Heft 4 / 1999:
Verfassungspotentiale?
50 Jahre Grundgesetz
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Polizei, Osterei - Innere Sicherheit auf dem Prüfstand?
 

Das Sommerloch. Der alljährliche Versuch, diese Leere aus Ereignislosigkeit und wetterbedingter Gedankenträgheit irgendwann zwischen Juni und August mit spannenden Nachrichten zu füllen, ist meist nur mäßig erfolgreich. WM ist ja leider nur alle vier Jahre.
Nachdem also SPD-Abgeordnete sich ausgerechnet in ihrer eigenen Partei auf die Suche nach sozialdemokratischen Ideen gemacht und irgendwelche Nachwuchsgrünen das hundertste Positionspapier zur Lage der Partei verbraten hatten; nachdem der Kampf um die Ladenschlußzeiten am Alexanderplatz als erste deutsche Revolution mit Erfolgsaussichten gehandelt wurde und selbst der Mörder von Remagen nicht mehr viel hergab - da schien es langsam so, als sei spannende Politik erst wieder nach den großen Ferien zu erwarten.
Zumindest so lange, bis endlich einige bayerische Ministerialbeamte mit dem ihnen eigenen Schneid auf den Plan traten, um nicht nur den Unterhaltungswert der tagespolitischen Diskussion, sondern gleich auch noch die Zukunft unseres Landes zu retten: unsere Kinder.
"Am Schlafittchen in die Schule - Polizisten gegen Schulschwänzer", meldete der SPIEGEL Nr. 29 über ein seit September letzten Jahres laufendes Pilotprojekt im Freistaat.
Das Konzept ist einfach: Speziell für diesen Zweck zusammengestellte Sondereinsatzkommandos der Polizei klappern vormittags Spielhallen, Kaufhäuser, Bahnhofsvorplätze und andere Orte ab, an denen kein Kruzifix an der Wand hängt. Stoßen sie auf Verdächtige - Jugendliche, Kinder und andere Halbstarke - werden diese im Namen des Volkes gefragt, ob sie denn nicht verdammt nochmal eigentlich in der Schule sein sollten. Die kleinen Racker haben daraufhin natürlich meist die Hosen so voll, daß sie sofort alles gestehen. Nachdem sie dann im Streifenwagen zur Schule gefahren und von den hilfsbereiten Kontaktbeamten direkt im Unterricht abgesetzt wurden, sind sie hoffentlich vor Eltern, LehrerInnen und MitschülerInnen ausreichend bloßgestellt worden um ihrer Schulpflicht in Zukunft etwas ernsthafter nachzukommen.
Kritische Stimmen werden nun im üblich weinerlichen Pädagogenton fragen, ob denn die armen Kleinen nicht vielleicht... - und damit lediglich deutlich machen, daß sie nicht begriffen haben welches Maß an krimineller Energie in der Nichtstuerei der kleinen Lauser steckt. Und vor allem, wo das noch hinführt, wenn denen nicht frühzeitig eine klare Orientierung gegeben wird. Schwerer wiegen da schon die Einwände besorgter Citoyens, die berechtigterweise fragen werden, ob Innovationen im Erziehungswesen zu klaffenden Löchern im Netz der Inneren Sicherheit führen dürfen:
Wenn die Polizei SchulschwänzerInnen jagt, wer bekämpft dann das Organisierte Verbrechen?
Vielleicht die Kollegen und Kolleginnen vom Bundesgrenzschutz? An energischer Einsatzfreude dürfte es hier ganz sicher nicht mangeln, eher an der Zeit - seitdem sie nun nicht mehr allein die deutschen Grenzen, sondern auch noch Bahnhöfe und Bahnstrecken bundesweit sauber halten, haben die schließlich alle Hände voll zu tun.
Doch greifen wir doch einfach die vom Generalinspekteur der Bundeswehr Hans-Peter von Kirchbach ausgelöste, von SPD und CDU dankbar aufgenommene Diskussion wieder auf - wenn sich einer zur Verbrechensbekämpfung eignet, dann ja wohl die Bundeswehr!
Jawoll, so wäre die entstandene Lücke im Sicherheitsapparat wieder gefüllt, und die Generalprävention ist auch ein Stück weiter - mit einem anständigen Leopard II in der Hinterhand läßt sich das Wort Abschreckung endlich wieder bürgernah vermitteln.
Innenpolitisch also hochmodern, übersieht das Konzept aber leider aktuelle Trends in der deutschen Außenpolitik: Wenn die Landser auf Ganovenjagd sind, wer führt dann unseren nächsten Angriffskrieg?
Wer rettet dann die Menschenrechte, wenn nicht unsere Jungs?
Von wegen also, Schulschwänzen sei harmlos. Kommt Ihr mir nach Hause...

Tillmann Löhr, Göttingen.