|
Ausreisezentren stellen einen neuen Baustein im Komplex staatlicher Flüchtlingspolitik
dar und scheinen sich derzeit als Modell bundesweit durchzusetzen. Dies
ist Anlass genug, um die bisherigen Erfahrungen mit diesem Konzept näher
zu betrachten. 1
Ein erstes Ausreisezentrum wurde bereits zu Beginn der neunziger Jahre
in Ter Apel (Niederlande) eingerichtet, jedoch bald wieder geschlossen.
Ende der Neunziger folgten mehre Modellprojekte in Deutschland. So entstand
1998 ein Ausreisezentrum in Lübbecke (Nordrhein-Westfalen), das allerdings
im darauffolgenden Jahr ebenfalls wieder geschlossen wurde. Der Schließung
waren Probleme vorausgegangen, die einen vagen Eindruck vom dort herrschenden
Klima vermitteln: neben dem Selbstmord eines Flüchtlings kam es zu persönlichen
Drohungen gegen Bedienstete, Ausschreitungen sowie der Drohung, die Einrichtung
komplett niederzubrennen. Dennoch wurden im gleichen Jahr ähnliche Einrichtungen
in Braunschweig und Oldenburg in Niedersachsen errichtet, ein Jahr später
folgte Ingelheim in Rheinland-Pfalz.
und bist du nicht willig...
Die Einweisung in die Zentren betrifft Flüchtlinge, deren Asylantrag
abgelehnt ist, die aber nicht abgeschoben werden können, weil ihre Staatsangehörigkeit
aufgrund fehlender Papiere unbekannt ist. Das Fehlen von Papieren verhilft
den Flüchtlingen regelmäßig zu einer vorübergehenden Duldung. Also drängt
der Staat auf Papiere, die er aber ohne die Mitwirkung der Betroffenen
schwer bekommen kann. Daher sollen sie zur entsprechenden Mitwirkung bewegt
werden, um später die beabsichtigte "freiwillige Ausreise", die ihnen
im Zentrum nahegelegt wird, oder wenigstens die Abschiebung zu ermöglichen.
Dazu werden sie zunächst verpflichtet, in der Einrichtung zu leben. Zwar
werden sie nicht inhaftiert, es besteht also ein wesentlicher Unterschied
zur Abschiebehaft. Sie unterliegen jedoch regelmäßigen Meldepflichten,
durch die ihr Aufenthalt in der Einrichtung überprüft wird und durch die
sie in ihrer Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt sind. Die hierdurch
geschaffene ständige Verfügbarkeit über die Betroffenen ist nötig für
die "Kombination aus ausländerrechtlicher Beratung und psychosozialer
Betreuung", wie es in einem Papier des Leiters des Amtes für Ausländerangelegenheiten
bei der Stadtverwaltung Trier, Dietmar Martini-Emden, heißt. 2
Mittels dieser Zwangsberatungen wird ihnen schnell klar gemacht, wohin
die Reise geht: Abschiebung, "freiwillige" Ausreise oder Illegalität.
Jede auf ein legales Leben in Deutschland gerichtete Perspektive wird
ihnen unter Erläuterung ihrer aussichtslosen Lage ausgeredet.
Die Verdeutlichung der eigenen Perspektivlosigkeit wird flankiert durch
ein Maßnahmenbündel, das es in sich hat. Der Aufenthalt ist - anders als
Abschiebehaft - zeitlich unbegrenzt und wird begleitet von einem absoluten
Arbeitsverbot sowie der Streichung jeglichen Taschengeldes. Neben die
Entmündigung tritt hierbei die Kriminalisierung, denn ohne Geld wird jede
Busfahrt zur Straftat. Oft werden die Betroffenen auch aus bestehenden
Arbeitsverhältnissen gerissen. Während dies in Niedersachsen auch so rechtlich
vorgesehen ist, gilt in Ingelheim, dass den rechtlichen Grundlagen nach
nur Personen ohne Arbeit zur Wohnsitznahme in der Einrichtung gezwungen
werden können. Dennoch sind etliche Fälle dokumentiert, in denen Berufstätige
eingewiesen wurden. Auch soziale Kontakte werden gekappt, da die Zentren
in der Regel in entlegenen, ländlichen Gegenden liegen. Die soziale Isolation
wird durch eine gezielte Zerstörung von Vertrauen und Intimsphäre ergänzt:
die SozialarbeiterInnen, die die Gespräche führen, sind verpflichtet,
jede verwertbare Information über die Herkunft der Flüchtlinge weiterzuleiten.
Gleichzeitig führen Bedienstete der Einrichtung regelmäßige Zimmerdurchsuchungen
durch, um auf verwertbare Informationen zu stoßen. Zuletzt wird, in Niedersachsen
regelmäßig, in Ingelheim vereinzelt, die Bewegungsfreiheit auf einen kleinen
Radius beschränkt, der in der Regel noch kleiner ist als die bei der Residenzpflicht
geltende Landkreisregelung. Hinzu treten verschiedenste Details im Alltag
einzelner Flüchtlinge, die alle dem Schema der Ausgrenzung folgen - so
wurde beispielsweise Flüchtlingen in Niedersachsen verboten, einen Deutschkurs
zu besuchen, da dieser ja die Gefahr der Integration in sich berge.
Motivation zur "Freiwilligen Ausreise"
Einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass die Praxis zumindest in
Ingelheim teilweise hinter diesen Vorgaben zurückbleibt. Nach Angaben
des AK Asyl Rheinland Pfalz halten sich, trotz der Meldepflicht, viele
Betroffene nicht dauerhaft in der Einrichtung auf und melden sich in Abständen
zwischen einmal pro Woche und alle 3 bis 4 Monate nur sporadisch,. Auch
die Gespräche finden nicht regelmäßig statt. Dass darauf keine Repressionen
folgen, erklärt ein Sprecher des Arbeitskreises schlicht mit extremem
Personalmangel. Ein Großteil des Personals sei in den benachbarten Abschiebeknast
in Ingelheim abgezogen worden .
In Niedersachsen dagegen weht ein härterer Wind. Die Gespräche werden
finden ebenso regelmäßig statt, wie die Meldepflicht überprüft wird. Die
Leute werden, so ein Sprecher des Flüchtlingsrats Niedersachsen, bereits
gegängelt, wenn sie mal nicht zum Essen erscheinen. Zwar bleibe, wenn
eh nur noch das physische Überleben gesichert ist, nichts mehr übrig,
was man sanktionierend wegnehmen könne. Dennoch unterlägen viele einem
so hohen psychischen Druck, dass sie sich den Gesprächen und der Meldepflicht
nicht entziehen könnten.
Dass es bei all dem um Zermürbung geht, wird auch von offizieller Seite
bestätigt. Dietmar Martini-Emden stellt in dem erwähnten Papier fest:
"Bei den aufgenommenen Personen zeigt sich, dass die deutlichen Leistungseinschränkungen,
der Ausschluss einer Arbeitsaufnahme sowie das sich in einem allmählichen
Prozess entwickelnde Bewusstsein über die Ausweglosigkeit der Lebensperspektive
in Deutschland die Menschen in eine gewisse Stimmung der Hoffnungs- und
Orientierungslosigkeit versetzt." 3
legal, illegal, scheißegal - Hauptsache raus
Doch warum eigentlich die Mühe, wenn dasselbe Resultat auch durch Abschiebehaft
zu erreichen wäre? Weil diese der Vorbereitung und Sicherung der Abschiebung
dient - was voraussetzt, daß die baldige Abschiebung realistisch scheint.
Dies tut sie nicht, solange die Beschaffung von Papieren scheitert oder
unwahrscheinlich ist. Dann darf Abschiebehaft nicht als Beugehaft genutzt
werden, um die Inhaftierten zur Mitwirkung bei der Papierbeschaffung zu
bewegen. Zudem ist sie auf 18 Monate begrenzt. An dieser Stelle füllen
Ausreisezentren die juristische Lücke: frei von zeitlichen Beschränkungen
kann hier eben der Druck ausgeübt werden, für den die Abschiebehaft nicht
genutzt werden darf. Mit Erfolg: "Ich fühle mich als ob ich nur von einem
Tod zu einem anderen geschickt werde, der einzige Unterschied ist der
Ort, erst Syrien, dann Deutschland", fasst ein Flüchtling seine Erfahrungen
aus Niedersachsen zusammen.
Kein Wunder, dass selbst das Leben in der Illegalität als die würdigere
Alternative erscheint. Die von den Innenministerien veröffentlichten Zahlen
belegen, dass der größte Teil der Flüchtlinge abtaucht (2001 in Niedersachsen
4 und in Rheinland-Pfalz 5
mehr als die Hälfte aller Betroffenen). Nur ein ganz geringer Anteil reist
demgegenüber nach erfolgreicher Papierbeschaffung "freiwillig" aus oder
wird abgeschoben (in Rheinland-Pfalz 5, 7 %, in Niedersachsen 11% der
Betroffenen). 6
Diese Zahlen können, in Übereinstimmung mit sämtlichen Flüchtlingsräten
und UnterstützerInnengruppen, nur so gedeutet werden, dass das Projekt,
gemessen an den eigenen Vorgaben, eindeutig gescheitert ist: kaum freiwillige
Ausreisen, aber jede Menge Illegale.
Scheitern als Chance scheint jedoch das Motto der Behörden zu sein: wenn
Flüchtlinge schon nicht aus Deutschland zu entfernen sind, so doch wenigstens
aus dem Netz staatlicher Sozialleistungen. Das Abtauchen in die Illegalität
wird, mehr oder weniger verklausuliert, als Erfolg verbucht. Die hier
vorgestellten Modellprojekte werden trotz der aufgezeigten Zahlen in sämtlichen
offiziellen Stellungnahmen als Erfolg gewertet. Bei den Verschwundenen
wird schlicht unterstellt, sie seien vermutlich ohne Abmeldung bei den
zuständigen Stellen in ihr Heimatland ausgereist. 7
Noch deutlicher wird das niedersächsische Innenministerium, das in einem
Zwischenbericht den positiven Aspekt darin erkennt, dass die Verschwundenen
zumindest keine Leistungen mehr beim Sozialamt beantragen. 8
Ausblick
An diesem Erfolg möchten nun auch andere teilhaben. Im Januar dieses
Jahres folgte Sachsen-Anhalt mit einem Modellversuch in Halberstadt, Bayern
stand bei Redaktionsschluß nach Ministeriumsangaben kurz vor der Eröffnung
eines Ausreisezentrums. In Hamburg tauchen erste Gerüchte um die Eröffnung
eines Zentrums auf. 9
Damit haben einige Länder bereits vorher das umgesetzt, was im Sommer
unter rot-grün als erfolgsversprechendes Konzept im Zuwanderungsgesetz
verankert wurde. In den Beratungen zum Zuwanderungsgesetz hatte die CDU
gefordert, dem sogenannten Vollzugsdefizit bei Abschiebungen mit der Legalisierung
von Beugehaft zu begegnen. Die Aufnahme von Ausreisezentren war ein Zugeständnis
an diese Forderungen, die gegenüber der Beugehaft als milderes Mittel
betrachtet wurden. Dabei muss angesichts der vielfältigen Auflagen allerdings
gefragt werden, ob es tatsächlich ein milderes Mittel oder nicht vielmehr
eine Ergänzung des Abschiebehaftsystems darstellt.
Die Verankerung dieses Konzeptes im Zuwanderungsgesetz schafft erstmals
eine einheitliche rechtliche Grundlage für die Zentren auf Bundesebene.
Gleichzeitig dürfte sie als politisches Signal zu werten sein: nun existiert
eine bundeseinheitliche Soll-Vorschrift, die die Aufforderung zum Aufbau
dieser Einrichtungen an die Länder heranträgt, die noch nicht in Eigeninitiative
gehandelt haben. Es deutet also alles darauf hin, dass sich diese Institution
durchsetzen wird.
Dabei ist eine neue Qualität einerseits in der konsequenten Bündelung
aller verfügbaren diskriminierenden Auflagen, insbesondere aber in der
bewussten Inkaufnahme von Illegalisierung zu erkennen. Eine moralisch
argumentierende Entrüstung, dass damit eine indiskutable Grenze überschritten
sei, ist sicher berechtigt. Dennoch darf die Kritik hier nicht stehenbleiben,
denn ein tatsächlicher Bruch kann hierin nicht gesehen werden. Vielmehr
ist die Errichtung von Ausreisezentren als logisch folgerichtiger Schritt
zu betrachten. Schließlich wird hier lediglich eine Lücke geschlossen
innerhalb einer staatlichen Flüchtlingspolitik, deren Leitgedanken konsequente
Abschottung und Ausgrenzung sind, wenn es um ökonomisch nicht verwertbare
AusländerInnen geht - dass, wer "Ausländer raus" sagt, auch alle Register
zieht, um dies Ziel zu erreichen, kann nicht erstaunen. Dieser Schluss
soll aber nicht den Eindruck der Resignation erwecken. Vielmehr soll er
deutlich machen, dass einzelne Institutionen ein legitimer Anknüpfungspunkt
für öffentlichkeitswirksamen Protest sein können. Der notwendige Widerstand
gegen diese muss sich aber auch gegen die hinter ihnen stehenden Strukturen
und Ideen richten.
Tillmann Löhr lebt in Göttingen und ist Referendar.
Anmerkungen:
1 Der vorliegende Artikel ist die überarbeitete
und aktualisierte Fassung von "Wir machen den Weg frei" aus: Jungle
World 27/02.
2 Martini-Emden, Problemstellung und
Intention des Modellversuchs einer Landesunterkunft für Ausreisepflichtige
in Rheinland-Pfalz, S. 3 (das Papier ist vollständig dokumentiert unter
http://mitglied.lycos.de/respublica/index.php?link=Grundlagen/Rheinlandpfalz/Modellversuch.html).
3 Martini-Emden, aaO, S. 4.
4 Bericht des Niedersächsischen Innenministeriums:
Ausreiseeinrichtungen in Niedersachsen (Braunschweig und Oldenburg) -
Identitätsklärung und Beschaffung von Heimreisedokumenten für Ausländer
mit ungeklärter Staatsangehörigkeit - Stand: 30.9. 2001, S. 1 f.; der
Bericht ist für die Öffentlichkeit auszugsweise dokumentiert vom niedersächsischen
Flüchtlingsrat unter www.nds-fluerat.org., im Kapitel "Zahlen Niedersachsen".
5 Vgl. die vom AK Asyl Rheinland-Pfalz
unter Berufung auf das rheinland-pfälzische Innenministerium für 2001
dokumentierten Zahlen unter http://www.asyl-rlp.org/archiv/presseerkl200302.html.
6 Vgl. die Angaben in den in Fn. 3 und
4 genannten Quellen.
7 http://www.asyl-rlp.org/archiv/presseerkl200302.html.
8 Das Papier ist dokumentiert unter
www.nds-fluerat.org, Kapitel "Zahlen Niedersachsen".
9 So zumindest ein Bericht der Hamburger
Morgenpost vom 1.8. 2002.
|
|