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"Auf Ausdrücke fremder Herkunft zurückzugreifen erscheint mir nicht besonders
extravagant. Wir haben Dollar, okay, garei
entlehnt und dann vietnamisiert: dô la, ô kê, nhà ga. Diese Anleihen haben
die vietnamesische Sprache nur bereichert."ii
Was der vietnamesische Anwalt am Pariser Berufungsgericht Nguyên Gia Khan
über die vietnamesische Sprache sagt, kann teilweise auch auf das vietnamesische
Recht übertragen werden.
Das Land in Südostasien war tausend Jahre chinesischer Kolonisation ausgesetzt
und stand nach einer Zeit in Unabhängigkeit noch hundert Jahre lang unter
französischer Kolonialherrschaft. Dann wurde der Kommunismus dominierend
und muss sich heute gegen die Globalisierung behaupten. All diese Einflüsse
haben sich mehr oder weniger stark sowohl in der Sprache als auch im Recht
niedergeschlagen.
Die konfuzianische Ethik nach tausend Jahren chinesischer
Herrschaft
111 v. Chr. unterwarf das chinesische Kaiserreich seinen südlichen Nachbarn
Vietnam. Blieb es anfangs noch bei einem Protektorat, wobei die lokalen
Institutionen und Bräuche respektiert wurden, so kam Vietnam nach Aufständen
von 40 bis 43 n. Chr. unter direkte chinesische Verwaltung. Die vietnamesische
Oberschicht wurde daraufhin sinisiert.
Im Zuge dieser Assimilationspolitik wurde die chinesische Schrift (chu
Han) eingeführt, die bis zum 13. Jahrhundert allein vorherrschend blieb.
Erst dann entwickelte das vietnamesische Volk auf der Grundlage der vietnamesischen
Sprache eine eigene nationale Schrift (chu Nôm), die sich an die chinesischen
Schriftzeichen anlehnte. Beide Schriftsysteme wurden bis zum 20. Jahrhundert
parallel benutzt. Chinesisch war in erster Linie Schriftsprache in Literatur
und Wissenschaft, ferner war es bis Mitte der 1920er Jahre Verwaltungssprache.
Die Exemplare früher vietnamesischer Kodices wurden von den Chinesen nach
China geschafft und dort zerstört, um das rechtskulturelle Erbe Vietnams
zu vernichten und so die Assimilation zu vollenden.
Vor allem ist aber der Einfluss der konfuzianischen Ethik hervorzuheben,
den China zur Beherrschung des Landes ausnutzte. Der Konfuzianismus mit
seiner patriarchalischen Herrschaftsstruktur ersetzte die ursprünglichen,
eher matriarchalischen Sitten und Gebräuche. Noch bis heute wirkt diese
Doktrin unterschwellig fort.
Die Unabhängigkeit von China errangen die VietnamesInnen schließlich
939 n. Chr, auch wenn die vietnamesischen Herrscher formell lehnspflichtig
blieben und der Einfluss Chinas nicht unterbrochen wurde. So hat die Dynastie
der Lê (1428 - 1788) von den chinesischen Ming-Kaisern unter anderem den
zentralen Staatsaufbau und die neokonfuzianische Staatsdoktrin übernommen,
um nach deren Vorbild ihre Herrschaft zu konsolidieren.iii
Augenfälliges Merkmal ist dabei die Rekrutierung der Beamten (Mandarine)
aufgrund einer literarischen Auswahlprüfung, bei der die Lehren des Konfuzius
abgefragt und Gedichte gefordert wurden. Erst unter der französischen
Kolonialherrschaft sollten diese Wettbewerbe abschafft werden.
Außerdem ließen die vietnamesischen Herrscher verschiedene Gesetzeswerke
entwickeln, die mehr oder weniger von China beeinflusst waren. Während
der Kodex der Lê (1468) sich zwar in gewissem Maße an den chinesischen
Kodex der Tang (653) anlehnte, aber doch eigenständige Elementen enthielt,
war der Kodex der Nguyen (1813) eine an vietnamesische Verhältnisse angepasste
Kopie des chinesischen Kodex der Tsing (1646/1740). So taucht beispielsweise
die vorteilhafte Stellung der Frau im ersten Kodex im späteren nicht mehr
auf.
Die Kodices der Tang und der Lê enthielten trotz ihrer Benennung als Strafgesetzbücher
Regeln anderer Rechtsgebiete und sind so als allgemeine Gesetzbücher anzusehen,iv
vergleichbar der deutschen Carolina, der Strafprozessordnung von Karl
V. Der Kodex der Nguyen oder auch Code Gia-Long wurde schließlich unter
der französischen Kolonisation 1880 vom Code pénal und 1883 vom Code civil
Frankreichs ersetzt.
Trotz der gescheiterten Assimilation hat sich der chinesische Einfluss
- wie gezeigt - halten können, was sich als verhängnisvoll erweisen sollte.
Gerade das Beharren der Nguyen-Kaiser auf dem Konfuzianismus und der damit
einhergehende Rückzug auf sich selbst nach dem Vorbild Chinas beraubte
Vietnam wirksamer Verteidigungsmöglichkeiten gegen die Franzosen. Mitte
des 19. Jahrhunderts kam es in Vietnam zu einem Verbot der christlichen
Religion, weil sie die Fundamente der konfuzianischen Moral- und Sozialordnung,
und damit die Autorität des Kaisers zu untergraben drohte. Außerdem waren
die Christen der Parteinahme für Frankreich verdächtig. Die Christenverfolgung
nahm Frankreich als Anlass, die Religionsfreiheit durchzusetzen, und als
Vorwand, um schrittweise ihre Herrschaft in Vietnam zu konsolidieren.
Die zivilisatorische Mission der französischen Kolonialisation
Den Anfang der französischen Kolonisation markiert ein Protektoratsvertrag,
doch schon ein paar Jahre später, 1883, stand Vietnam teilweise unter
direkter französischer Herrschaft.
Der chinesische Einfluss in Recht und Kultur wurde durch den französischen
abgelöst. Schon vor Beginn der französischen Kolonisation hatte sich der
französische Einfluss in der Sprache niedergeschlagen. Denn die vietnamesische
Sprache verdankt ihre Transkription in lateinische Schrift dem französischen
Jesuiten Alexandre de Rhodes (1593-1660), der dabei auf die Arbeit seiner
portugiesischen Missionarskollegen Gaspar de Amaral und Antonio de Barbosa
zurückgreifen konnte. 1651 veröffentlichte er das "Dictionnarium annamiticum,
lusitanum et latinum". Die Nationalschrift (Quoc ngu) sollte in erster
Linie der Verbreitung des Katholizismus in Vietnam dienen, aber das vietnamesische
Volk ist de Rhodes heute noch dankbar dafür, denn ohne diesen Missionar
wäre es schwierig gewesen, sich von der chinesischen kulturellen Umklammerung
zu lösen. Das lateinische und damit französische Alphabet wurde freiwillig
rezipiert, quasi als Kontrapunkt zur Jahrtausende alten Domination durch
China. Doch erst 1945 sollte die Nationalschrift offiziell zur vietnamesischen
Schrift erklärt werden. Die Einfachheit der Schrift ermöglicht das schnelle
Erlernen der Sprache und transportiert so Wissen. Damit spielt es eine
wichtige Rolle für die nationale Einheit.
v
Für die Frankreich war die Sprache zunächst Bestandteil seiner Assimilationspolitik.
In den Schulen wurde Vietnamesisch nicht mehr mit den sino-vietnamesischen
Schriftzeichen unterrichtet, sondern durch das latinisierte Vietnamesisch
(Quoc ngu) ersetzt. Französisch wurde neues Schulfach. Während der gesamten
Kolonialzeit war Französisch die Sprache der Verwaltung.
Beherrscht wurde das Wirtschaftsleben von einigen zehntausend Europäern,
die zusammen mit der Verwaltung das Land regierten und sich alle Entscheidungen
vorbehielten. Die Verwaltung diskriminierte die einheimische Bevölkerung.
Frankreich, nach eigenem Anspruch der Champion der Menschenrechte, verweigerte
dem vietnamesischen Volk jene Grundrechte, die es seiner eigenen Bevölkerung
gewährte. Es herrschte eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit,
obwohl die Franzosen neben ökonomischen Gründen gerade eine vorgebliche
zivilisatorische Mission zur Kolonisation trieb. So besteht noch heute
die Aufgabe des "Service des Affaires étrangères et internationales"vi
im Bereich der juristischen Kooperation darin, den Einfluss des französischen
Rechts zu verteidigen und sein Ausstrahlen zu fördern.
Frankreich stieß aber keineswegs auf vom Recht unberührtes Land, sondern
auf eine Tradition des geschriebenen Rechts. Das erleichterte eine Rezeption
des französischen Rechts. In den afrikanischen Kolonien beispielsweise
konnte die französische Verwaltung, anders als in Vietnam, die Kodifikation
des Rechts nur begrenzt durchsetzen, was auf die mehr gewohnheitsrechtliche
und mündliche Rechtstradition Afrikas zurückgeführt werden kann.
Für die Kodifikationspolitik hatten die Franzosen in ihren Kolonien das
Strafgesetzbuch als trojanisches Pferd vorgesehen, um ihr Recht durchzusetzen.
Nach einem anonymen Bericht der französischen Kolonialverwaltung "bestand
zu allen Zeiten der erste Akt der Eroberung darin, dem Besiegten das Strafgesetz
des Siegers aufzuzwingen. Der Eroberer muss Herr über die Strafjustiz
sein, um seine Sicherheit zu gewährleisten und seine Herrschaft durchzusetzen."vii
Außerdem zieht der Erlass des Strafgesetzes den Erlass anderer Gesetzbücher
mit sich.
Verschiedene Versuche scheiterten, den Code Gia Long einfach durch den
französischen Code pénal zu ersetzen. Waren die Kolonialherren anfangs
noch der Ansicht, dass das Moralgesetz für alle Länder gleich ist,viii
setzte sich Schritt für Schritt die Erkenntnis durch, dass man eben doch
die örtlichen Gegebenheiten berücksichtigen und das fremde Gesetz daran
anpassen muss.
Ein Graben trennte Rechtsinstitute und Rechtsverständnis in Frankreich
und in Vietnam. Unterschiede sind beispielsweise im strafrechtlichen Verständnis
der Täterschaft zu sehen. Die AnnamitInnen (so wurden die VietnamesInnen
in der damaligen Zeit genannt) sahen es zum Beispiel als unmöglich an,
den ältesten Sohn als Mittäter an der Tat seines Vaters zu werten, da
der Sohn eine Gehorsamspflicht dem Vater gegenüber hat.
Augenfällig ist vor allem die Forderung der vietnamesischen Bevölkerung,
doch mehr mit "Herz" zu urteilen und weniger nach dem Gesetzbuch. Diese
vietnamesische Tradition der patriarchalischen Gerechtigkeit stößt mit
der westlichen Konzeption zusammen, die im gesetzten Strafrecht eine Schranke
gegen Willkürherrschaft sieht. Ein Affront gegen den "nulla poena sine
lege" - Grundsatz, Errungenschaft der französischen Revolution und heute
unbestritten von Verfassungsrang.
Auch im Bereich des Zivilprozesses sollte die Implementierung westlicher
Ideen mit den althergebrachten einheimischem Mechanismen, gerade im Verhältnis
zwischen den Rechtsuchenden und den Richtern, kollidieren. Schließlich
erschien es den Kolonialherren auch für die Sicherheit ihrer Herrschaft
empfehlenswert, alles so weit möglich beim alten zu lassen.ix
Doch das sollte nichts nutzen, denn 1954 endete definitiv die französische
Kolonialherrschaft nach dem Fall der französischen Festung Dien Bien Phu
im Norden Vietnams.
Kommunismus und Globalisierung (die " Doi Moi "-Politik)
Zwei Staaten entstanden auf dem Territorium Vietnams: Während der Norden
unter sowjetischem und volkschinesischem Einfluss stand, war im Süden
amerikanischer Einfluss vorherrschend. Maßgeblich war der politische und
militärische Einfluss der USA. Denn rechtlich gesehen wurde zwar eine
Verfassung nach amerikanischem Vorbild 1956 verabschiedet, doch war Süd-Vietnam
mit dem Segen der USA ein autoritärer Staat. Wie schon bei Frankreich
ist eine Diskrepanz zwischen Anspruch ("Verteidigung der freien Welt")
und Wirklichkeit festzustellen.
Nach dem Sieg des Nordens über den Süden wurde Vietnam 1975 unter dem
Zeichen des Kommunismus vereinigt. Schon vorher hatte der Norden ein kommunistisches
Staats- und Rechtssystem. Unter volkschinesischem Einfluss wurde 1954
in Nord-Vietnam eine Agrarreform durchgeführt, die Güter und Produktionsmittel
wurden verstaatlicht. Dieses sozialistische Wirtschaftssystem beruhte
vor allem auf Staatsbetrieben und Kooperativen, die nach Jahresplänen
arbeiteten. Nach der Wiedervereinigung wurde vor allem sowjetischer Einfluss
vorherrschend, da die Beziehungen zu China sich verschlechtert hatten.
Der Kommunismus chinesischer und sowjetischer Prägung äußerte sich darin,
dass die Kommunistische Partei Vietnams (KPV) gemäß der Verfassung die
allein maßgebliche Kraft in ganz Vietnam war; die von ihr ausgeübte "Diktatur
des Proletariats" wurde als Grundsatz der politischen Willensbildung in
der Verfassung verankert. Staatsdoktrin war der Marxismus-Leninismus.
Genuin nach dem chinesischen Modell des nationalen Volkskongresses wurde
das Parlament ausgerichtet.
Drei Jahre nach Ende des Vietnam-Krieges 1975 war eine gewisse Liberalisierung
zu beobachten: Die Warenverkehrsfreiheit kehrte zurück, es durfte wieder
auf den Märkten gekauft und verkauft werden. Ein Vertragssystem wurde
eingeführt, es wurde erlaubt, nach Ablieferung einer bestimmten Produktionsquote
den Überschuss auf dem freien Markt zu verkaufen. Diese Liberalisierung
nahm mehr und mehr zu. Dabei wurde aber versucht, dieses Ziel unter Beibehaltung
der Vorherrschaft der kommunistischen Partei zu erreichen.
Das Ende des Kalten Krieges und die mit ihm einhergehende Globalisierung
führte zu einer Neuorientierung in der Politik. Im Zuge dieser sogenannten
"Doi Moi" (Erneuerung) - Politik kam es zur einer vorsichtigen wirtschaftlichen
Öffnung, unter Beibehaltung der politischen Vorherrschaft der kommunistischen
Partei.
Zeichen der Öffnung zur westlichen Welt hin war dann die Aufnahme zahlreicher
Kooperationen auch im juristischen Bereich. Gerade mit Frankreich herrscht
neben anderen Gebieten gerade im Recht ein besonderes Kooperationsverhältnis,
was sich auch gerade in der Einweihung des vietnamesisch-französischen
Haus des Rechts 1993 ausdrückt. Zwei Aufgaben sind hervorzuheben: die
Veranstaltung von Seminaren, die begleitend zur Gesetzgebungskommissionen
stattfinden und die Aus- und Fortbildung von vietnamesischen Studenten
und Juristen im französischen Recht und in der französischen Rechtsprache.
Folge dieser Politik war vor allem die Verabschiedung zahlreicher wirtschaftlich
bedeutsamer Gesetze. Zunächst wurde 1992 die Verfassung reformiert, wirtschaftliche
Freiheiten wurden verankert. Es folgten wichtige Wirtschaftsgesetze, so
das Gesetz über Investitionen von Ausländern, oder etwa das Handelsgesetz.
1995 trat als Dreh- und Angelpunkt einer Marktwirtschaft der vietnamesische
"Code civil" in Kraft.
Der heutige Einfluss fremder Rechte am Beispiel des vietnamesischen
Code civilx
Unter den konsultierten europäischen RechtsexpertInnen haben vor allem
die französischen an der Elaboration des Code civil vietnamien mitgewirkt.
Der Grund dafür liegt unter anderem darin, dass in den in den Gesetzgebungsprozess
einbezogenen vietnamesischen Ministerien die Verantwortlichen in Frankreich
studiert haben. Neben diesen auf der persönlichen Ebene liegenden Gründen
könnte man aber auch noch rechtstechnische und ideologische Gründe anführen,
so die Auswahl für ein dirigistisches System wie in Frankreich, wo der
Staat eine starke Rolle spielt.
Eine Bevormundung beim Gesetzgebungsprozess ist eher schwer vorstellbar:
Zum einen haben die beteiligten RechtsexpertInnen versucht, den VietnamesInnen
keine heimischen Konzepte aufzudrücken. Zum anderen wurden die vietnamesischen
JuristInnen im Laufe der Ausarbeitung immer kompetenter und fordernder.
Sie unterstrichen dabei immer wieder, dass sie die am besten geeigneten
Rechtsquellen suchen, unabhängig davon, in welchen Rechtssystemen sie
beheimatet sind.xi Dieses Vorgehen
steht in der vietnamesischen Politik-Tradition, den Handlungsspielraum
zu erhalten und zu erweitern.
Bei der jüngsten Reform des vietnamesischen Code civil war denn auch der
Anteil Frankreichs eher bescheiden, dagegen ist viel auf die Hilfe der
JapanerInnen zurückgegriffen worden. Japan hat, ähnlich wie Vietnam, seine
eigenen Gesetze dadurch geschaffen, dass es die Gesetze der westlichen
Staaten für die eigenen Bedürfnisse abgeändert hat und dabei auf möglichst
viele verschiedene Quellen zurückgegriffen hat. So ist das japanische
Bürgerliche Gesetzbuch dem Inhalt nach französisch, im Aufbau folgt es
dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch,xii
ähnlich wie der vietnamesische Code civil.
Unabhängig davon, welche Rechtssysteme gerade den stärkeren Einfluss
im vietnamesischen Recht haben, stellt der hohe französische Richter und
Vietnam-Experte Pierre Bézard fest, dass überkommene Gewohnheiten sich
hartnäckig halten und viel Widerstand zu überwinden bleibt.xiii
Es reicht eben nicht, dass die Gesetze geändert werden, sondern es müssen
sich auch diejenigen ändern, die sie anwenden. So bietet das "Maison du
Droit vietnamo-française" auch Fortbildungen an für RichterInnen, BeamtInnen
und AnwältInnen.
Doch mitunter stehen sozialistische Konzeptionen selbst im Gegensatz zu
den neuen Bestimmungen. Dies gilt beispielsweise für das Eigentumsrecht
an Grundstücken. Während es sich um ein Grundprinzip in westlichen Rechtssystemen
handelt, kennt das sozialistische vietnamesische Recht nur ein Nutzungsrecht
über fünfzig Jahre, das Eigentum verbleibt im Prinzip beim Staat.xiv
Doch muss das schon als wichtige Fortentwicklung angesehen werden.xv
In diesem speziellen Punkt ist also der vietnamesische Code civil, der
den Schutz des Privateigentums ausspricht, aus ideologischen Gründen nicht
anwendbar.xvi
Rechtsrezeption und Rechtsimperialismus in Vietnam
Kolonialismus kann man mit Imperialismus schlechthin gleichsetzen.xvii
Kann aber Kolonialismus mit Rechtsimperialismus gleichgesetzt werden ?
Die Rezeption fremder Rechte in Vietnam stellt sich in der chinesischen
und der französischen Kolonialepoche als der Versuch fremder Mächte dar,
das Land mittels des Rechts zu beherrschen. Auch wenn es den Chinesen
nicht gelang, und ihre Assimilationspolitik ebenso wie die der Franzosen
fehlschlug, so stellt sich Kolonialismus als Rechtsimperialismus dar.
Die postkoloniale Rezeption fremder Rechte in Vietnam ist dagegen eher
als eine Verteidigung gegen jeglichen Rechtsimperialismus zu sehen. In
Vietnam wird das zu rezipierende Recht nach machtpolitischen Gesichtspunkten
ausgesucht, wie man am Beispiel des Code civil sehen kann. Die Staaten
des ehemaligen Warschauer Pakts kamen trotz der langjährigen Verbundenheit
nicht in Frage, mussten diese doch selbst ihr Recht umstellen. China wäre
ein Kooperationspartner gewesen, war dort doch die Umstellung von Planwirtschaft
auf Marktwirtschaft in vollem Gange. Die lange Abhängigkeit, aber vor
allem politische Spannungen ließen diese Wahl jedoch nicht zu. Probleme
psychologischer Art hinderten die offizielle Kooperation mit den USA,
der Vietnam-Krieg lag ja noch nicht lange zurück. Blieben also nur die
europäischen Staaten. Frankreich hatte wegen seiner historischen Bindungen
großes Interesse bekundet, doch die Vietnamesen luden auch noch deutsche,
norwegische, australische und japanische Rechtsexperten und -expertinnen
hinzu.
Außerdem zeigt eine nähere Analyse des vietnamesischen Code civil, dass
durchaus noch ursprüngliche Konzepte enthalten sind. Diese Bestimmungen
zementieren weiterhin die ideologische Vorherrschaft der Kommunistischen
Partei, was bedauernswert ist. Die weitergehende Rezeption wäre durchaus
eine Bereicherung gewesen. Es scheint wenig wünschenswert, eine Rezeption
abzulehnen, die sich gegen den patriarchalischen status quo der Kommunistischen
Partei richtet und sich dabei auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
stützen kann.
Diese postkommunistische Phase der Rechtsrezeption ist also vom "Verkauf"
des fremden Rechts geprägt. Neben den schon genannten öffentlichen Akteuren
sind es private Konkurrenten, die um den Einfluss auf das vietnamesische
Recht kämpfen, insbesondere amerikanische Kanzleien. Es wird hier um die
Gunst der vietnamesischen Gesetzgeber gekämpft, also mitunter Lobby-Arbeit
betrieben.
Drei Gründe lassen sich dafür nennen: neben dem juristischen Motiv gelten,
wenn auch etwas abgeschwächt, die kulturellen und ökonomischen Motive.
Auch wenn der wirtschaftliche Nutzen kurzfristig nicht ersichtlich ist,
so kann man sich vorstellen, dass auf längere Sicht durchaus Vorteile
für die Wirtschaft des Rechtsexport-Staates entstehen, wenn sie beim Handel
auf ein ähnliches Rechtssystem trifft. Der Graben verläuft hier vor allem
zwischen dem anglo-amerikanischen Recht und dem germano-romanischen Recht,
zwischen einem mehr auf Case Law basierenden Recht und einem, dessen Grundlage
in erster Linie Gesetze sind.
Für Vietnam gilt hier nicht das Prinzip "Divide et impera" (Teile und
herrsche), sondern "Teile, um nicht beherrscht zu werden".
Jean-Claude Alexandre Ho studiert Jura und lebt in Paris.
Anmerkungen
i Französisch für Bahnhof.
ii *NGUYEN G. Kh., Avant-Propos, Lexique
juridique & administratif français-viêtnamien, Paris 2000, S. 6. Die mit
* gekennzeichneten Texte sind vom Autor übersetzt.
iii LI Ma, in: DURAND, B. / LANGLET,
Ph. / NGUYEN Ch. T., Histoire de la Codification juridique au Vietnam,
Montpellier 2001 (im folgenden: Codification juridique), S. (59) 69f.
iv NGUYEN, Ch. T., Codification juridique,
S. (185) 207f.
v http://www.limsi.fr/Recherche/CIG/europeen.htm.
vi Abteilung für Europäische und Internationale
Angelegenheiten im französischen Justizministerium.
vii * Zitiert nach DE MARI, E., Codification
juridique, S. (257) 258, Fn. 5.
viii DE MARI, E., Codification juridique,
S. (257) 263, Fn. 27.
ix DURAND, B., Codification juridique,
S. (283) 312.
x Zur französischen Beteiligung, cf.
BEZARD, P., Codification juridique; zur japanischen, cf. SAWAJI, O., Vietnam
Law, www.jica.go.jp/english/nezs/2000/10-01.html.
xi PEZARD, Alice, Un droit des affaires
dans le Sud-Est asiatique ? , in : Petites Affiches 1994, Nr. 122, S.
21.
xii ISHIMOTO Masao, L'influence du
Code civil français sur le droit civil japonais, in : Centre français
de droit comparé/ Société de législation comparée, Etudes de droit japonais,
France 1989, S. (63) 66f.
xiii BEZARD, P., a.a.O., S. (379)
395.
xiv BEZARD, P., a.a.O.; TSUBOI, Y.,
La Réforme administrative au Vietnam, in : Revue française d'administration
publique 2001, S. (301) 308.
xv BEZARD, P., a.a.O., S. (379) 393.
xvi TSUBOI, a.a.O.
xvii S. dazu auch Elsenhans, H., Imperialismus/
Imperialismustheorien, in: Nohlen, D. (Hrsg.), Wörterbuch Staat und Politik,
Bonn 1998.
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