Heft 2 / 2002: Wach- und Schließgesellschaft Konsequenzen der Kriminalisierungspolitik |
Heiko Moshagen | |
Krieg gegen das Völkerrecht | |
Seit dem 11. September 2001 befinden sich die USA nach Auskunft ihrer
Medien im Krieg, nicht gegen einen Staat, sondern gegen den Terror, und
Deutschland macht mit. Bis jetzt bedeutete dies Krieg gegen die Taliban
und al Quaida in Afghanistan. Anders als beim Krieg der NATO gegen Jugoslawien
hält sich die Kritik an dem Krieg in Grenzen. Dies liegt einerseits an
der geringen Sympathie für die Gegner der USA, andererseits an der Empörung
über die Anschläge in New York und Washington. Die USA berufen sich zur
völkerrechtlichen Rechtfertigung ihrer Militäraktionen auf das Recht auf
Selbstverteidigung. Die Anschläge seien von Kommandos der al Quaida ausgeführt
worden, die von Afghanistan aus operiere. Die al Quaida plane weitere
Angriffe auf die USA und dürfe deshalb militärisch bekämpft werden. Die
Taliban schützten und unterstützten die al Quaida und seien daher ebenfalls
legitime Ziele der militärischen Angriffe. Das Vorgehen der USA und ihrer
Verbündeten sei vom UN-Sicherheitsrat gebilligt worden. wer war's denn nun? Auch ein halbes Jahr nach den Anschlägen in New York und Washington haben die amerikanischen Ermittler anscheinend kaum Informationen zu den Hintergründen der Anschläge finden können. Es spricht zwar vieles dafür, dass es sich bei den Attentätern um islamistische Fanatiker handelte. Da sich niemand zu den Anschlägen bekannt hat, wäre aber auch ein anderes Motiv der Attentäter denkbar. Für ihre Mitgliedschaft in der al Quaida gibt es keinerlei offen gelegte Beweise, die Öffentlichkeit wird auf Geheimdiensterkenntnisse verwiesen. In seinen öffentlichen Erklärungen hat Bin Laden eine Verantwortung seiner Organisation auch stets bestritten. Das aussagefähigste Beweisstück gegen al Quaida ist ein äußerst dubioses Video, in dem sich Bin Laden angeblich zu den Anschlägen bekennt. Sowohl seine Herkunft, als auch seine Unverfälschtheit sind fraglich, die Übersetzung und Interpretation der halbwegs verständlichen Teile umstritten. Doch scheint al Quaida die einzige Organisation zu sein, der die amerikanischen Geheimdienste ein solches Attentat zutrauen. Die Tat wird daher schlicht dem üblichen Verdächtigen zugeordnet. Falls Bin Laden entgegen der allgemein als wahr anerkannten Version der Ereignisse nicht für die Anschläge am 11.9.2001 verantwortlich sein sollte, erübrigen sich weitere Überlegungen über die Legitimität und Legalität der Angriffe auf Afghanistan. Zugunsten der USA und ihrer Alliierten soll daher im Folgenden von einer Verantwortung al Quaidas für die Anschläge ausgegangen werden. das Gewaltverbot Die UN-Charta statuiert in Art. 2 Abs. 4 ein generelles Verbot der Anwendung und Androhung von Gewalt zwischen Staaten. Zwar ist die al Quaida kein Staat (höchstens ein "Staat im Staat") und sind die Taliban von kaum einem Staat als legitime Regierung Afghanistans anerkannt worden. Aber die Taliban herrschten vor Beginn des letzten Afghanistankrieges über 90 % des afghanischen Territoriums. De facto waren sie die Repräsentanten des afghanischen Staates, ob nun von anderen Staaten anerkannt oder nicht. Ein Angriff auf sie oder auch nur eine Verletzung des afghanischen Staatsterritoriums ist ein Verstoß gegen das generelle Gewaltverbot der UN-Charta. Dieser Verstoß bedarf einer Rechtfertigung. die Resolutionen der UN Seitens der Bundesregierung1 und in den Medien wird meist der Eindruck erweckt, der UN-Sicherheitsrat (SR) habe die Kriegshandlungen in Afghanistan autorisiert. Der SR hat sich mit den Anschlägen in den Resolutionen 1368 vom 12.09.2001 und 1373 vom 28.09.01 beschäftigt. Er hat dabei festgestellt, dass die Anschläge "wie jede Handlung des internationale Terrorismus" eine Bedrohung des internationalen Friedens seien. In Resolution 1373 ordnet er im Rahmen von Kapitel VII der UN-Charta verschiedene Maßnahmen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus an. Militärische Maßnahmen sind nicht darunter, und es lässt sich nicht ernsthaft vertreten, der SR habe die USA mit seinen Resolutionen zu Militäraktionen ermächtigt. Ausdrücklich bekräftigt hat der SR hingegen das Recht auf Selbstverteidigung in Einklang mit der Charta. Recht auf Selbstverteidigung Nach Art. 51 Satz 1 beeinträchtigt die UN-Chart "im Falle eines bewaffneten Angriffes gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat." Das Recht zur Selbstverteidigung setzt also einerseits einen bewaffneten Angriff voraus und ist andererseits nur solange gegeben, bis der SR die notwendigen Maßnahmen getroffen hat. Es ließe sich argumentieren, der SR habe mit der Verabschiedung der Resolution 1373 am 28.09.01 und damit zwei Wochen vor Beginn der amerikanischen Luftangriffe auf Afghanistan bereits alles seiner Ansicht nach erforderliche angeordnet. Es kann nicht einzelnen Staaten überlassen bleiben zu entscheiden, ob vom SR beschlossene Maßnahmen ausreichend sind oder nicht. Allerdings hat sich der SR wohl auch auf Wunsch der USA jeglicher Aussagen zu den von den USA geplanten Maßnahmen enthalten. hat Afghanistan die USA angegriffen? Die USA könnten sich nur dann auf Art. 51 UN-Charta stützen, wenn die Anschläge von New York und Washington als bewaffneter Angriff durch Afghanistan bzw. die Taliban als faktische Regierung Afghanistans zu bewerten wäre. Die rechtlichen Maßstäbe dafür hat der Internationaler Strafgerichtshof (IGH) in der Nicaragua Entscheidung ausgeführt. Nicaragua hatte die USA wegen der Unterstützung der Contra-Rebellen und der Verminung seiner Häfen auf Schadensersatz verklagt. Der IGH stellte fest, dass auch die Ausrüstung und Entsendung bewaffneter Banden durch einen anderen Staat ein bewaffneter Angriff ist. Die bloße Beherbergung oder logistische Unterstützung hingegen sei zwar ein Verstoß gegen internationales Recht, aber kein bewaffneter Angriff, der entsprechende Gegenmaßnahmen legitimiere.2 Die USA wären also dann berechtigt, auch gegen die Taliban vorzugehen, wenn diese die al Quaida mit diesen Anschlägen beauftragt oder sie dafür ausgerüstet hätte. Dies wird nicht einmal von den USA behauptet. Sie werfen den Taliban im wesentlichen vor, Bin Laden nicht an sie auszuliefern. Die Taliban empfanden Bin Laden anscheinend immer mehr als ein politisches Ärgernis und wären ihn gerne losgeworden. Nur zeigten sich die USA bei Verhandlungen mit den Taliban nicht bereit, Beweise für eine Beteiligung Bin Ladens an den Terroranschlägen auf die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Daressalam im August 1998 vorzulegen. Grenzen des Selbstverteidigungsrechts Auch wenn die USA sich im Prinzip auf ihr Recht zu Selbstverteidigung berufen könnten, müssen sie Grenzen diese Rechts beachten. So muss der Angriff noch gegenwärtig sein, um die Reaktion als Verteidigung zu legitimieren. Die USA berufen sich insoweit auf fortdauernden Bestrebungen von al Quaida, die USA anzugreifen. Sicher ist es falsch, das Recht der USA auf Selbstverteidigung mit dem Ende der Anschläge am 9.11.01 enden zu lassen. Aber die bloße Existenz von den USA weiter feindlich gesonnenen Personen kann die USA nicht zur Präventivverteidigung gegen diese ermächtigen. Die Militäraktionen der USA dürfen auch nicht über das hinausgehen, was zur Abwehr des Angriffs geeignet, erforderlich und angemessen ist. Es ist schwer, hier Grenzen zu ziehen, wenn nicht klar definiert wird, worin der abzuwehrende Angriff besteht. Wo es nicht mehr um die Abwehr eines konkreten Angriffes geht, wird die Grenze zum Präventivkrieg fließend. Ein Angriff auf den Irak z.B. mit der Begründung, dieser wolle Massenvernichtungswaffen herstellen und einsetzen, wäre eine solche vorsorgende Aggression. Angesicht der zuletzt bekannt gewordenen Planungen des Pentagons, selbst nicht über Atomwaffen verfügende Staaten mit Atomwaffen anzugreifen, wenn sich dies als nützlich erweisen sollte, erscheint die Argumentation der USA um so fragwürdiger. humanitäres Völkerrecht Die Kriegsführung der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan muss sich an den Maßstäben des humanitären Völkerrechts messen lassen. Vor allem die Flächenbombardements, der Einsatz von Splitterbomben, von thermobarischen Bomben wie der berüchtigten "daisy cutter" und die Bombardierung ziviler Einrichtungen verstoßen gegen die Bestimmungen des I. Zusatzprotokolls zur Genfer Konventionen von 1977. Vorausschauenderweise haben die USA dieses Protokoll gar nicht erst ratifiziert. Die afghanischen Verbündeten der USA haben in Mazar-i-Sharif und Kunduz Massaker an Gefangenen begangen. Bei der blutigen Niederschlagung des Aufstandes der Kriegsgefangenen in der alten Festung Qalai Janghi bei Mazar-i-Sharif halfen amerikanische und britische Truppen. Etwa 600 Gefangene wurden getötet, nur jeder Zehnte überlebte. Diese Todesrate ist wohl kaum mit dem todesmutigen Widerstand der Gefangenen zu erklären. Auch die Behandlung von Kriegsgefangenen ist im Völkerrecht geregelt. Sie dürfen u.a nicht schlechter beherbergt und verpflegt werden, als die eigenen Truppen und sind nach Beendigung des Konflikts freizulassen. Strafverfahren haben nach den selben Regeln zu erfolgen, die auch für die eigenen Soldaten Anwendung finden. Die USA verweigern den von ihnen auf Kuba Internierten jedoch den Status als Kriegsgefangene und bezeichnen sie als illegale Kämpfer. Strafverfolgung Die Anschläge auf das WTC und das Pentagon sind zunächst einmal Straftaten, die nach dem Strafrecht der USA zu bewerten sind. Die Dimension der Taten ändert daran nichts. Ihre Verfolgung hat sich nach dem Strafprozessrecht der betroffenen Bundesstaaten zu richten. Im Rahmen des Systems des Völkerstrafrechts könnte es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln. Das Statut des für solche Fälle gedachte Internationale Strafgerichtshof in Rom ist aber noch nicht in Kraft, und seine Zuständigkeit ist auf nach Inkrafttreten des Statuts begangene Taten beschränkt. Möglich wäre auch die Einrichtung eines Tribunals nach Vorbild der Tribunale für Jugoslawien und Ruanda. Doch ein solches Tribunal wird es nicht geben - die USA haben früh deutlich gemacht, dass sie sich die Strafverfolgung nicht aus der Hand nehmen lassen wollen. Sie planen, etwaige Prozesse vor speziellen Militärtribunalen mit reduzierter Beweislast und beschränkter Öffentlichkeit zu bringen. Den allgemein akzeptierten Mindestanforderungen eines fairen Prozesses werden diese Tribunale wohl kaum genügen. Inzwischen sollen zumindest Todesurteile von den drei Militärrichtern nur noch einstimmig und nicht mit einfacher Mehrheit gefällt werden dürfen. Ausblick Wenn man denn überhaupt Krieg gegen eine Idee führen kann, ist der von den USA proklamierte Krieg gegen den Terror wohl eher ein Krieg gegen das internationale Recht. Die USA und mit ihnen ihre Verbündeten halten sich weder an die Regeln des internationalen Rechts, wann Krieg geführt werden darf, noch wie Krieg zu führen und wie mit den Besiegten umzugehen ist. Angesichts der Geschichte militärischer Interventionen seit dem zweiten Weltkrieg ist das kaum verwunderlich. Die USA haben sich bei ihren Kriegen noch nie vom Völkerrecht aufhalten lassen. Neu scheint mir zu sein, dass sie dafür kaum noch kritisiert werden. Es traut sich keiner mehr. Heiko Moshagen. Anmerkungen: 1 Bundestagsdrucksache 14/7296. Literatur: Arnold, Jörg: Die USA haben kein Recht auf vorsorgliches Töten,
Freitag 11.01.2002 Internet: Gutachten Norman Paech: http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Voelkerrecht/gutachten.html
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