Heft 4 / 1999:
Verfassungspotentiale?
50 Jahre Grundgesetz
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Zurück auf den Balkan-Grill!
Oder: Die rechtliche Behandlung von Flüchtlingen aus dem Kosovo
 

Nach dem Ende der NATO-Luftangriffe auf Rest-Jugoslawien ist die Diskussion um die Rechtfertigung bzw. Völkerrechtswidrigkeit der Angriffe leiser geworden, die allgemeine Aufmerksamkeit richtet sich auf die Frage der politischen Aufteilung dessen, was von Rest-Jugoslawien übriggeblieben ist. Während die Fernsehbilder von kosovo-albanischen Flüchtlingsströmen in den Köpfen der ZuschauerInnen verblassen, wird auf höchster Ebene über die "Rückführung" der Flüchtlinge verhandelt. Bereits Mitte Mai stellte das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) einen Vier-Phasen-Plan für die Rückkehr der bis zu 1,5 Millionen Kosovo-AlbanerInnen vor. Danach sollen zunächst Hilfsorganisationen das Ausmaß der Zerstörung erfassen, um dann den im Kosovo verbliebenen Menschen und den ersten auf eigene Faust zurückgekehrten Flüchtlingen zu helfen. In der dritten Phase sollen die Flüchtlinge außerhalb des Kosovo zurückgeführt werden. Vorrang haben dabei die rund 90 000 Flüchtlinge, die von Montenegro und Bosnien-Herzegowina aufgenommen wurden; zuletzt kommen diejenigen, die sich im entfernteren Ausland aufhalten. In der vierten Phase sollen die Zurückgekehrten dann ökonomisch und sozial wieder eingegliedert werden. Die Situation und Behandlung der Flüchtlinge in den einzelnen Zufluchtsländern ist sehr unterschiedlich. Diejenigen, die innerhalb des Kosovo auf der Flucht sind bzw. die in Montenegro und Bosnien-Herzegowina Aufnahme fanden, werden von Hilfsorganisationen notdürftig in katastrophal überfüllten Lagern versorgt und verwaltet.

Feigenblätter

Vergleichbar rosig geht es den rund 80 000 Flüchtlingen, die von den NATO-Angreiferstaaten aufgenommen wurden. Doch obwohl ihre Aufnahme medienwirksam als Akt der Menschlichkeit verkauft wurde, wurde den sog. Kontingentflüchtlingen in den meisten der Aufnahmestaaten von vornherein deutlich gemacht, daß man sie möglichst schnell wieder loshaben will. So etwa bei den offiziell 15 000 (tatsächlich nur knapp 14 000) kosovo-albanischen Flüchtlingen, die nach Deutschland ausgeflogen wurden:
Sie gelten nach § 32 a des Ausländergesetzes (AuslG) als Kriegsflüchtlinge und bekamen zunächst dreimonatige Aufenthaltsbefugnisse - vorausgesetzt, daß sie keine Asylanträge stellen bzw. bereits gestellte Asylanträge zurücknehmen (§ 32 a Abs. 2 AuslG). Daß dieser Krieg unter dem Vorwand der Verhinderung von "ethnischer Säuberung" und massenweisen Menschenrechtsverletzungen durch die NATO begonnen wurde, wird dabei bewußt ignoriert. Denn dürften die kosovo-albanischen Flüchtlinge Asylanträge stellen, müßte man ihnen konsequent als ethnisch Verfolgte zumindest unter dem Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung Asyl gewähren - mit der Folge, daß sie auch einen gesicherten Aufenthaltsstatus bekämen. Dank der Einstufung als Kriegsflüchtlinge kann sich die BRD jedoch davor drücken.1 Daß man den Kosovo-AlbanerInnen den Status politischer Flüchtlinge nicht zuzuerkennen gedenkt, verdeutlicht auch der von Medien, PolitikerInnen und Hilfsorganisationen getroffene Konsens, gar nicht erst von Flüchtlingen zu sprechen, sondern von "Vertriebenen": Denn als solche beanspruchen sie nicht den Aufenthalt in ihrem Zufluchtsland, sondern die Rückkehr in ihre "Heimat".2 Trotzdem müssen sie Sammelunterkünfte für Asylsuchende bewohnen und beziehen Sach- und Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Eigentlich hätten sie nach § 32 a VI AuslG die Möglichkeit zu arbeiten. Praktisch dürfte dies wegen ihres unsicheren Aufenthaltsstatus wohl kaum realisierbar sein.
Im Juli 1999 liefen die Aufenthaltsbefugnisse der ersten Kontigentflüchtlinge aus; ob (und gegebenenfalls wie lange) sie verlängert werden, ist unklar. Kaum hatte die NATO ihre Luftangriffe beendet, erhoben Bayerns Innenminister Beckstein (CSU) und sein Berliner Kollege Werthebach (CDU) die Forderung nach der schnellstmöglichen Rückkehr der Flüchtlinge in den Kosovo. Innenminister Schily (SPD) ließ zwar zunächst verlauten, er rechne frühestens Anfang 2000 mit ihrer Rückkehr, da vorher noch die Lage im Kosovo geklärt werden müsse. Ebenso wie seine Kollegen auf Landesebene forderte Schily jedoch schon kurz darauf die schnellstmögliche Rückführung der Kosovo-Flüchtlinge, notfalls unter Zwangsanwendung.3 Vorsorglich veranstaltet die Bundeswehr schon mal Minensuchkurse für die RückkehrerInnen.4 Als personifizierte Rechtfertigung der Luftangriffe und gleichzeitige Gewissensberuhigung haben die Kosovo-AlbanerInnen jetzt ausgedient, und falls sie nicht schnell genug wieder verschwinden, werden sie eben abgeschoben. Immerhin hatten sie ja die Ehre, erster Anwendungsfall des § 32 a AuslG zu sein. Vergessen ist die vorher so hochgehaltene Menschlichkeit und Rücksicht auf die traumatisierten und (auch durch deutsche Politik und Behördenpraxis) verunsicherten Menschen, als deren Retter sich nicht nur Schily wenige Wochen zuvor noch aufspielte. Daß es auch anders geht, zeigen die Beispiele Schwedens und Norwegens, die "ihren" Kontingentflüchtlingen ein dreijähriges Bleiberecht, volle Sozialhilfe und Arbeitserlaubnis gewähren.

...unbegründet und daher abzulehnen

Flüchtlingen aus dem Kosovo, die auf eigene Faust, teilweise schon lange vorher, teilweise noch während des Krieges, nach Deutschland gekommen sind, wurde auf andere Weise das Recht auf Asyl versagt. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte seit Anfang der 90er Jahre Asylanträge von Kosovo-AlbanerInnen fast durchweg ab. Grundlage der Entscheidungen waren Lageberichte des Auswärtigen Amtes, die auch noch im März 1999, kurz vor Beginn der NATO-Bombardements, eine an die "albanische Volkszugehörigkeit" anknüpfende politische Verfolgung im Kosovo nicht feststellen konnten.
Unterschiedlich stellt sich dagegen die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte dar.5 Die Mehrzahl der Gerichte bestätigte bis Kriegsbeginn in kritikloser Übernahme der Lageberichte des Auswärtigen Amtes bzw. in verharmlosender Uminterpretation eindeutiger ins Verfahren eingeführter Erkenntnisquellen anderer Herkunft (z. B. amnesty international, Presseberichte usw.) die ablehnenden Entscheidungen des Bundesamtes. Zur Begründung werden in der Regel drei Argumente herangezogen: 1. Die Lage im Kosovo sei zwar gespannt, Übergriffe fänden aber nur vereinzelt und nicht gezielt statt; zudem richten sich die Repressionen ausschließlich gegen Separatisten. 2. Es läge keine staatliche Verfolgung vor (nicht näher ausgeführt). 3. Es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative, z. B. in größere serbische Städte. Mit diesen Argumenten wird nicht nur jede erdenkliche vorgetragene persönlich erlittene Verfolgung übergangen, sondern eine Einzelfallprüfung von vornherein als überflüssig hingestellt. Im übrigen wird einfach auf den Inhalt der Akten des Bundesamtes (und damit auf die ablehnenden Bescheide) verwiesen.
Einzelne Verwaltungsgerichte stellten dagegen schon Anfang der 90er Jahre, als die Situation lange nicht so gespannt war wie kurz vor Kriegsbeginn, eine Gruppenverfolgung von Kosovo-AlbanerInnen fest. Aufgrund umfassender Erörterung verschiedener Aspekte wie willkürliche Polizeimaßnahmen, Massenentlassungen, Vertreibung von AlbanerInnen aus ihren Wohnungen, Äußerungen serbischer PolitikerInnen, diskriminierender Gesetze, Übergriffe auf albanische Zeitungen, Schulen usw. ist nach einem Urteil des VG Dresden 6 Asyl unabhängig vom Einzelfall schon aufgrund der albanischen "Volkszugehörigkeit" zu gewähren. Erstaunlicherweise werden auch hierfür die Lageberichte des Auswärtigen Amtes als hauptsächliche Erkenntnisquellen herangezogen. Solche Urteile blieben jedoch sehr vereinzelt und wurden teilweise von den Oberverwaltungsgerichten wieder aufgehoben, nachdem der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten Berufung eingelegt hatte. Auffällig ist bei den asylgewährenden Urteilen vor allem die Ausführlichkeit der Prüfung. Die Masse der ablehnenden Urteile faßt sich dagegen äußerst knapp: Viele Aspekte werden gar nicht erst angeführt, die verbleibenden pauschal als Einzelfälle abgetan. Bei weiterer Erörterung wäre man schließlich Gefahr gelaufen, dem Asylbegehren stattgeben zu müssen.

Von der Unmöglichkeit einer Zukunftsprognose

Um diese Gefahr einzudämmen, ordnete Innenminister Schily im April 1999 einen Entscheidungsstop für das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge an, dem auch die Verwaltungsgerichte folgten. Als Begründung wird angeführt, daß die nach der Rechtsprechung für die Entscheidung über einen Asylantrag erforderliche Zukunftsprognose "angesichts der laufenden und noch nicht abgeschlossenen Vorgänge im Kosovo, insbesondere der erkennbaren Bestrebungen im militärischen und politischen Bereich, eine Veränderung der momentanen Verhältnisse herbeizuführen" 7 derzeit nicht möglich sei. Über Asylanträge bzw. Klagen von Kosovo-AlbanerInnen könne daher erst wieder entschieden werden, wenn "einigermaßen zuverlässige Aussagen über die dortige Situation getroffen werden können".8 Die Asylsuchenden erhielten solange kurzfristige Duldungen 9 durch die Ausländerbehörden ausgestellt und wurden ansonsten im Ungewissen gelassen. Der Entscheidungsstop ermöglichte den Spagat zwischen den zur Kriegsbegründung herangezogenen Menschenrechtsverletzungen im Kosovo und dem Ziel, die Konsequenz daraus, nämlich die Anerkennung aller asylsuchenden Kosovo-AlbanerInnen, zu vermeiden.
Kaum waren die Luftangriffe der NATO beendet, wurde auch der Entscheidungsstop aufgehoben. Das Bundesamt lehnt wieder in gewohnter Manier Asylanträge von Kosovo-AlbanerInnen ab. Die Verwaltungsgerichte fordern seit Anfang Juli 1999 KlägerInnen auf, darzulegen, ob jetzt, wo die innenpolitische Situation im Kosovo wegen des Einmarsches der KFOR-Friedenstruppen ganz anders sei, überhaupt noch Gründe für die Aufrecherhaltung des Asylbegehrens vorlägen oder ob die Klage nicht gleich zurückgenommen werden solle.10 Die ersten mündlichen Verhandlungen finden bereits wieder im August 1999 statt - die Ergebnisse dürften klar sein. Die Ausländerämter zücken schon mal die Ausreiseaufforderungen und Abschiebungsandrohungen.

Tanja Nitschke studiert Jura in Erlangen und arbeitet(e) in verschiedenen Projekten im Bereich Asylrecht und -politik.

Anmerkungen:

1 Vgl. Kein Mensch ist illegal, Ausgabe 4 (Juni 1999), 3.
2 Vgl. Jungle World v. 26.05.1999, 20.
3 Jungle World v. 04.08.1999, 8 und Tagespresse v. 02. und 03.08.1999.
4 Vgl. Tagespresse v. 30./31.08.1999.
5 Analyse einer Reihe von VG-Urteilen der 90er Jahre durch die Verfasserin.
6 Urteil vom 22.12.1994, A 14 K 30949/94 (unveröffentlicht) mit weiteren Nachweisen.
7 Antwort des BayVGH v. 21.04.1999 auf die Sachstandsanfrage eines Nürnberger Rechtsanwalts in einem seit 1995 anhängigen Berufungsverfahren eines Kosovo-Albaners.
8 Fast wortgleiches Serienschreiben des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.
9 Duldung bedeutet nach § 55 Abs. 1 AuslG die zeitweise Aussetzung der Abschiebung.
10 Schreiben des VG Ansbach v. 06.07.1999 an einen Nürnberger Rechtsanwalt zum Verfahren eines Kosovo-Albaners.