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Revolutionäre aus den Zellen
Als letzter der fünf Angeklagten im Berliner RZ-Prozess ist Harald Glöde
aus seiner über 28 Monate dauernden Untersuchungshaft entlassen worden.
Gegen die Angeklagten wird seit über einem Jahr vor dem Ersten Strafsenat
des Berliner Kammergerichts wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären
Zellen (RZ) und der Beteiligung an mehreren RZ-Aktionen Ende der achtziger
Jahre verhandelt. In den vergangenen Monaten waren bereits Rudolf Schindler,
Sabine Eckle und Axel Haug entlassen wurden, nach dem sie Aussagen vor
Gericht gemacht hatten. Matthias Borgmann wurde wegen eines Unglücksfall
unter Angehörigen gegen eine hohe Kaution entlassen
Obgleich das Gericht die Haftverschonung Glödes ähnlich mit einem schweren
Krankheitsfall in dessen Familie begründete, dürfte der eigentliche Grund
in einer Entscheidung des Bundesgerichthofes (BGH) zu finden sein. Die
Strafprozessordnung sieht in der Regel eine Untersuchungshaftdauer von
höchstens sechs Monate vor. Die Verteidigung hatte dies bereits in mehreren
Haftbeschwerden bemängelt. Nach einer weiteren Beschwerde vor dem BGH
stellte dieser nun für eine weitere Verlängerung der U-Haft die Bedingung,
dass das Berliner Gericht endlich auch ein absehbares Ende des Hauptverfahrens
benennen müsse.
Gerade das gestaltet sich für das Kammergericht als außerordentlich schwierig,
wenn es weiterhin gewillt ist, die Angeklagten zu verurteilen. Das hatte
es zumindest in den vergangenen Prozesstagen durch den Umgang mit dem
Kronzeugen der Bundesanwaltschaft, dem Karatelehrer Tarek Mousli, mehr
als deutlich gemacht. Obgleich dessen Aussagen sich durch bereits ausführliche
Befragungen der Verteidigung und durch nicht zuletzt durch die vergebliche
Suche nach einem von Mousli beschriebenen Sprengstoffdepot in Berliner
Mehringhof als handfeste Räuberpistolen erwiesen, wurde an dem Zeugen
und dem Verfahren festgehalten. Daran änderten auch die innerhalb der
Linken umstrittenen Einlassungen der Betroffenen nichts. Obgleich sie
deutlich machten, dass Mousli kein Mitläufer, sondern ein Haupttäter der
RZ-Aktionen gewesen war.
Revolutionärin für die Zellen
Somit scheinen das Berliner Kammergericht und die Vertreter der Bundesanwaltschaft
hinreichend über die Märchengeschichten des Lügenbarons Tarek Mousli informiert
zu sein. Entsprechend unbeeindruckt nahmen sie auch die Aussagen einer
Zeugin zur Kenntnis, die sich zu den 1986 abgegebenen Knieschüssen auf
den damaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg,
bekannte. Die unmenschliche Flüchtlingspolitik, für die Hollenberg verantwortlich
gewesen ist, hätte sie seinerzeit für die Aktion motiviert. Mit Überwindung
entschied sich die heute 63-Jährige nun für die Selbstbezichtigung: "Ich
kann es nicht ertragen, dass jemand anders für etwas beschuldigt wird,
das ich getan habe." Damit ergänzte sie die Einlassungen, die drei der
Angeklagten bereits vor dem Gericht gegeben hatten, und widerlegte ebenfalls
die Aussagen des Kronzeugen Mousli. Dieser hatte behauptet, dass seinerzeit
Schindler in Begleitung der Mitangeklagten Eckle geschossen hätte. Mousli
selbst trat aber laut Angaben der Zeugin nach der Aktion auf sie zu und
habe sie "umarmt und beglückwünscht".
An dem Prozess wird wie selbstverständlich auch nach dieser Aussage festgehalten.
Dass mittlerweile unberührt drei Aussagen der Angeklagten, die Aussage
der Zeugin sowie inhaltlich übereinstimmende Erkenntnisse der Polizei
den Erkenntnissen des Tarek Mousli gegenüberstehen, bleibt die Eigenart
der freien Beweiswürdigung eines der "letzten, großen Terroristenprozesse".
Die Zeugin hätte im übrigen für die Schüsse strafrechtlich nichts zu befürchten,
nach fast 16 Jahren gelten sie als verjährt. Also wurde nun offenbar auch
gegen sie ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer "terroristischen
Vereinigung", der "Roten Zora", eingeleitet.
Leitsatz
In Sachsen wird es weniger Straftaten von Rechtsradikalen geben. Auch
das Landgericht Leipzig lehnte es ab, den Neonazi Steffen Hupka als Mitveranstalter
der Nazi-Demo vom 1. September 2001 zu bestrafen, bei der die Parole "Ruhm
und Ehre der Waffen-SS" verkündet worden war. Die Ehrbekundung sei "den
Leitlosungen der Waffen-SS und Hitlerjugend nicht zum Verwechseln ähnlich"
und daher könne die Parole nicht unter den Tatbestand des Paragrafen 86a
Strafgesetzbuch (StGB) subsumiert werden. Die Staatsanwaltschaft hatte
mit einer Beschwerde gegen ein ähnlich lautendes Urteil des Amtsgericht
die nächst höhere Instanz angerufen. Sie wollte endgültig geklärt haben,
ob die Parole nicht doch der historischen Losung der Waffen-SS "Unsere
Ehre heißt Treue" entspreche. Aber dafür fehle es an "eigenständiger Symbolik",
meinten jetzt die RichterInnen.
Genua
"Im Juli 2001 ist es in Italien zu Menschenrechtsverletzungen gekommen,
wie man sie in der jüngeren Geschichte Europas noch nie gesehen hat."
resümierte am Ende Amnesty International nach der Auswertung verschiedener
Dokumentationen und ZeugInnenaussagen zu den Vorfällen während des Protestes
gegen den G 8 - Gipfels. Gleichwohl gelten auch ein Jahr nach dem brutalen
Polizeieinsatz die einzelnen Vorfälle offiziell noch als ungeklärt. Mit
ganzen acht Ermittlungsverfahren versucht die italienischen Staatsanwaltschaft
angeblich immer noch den Todesschuss auf den Demonstranten Carlo Giuliani,
den Überfall auf die Diaz-Schule und die unzähligen Gewalttätigkeiten
und massiven Bedrohungen im Gefängnis der italienischen Hafenstadt aufzuklären.
Insbesondere die Ermittlungen zum Tod von Carlo Giuliani scheinen mehr
auf die Verdunkelung denn auf die Aufklärung des Vorfalles zu zielen.
Während der Todesschütze Placanica weiterhin behauptet, er hätte sich
einer Notwehrsituation befunden, als er den Schuss abfeuerte, zeichnen
diverse Foto- und Videoaufnahmen ein anderes Bild des Geschehens. So ist
eine Notlage für den Carabinieri nicht zu erkennen. Vielmehr ist er es,
der die Situation vor Ort aufheizt, in dem er mit seiner durchgeladene
Pistole auf einzelne DemonstrantInnen zielt und ihnen droht: "Ich leg'
euch alle um ihr Kommunistenschweine". Wenig später lag Giuliani erschossen
am Boden. Die italienischen Behörden versucht offensichtlich, diesen deutlichen
Bildern mit undurchsichtigen Ermittlungsergebnissen zu begegnen. So wird
unter anderem immer noch die tödlich treffende Kugel vermisst. In den
Autopsieberichten sollen außer der Schussverletzung keine weiteren Verletzungen
dokumentiert sein, obgleich Giuliani mehrmals von einem schweren Militärjeep
überrollt wurde. Des weiteren tauchen immer wieder Gerüchte um eine mögliche
Täterschaft von Dritten auf. So wird behauptet, es seien mehr als zwei
Schüsse abgegeben worden, einer davon von einem ebenfalls im Polizeiwagen
befindlichen Vorgesetzten. Endgültig zur Farce werden die Ermittlungstätigkeiten
der Polizei, wenn Theorien präsentiert werden, die physikalische Wunder
zur Wirklichkeit werden lassen wollen: die Kugel die Carlo Giuliani tödlich
traf, so ein im Juli von der Staatsanwaltschaft präsentierter Gutachter,
sei von einem Stein abgefälscht worden, der von einem Demonstranten geworfen
worden war.
Für 100 000 Menschen ist diese Art der Aufklärung bestenfalls blanker
Hohn. Sie versammelten sich am 20. Juli in Genua, um zum Jahrestag der
international organisierten Protestaktionen ihre Solidarität mit den Opfern
der damaligen Polizeiübergriffe zu bekunden. Auf der Piazza Alimionda
gedachten sie Carlo Giulianis, der an dieser Stelle von dem Polizisten
erschossen worden war.
Deutsche Hilfsbeamte
"Ein Heer von Illegalen schlüpft durch jedes Netz." So betitelte die
Deutsche Polizei, die Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft der Polizei
(GdP), ihr Titelthema in der April-Ausgabe ihres Heftes. Das Blatt informierte
seine Mitglieder durch einen profunden Kenner der inneren Sicherheit,
Polizeiwesen und Innenpolitik. Der Autor Georg Bensch schreibt nämlich
regelmäßig für eine weitere Mitgliederzeitung, die Deutsche Stimme, dem
Parteiorgan der NPD.
Aus dem Auge
Zehn Jahre brauchte bekanntlich das Schweriner Landgericht, um drei Männer
wegen der brandstiftenden Beteiligung an den Ausschreitungen gegen das
Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen zu verurteilen. Nun sind auch
die Ermittlungen gegen die Schweriner Staatsanwälte wegen Strafvereitelung
im Amt eingestellt. Es sei nicht festzustellen gewesen, dass das Verfahren
mit zehnjähriger Verzögerung begonnen worden sei, um Beschuldigte vor
Strafe zu schützen. Der seinerzeit zuständigen Staatsanwaltschaft sei
neben anderen wichtigen Verfahren "dieses Verfahren vorübergehend aus
dem Blick geraten".
Angelo nero nicht gut verhandelt
Dabei wird man obigen Prozess wohl noch als beschleunigtes Verfahren
betrachten müssen. Bei deutschen Makroverbrechen mahlen die Mühlen der
Justiz deutlich langsamer. Über 50 Jahre benötigte die Hamburger Staatsanwaltschaft,
um den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Friedrich Engel wegen seiner
Verbrechen im italienischen Genua vor Gericht zu bringen. Dabei hatte
der einen düsteren Eindruck in seiner ehemaligen Wirkungsstätte hinterlassen.
Noch heute sprechen die Menschen wahlweise von den "il boia di Genova",
den Henker von Genua, oder "Angelo nero", den schwarzen Engel.
Bis vor der Jahren lebte der heute 93-jährige Mann als Holzkaufmann und
Rentner weitgehend unbehelligt in Hamburg, obgleich er sich einmal selbst
angezeigt hatte und in mehreren Prozesse gegen alte Kameraden aus der
SS als Zeuge geladen war. Ein gegen ihn geführtes Ermittlungsverfahren
wurde 1969 eingestellt und auch Hinweise der Ludwigsburger Zentralstelle
zur Aufklärung von NS-Verbrechen in den achtziger Jahren verliefen sich
im Sande. Erst als 1999 ein Turiner Militärgericht den ehemaligen Chef
des Sicherheitsdienstes (SD) der SS in Ligurien wegen der Ermordung von
246 italienischen Geiseln in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt
worden war, sah sich die Staatsanwaltschaft der Hansestadt genötigt, den
nunmehr verurteilten Kriegsverbrecher lieber selbst vor Gericht zu stellen.
Die eingereichte Anklageschrift beschränkte sich dann allerdings auf einen
Vorfall vom 19. Mai 1944. An jenem Tag wurden als Vergeltung für einen
Anschlag auf das deutsche Soldatenkino Odeon, bei dem fünf Soldaten getötet
und 16 verletzt worden waren, 59 italienische Gefangene auf besonders
grausame Weise exekutiert. Die Opfer wurden aus dem SD-Gefängnis Marassi
ausgewählt und auf den Turchino Pass verbracht. Dort mussten sie in Sechsergruppen
auf Bretter treten, die sich über einer zuvor von jüdischen Häftlingen
ausgegrabenen Grube befanden. Ein aus Marinesoldaten zusammengestelltes
Exekutionskommando schoss dann die Italiener in das nach und nach mit
Leichen und Verletzten gefüllte Erdloch regelrecht "hinein".
Die Gosse Strafkammer 21 des Hamburger Landgerichts sah es nach mehreren
Verhandlungstagen schließlich als erwiesen an, dass Engel die Verantwortung
für dieses Massakers innehabe. Mehrere übereinstimmenden Zeugenaussagen
von entkommenen Opfern aber auch von ehemaligen SS-Angehörigen bestätigten,
dass die "Planung, Vorbereitung und Durchführung" in den Händen von Engel
lag. Dieser ist sich indessen keiner Schuld bewusst und verweist wie so
viele Naziverbrecher auf Befehlsnotstand und Kriegsrecht. Tatsächlich
seien die Massenerschießungen von damaligen Gewohnheitsrecht umfasst gewesen,
bestätigte das Gericht, dabei hätte allerdings die "Humanitätsschranke
gewahrt" bleiben müssen. Das Landgericht wertete die von Engels euphemistisch
als "Sühnemaßnahme" betitelte Racheaktion somit als gemeinschaftlich begangenen
Mord und verurteilte den SS-Offizier zu sieben Jahren Haft.
Engel reagierte auf das Urteil "Mit Haltung. Das habe ich mein Leben lang
gelernt". Tatsächlich heulte er auf die seinesgleichen typischen Art.
Er fände, dass er "nicht gut behandelt worden" sei "vom kleinsten Deutschland,
was wir je hatten [...] Ich kann es nicht lieben." Wenige Tage später
legte der Greis Revision ein. (Aktenzeichen: 621 Ks 5/02)
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