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Außer für einen kleinen Kreis von Finanzfachleuten und Volkswirten ist der Internationale Währungsfonds (IWF) eine seltsame Erscheinung auf der Weltbühne. Es herrscht Unklarheit, weshalb er besteht und was er tut. Durch die Diskussionen über den Chefposten des IWF ist der Fonds in letzter Zeit häufig in die Schlagzeilen geraten. Dabei ist der Machtkampf zwischen Europa und den USA nur auf den ersten Blick ein Gerangel um Personen. Was kann, soll und muss der Währungsfonds zukünftig leisten, heißt die Frage, die hinter den Kandidaten steht. Dass es eine Reform geben muss, ist allen Mitgliedern des Fonds seit der asiatischen Währungskrise und den darauf folgenden Turbulenzen in der internationalen Finanzarchitektur bewußt. Dies ist aber auch schon das einzige, worüber man sich einig ist.
In der derzeitigen Situation steht der amerikanische Kandidat Stanley Fischer eher für einen marktradikalen Kurs. Der deutsche Bewerber Horst Köhler repräsentiert einen interventionistischen Ansatz, also die Bereitschaft der Politik, unliebsamen Entwicklungen entgegenzuwirken und diese nicht allein den Kräften des Marktes zu überlassen. Dagegen wird von den Marktradikalen angeführt, dass der Markt nur unhaltbare Strukturen bereinigt. Auf lange Sicht gäbe es deshalb keine Alternative zur Rotstiftpolitik, die Staatsbetriebe privatisiert, Sozialetats kürzt und Subventionen streicht, um Haushaltsdefizite abzubauen und die Landeswährungen zu stabilisieren.
Die Kernaufgabe des Fonds sei die Stabilisierung des Währungssystems. Es müsse eine schärfere Abgrenzung zur Weltbank getroffen werden, die die wirtschaftliche Entwicklung der weniger entwickelten Mitgliedsstaaten im Auge hat. Die Aufgabe der vier Institutionen der Weltbankgruppe besteht vor allem in der Bereitstellung von Krediten für Entwicklungsvorhaben in diesen Ländern zu Vorzugsbedingungen. Da auch der IWF Kredite zur Verbesserung der Finanzstruktur seiner Mitgliedsstaaten vergibt, überschneiden sich die Betätigungsfelder der beiden Organisationen immer wieder. Von amerikanischer Seite wird eine Reform gefordert, die den Fonds stärker an seine monetären Kernaufgaben binden und Entwicklungshilfe allein der Weltbank überlassen soll.1
Der Währungsfonds - historisch geprägt
Der IWF wurde kurz nach dem 2. Weltkrieg gegründet, um eine neue Finanzordnung für die heutigen Industriestaaten zu schaffen. Der Gründung gingen Verhandlungen im amerikanischen Bretton Woods voraus, an denen alle führenden Industriestaaten, unter ihnen auch die UdSSR, teilnahmen. Den VerhandlungsteilnehmerInnen wurden zwei Vorschläge unterbreitet. Nach dem Plan des britischen Ökonomen Keynes sollte eine internationale "Clearing Union" geschaffen werden, bei der die Schulden eines Staates durch ein neu zu schaffendes Bankgeld ("Bancor") gedeckt werden sollten. Diesem System wurde der Zuspruch verweigert, da es vor allem Entwicklungsländer bevorzugte. Das heutige Währungssystem beruht auf dem Vorschlag des Amerikaners White: Alle Mitgliedsländer leisten einen eigenen Beitrag in einen gemeinsamen Pool. Dieser besteht zu 25% aus Gold und zu 75% aus der jeweiligen Landeswährung. Im Fall von Zahlungsbilanzdefiziten (Summe der Importe höher als Summe der Exporte) vergibt der Fonds kurz- und langfristige Kredite.
Insgesamt beruhte das System auf festen Wechselkursen, d. h. zwischen den Landeswährungen bestanden feste Umtauschkurse, die nicht durch Angebot und Nachfrage auf dem Finanzmarkt bestimmt wurden, sondern durch eine Vereinbarung mit dem IWF. Die Notenbanken der Staaten hatten diesen Kurs mittels Interventionen (Ankauf der eigenen Währung) zu verteidigen.
Krisen - ein ständiger Begleiter des Systems
Anfang der 70er Jahre befand sich dieses System jedoch in einer schweren Krise. Ein Problem resultierte daraus, dass in einem System fester Wechselkurse die Währungen durch den IWF je nach ihrem tatsächlichen Wert unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes angepaßt werden müssen. Die erforderlichen Auf- und Abwertungen wurden unter Berufung auf ihre monetäre Souveränität von den Staaten verweigert so dass das Währungsgefüge immer weniger den tatsächlichen Gegebenheiten entsprach.
Ein weitaus größeres Problem ergab sich zudem aus der Wirtschaftspolitik der USA. Der amerikanische Dollar hatte im Weltwährungssystem eine Doppelrolle. Zum einen war er Währung eines Mitgliedsstaates, zum anderen beruhte das Paritätssystem des IWF auf dem Dollar als Maßstab für die Bewertung der Währungen der anderen Mitgliedsstaaten. Das Vertrauen der anderen Mitglieder stützte sich dabei auf die Parität des Dollars zum Gold und das Versprechen der USA, Dollar auf Verlangen in Gold umzutauschen. Dieses Vertrauen sank aber in dem Maß, in dem die amerikanische Regierung große Haushaltsdefizite entstehen ließ, die zu einer Überbewertung des Dollars führten. Wegen mangelnder Goldreserven gab die amerikanische Regierung 1971 die Konvertibilität des Dollars in Gold auf. Auch die Dollar - Einlösepflicht bestand ab diesem Zeitpunkt nicht mehr.
Statt dessen wurden Sonderziehungsrechte eingeführt. Diese stellen einen Anspruch der Mitgliedsstaaten gegenüber dem IWF auf Umtausch der eigenen Währung in konvertible Währungen dar. Benötigt also ein IWF - Mitglied im Fall von Zahlungsbilanzdefiziten Devisen, kann es vom Fonds den Umtausch von eigener Währung in eine andere in der Höhe des ihm zustehenden Sonderziehungsrechtes verlangen.
Das System der festen Wechselkurse wurde aufgegeben und die Währungen den Einflüssen von Angebot und Nachfrage ausgesetzt. Dieser Vorgang wird mit "Floating" bezeichnet. Ein System, das bis heute beibehalten wurde. Innerhalb des Gebietes des Europäischen Währungssystems, das bis zur Einführung des Euro bestand, hatte man die Wechselkurse der einzelnen Mitgliedsländer jedoch mit festen Umtauschkursen aneinander gekoppelt. Nach Außen, so im Verhältnis zum Dollar, blieben sie dabei immer noch ungebunden.
Die Kernaufgabe des Fonds besteht jedoch auch nach diesen wichtigen Änderungen im Abkommen noch immer in der Stabilisierung des internationalen Währungssystems. Zu große Wechselkursschwankungen sollen verhindert und Mitgliedsstaaten, die Probleme in ihrer Zahlungsbilanz aufweisen, soll unter die Arme gegriffen werden.
Stimmrechte - Vormachtstellung der Industriestaaten
Die Ungleichgewichte in der Wirtschaftskraft und in den Zahlungsbilanzen zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern haben sich in den letzten Jahren verschärft und nehmen noch weiter zu. Die verschiedenen Interessen zu koordinieren und zu bündeln, war für den IWF von Beginn an ein Balanceakt.
Das gewichtete Stimmrecht, das bis auf eine geringe Zahl von Basisstimmen nach der wirtschaftlichen Bedeutung eines Landes differenziert, hat im Fonds zu einer Zwei - Klassen - Gesellschaft geführt.2 Bei Abstimmungen hat jedes Mitglied 250 "Basisstimmen" und für jede $ 100 000 seiner Zahlungsquote eine weitere Stimme. Die Entwicklungsländer fordern die Aufhebung des Prinzips des "weighted voting" und die Herstellung größerer Gerechtigkeit. Das demokratische Prinzip wäre am konsequentesten verwirklicht, wenn jedes Land die gleiche absolute Stimmzahl erhielte. Hiergegen wird immer wieder eingewandt, dass die Bezugspunkte im IWF sowohl der finanzielle Beitrag als auch die wirtschaftliche Stellung des Mitgliedslandes in der Staatengemeinschaft seien. Materielle Gerechtigkeit könne also nur verwirklicht werde, wenn Gleiches gleich und Verschiedenes nach seiner Eigenart verschieden behandelt werde.3 Bei der Abstimmung über die Struktur des internationalen Währungssystems geht es aber gerade nicht darum, dass derjenige bestimmt, der zahlt. Vielmehr sind alle Staaten als gleichberechtigt zu behandeln. Jedoch muss beachtet werden, dass die großen Industrieländer ohne ein Vetorecht nicht bereit wären, sich den Regeln eines internationalen Währungssystems zu unterwerfen. Im Falle der Abschaffung des gewichteten Stimmrechts ist zum einen eine Austrittswelle der Industriestaaten zu befürchten. Zum anderen würden die Entwicklungsländer trotz Stimmenmehrheit an der faktischen währungspolitischen Vormachtstellung der Industrieländer scheitern. Um weiterhin im Gespräch zu bleiben, ist es viel wichtiger, die Lösung der Probleme im Konsens zu suchen und es nicht auf eine Eskalation des Interessenkonflikts ankommen zu lassen. In diese Richtung ist auch die Politik des IWF in den letzten Jahren gegangen.
Auflagenpolitik - Gewährleistung des "sinnvollen" Mitteleinsatzes?
Ebenfalls schon seit dem Bestehen des Fonds wird darüber diskutiert, ob die Zahlungsbilanzhilfen an Auflagen gebunden werden dürfen. Das heißt, ob und in welchem Ausmaß man dem Hilfe benötigenden Staat Vorschriften machen kann. Ein quasi-automatisches Zugangsrecht zu den Finanzhilfen des IWF, wie es die britische Delegation unter Keynes vorschlug, wurde von amerikanischer Seite nicht akzeptiert. Man hatte von Anfang an beabsichtigt, durch die Gewährung von Krediten Einfluß auf die wirtschaftliche und politische Entwicklung eines Landes zu nehmen. Durch eine formalistisch komplizierte Gestaltung der Auflagenpolitik soll die Rückzahlung der Mittel gesichert, die Laufzeiten der Kredite begrenzt und der revolvierende Charakter der Mittel erhalten werden. Daneben muss der Fonds gewährleisten, dass seine Mittel zum Zweck der Zahlungsbilanzanpassung anstatt für unsinnige Prestigeobjekte, Luxusgüter und Rüstungsprojekte genutzt werden. Diese Funktionen rechtfertigen Auflagen für Hilfen des IWF. Jedoch muss immer wieder überprüft werden, inwieweit die Industriestaaten mit Hilfe der Auflagenpolitik versuchen, ihre Interessen in den Entwicklungsländern durchzusetzen, und so in die Souveränitätsrechte anderer Staaten eingreifen. So ist die Rolle des IWF im Rahmen der Hilfsleistungen für Rußland immer wieder kritisiert worden. Er habe "weder Kenntnisse über die sogenannten Transformationsgesellschaften noch die Kompetenz zur Bewältigung ihrer Krisen".4 Dieser Kritik muss zugestimmt werden, wenn die westlichen Industrienationen mit ihren Pauschallösungen ins Feld ziehen, die den besonderen Situationen in Entwicklungs- oder Schwellenländern nicht gerecht werden.
Die Notwendigkeit einer Reform des Weltwährungssystems ist in der Hilflosigkeit des IWF bei der Verhinderung oder Begrenzung der Währungskrisen der letzten Jahre besonders deutlich geworden. Neben den Finanzkrisen in Rußland (1998) und Brasilien (1999) hat vor allem die ostasiatische Währungskrise in der 2. Hälfte des Jahres 1997 Aufsehen erregt.
Währungskrisen - ein unbeherrschbares Phänomen
Der Grund für die Währungskrisen in Asien liegt vor allem in spekulativen Transaktionen. Dabei sind die Erwartungen über Kursgewinne an den Devisenmärkten der Ausgangspunkt jeder Spekulation: wird eine Abwertung der ausländischen Währung und eine damit verbundene Aufwertung der heimischen Währung erwartet, verschulden sich die SpekulantInnen in der ausländischen Währung und legen das aufgenommene Geld im Inland an. Folgt nun die erwartete Abwertung, so benötigt der oder die SpekulantInn nicht die gesamte Geldanlage, um seine Schulden in der ausländischen Währung zurückzuzahlen. Den verbleibenden Teil behält er oder sie als Gewinn. Wenn sich die Prognose jedoch nicht bewahrheitet, entstehen Verluste. Normalerweise haben solche Spekulationen einen eher positiven Effekt bei der Feststellung des Wechselkurses. Im Fall der asiatischen Staaten entwickelten sie sich jedoch zu einem Machtkampf zwischen den SpekulantInnen und den nationalen Zentralbanken: Ziel der SpekulantInnen war es, die Regierungen und Zentralbanken der kleinen asiatischen Staaten zu zwingen, ihre Währungen abzuwerten. Auf dem Devisenmarkt wurde die Währung, die abgewertet werden sollte, in erheblichem Umfang angeboten und gleichzeitig Dollar nachgefragt. Die Zentralbanken waren gezwungen, ihre eigene Währung durch Devisen zu stützen, um deren Kurs zu gewährleisten. Bedenkt man jedoch, dass die SpekulantInnen, zumeist private Finanzinstitutionen, über zweistellige Milliarden Dollarbeträge verfügen, wird klar, dass die Zentralbanken, gerade der Schwellenländer, dem Kräftemessen nicht Stand halten können und letztlich die eigene Währung abwerten müssen. Womit die SpekulantInnen auf Kosten dieser kleinen, am Beginn ihrer Entwicklung stehenden Länder Gewinne machen. Diesen geht es dabei nur um die hohen Gewinne, die bei solchen "Geschäften" gemacht werden. Der tatsächliche Wert einer Währung oder gar die wirtschaftliche Entwicklung des betroffenen Landes ist für die SpekulantInnen uninteressant.
Den betroffenen Ländern wird häufig vorgeworfen, die Finanzkrisen wären ein hausgemachtes Resultat schwerwiegender struktureller Mängel wie unsoliden Finanzinstituten, unzureichender Bankenaufsicht, Spekulationen mit Immobilien, Vernachlässigung der Infrastruktur und des Bildungswesens sowie Korruption. Ebenso werden die festen Wechselkurse vieler Entwicklungs- und Schwellenländer zur Ursache für das Währungsdesaster abgestempelt. Dass jedoch die Abwertung von der Spekulation erzwungen wurde und nichts mit einer durch Angebot und Nachfrage regulierten Wechselkursbestimmung zu tun hat, wird wohl bewußt übersehen. Denn die Kapitalströme, die zur Aufheizung der Situation und zum Zusammenbruch des Systems führen, gehen von privaten SpekulantInnen der Industriestaaten aus. Um zu verbergen, dass bei der Lösung der Probleme hier angesetzt werden muss, versucht man, Mängel im Finanzsystem der betroffenen Länder für die Krise verantwortlich zu machen.
Statt dieser gegenseitigen Schuldzuweisungen sollte man lieber beginnen, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen und die nötigen Antikrisensysteme für neue Währungsturbulenzen zu entwickeln. Vorschläge für präventive Maßnahmen gibt es eine ganze Menge.5 Eine Diskussion über den Chefposten des Fonds schadet einer raschen Umstrukturierung nur. Oder soll die Uneinigkeit der Industrienationen auch weiterhin auf Kosten der Entwicklungsländer ausgetragen werden?
Claudia Dietze studiert Jura und lebt in Tübingen.
Literatur:
Erdmenger, Christoph, Globalisierung der Finanzmärkte, Forum Recht 3/1997, 76.
Huffschmid, Jörg, Umrisse einer neuen Finanzarchitektur, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1999, 688.
Kloten, Norbert, 50 Jahre Bretton Woods: Renaissance des Regimes fester Wechselkurse, in: Hess, Wirtschaftspolitik in offenen Volkswirtschaften, 1994, 50.
Köhler, Claus, Spekulation contra Entwicklungspolitik. Eine Analyse der ostasiatischen Währungskrise, in: Politik und Gesellschaft Online 2/1998 >www.fes.de/ipg/ipg2_98/artkoehler.html<.
Lucke, Peter, Internationaler Währungsfonds, 1997.
Reierma, Christian, Oskar auf Werbetouren, in: Der Spiegel 47/1998, 26.
Sapir, Jaques, Die verblendete Rußlandpolitik des Westens, in: le monde diplomatique v. 17.12.1999.
Anmerkungen:
1 Kaps, FAZ v. 05.02.2000, 12.
2 Lucke 1997, 7.
3 Lucke 1997, 8, Fn. 25.
4 Sapir, le monde diplomatique v. 17.12.1999.
5 Huffschmid, Blätter für dt. und int. Politik, 1999, 696; Erdmenger FoR 3/97, 78.
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