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"Unser Rechtssystem ist mit das Beste, was wir haben. Deshalb freue
ich mich, wenn wir es anderen Ländern empfehlen können", sagte mir einst
ein deutscher Botschafter. Bestückt mit dem hehren Gut ihres nationalen
Rechts beglücken inzwischen viele Länder andere Staaten im Umbruch. Obwohl
der Zusammenbruch der Sowjetunion schon mehr als 10 Jahre zurückliegt,
ist die internationale Rechtsberatung immer noch in vollem Gang. Ein großer
Teil der Zivilgesetzbücher und der Wirtschaftsgesetzgebung wurden verabschiedet;
nun stehen die Reformen der Gerichte und der Verwaltungen an. Das Tätigkeitsfeld
der Geberorganisationen erstreckt sich dabei von einfachen organisatorischen
Hilfestellungen wie dem Aufbau einer Rechtsbibliothek, über fachspezifische
Weiterbildungen wie Schulungen von Richterinnen und Richtern bis hin zur
unmittelbaren Unterstützung bei der Gesetzgebungstätigkeit oder sogar
Programmen zur Stärkung des Rechtsempfinden der Bevölkerung durch Fernsehsendungen.
Internationale Rechtsberatung als Exportschlager
Auch wenn die internationale Rechtsberatung durch ihr Volumen in Höhe
eines dreistelligen Millionenbetrages2
bereits einen eigenen Geschäftszweig darstellt, so ist sie eigentlich
eine Form der Entwicklungszusammenarbeit oder genauer der technischen
Zusammenarbeit. Diese beabsichtigt, das Personal in Institutionen durch
Verbesserungen von Können, Wissen, technischem Know-How und Produktivität
zu fördern. Ein besonders wichtiges Ziel ist nach Meinung der OECD dabei
die institutionelle Entwicklung, die auf der Förderung von Personal basiert
und auf ein effektives Management beim Operieren von Wirtschaft und Gesellschaft
abzielt.3 Das Tätigkeitsfeld der Geberorganisationen
enthält also aus entwicklungspolitischer Sicht stets eine bildungspolitische
Komponente und ist alles andere als ein bloßer Rechtsexport. Beim Aufbau
der Rechtssysteme im Osten werden die verschiedenen Geberorganisationen4
diesem entwicklungspolitischen Ansatz allerdings nur selten gerecht.
Unzeitgemäßer Rechtsimperialismus
Die Erkenntnis, dass internationale rechtliche Beratung enorme Schwierigkeiten
in sich birgt, ist nicht neu. Mitte der 60er und 70er-Jahre begann unter
dem Titel "law and development" eine Offensive des Rechtstransfers mit
Schwerpunkt in den USA. Mit idealistischem Sendungsbewusstsein erhoffte
man sich vor allem in den USA positive Effekte vom Export der eigenen
Rechtskultur primär in die Entwicklungsländer Lateinamerikas und Afrikas.
Den Wert der Rezeption europäischen und US-amerikanischen Rechts durch
Länder der dritten Welt sah man aus einem modernisierungstheoretischen
Blickwinkel: Die ,traditionellen' Gesellschaften sollten durch einen Transfer
,moderner' Institutionen entwickelt werden.5
Die Modernisierungstheorie ging davon aus, dass die unterentwickelten
Gesellschaften die westliche Entwicklung nachholen müssten. Wie die Kritik
an der "law and development" Bewegung offenbarte, war dieser Ansatz politisch
naiv und die Vorgehensweise ethnozentristisch geprägt. Denn während dieser
Etappe wurden in der US-amerikanischen "law and development" Literatur
beispielsweise lateinamerikanische Konzepte als "rückständig" eingestuft,
ohne dass man erkannte, dass diese Konzepte gar nicht den dortigen Rechtskulturen
entsprangen, sondern der kontinentaleuropäischen Rechtskultur entliehen
waren. Es war "naiv und auch selbstüberheblich"6,
die traditionsbewusste juristische Kultur Lateinamerikas mit Hilfe von
Entwicklungsprojekten z. B. zur Reform der Juraausbildung festzulegen.7
Die Rezeption westlichen Rechts war indes kein einseitiger Akt. Die Modernisierungstheorie
impliziert nämlich auch, dass die Überlegenheit des Westens vom Empfängerstaat
in wirtschaftlicher, technischer und juristischer Hinsicht akzeptiert
wird und der eigenen Rückständigkeit gegenübergestellt wird. Als Lösung
galt, vom Westen soviel wie möglich zu übernehmen, ohne dass darauf geachtet
wurde, ob möglicherweise eigene funktionierende Modelle geopfert wurden.
Die Übertragbarkeit von Recht
Angesichts des Scheiterns der US-amerikanischen "law and development"
Bewegung stellt sich also in Hinblick auf die gewaltigen Beratungsaufgaben
bei der Kodifizierung neuen Rechts in den ehemalig sozialistischen Ländern
der internationalen rechtlichen Beratung folgende Kernfrage: Ist der Export
von Rechtsnormen überhaupt sinnvoll?
Die Antworten darauf sind gegensätzlich: Manche propagieren gleich die
komplette Implementierung eines ausländischen Gesetzes, andere sprechen
dagegen von einer grundsätzlichen Untransferierbarkeit des Rechts.8
Argumentiert wird einerseits, dass die Rechtsnormen ja im Westen bereits
getestet wurden, und sich gerade deshalb für einen Rechtstransfer und
den Aufbau einer modernen Rechtskultur in Ostmitteleuropa eignen: Das
Rad muss nicht ein zweites, drittes oder viertes Mal erfunden werden.
Auch sei die Übernahme erprobter Modelle aus dem Westen günstiger, als
wenn man sich an einer eigenstaatlichen Rechtsentwicklung mit unerfahrenen
Juristinnen und Juristen versucht. Die Gefahr, die neuen Probleme gesetzlich
selbst nicht in den Griff zu bekommen, schiebt man gerne unter Inkaufnahme
eines gewissen westlichen Einflusses zur Seite.
Dabei wird allerdings oft übersehen, dass es - vor allem bei der Wirtschaftsgesetzgebung
- entscheidend darauf ankommt, in welchem Stadium sich die Gesellschaft
des Empfängerstaates befindet: So können westeuropäische und nordamerikanische
Unternehmensgesetze z. B. in einer Umgebung mit schwachen Institutionen
deplaziert sein. "Es reicht nicht, Gesetze zu importieren, die sich in
traditionellen Marktwirtschaften bewährt haben, um Marktgesellschaften
zu produzieren."9 Grundvoraussetzung
von rechtspolitischen Überlegungen zum Wert von Rechtstransfer muss also
die "Soziologie pluralistischer Rechtssysteme"10
sein, also die Berücksichtigung der Normen, die tatsächlich in dem jeweiligen
Gebiet vorherrschen - unabhängig davon, ob sie in der offiziellen Rechtssetzung
ausreichend kodifiziert sind. Insbesondere besteht bei der Übernahme eines
anderen Normensystems nämlich die Schwierigkeit, dass alte Normen zum
Teil nicht außer Kraft gesetzt werden, sondern unter der Hand weitergelten:
Europäische Vorbilder bestimmen zwar heute in fast allen Staaten in Folge
weltweiter Kolonialherrschaft oder einer freiwilligen Rezeption das "offizielle"
Recht, keinesfalls aber das "inoffizielle" Recht. Probleme entstehen nicht
nur dann, wenn das transferierte westliche Recht gänzlich ineffektiv,
sondern bereits nur teileffektiv ist. Das ist z. B. der Fall, wenn dem
Bürger bekannt ist, dass er sich gegen Willkürakte des Staates gerichtlich
zu Wehr zu setzen kann, er dieses Recht jedoch (z. B. aus Skepsis der
Funktionstüchtigkeit oder der Objektivität der Gerichte) nicht in Anspruch
nimmt. In den meisten Staaten, so auch den Transformationsländern der
Sowjetunion, bestand jedoch bereits vor dem Transfer des westlichen Rechts
in den 90er-Jahren ein teileffektives Recht, da das Recht nicht in toto
von der Bevölkerung angenommen wurde. Gerade für Staaten die von Fremdherrschaft
geprägt waren, besteht dabei oft eine Mischung von Rechtssystemen, wobei
sich im Laufe der Jahre oft nicht nur ein duales, sondern ein pluralistisches
Rechtssystem gebildet hat. Das endogene Recht erweist sich in diesem Pluralismus
unter Umständen als besonders widerstandsfähig. 11
Entscheidend ist es also, unabhängig von ihrem Wert oder Unwert Rücksicht
auf das endogene Recht zu nehmen12.
Die Kultur des Empfängerlandes ist dahingehend nicht als rückständig oder
falsch, sondern als "anders" anzuerkennen und zu achten.
Der theoretische und der praktische Königsweg
Der theoretische Königsweg für die Modernisierung der Rechtsordnungen
der Transformationsstaaten ist somit der Erlass gänzlich neuer Rechtsvorschriften
unter Ausschöpfung aller bisher in anderen Staaten erprobten Modelle bei
enger Zusammenarbeit inländischer und ausländischer Expertinnen und Experten.13
Ein Technologietransfer auch im Rechtsbereich ist jedenfalls dann empfehlenswert,
wenn eine fundierte inhaltliche Auseinandersetzung darüber stattgefunden
hat, welche Elemente ausländischer Rechtskultur erfolgreich in einem institutionellen
Milieu greifen, in dem die Rechtsausübenden andere Denkschemata und andere
Lösungsmechanismen gewohnt sind. Dies aber abschätzen zu können, ist nur
mit Hilfe inländischer Expertinnen und Experten möglich.
Leider ist dieser Ansatz zwar vorbildlich, aber bereits aus Empfängersicht
gleichzeitig unrealistisch. Viele Staaten im Umbruch können es sich nicht
leisten, im Stillstand eines rechtslosen Vakuums zu verharren, sondern
müssen sich so schnell wie möglich reformieren. Der oben genannte theoretische
Königsweg ist mit einem enormen Arbeitsaufwand verbunden. Die Schulung
inländischer juristischer Expertinnen und Experten ist teuer und zeitintensiv,
die Personaldecke dagegen dünn. Die wenigen qualifizierten Juristinnen
und Juristen werden oft durch intensive politische Tätigkeit in Ministerien
oder im Parlament beansprucht. Angesichts der gewaltigen Gesetzesflut
haben nur die wenigsten lokalen Rechtsexpertinnen und -experten Zeit,
sich durch zehn Konzepte anderer Staaten zu kämpfen, diese in ihren Details
zu verstehen und zu einem neuen, einheitlichen und sinnvollen Ganzen zusammenzufügen.14
Der oben genannte Königsweg bleibt demnach zwar das theoretische Ziel,
auf Grund von Zeit und Kostenfaktoren müssen jedoch Abstriche zu Gunsten
einer einigermaßen praktikablen Lösung gemacht werden. Es ist also die
Kunst jedes Rechtsberatungsprojektes, mit den vorhandenen Mitteln in Anlehnung
an die Grundsätze von Eigenständigkeit der nationalen Expertinnen und
Experten und dem Einbringen möglichst (weniger, aber) passender westlicher
Modelle ein funktionsfähiges Ergebnis zu erzielen. Im Extremfall kann
dabei auch die komplette Übernahme eines bereits anderswo erprobten Konzeptes
stehen - jedenfalls dann, wenn dieses auch richtig verstanden und umgesetzt
wird.
Anforderungskatalog an internationale Rechtsberaterinnen
und Rechtsberater
Aus der Diskussion um die Transferierbarkeit des Rechts wurde bereits
deutlich, dass die Anforderungen an die internationalen Rechtsberaterinnen
und -berater außerordentlich komplex sind: Zumindest in seinem Spezialgebiet15
sollte die ideale Rechtsberaterin bzw. der ideale Rechtsberater sechs
Anforderungen erfüllen: Sie oder er sollte
- Expertin/Experte der Thematik im Recht ihres/seines Heimatlandes sein,
- die verschiedenen, im Empfängerland erarbeiteten Entwürfe genau studiert
haben,
- die rechtliche Konzeption ihres/seines Heimatlandes in einen internationalen
Zusammenhang einordnen können, also wissen, mit welchen Modellen diese
Rechtsfragen in anderen Ländern gelöst werden,
- sich weiterhin mit der bestehenden Gesetzgebung im Empfängerstaat vertraut
gemacht haben, allein schon, um kontradiktorische Regelungen zu vermeiden,
- sich mit den in der Vergangenheit im Empfängerland vorherrschenden rechtlichen
Konzeptionen beschäftigt haben. Nur dann kann sie oder er erkennen, welche
Elemente in die aktuelle Normsetzung des Empfängerlandes mit eingeflossen
sind und warum dies geschah,
- die politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Eigenheiten
des Empfängerstaates kennen und möglichst die Landessprache sprechen.
Die Realität sieht anders aus: Die rechtliche Ausbildung an den westlichen
Universitäten ist fast ausschließlich auf das nationale Recht fixiert.16
Daher entsprechen die ausländischen Beraterinnen und Berater leider oftmals
nur den ersten beiden Komponenten der obigen Liste. Die Kriterien des
Anforderungskataloges werden mit abfallender Tendenz erfüllt. Insbesondere
mit den Eigenheiten und dem Alltag des sozialistischen Blocks hatten sich
nur wenige Rechts- oder auch Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler
beschäftigt. Viele Probleme und Zusammenhänge bleiben deshalb unverstanden.
Über Nacht wurden mit dem Fall der Mauer und der Annäherung der Staaten
an die Europäische Union Tausende Expertinnen und Experten benötigt, die
jedoch unzureichend qualifiziert waren. Darin bestand und besteht der
größte Stolperstein der Rechtsberatung in den Ländern Osteuropas und der
ehemaligen Sowjetunion.
Ein weiterer Stolperstein besteht in der sprachlichen Kommunikation. Im
der ehemaligen Sowjetunion wurde das Erlernen westlicher Sprachen in der
Regel wenig gefördert. Insbesondere die rechtliche Fachterminologie fehlt
in der Fremdsprache völlig - vielmehr müssen bisweilen neue wirtschaftliche
Begriffe in der Landessprache kreiert werden. Dabei werden Gesetzesvorlagen
in vielen ehemaligen Sowjetrepubliken nach Erstellung in der Landessprache
noch zusätzlich ins Russische übersetzt, damit auch anderssprachige Minderheiten
im Land an der Erarbeitung teilhaben können. Für die westlichen Expertinnen
und Experten wird eine weitere Übersetzung ins Englische oder Deutsche
erstellt. Die Kommentare der ausländischen Rechtsberaterinnen und Rechtsberater
werden schließlich wieder zurückübersetzt. Offensichtlich gehen dabei
Inhalte und Zusammenhänge verloren. Die Anzahl der westlichen Expertinnen
und Experten mit qualifizierten Kenntnissen der Fachsprache vor Ort ist
nach wie vor verschwindend gering.
Unabhängig von den sprachlichen Voraussetzungen ist der Markt für rechtsberatende
Dienstleistungen klein und durch subjektiv-diskretionäre Selektionskriterien
gekennzeichnet. Gemeint ist damit, dass die Geberorganisationen immer
wieder mit denselben Expertinnen und Experten zusammenarbeiten. Dabei
bleiben qualitative Auswahlkriterien auf der Strecke. Ein branchentypischer
und oft undurchsichtiger Klüngel führt dazu, dass die oben genannten Kriterien
für Rechtsberaterinnen und Rechtsberater häufig lediglich sekundäre Auswahlkriterien
darstellen.17
Kritik an der Missionierung
Nach anfänglicher Euphorie sind Kritikpunkte an den ausländischen Beraterinnen
und Beratern mittlerweile mannigfaltig vorhanden. Der ungarische Rechtssoziologe
Andras Sajó hat ausländische Rechtsberatung mit der Missionierung früherer
Zeiten verglichen. Eine Schwierigkeit bestünde darin, dass die Gesprächspartnerinnen
und -partner der Beraterinnen und Berater hochrangige Persönlichkeiten
darstellen. Hochrangige Persönlichkeiten aus dem "Westen" seien jedoch
oft zu eingebunden, um für einen langfristigen Rechtsberatungsauftrag
im Osten gewonnen werden zu können. So erfüllen nach Sajó "die Missionare
die Erwartungen an Etikette und Protokoll der Einheimischen oft nicht.
Entweder sind sie zu jung oder ihr Rang in der realen oder eingebildeten
Hierarchie ist nicht hoch genug."18
Besonders peinlich wird es, wenn sich diese Beraterinnen und Berater bisweilen
noch in überheblicher ‚Wessi-Manier' gebärden. Manche Autoren sehen hierbei
sogar wieder alte Ressentiments gegenüber dem kapitalistischen Westen
aufleben. "Ausländische Berater leben außerdem unter obszön-luxuriösen
Bedingungen, die die Erwartungen der Einheimischen an ihre Fähigkeiten
in die Höhe treiben." 19
Viele stolpern auch aufgrund eigener Unkenntnis anderer Rechtssysteme:
Insbesondere der Unterschied zwischen kontinentaleuropäischem Civil Law
und angloamerikanischem Common Law führt zu vielfältigen Missverständnissen.
Da die osteuropäischen Systeme den deutschen und anderen kontinentalen
Rechtssystemen näher sind, wird sogar von US-amerikanischer Seite eingestanden,
dass ihre Landsleute besonders schlecht zur Missionierung geeignet sind.
Gefragt ist eine Offenheit gegenüber kreativen Lösungen in einem anderen
Rechtskreis, um die angesprochenen politischen, sozialen, ökonomischen
und kulturellen Eigenheiten des Empfängerstaates mit einzubeziehen. Auch
die fehlende Nachhaltigkeit kann zum Stolperstein werden, insbesondere,
wenn Beraterinnen und Berater "einmalige Auftritte in der Region [geben],
ohne ihre Gesprächspartner mit einem nützlichen Feed-back zu versorgen
und ohne eine dauerhafte Partnerschaft zu etablieren."
20 So formuliert Sajó pointiert: "Wohlmeinende Universitätsabgänger,
die direkt von ihren Examensfeiern kommen, und erfahrene Anwälte, gerade
im Ruhestand nach schmutzigem, langweiligem Geldmachen, bieten mechanisch
ihre fertig verpackten "westlichen" Lösungsvorschläge für inexistente
oder triviale Probleme an, während sie keinerlei Anstrengung unternehmen,
sich mit dem dringenden Bedürfnis nach einer grundlegenden Reform auseinanderzusetzen."21
Dies ist für einzelne Beraterinnen und Berater oft deshalb schwierig,
da eine theoretische Auseinandersetzung zu wenig stattfindet und ein umfassender
und systematischer Überblick über die Rechtssysteme fehlt. So beraten
Expertinnen und Experten oft in dem Bereich worin sie selber erfahren
sind, ohne Rücksicht darauf, ob der Projektempfänger dies nun gerade angefragt
hat oder benötigt.
Danach sieht sich die internationale Rechtsberatung mit einem alten Vorwurf
der Entwicklungshilfe konfrontiert: Entwicklungshilfe sei "Donor-Driven",
und zwar zum einen als Instrument zur Marktdurchdringung westlicher Firmen
nach Verabschiedung der beratenen Gesetze und zum anderen als Finanzierungsinstrument
des einen oder der anderen westlichen Beraters/in.
Somit verbreitete sich im Verlauf der Rechtsberatung im Osten zu oft der
Eindruck, dass primär das Geberland von der technischen Zusammenarbeit
profitiere. Dies ist besonders bedenklich, wenn technische Zusammenarbeit
wie so oft als bilateraler Kredit ausgeschüttet wird und das Empfängerland
letztlich die Rechnung der ausländischen Expertinnen und Experten begleichen
muss. Auf diesem Weg kann die technische Zusammenarbeit schnell in Verruf
kommen.
Sajó kritisiert: "Es wird behauptet, dass ganze Flugzeugladungen voll
mit frustrierten Jura-Professoren aus dem Westen in Osteuropa landeten.
Im Gepäck hatten sie ihre gehätschelten privaten Gesetzesentwürfe, für
die sie zuhause lächerlich gemacht worden wären. Diese wurden den neuen
demokratischen Regimen als unverzichtbar verkauft."22
Rechtsreformen als Selbsthilfeprojekte
Ein weiterer Stolperstein der technischen Zusammenarbeit besteht darin,
dass das national vorhandene Know-how oftmals nicht ausgenutzt wird. Die
ausländischen Beraterinnen und Berater mögen Spezialwissen hinsichtlich
des Projektzieles besitzen; selten besitzen sie jedoch umfassende Kenntnis
über die lokalen Gegebenheiten. Genau umgekehrt verhält es sich mit den
nationalen Expertinnen und Experten. Gerade bei der Rechtstransformation
kommt es auf Gegebenheiten des Empfängerlandes an, die so komplex sind,
dass sie vollumfänglich für die Beraterinnen und Berater kaum zu durchdringen
sind. Nur in der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit können deshalb optimale
Ergebnisse erzielt werden.
Unterschätzt wird oftmals der Faktor, dass die Beratung auch noch das
Parlament passieren muss. Gelang es den ausländischen Beraterinnen und
Beratern also nicht, das Wissen der lokalen Expertinnen und Experten mit
in die Formulierung der Lösungsvorschläge zu integrieren, scheitert oft
das ganze Bemühen. Dabei müssen die Beraterinnen und Berater aber auch
gegenüber einer oft reformunwilligen und juristisch weniger kundigen Machtelite
des Staates Rückrat für die rechtsstaatlichen Reformvorschläge der lokalen
Expertinnen und Experten zeigen.
Als Zielsetzung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit kann deshalb nur
ein System stehen, dass auch nach Beendigung des Projektes funktioniert:
Die Rechtsberaterinnen und Rechtsberater müssen eine Kiste voller Werkzeuge,
Methodologien und praktischer Tipps mitbringen, die für die Expertinnen
und Experten vor Ort auch später verwendbar ist. Rechtsreformprojekte
müssen wie auch andere Entwicklungsprojekte in aller Konsequenz als Selbsthilfeprojekte
konzipiert sein.
Fehlende Abstimmung unter den Geberländern
Einer der wesentlichen internen Blockaden der rechtlichen Zusammenarbeit
ist die fehlende Abstimmung unter den Geberländern. Die Empfängerländer
sind zum Teil überschwemmt mit unkoordinierter westlicher Unterstützung.
Keine der großen Geberorganisationen übernimmt erkennbar eine Koordinierungsfunktion
bis hin zur Schlichterrolle von untereinander konkurrierenden Organisationen
oder Rechtssystemen.23 Das mag zum
einen an Eigeninteressen der Geberorganisationen und mangelnder Organisation
vor Ort liegen. Andererseits fehlt es auch an einem internationalen wissenschaftlichen
und operativen Koordinierungszentrum, welches Aufsichtsaufgaben wahrnehmen
sollte. Inzwischen werden jedoch Konferenzen der Geberländer, durchgeführt,
in denen ein gemeinsames Vorgehen abgestimmt wird. Kritik ist allerdings
an die Weltbank zu richten. Sie hätte als Organisation der Vereinten Nationen
von Beginn an den unabhängigen Status und die notwendigen personellen
und finanziellen Ressourcen gehabt, um eine Koordination zu gewährleisten.
Leider sind von ihr bis heute keine Anstrengungen in dieser Hinsicht erkennbar.
Aus Fehlern für die Zukunft lernen
Die internationale rechtliche Zusammenarbeit führt also nur dann zu dauerhaftem
Erfolg, wenn sie in Abstimmung zwischen Expertinnen und Experten mit lokaler
Anbindung auf der einen Seite und solchen, die für Rechtsreformen qualifiziert
sind, auf der anderen Seite im Kontext eines Gesamtkonzeptes mit der Zielrichtung
auf Hilfe zur Selbsthilfe langfristig durchgeführt wird. Mögliche Modelle
und deren Implikationen sollten unter Moderation der ausländischen Expertinnen
und Experten erarbeitet werden, wobei dem Empfängerland selbst die Auswahl
der Alternativen überlassen bleibt.
Bislang stolperte die Rechtsberatung also so vor sich hin - zu nationalistisch
und zu eurozentristisch, zu unerfahren und zu unqualifiziert, zu theoretisch
und zu praxisfern, zu unverständlich und zu kulturfremd, zu unsensibel
und zu unkooperativ, zu selbstbedienend und zu überheblich, zu unkoordiniert
und zu kurzfristig. Doch die Beteiligten haben von einander gelernt: Die
Empfängerländer wollen keine langwierigen theoretischen oder belehrenden
Vorträge mehr hören. Sie können zwischen kompetenten und inkompetenten
Expertinnen und Experten besser unterscheiden und fordern Qualität. Die
Geberländer haben dagegen in der Koordination viel dazugelernt. Gelder
werden sorgfältiger eingesetzt und eine Evaluierung findet zeitnaher und
häufiger statt. Die Rechtsexpertinnen und -experten selbst hatten 10 Jahre
Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln und ihre Tätigkeit weiterzuentwickeln.
Die großen Aufgaben stehen noch bevor. Vielerorts sind Gesetzbücher verabschiedet
worden, deren Theorie und Formulierungen moderner als ihre westlichen
Vorbilder24 sind. Aber die Umsetzung
funktioniert nicht. Politiker/innen und Bürger/innen sowie Jurist/innen
und Regierungsbeamte wissen nicht, was die Gesetze in der Praxis bedeuten.
Interpretiert wird nach eigenem Gutdünken. Einen Erfolg der Anstrengungen
internationaler Rechtsberatung wird man aber erst dann verbuchen können,
wenn das neue Recht auch langfristig in der Rechtswirklichkeit funktioniert.
Wolfgang Babeck war in Rechtsreformprojekten in Georgien,
Litauen, Russland, Armenien, Vietnam und zuletzt zum Aufbau eines Zweikammerparlaments
in Usbekistan tätig.
Anmerkungen
1 Dieser Beitrag ist ein aktualisierter
und modifizierter Auszug aus der Studie des Autors, die er unter dem Namen
Wolfgang Gaul über die georgische Verfassungsgebung anhand von Interviews
zwischen 1996 und 2000 erstellt hat; erschienen als "Verfassungsgebung
in Georgien. Ergebnisse internationaler rechtlicher Beratung in einem
Transformationsstaat", 2001, und unter "Sinn und Unsinn internationaler
Rechtsberatung" in: Boulanger 2002, 102 ff.
2 Messick, Richard E., Judicial Reform
and Economic Development, in: World Bank Research Observer, 14.
1999, 1, 117 ff., spricht z.B. von der Bewilligung ca. USD 500 Millionen
zwischen 1994 und 1998 aus Mitteln der Weltbank, der ADB oder der Inter-Amerikanischen
Development Bank für Rechtsreformprojekte; USAID habe etwa USD 200 Millionen
in der vergangenen Dekade ausgegeben.
3 OECD, Principles for New Orientation
in Technical Co-operation, in: The International Journal of Technical
Cooperation, Bd. 1, 1995, 1.
4 Als Beispiel seien hier die Europäische
Union (EuropeAID), die European Bank for Reconstruction and Development
(EBRD), die Weltbank, die Asian Development Bank (ADB), die United States
Agency for international Development (USAID) und von deutscher Seite die
Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die Deutsche Stiftung
für internationale rechtliche Zusammenarbeit (IRZ) oder die Kreditanstalt
für Wiederaufbau (KfW) genannt.
5 vgl. Gardner, James A., Legal Imperialism
- American Lawyers and Foreign Aid in Latin America, 1980, 37 ff.; sowie
Bryde 1986, 12 und Bryde 1977, 117.
6 Bryde 1977, 121.
7 vgl. Bryde, 1986, 34; siehe auch Trubek,
David / Galanter, Marc, Scholars in Self-Estrangement, in: Wisconsin
Law Review 1974, 1062 ff.
8 Seidman, Ann / Seidman, Robert B.,
Drafting Legislation for Development: Lessons from a Chinese Project,
in: The American Journal of Comparative Law Vol. 44 1996, 1 ff
[2] m. w. N.
9 Boguslawskij / Knieper 1995, 16.
10 vgl. Bryde 1986, 20 ff.
11 zum ganzen vgl. Bryde 1986, 17
ff..
12 Sajó 1997, 501, Selbstverständlich
gibt es auch Grenzen für die Rücksichtnahme auf Belange des Empfängerstaates.
Diese sind dann erreicht, wenn allgemeine Grundsätze des Völkerrechts
missachtet werden. "Das bedeutet nicht, dass die Verteidiger der Menschenrechte
im Namen eines ,Multikulturalismus' Gesellschaften respektieren sollen,
in denen die Grundrechte mit den Füßen getreten werden.", ebda.
13 vgl. Küpper, Herbert, Rechtskultur
und Modernisierung in Ostmitteleuropa, in: Osteuropa 1999, 337
ff, [348].
14 In Usbekistan sind allerdings in
der Tat zurzeit sechs Spezialisten des Justizministeriums von allen Pflichten
entbunden, um sich drei Monate mit den weltweit existierenden Modellen
für ein Zweikammerparlament zu beschäftigen.
15 Eigentlich reicht die Kenntnis
des Spezialgebietes allein nicht aus, denn Gesetzgebung ist immer miteinander
verwoben. Ein Fall des täglichen Lebens ist oft sowohl nach zivilrechtlichen
als auch öffentlichrechtlichen, unter Umständen auch strafrechtlichen
Aspekten zu betrachten.
16 Angesichts der zunehmen Verwebung
sowohl von internationalen Organisationen als auch des internationalen
Wirtschaftsrechts, darf der nationale Ansatz inzwischen als rückständig
bezeichnet werden.
17 vgl. Brüne, Stefan, Evaluierung
als öffentliche Kommunikation, 21, in: Ders. (Hrsg.), Erfolgskontrolle
in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, 1998, 1 ff; und Kadura,
Bernd, Wie frei ist ein freier Gutachter? in: Brüne, Stefan, Erfolgskontrolle
in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Thesen und Materialien
zur Tagung des Deutschen Übersee-Instituts, Hamburg, 27. und 28. Februar
1995, 12.
18 Sajó 1997, 500.
19 Sajó 1997, 500.
20 Sajó 1997, 500.
21 Sajó 1997, 500.
22 Sajó 1997, 497.
23 vlg. auch Boguslawskij /Knieper
1998, 53.
24 Hier sei nur auf die modernen Zivilgesetzbücher
in vielen GUS-Staaten oder z.B. auf das georgische Gesetz über die gewerblichen
Unternehmen hingewiesen, welches fast das gesamte Gesellschaftsrecht in
68 Paragraphen abhandelt.
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