Heft 2 / 2002:
Wach- und Schließgesellschaft
Konsequenzen der Kriminalisierungspolitik
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Konsequenzen der Kriminalisierungspoltik
 

Kriminalität und die Notwendigkeit ihrer Bekämpfung werden allgemein als unabänderliche Tatsachen angesehen. Der Diskurs der sogenannten Inneren Sicherheit kulminiert in der Frage, welche Methode dem Kampf gegen die Kriminalität und die Kriminellen am besten dient. Der Inhalt des Begriffs Kriminalität, die Frage, welches Verhalten als kriminell definiert wird und aus welchen Gründen diese Zuschreibung gemacht wird, wird nicht behandelt. Der Ausdruck dient in der aktuellen Situation als Begründungsmuster, das zum Nachweis der Notwendigkeit staatlichen Handelns angeführt wird. Ob es nun die Sexualmörder, die personifizierte organisierte Kriminalität oder der Terrorismus sind - alle implizieren abstrakte Gefahren, die abgesehen davon, dass sie abstrakte Befürchtungen hervorrufen, mit dem täglichen Leben und Verhalten der Bürgerinnen und Bürger wenig zu tun haben. denn die wenigsten halten sich selbst für des Terrorismus oder des Sexualmords verdächtig.

Insofern rufen gesetzliche Änderungen oder hartes Durchgreifen der Polizei, wenn sie mit der Bekämpfung dieser Gefahren begründet werden, bei eben jenen meisten nur Achselzucken hervor. Wer "sich nichts vorzuwerfen hat", kann ja ruhig schlafen, während der Staat draußen gegen die Bösen kämpft. Daß die Innere Sicherheit und die Maßnahmen zu ihrer Herstellung Konsequenzen für alle haben, wird nicht in Betracht gezogen.

Genau dies aber ist der Fall. Die Ausdehnung der präventiven und repressiven Eingriffsbefugnisse hat Auswirkungen auf das gesamte gesellschaftliche Leben. In letzter Zeit ist die schleichende Entwicklung hin zu einem Präventionsstaat zu beobachten. Abstrakte Gefahren sollen bekämpft werden, bevor sie sich konkretisiert haben. Deshalb haben Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste neue Kompetenzen erhalten, nicht nur gegen potentielle Kriminelle und zwar bereits im Vorfeld von Straftaten vorzugehen, sondern darüber hinaus auch Maßnahmen zu ergreifen, die immer auch gegen völlig Unverdächtige betreffen. Hinzu kommt, daß die Abgrenzung zwischen Unverdächtigen und potentiell Kriminellen aufgrund der Zufälligkeit der Kriterien schwierig ist. Das Festhalten von Straftätern und Straftäterinnen allein aufgrund unsicherer Gefährlichkeitsprognosen in der Sicherungsverwahrung oder die Überprüfung von Bevölkerungsgruppen nur aufgrund bestimmter Merkmale mit der Rasterfahndung sind Beispiele für diese Entwicklung.

Dadurch entsteht ein Generalverdacht gegen alles, jeden und jede, der weitreichende Folgen hat. Diejenigen, die fürchten müssen, jederzeit Ziel einer Rasterfahndung oder durch heimliche Methoden ausspioniert zu werden, versuchen, ihr Verhalten so auszurichten, daß es nicht als kriminell eingeschätzt werden kann. Antizipierte Anpassung an das vermutete typische Verhalten ist die Folge.

Dieses Heft soll diese Entwicklung kritisch begleiten. Dabei werden Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung nicht als gegebene Realität hingenommen, sondern daraufhin untersucht, welche gesellschaftlichen Zuschreibungsprozesse ihnen vorausgehen und welche gesellschaftlichen Veränderungen ihnen folgen.