Heft 4 / 2002:
Aus dem Westen was Neues
Interessenpolitik durch Rechtsexport
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Rechtsberatung in Südafrika
Das "Legislative Drafting Project" der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit
 

Rechtsberatung hat in den letzten 20 Jahren in der deutschen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zunehmend an Bedeutung gewonnen. In Rechtsberatungsprojekten werden juristische ExpertInnen in Partnerländern eingesetzt, um mit ihrem Sachverstand und einem "Topf" Geld auf einer bestimmten Ebene der Politik (Regierung, Parlament, Think Tank etc.) oder der Zivilgesellschaft (insbesondere Nichtregierungsorganisationen) die Rechtsentwicklung positiv zu beeinflussen. Die Schaffung von Rechtssicherheit wird dabei in der deutschen EZ als Grundvoraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft und für Demokratie angesehen.1 Dabei sind die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie miteinander verschränkt: Rechtsstaatlichkeit gilt als konstituierende Komponente demokratischer Gemeinwesen, so dass Rechtsprojekte letztlich auch einen Beitrag zur Demokratisierung leisten sollen.2
Beispiel für ein Rechtsberatungsprojekt ist das seit 1998 bestehende "Legislative Drafting Project" der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ, weitere Informationen hier) in Pretoria. Das Projekt ist Teil der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit Südafrika, die von Deutschland 1993 nach dem Ende der Apartheid wieder aufgenommen wurde.

Der Gegenstand des Legislative Drafting Projects

Das Legislative Drafting Project ist organisatorisch und räumlich bei der sog. South African Law Commission (SALC) in Pretoria angesiedelt. Die SALC ist ein Think Tank des südafrikanischen Justizministeriums, der maßgeblich an der Vorbereitung entscheidender Gesetzesvorhaben beteiligt ist. Nach Ende der Apartheid und mit Blick auf die vormals benachteiligten Bevölkerungsgruppen soll das Projekt Rechtsstaatlichkeit fördern und zu einem Rechtssystem beitragen, das es allen BürgerInnen gleichermaßen ermöglicht, die (verfassungsrechtlich garantierten) Rechte wahrzunehmen.3 Das Projekt steht zum einen verschiedenen Abteilungen der SALC beratend zur Seite und erleichtert insbesondere deren rechtsvergleichende Arbeit, indem zu Einzelproblemen Auskünfte bezüglich der deutschen Rechtslage gegeben werden. Zum anderen arbeitet das Projekt mit unterschiedlichen Partnern zu bestimmten Schwerpunktthemen zusammen. So wurde bereits an Empfehlungen zur Harmonisierung traditionellen und modernen Familienrechts und an Konzepten zum Umgang mit Jugend- und Massenkriminalität mitgewirkt.

Der Promotion of Administrative Justice Act (AJA)

Zum Schwerpunkt des Projektes wurde die Erarbeitung eines Verwaltungsverfahrensgesetzes, also eines Gesetzes, das Arten von Verwaltungshandeln definiert und dessen Rechtmäßigkeit an bestimmte Bedingungen knüpft sowie richterlich überprüfbar macht. Dadurch wird ein Beitrag zur Verwirklichung von Rechtsstaatsprinzipien wie Rechtssicherheit, Rechtsklarheit, Berechenbarkeit und Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns angestrebt.
Das GTZ-Projekt unterstützte finanziell und logistisch eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit. Es wurden die Stellungnahmen verschiedener Institutionen und Einzelpersonen eingeholt, Diskussionsrunden auf Regierungs- und NGO-Ebene organisiert sowie verschiedene - teils international besetzte - workshops mit VerwaltungsrechtsexpertInnen durchgeführt. Das neue südafrikanische Verwaltungsverfahrensgesetz wurde als Promotion of Administrative Justice Act 3 of 2000 (kurz: PAJA oder AJA) im Februar 2000 vom südafrikanischen Parlament verabschiedet und ist am 30. November 2000 in Kraft getreten. Der AJA kodifiziert erstmalig grundsätzliche Regeln und Prinzipien des Verwaltungsverfahrens und Verwaltungsgerichtsverfahrens.4 Nun wird im Anschluss daran das südafrikanische Justizministerium bei der Implementierung des Gesetzes unterstützt. Das Justizministerium ist insbesondere für den Erlass von Rechtsverordnungen zuständig, die den AJA konkretisieren sollen. Z. B. wird der Erlass eines "Code of Good Conduct" für BeamtInnen und Angestellte des öffentlichen Dienstes vorbereitet, der u. a. einen Leitfaden zur Anwendung des AJA enthalten soll. Was sich zunächst harmlos anhört, ist in Wirklichkeit politisch sehr heikel, da es in diesem Bereich zu Kompetenzüberschneidungen mit dem für den öffentlichen Dienst zuständigen Ministerium (Department of Public Service and Administration) kommt. Um zur stärkeren Verbreitung des AJA beizutragen, wurde zusammen mit der in Pretoria ansässigen Richterakademie ein Lehrbuch zum AJA verfasst und entsprechende Kurse sowie Konferenzen durchgeführt. Außerdem wurde die Veröffentlichung eines Kommentars zum AJA durch zwei Universitätsprofessoren finanziell unterstützt.

Verwaltungsaktdefinition und faires Verfahren

Der AJA enthält eine Definition des sogenannten "Verwaltungsaktes" ("administrative action"), die Parallelen zu der deutschen Definition in § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) aufweist. Es bleibt abzuwarten, inwieweit dieser deutsche Einfluss auf das südafrikanische Recht von der südafrikanischen Rechtswissenschaft und Praxis aufgenommen wird. Ich selbst war bei einer Konferenz in Johannesburg Zeuge des Auftritts eines hohen und populären südafrikanischen Richters, der in seiner Rede gegen diesen Verwaltungsaktbegriff wetterte. Ein südafrikanischer Professor sprach sich auf derselben Konferenz dafür aus.

Wichtiger Bestandteil des AJA sind auch Prinzipien, die das faire Verfahren betreffen. Hierzu gehört das Recht auf eine schriftliche Begründung bei Entscheidungen, die nachteilig in Rechte einer Person eingreifen. Die im AJA enthaltenen Regeln über die Begründung von Verwaltungsentscheidungen sind beispielhaft dafür, dass sich deutsche Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit nicht überall haben durchsetzen können: Aus deutscher Sicht bleibt bedenklich, dass laut AJA eine solche Begründung nicht automatisch mitgeliefert werden muss, sondern lediglich innerhalb von 90 Tagen von der betroffenen Person beantragt werden kann. Zwar muss die betroffene Person über ihr Recht, Entscheidungsgründe zu beantragen, aufgeklärt werden. Aber das automatische Hinzufügen von Gründen trägt wesentlich zu Rechtssicherheit und zur Selbstkontrolle der Verwaltung bei.5 Im südafrikanischen Kontext kommt hinzu, dass schon aufgrund der hohen Analphabetenquote und des wenig ausgeprägten Bewusstseins bzgl. der Durchsetzung eigener Rechte, viele BürgerInnen von ihrem Recht auf Begründung der sie betreffenden Verwaltungsentscheidung keinen Gebrauch machen werden.6

Fazit

Es ist - auch unter Rechtsstaatlichkeitsgesichtspunkten - problematisch, ein Rechtsberatungsprojekt schwerpunktmäßig auf der Ebene der Gesetzgebung anzusiedeln: Die Mitwirkung an Rechtsnormen, die ohne faktische Geltung bleiben, schadet der Rechtsstaatlichkeit eher als es ihr nützt, da mit jedem zusätzlichen unwirksamen Gesetz das Vertrauen der Bevölkerung in die "Herrschaft des Rechts" sinkt. Entscheidender erscheint deshalb, das Partnerland dabei zu unterstützen, Rechtsnormen effektiv werden zu lassen. Die Verwaltung muss in die Lage versetzt werden, die an sie gerichteten Rechtsnormen zu implementieren. Die Bevölkerung muss ihre Rechte wahrnehmen und ggfs. gerichtlich geltend machen können. Es ist zu begrüßen, dass das Legislative Drafting Project hinsichtlich des AJA Anstrengungen in diese Richtung unternimmt und sich nicht auf die Beratung im Gesetzgebungsprozess beschränkt. Da der Implementationsprozess mit rein juristischem Handwerkszeug nicht erfassbar ist, erscheint es jedoch sinnvoll, auch soziologischen und (rechts-)ethnologischen Sachverstand in die Projekte mit einfließen zu lassen.7 Da ein Projektkonzept, das interdisziplinär und auf mehreren gesellschaftlichen Ebenen ansetzt, nicht nur mehr Erfolg verspricht, sondern auch mehr kostet, erscheint eine bessere Koordination der Geberländer im Bereich der Rechtsberatung unabdingbar.

Oliver Meinecke hat im Sommer 2001 während der Wahlstation seines Rechtsreferendariats für das Legislative Drafting Project gearbeitet. Er promoviert zur Zeit an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer zu dem Thema "Rechtsberatung in Afrika südlich der Sahara". Wer ebenfalls Interesse an einer Wahlstation in Südafrika hat, wendet sich an die derzeitige Projektleiterin Frau Claudia Lange, clange@salawcom.org.za.

Anmerkungen

1 GTZ: Wege zum Rechtsstaat. Beiträge der GTZ zur Entwicklung demokratisch-rechtsstaatlicher Strukturen, Eschborn 2001, S. 4.
2 Diaby-Pentzlin, Nord-Süd aktuell 1998, 99; BMZ, Die afrikanische Herausforderung. Eckpunkte einer strategischen Afrikapolitik, Bonn 2001, S. 12.
3 Beschreibung des Projekts in der Informationsmappe "GTZ - South African-German Technical Co-operation".
4 Vgl. Pfaff/Schneider, SAJHR 2001, 59.
5 Liebetanz, Stefan, in: Obermayer, Klaus: Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Auflage 1999, § 39 Rn. 5.
6 Vgl. Pfaff/Schneider (Fn. 4), 81.
7 Zur Forderung einer interdisziplinären Zusammenarbeit siehe auch Diaby-Pentzlin (Fn. 2), 103.

Literaturhinweise:

Diaby-Pentzlin, Friederike: Förderung von Rechtsstaatlichkeit mit den Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit - ein Hindernislauf?, Nord-Süd aktuell 1998, S. 91 - 104.
Pfaff, Rainer / Schneider, Holger, The Promotion of Administrative Justice Act from a German Perspective, South African Journal on Human Rights (SAJHR) 2001, Vol. 17, Part 1, S. 59 - 86.