Heft 4 / 2002:
Aus dem Westen was Neues
Interessenpolitik durch Rechtsexport
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Ausreisezentren - Ein gescheitertes Modell setzt sich durch
 

Ausreisezentren stellen einen neuen Baustein im Komplex staatlicher Flüchtlingspolitik dar und scheinen sich derzeit als Modell bundesweit durchzusetzen. Dies ist Anlass genug, um die bisherigen Erfahrungen mit diesem Konzept näher zu betrachten. 1
Ein erstes Ausreisezentrum wurde bereits zu Beginn der neunziger Jahre in Ter Apel (Niederlande) eingerichtet, jedoch bald wieder geschlossen. Ende der Neunziger folgten mehre Modellprojekte in Deutschland. So entstand 1998 ein Ausreisezentrum in Lübbecke (Nordrhein-Westfalen), das allerdings im darauffolgenden Jahr ebenfalls wieder geschlossen wurde. Der Schließung waren Probleme vorausgegangen, die einen vagen Eindruck vom dort herrschenden Klima vermitteln: neben dem Selbstmord eines Flüchtlings kam es zu persönlichen Drohungen gegen Bedienstete, Ausschreitungen sowie der Drohung, die Einrichtung komplett niederzubrennen. Dennoch wurden im gleichen Jahr ähnliche Einrichtungen in Braunschweig und Oldenburg in Niedersachsen errichtet, ein Jahr später folgte Ingelheim in Rheinland-Pfalz.

und bist du nicht willig...

Die Einweisung in die Zentren betrifft Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt ist, die aber nicht abgeschoben werden können, weil ihre Staatsangehörigkeit aufgrund fehlender Papiere unbekannt ist. Das Fehlen von Papieren verhilft den Flüchtlingen regelmäßig zu einer vorübergehenden Duldung. Also drängt der Staat auf Papiere, die er aber ohne die Mitwirkung der Betroffenen schwer bekommen kann. Daher sollen sie zur entsprechenden Mitwirkung bewegt werden, um später die beabsichtigte "freiwillige Ausreise", die ihnen im Zentrum nahegelegt wird, oder wenigstens die Abschiebung zu ermöglichen.
Dazu werden sie zunächst verpflichtet, in der Einrichtung zu leben. Zwar werden sie nicht inhaftiert, es besteht also ein wesentlicher Unterschied zur Abschiebehaft. Sie unterliegen jedoch regelmäßigen Meldepflichten, durch die ihr Aufenthalt in der Einrichtung überprüft wird und durch die sie in ihrer Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt sind. Die hierdurch geschaffene ständige Verfügbarkeit über die Betroffenen ist nötig für die "Kombination aus ausländerrechtlicher Beratung und psychosozialer Betreuung", wie es in einem Papier des Leiters des Amtes für Ausländerangelegenheiten bei der Stadtverwaltung Trier, Dietmar Martini-Emden, heißt. 2 Mittels dieser Zwangsberatungen wird ihnen schnell klar gemacht, wohin die Reise geht: Abschiebung, "freiwillige" Ausreise oder Illegalität. Jede auf ein legales Leben in Deutschland gerichtete Perspektive wird ihnen unter Erläuterung ihrer aussichtslosen Lage ausgeredet.
Die Verdeutlichung der eigenen Perspektivlosigkeit wird flankiert durch ein Maßnahmenbündel, das es in sich hat. Der Aufenthalt ist - anders als Abschiebehaft - zeitlich unbegrenzt und wird begleitet von einem absoluten Arbeitsverbot sowie der Streichung jeglichen Taschengeldes. Neben die Entmündigung tritt hierbei die Kriminalisierung, denn ohne Geld wird jede Busfahrt zur Straftat. Oft werden die Betroffenen auch aus bestehenden Arbeitsverhältnissen gerissen. Während dies in Niedersachsen auch so rechtlich vorgesehen ist, gilt in Ingelheim, dass den rechtlichen Grundlagen nach nur Personen ohne Arbeit zur Wohnsitznahme in der Einrichtung gezwungen werden können. Dennoch sind etliche Fälle dokumentiert, in denen Berufstätige eingewiesen wurden. Auch soziale Kontakte werden gekappt, da die Zentren in der Regel in entlegenen, ländlichen Gegenden liegen. Die soziale Isolation wird durch eine gezielte Zerstörung von Vertrauen und Intimsphäre ergänzt: die SozialarbeiterInnen, die die Gespräche führen, sind verpflichtet, jede verwertbare Information über die Herkunft der Flüchtlinge weiterzuleiten. Gleichzeitig führen Bedienstete der Einrichtung regelmäßige Zimmerdurchsuchungen durch, um auf verwertbare Informationen zu stoßen. Zuletzt wird, in Niedersachsen regelmäßig, in Ingelheim vereinzelt, die Bewegungsfreiheit auf einen kleinen Radius beschränkt, der in der Regel noch kleiner ist als die bei der Residenzpflicht geltende Landkreisregelung. Hinzu treten verschiedenste Details im Alltag einzelner Flüchtlinge, die alle dem Schema der Ausgrenzung folgen - so wurde beispielsweise Flüchtlingen in Niedersachsen verboten, einen Deutschkurs zu besuchen, da dieser ja die Gefahr der Integration in sich berge.

Motivation zur "Freiwilligen Ausreise"

Einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass die Praxis zumindest in Ingelheim teilweise hinter diesen Vorgaben zurückbleibt. Nach Angaben des AK Asyl Rheinland Pfalz halten sich, trotz der Meldepflicht, viele Betroffene nicht dauerhaft in der Einrichtung auf und melden sich in Abständen zwischen einmal pro Woche und alle 3 bis 4 Monate nur sporadisch,. Auch die Gespräche finden nicht regelmäßig statt. Dass darauf keine Repressionen folgen, erklärt ein Sprecher des Arbeitskreises schlicht mit extremem Personalmangel. Ein Großteil des Personals sei in den benachbarten Abschiebeknast in Ingelheim abgezogen worden .
In Niedersachsen dagegen weht ein härterer Wind. Die Gespräche werden finden ebenso regelmäßig statt, wie die Meldepflicht überprüft wird. Die Leute werden, so ein Sprecher des Flüchtlingsrats Niedersachsen, bereits gegängelt, wenn sie mal nicht zum Essen erscheinen. Zwar bleibe, wenn eh nur noch das physische Überleben gesichert ist, nichts mehr übrig, was man sanktionierend wegnehmen könne. Dennoch unterlägen viele einem so hohen psychischen Druck, dass sie sich den Gesprächen und der Meldepflicht nicht entziehen könnten.
Dass es bei all dem um Zermürbung geht, wird auch von offizieller Seite bestätigt. Dietmar Martini-Emden stellt in dem erwähnten Papier fest: "Bei den aufgenommenen Personen zeigt sich, dass die deutlichen Leistungseinschränkungen, der Ausschluss einer Arbeitsaufnahme sowie das sich in einem allmählichen Prozess entwickelnde Bewusstsein über die Ausweglosigkeit der Lebensperspektive in Deutschland die Menschen in eine gewisse Stimmung der Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit versetzt." 3

legal, illegal, scheißegal - Hauptsache raus

Doch warum eigentlich die Mühe, wenn dasselbe Resultat auch durch Abschiebehaft zu erreichen wäre? Weil diese der Vorbereitung und Sicherung der Abschiebung dient - was voraussetzt, daß die baldige Abschiebung realistisch scheint. Dies tut sie nicht, solange die Beschaffung von Papieren scheitert oder unwahrscheinlich ist. Dann darf Abschiebehaft nicht als Beugehaft genutzt werden, um die Inhaftierten zur Mitwirkung bei der Papierbeschaffung zu bewegen. Zudem ist sie auf 18 Monate begrenzt. An dieser Stelle füllen Ausreisezentren die juristische Lücke: frei von zeitlichen Beschränkungen kann hier eben der Druck ausgeübt werden, für den die Abschiebehaft nicht genutzt werden darf. Mit Erfolg: "Ich fühle mich als ob ich nur von einem Tod zu einem anderen geschickt werde, der einzige Unterschied ist der Ort, erst Syrien, dann Deutschland", fasst ein Flüchtling seine Erfahrungen aus Niedersachsen zusammen.
Kein Wunder, dass selbst das Leben in der Illegalität als die würdigere Alternative erscheint. Die von den Innenministerien veröffentlichten Zahlen belegen, dass der größte Teil der Flüchtlinge abtaucht (2001 in Niedersachsen 4 und in Rheinland-Pfalz 5 mehr als die Hälfte aller Betroffenen). Nur ein ganz geringer Anteil reist demgegenüber nach erfolgreicher Papierbeschaffung "freiwillig" aus oder wird abgeschoben (in Rheinland-Pfalz 5, 7 %, in Niedersachsen 11% der Betroffenen). 6
Diese Zahlen können, in Übereinstimmung mit sämtlichen Flüchtlingsräten und UnterstützerInnengruppen, nur so gedeutet werden, dass das Projekt, gemessen an den eigenen Vorgaben, eindeutig gescheitert ist: kaum freiwillige Ausreisen, aber jede Menge Illegale.
Scheitern als Chance scheint jedoch das Motto der Behörden zu sein: wenn Flüchtlinge schon nicht aus Deutschland zu entfernen sind, so doch wenigstens aus dem Netz staatlicher Sozialleistungen. Das Abtauchen in die Illegalität wird, mehr oder weniger verklausuliert, als Erfolg verbucht. Die hier vorgestellten Modellprojekte werden trotz der aufgezeigten Zahlen in sämtlichen offiziellen Stellungnahmen als Erfolg gewertet. Bei den Verschwundenen wird schlicht unterstellt, sie seien vermutlich ohne Abmeldung bei den zuständigen Stellen in ihr Heimatland ausgereist. 7 Noch deutlicher wird das niedersächsische Innenministerium, das in einem Zwischenbericht den positiven Aspekt darin erkennt, dass die Verschwundenen zumindest keine Leistungen mehr beim Sozialamt beantragen. 8

Ausblick

An diesem Erfolg möchten nun auch andere teilhaben. Im Januar dieses Jahres folgte Sachsen-Anhalt mit einem Modellversuch in Halberstadt, Bayern stand bei Redaktionsschluß nach Ministeriumsangaben kurz vor der Eröffnung eines Ausreisezentrums. In Hamburg tauchen erste Gerüchte um die Eröffnung eines Zentrums auf. 9
Damit haben einige Länder bereits vorher das umgesetzt, was im Sommer unter rot-grün als erfolgsversprechendes Konzept im Zuwanderungsgesetz verankert wurde. In den Beratungen zum Zuwanderungsgesetz hatte die CDU gefordert, dem sogenannten Vollzugsdefizit bei Abschiebungen mit der Legalisierung von Beugehaft zu begegnen. Die Aufnahme von Ausreisezentren war ein Zugeständnis an diese Forderungen, die gegenüber der Beugehaft als milderes Mittel betrachtet wurden. Dabei muss angesichts der vielfältigen Auflagen allerdings gefragt werden, ob es tatsächlich ein milderes Mittel oder nicht vielmehr eine Ergänzung des Abschiebehaftsystems darstellt.
Die Verankerung dieses Konzeptes im Zuwanderungsgesetz schafft erstmals eine einheitliche rechtliche Grundlage für die Zentren auf Bundesebene. Gleichzeitig dürfte sie als politisches Signal zu werten sein: nun existiert eine bundeseinheitliche Soll-Vorschrift, die die Aufforderung zum Aufbau dieser Einrichtungen an die Länder heranträgt, die noch nicht in Eigeninitiative gehandelt haben. Es deutet also alles darauf hin, dass sich diese Institution durchsetzen wird.
Dabei ist eine neue Qualität einerseits in der konsequenten Bündelung aller verfügbaren diskriminierenden Auflagen, insbesondere aber in der bewussten Inkaufnahme von Illegalisierung zu erkennen. Eine moralisch argumentierende Entrüstung, dass damit eine indiskutable Grenze überschritten sei, ist sicher berechtigt. Dennoch darf die Kritik hier nicht stehenbleiben, denn ein tatsächlicher Bruch kann hierin nicht gesehen werden. Vielmehr ist die Errichtung von Ausreisezentren als logisch folgerichtiger Schritt zu betrachten. Schließlich wird hier lediglich eine Lücke geschlossen innerhalb einer staatlichen Flüchtlingspolitik, deren Leitgedanken konsequente Abschottung und Ausgrenzung sind, wenn es um ökonomisch nicht verwertbare AusländerInnen geht - dass, wer "Ausländer raus" sagt, auch alle Register zieht, um dies Ziel zu erreichen, kann nicht erstaunen. Dieser Schluss soll aber nicht den Eindruck der Resignation erwecken. Vielmehr soll er deutlich machen, dass einzelne Institutionen ein legitimer Anknüpfungspunkt für öffentlichkeitswirksamen Protest sein können. Der notwendige Widerstand gegen diese muss sich aber auch gegen die hinter ihnen stehenden Strukturen und Ideen richten.

Tillmann Löhr lebt in Göttingen und ist Referendar.

Anmerkungen:

1 Der vorliegende Artikel ist die überarbeitete und aktualisierte Fassung von "Wir machen den Weg frei" aus: Jungle World 27/02.
2 Martini-Emden, Problemstellung und Intention des Modellversuchs einer Landesunterkunft für Ausreisepflichtige in Rheinland-Pfalz, S. 3 (das Papier ist vollständig dokumentiert unter http://mitglied.lycos.de/respublica/index.php?link=Grundlagen/Rheinlandpfalz/Modellversuch.html).
3 Martini-Emden, aaO, S. 4.
4 Bericht des Niedersächsischen Innenministeriums: Ausreiseeinrichtungen in Niedersachsen (Braunschweig und Oldenburg) - Identitätsklärung und Beschaffung von Heimreisedokumenten für Ausländer mit ungeklärter Staatsangehörigkeit - Stand: 30.9. 2001, S. 1 f.; der Bericht ist für die Öffentlichkeit auszugsweise dokumentiert vom niedersächsischen Flüchtlingsrat unter www.nds-fluerat.org., im Kapitel "Zahlen Niedersachsen".
5 Vgl. die vom AK Asyl Rheinland-Pfalz unter Berufung auf das rheinland-pfälzische Innenministerium für 2001 dokumentierten Zahlen unter http://www.asyl-rlp.org/archiv/presseerkl200302.html.
6 Vgl. die Angaben in den in Fn. 3 und 4 genannten Quellen.
7 http://www.asyl-rlp.org/archiv/presseerkl200302.html.
8 Das Papier ist dokumentiert unter www.nds-fluerat.org, Kapitel "Zahlen Niedersachsen".
9 So zumindest ein Bericht der Hamburger Morgenpost vom 1.8. 2002.