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Prostitution ist unvereinbar mit der Menschenwürde und verstößt gegen
die guten Sitten. So die Ansicht der ständigen Rechtsprechung. Zwar ist
Prostitution nicht strafbar, geahndet wird indes die Förderung. Um diesen
Straftatbestand zu umgehen, verschleiern Bordellbetreiber meist die Besitzverhältnisse
von zusammenhängendem Barbetrieb und Zimmervermittlung.
Nicht so Felicitas Weigmann. Die Betreiberin eines Bordells in Berlin
brach das Tabu und sagte laut, was sie tut. Daraufhin entzog ihr das Bezirksamt
die Gaststättenerlaubnis, da sie der Prostitution Vorschub geleistet habe.
Weigmann, die versucht offen selbstverwaltete Prostitution zu gewährleisten,
klagte gegen die Schließung. Und das Berliner Verwaltungsgericht gab ihr
Recht.
In Abkehr von dem generellen "Unwerturteil" der bisherigen Rechtsprechung
hob das Gericht hervor, daß "wer die Menschenwürde von Prostituierten
gegen ihren Willen schützen zu müssen meint, (...) sich in Wahrheit an
ihrer von der Menschenwürde geschützten Freiheit der Selbstbestimmung
[vergreift] und (...) ihre rechtliche und soziale Benachteiligung [zementiert]".
Neue Wege beschritt das Gericht bei der inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs
der Unsittlichkeit. War die bisherige Rechtsprechung ohne wesentliche
Begründung davon ausgegangen, daß die Einstufung der Prostitution als
unsittlich der in der Gesellschaft vorherrschenden Überzeugung entspräche,
sahen es die Berliner Richter als erforderlich an, für eine solche Wertung
objektive Indizien zu ermitteln. Das Gericht bat 50 Institutionen - z.B.
JuristInnenverbände, Kirchen und Gewerkschaften - um Stellungnahme. Die
Ergebnisse dieser Befragung und die Tatsache, daß auch die Bundesregierung
plant, den Status der Prostituierten per Gesetz zu verbessern, veranlaßte
das Gericht, von einer geänderten sozialethischen Wertvorstellung auszugehen.
Prostitution, wird sie von Erwachsenen freiwillig und ohne kriminelle
Begleiterscheinungen ausgeübt, sei nach den heute anerkannten sozialethischen
Wertvorstellung nicht mehr als sittenwidrig anzusehen.
Prostituierte werden nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich diskriminiert.
Sie zahlen Steuern, können aber keine Sozialversicherung und keine rechtlich
bindenden Arbeitsverträge abschließen. Für Frauen, die in Häusern wie
dem von Felicitas Weigmann arbeiten, liegt der Vorteil auf der Hand: Anschaffen
ohne Zuhälter, in Sicherheit vor dem kriminellen Milieu. Daß eine Schließung
gerade eines solchen Hauses Doppelmoral wäre, haben die Berliner Richter
erkannt und offen diskutiert. Es bleibt zu hoffen, daß das Urteil Außenwirkung
über den Einzelfall hinaus entfalten und sich die rechtliche und soziale
Situation von Prostituierten durch das Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung
nachhaltig verbessern wird.
Karin Günther, Göttingen.
Quelle:
VG Berlin, VG 35 A 570.99, vom 1.12.2000, www.berlin.de/home/Land/RBm-Just/VG/Presse/urteil_pssst/
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