätze auch individuell verfolgt. Dies findet seinen Niederschlag im Statut des Internationalen Strafgerichtshofes. So normiert Art. 25 IStGH-Statut ausdrücklich die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit. Wer hingegen in dem überaus umfassenden Strafkatalog nach einem speziellen Terrorismus-Tatbestand sucht, wird nicht fündig werden. Während der Vertragsverhandlungen in Rom ist, trotz langwieriger Debatten, keine konsensfähige Definition hinsichtlich des Begriffes "Terrorismus" gefunden worden. Systematischer Angriff gegen die Zivilbevölkerung Demgegenüber wäre es aber möglich, die "Hintermänner", namentlich Osama bin Laden, als Anstifter zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 5 Abs. 1 (b), 7 Abs. 1 (a), (k) i.V.m. 2 (a), 25 Abs. 3 (b) IStGH-Statut im Sinne eines "systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung" anzuklagen. Relativ problemlos lassen sich die Attentate zunächst als "systematischen Angriff" qualifizieren. Dies beinhaltet, dass singuläre, vereinzelte und ziellose Verbrechen nicht unter den Tatbestand fallen, sofern sie nicht das Niveau einer Menschenrechtsverletzung erreichen. 7 Die Anschläge sind zwar als einzelne Akte zu qualifizieren, man geht aber nicht fehl in der Annahme, dass es sich angesichts der Leiden der Opfer hierbei um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehandelt hat. Außerdem müsste die "Zivilbevölkerung" das Objekt des Angriffs gewesen
sein. Festzuhalten ist somit, dass die Anschläge des 11. September 2001 unter
Art. 5 Abs. 1 (b), 7 Abs. 1 (a), 1 (k), 2 (a) IStGH-Statut subsumiert
werden können. Da Art. 25 Abs. 2 IStGH-Statut eine individuelle Strafbarkeit
normiert, macht sich gemäß Art. 25 Abs. 3 (b) IStGH-Statut auch derjenige
strafbar, der zu einem Verbrechen tatsächlich auffordert, es anordnet
oder dazu anstiftet, sofern es tatsächlich vollendet oder versucht wird.
Ratifikation contra Souveränität Das IStGH-Statut ist bis zum heutigen Tage von 139 Staaten unterzeichnet worden. Völkerrechtlich gelten diese Unterschriften allerdings nur als Absichtserklärungen. 12 Ausschlaggebend ist vielmehr die Zahl der Ratifikationen, denn das Völkertribunal kann seine Arbeit erst aufnehmen, wenn 60 Staaten das Abkommen ratifiziert haben. Mittlerweile sind 48 Ratifikationsurkunden bei der UNO hinterlegt worden, wobei sich die EU als treibende Kraft erwies. Demgegenüber sind die Vereinigten Staaten ein ausgewiesener Gegner des IStGH. Hierbei erweist sich die Souveränität als Hauptstreitpunkt, da der IStGH in Konkurrenz zu dem bestehenden Strafmonopol der einzelnen Staaten tritt. Dessen ungeachtet wird der Gerichtshof hingegen nur tätig, soweit sich die betreffende Vertragspartei gemäß Art. 17 Abs. 1 (a) IStGH-Statut nicht zur Strafverfolgung auf nationaler Ebene in der Lage sieht oder diese nicht seinem Willen entspricht. Mit dieser komplementären Lösung, ist der grundsätzliche Vorrang der nationalen Strafverfolgung vor der internationalen statuiert und trägt dem Souveränitätsprinzip Rechnung. Trotz der vertraglichen Zusicherung in diesem Punkt, werden anhand der
Anschläge des 11. September 2001 die - praktischen - Grenzen der internationalen
Strafjustiz schnell sichtbar. Osama bin Laden wird sich kaum in seinem
ehemaligen Heimatland Saudi-Arabien aufhalten, denn dort ist ihm 1994
die Staatsangehörigkeit entzogen worden. 13
Sollte es wider Erwartend doch der Fall sein, so muß man bedenken, dass
Saudi-Arabien, wie im übrigen eine ganze Reihe arabischer Staaten, das
Abkommen nicht gezeichnet hat. Realistischerweise sollte man davon ausgehen,
dass Osama bin Laden zwischenzeitlich eine neue Staatsangehörigkeit besitzt.
Welche Fallkonstellationen wären im Falle seiner Ergreifung damit vorstellbar?
"Third party jurisdiction" Sowohl im vorliegenden Fall, als auch bei der Mehrzahl zukünftiger Delikte, ist es realistisch, davon auszugehen, dass ein Drittstaat betroffen sein wird. Dies zöge Rechtsfragen im Kontext der "Third party jurisdiction" nach sich. Mit diesem Prinzip wird die Problematik der Jurisdiktion des IStGH über Angehörige eines Staates beschrieben, der das Abkommen nicht ratifiziert hat. 14 Dieser Passus hat auf Seiten der Vereinigten Staaten große Kritik hervorgerufen, da sie den völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz "pacta tertiis nec prosunt nec nocent" verletzt sahen. 15 Dieser Grundsatz aus der Art. 34 der Wiener Vertragsrechtskonvention besagt, dass zwischen Staaten abgeschlossene völkerrechtliche Verträge einem Drittstaat weder Rechte noch Verpflichtungen bringen dürfen. Fraglich ist, ob durch Art. 12 IStGH-Statut dieses Prinzip verletzt worden ist. Festzuhalten bleibt, dass durch das Statut eine direkte Verpflichtung des Drittstaates nicht begründet wird, so dass er weder zu einem aktiven Tätigwerden noch zu einem Unterlassen verpflichtet werden kann. 16 Auch indirekte rechtliche Pflichten werden durch das Statut nicht geschaffen, sondern allenfalls praktische. Hinzu kommt, dass, sofern der IStGH seine Gerichtsbarkeit über den Angehörigen eines Nichtvertragsstaates ausübt, dieser Staat nicht zur Kooperation verpflichtet ist, da ihm das Statut keine Kooperationspflicht etwa zur Übergabe des Angeklagten oder von Beweismaterial auferlegt. 17 Des weiteren findet, sofern der UNO-Sicherheitsrat einen Überweisungsbeschluss getätigt hat, die "Third party jurisdiction" gar keine Anwendung. Damit geht der rechtliche Einwand der Vereinigten Staaten in das Leere. Dessen ungeachtet ist, nicht erst seit den Anschlägen, eine sich stetig steigernde Abwehrhaltung der US-Regierung gegenüber dem IStGH zu verzeichnen. IStGH: Ein weltpolitisches Stiefkind? Seit den Anschlägen bestimmen die USA als Opfer, Ankläger, Richter und Vollzugsbeamter in Personalunion das Weltgeschehen. Die Koalition im Kampf gegen den Terrorismus scheint mittlerweile zerbrochen. Die Vereinigten Staaten handeln - offensichtlich gar nicht ungern - im Alleingang. Erübrigt sich angesichts dessen nicht ein Weltgerichtshof? Worin läge der Vorteil eines IStGH, wenn zu befürchten ist, dass die betroffenen Länder im Zweifelsfall die innerstaatlichen Gerichte mit der Aburteilung von Terroristen betrauen würden? In diesem Zusammenhang wird immer wieder vorgebracht, dass sich Kriegsverbrecher sowie Terroristen und insbesondere Fanatiker im Sinne von Osama bin Laden durch die Existenz eines Weltgerichtshofes von terroristischen Aktionen nicht abhielten ließen. 18 Diesem Argument ist zunächst zuzustimmen, denn eine "negative Generalprävention" kann man generell nicht erwarten. Andererseits sind jedoch zwei Punkte zu bedenken: Einerseits operiert man mit zwei unbekannten Größen. Der Weltgerichtshof existiert noch nicht und folglich kann seine zukünftige Signalwirkung nicht abschätzt werden. Indes verbirgt sich hinter einem systematisch geplanten Terrorakt, wie demjenigen des 11. September 2001, immer eine Botschaft, so menschenverachtend und zynisch sie auch sein mag. Wenn diese nicht gehört wird, und zwar weil die Staatengemeinschaft sie als Verbrechen im Sinne des IStGH pönalisiert, erübrigen sich Terrorakte dieser Art. Skeptiker mögen jetzt einwenden, dass, wenn bereits die "negative Generalprävention" bemüht wird, die Abschreckungsfunktion nicht durch das Gesetz sondern, durch die zu erwartenden Sanktions- und Verfolgungsmaßnahmen eintreten. In der Tat dürfte die Aussicht, in keinem Staat der Welt mehr sicher zu sein, eine abschreckende Wirkung entfalten. Fraglich ist in diesem Kontext nur: Vor wem sicher? Der IStGH hat keine eigenen Eingreiftruppen. Er ist auf die Hilfe der Staatengemeinschaft angewiesen. Hier liegt in doppelter Hinsicht ein Schwachpunkt. Einzig die Vereinigten Staaten verfügen über die logistischen, und nicht zuletzt finanziellen Möglichkeiten Terroristen oder Kriegsverbrecher zu ergreifen. Das impliziert aber, dass Alleingänge und Verweigerungen der Weltmacht befürchtet, wenn nicht sogar einkalkuliert werden müssen. Der IStGH wäre damit den politischen Erwägungen seines mächtigsten Signatarstaates ausgeliefert. Keine angenehme Vorstellung, die auch durch den Gesichtspunkt der "positiven Generalprävention" kaum kompensiert werden kann. Solidarität und Unterstützung der Opfer sowie die Wiederherstellung von Vertrauen in die Rechtsordnung scheint jedenfalls, wie momentan in den Vereinigten Staaten deutlich sichtbar, der nationale Patriotismus sehr viel "effektiver" wahrzunehmen. Darüber hinaus wird auch keiner ernsthaft behaupten wollen, dass die Aburteilung eines Osama bin Laden vor einem Weltgerichtshof einen Krieg verhindern würde. Wozu also ein IStGH? Wurde die Forderung nach einem Weltgericht, die über hundert Jahre alt ist, und nach den Weltkriegen sowie den Massakern in Ex-Jugoslawien und Ruanda nicht mehr zu überhören war, nicht zwischenzeitlich von der Wirklichkeit überholt? Ich meine nicht. Klar erkennbar wird das bereits an dem Vertragswerk. Die unterschiedlichsten Strafsysteme und kulturellen Traditionen mussten miteinander in Einklang gebracht werden. Der kompromißhafte - aber trotzdem verabschiedete - Tatbestand des "Verbrechens gegen die Menschlichkeit" belegt dies. Lediglich ein Teil der in Art. 5, 7 IStGH-Statut dargestellten Tatbestände sind als völkergewohnheitsrechtliche Rechtssätze anerkannt. Vor allem die Pönalisierung von Vergewaltigung, Verschleppung und Apartheit ist nicht unumstritten gewesen. Hier trafen europäische, asiatische, afrikanische und orientalische Auffassungen aufeinander, wobei sich überraschenderweise aber auch Koalitionen der unterschiedlichsten Couleur bildeten. So wandten sich sowohl der "Heilige Stuhl" als auch die Staaten der arabischen Liga in einer konzertierten Aktion gegen die Aufnahme des Vergewaltigungstatbestandes. Nicht nur die islamischen Staaten sondern auch der Vatikan gaben im Laufe der Verhandlungen ihre Positionen auf. Nunmehr unterfallen "Vergewaltigungen" gemäß Art. 7 Abs. 1 (g) IStGH-Statut dem Tatbestand des "Verbrechens gegen die Menschlichkeit". Ferner sieht das IStGH-Statut zwar nicht die Todesstrafe, wohl aber in Ausnahmefällen die lebenslange Freiheitsstrafe vor. Bereits der zäh errungene Verzicht auf die erstgenannte Sanktionsform mag den Verhandlungserfolg unterstreichen. Hinzu kommt, dass niemand dem medialen Weltgeschehen mehr entgeht. Die Anschläge des 11. September 2001 waren, so boshaft das klingt, auf "Lifeschaltung" programmiert und darauf angelegt, die globale Bedrohung des Terrorismus zu unterstreichen. Dies verlangt m. E. auch eine weltumspannende Antwort. Das sich diesbezüglich, trotz fehlenden Terrorismustatbestandes, das rechtliche Instrumentarium des Statuts als tauglich erweist, spricht für sich. Trotzdem dürfte der Weg zum Weltgerichtshof mühselig werden. In diesem Kontext erweist sich der Prozeß gegen Slobodan Milosevic in Den Haag als denkwürdiges und richtungsweisendes Ereignis, wobei der "individuellen Verantwortlichkeit" gemäß Art. 25 IStGH-Statut die entscheidende Relevanz zukommt. Und das in der Tat Art. 25 IStGH-Statut zukünftig eine abschreckende Wirkung entfalten könnte, zeigen die Sätze von Paddy Ashdown an Slobodan Milosevic vor dem Tribunal in Den Haag: "Ich habe Ihnen gesagt: Wenn Sie so weitermachen, enden Sie vor diesem Gericht. Und hier sind Sie nun." 19 Susanne Benöhr ist promovierte Staats- und Verfassungsrechtlerin. Ihr besonderes Interesse gilt dem Völkerrecht und der Rechtsgeschichte. Sie lebt und arbeitet in Bremen. Anmerkungen: 1 www.
heute.t-online.de/ZDF heute/thema ("11. September: Zahl der Todesopfer
nach unten korrigiert", vom: 20.12.2001), "Sagt meiner Frau, dass ich
sie liebe", in: DER SPIEGEL 51/2001.
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