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Trotz männlicher Meinungsmacht erscheint heute die Tatsache, dass neben
Männern auch Frauen das aktive und passive Wahlrecht zu den Parlamenten
offensteht als selbstverständlich; doch musste die Frauenstimmrechtsbewegung
lange Jahre für die Durchsetzung ihres Anliegens kämpfen.
Gesetzliche Grundlagen
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich in allen deutschen Staaten
aus den vorherigen rein ständischen Strukturen so etwas wie eine "Volksvertretung"
gebildet. Regelungen zur Wahlberechtigung zu diesen Parlamenten basierten
in der Regel auf der Staatsangehörigkeit: Um z. B. in Bayern das Wahlrecht
ausüben zu können, war es nach der Verfassung von 1818 notwendig, neben
der aufgrund Geburt oder Verleihung erhaltenen Staatsangehörigkeit, die
prinzipiell auch für Frauen zu erlangen war, die Staatsbürgerschaft zu
erwerben. Staatsbürger konnte nur derjenige werden, der volljährig war
(d.h. 25 Jahre alt), seine Ansässigkeit in Bayern durch Grundbesitz, Gewerbe
oder ein öffentliches Amt nachgewiesen sowie einen Eid auf den Staat geleistet
hatte. Passiv gewählt konnten Abgeordnete aus fünf Ständen werden: die
Grundbesitzerschaft, die über eine eigene Gerichtsbarkeit verfügte, die
sonstige Landeigentümerschaft, Geistlichkeit, Städte und Märkte, Universitäten.
Das passive Wahlrecht für die städtische Bevölkerung wurde indes auf die
über 30-jährigen mit Grundvermögen bzw. einem Gewerbebetrieb mit Steuerzahlung
beschränkt, so dass z. B. im Jahre 1843 nur 0,5% der Bewohnerschaft wählbar
war. Frauen waren in Bayern nicht - so wie in manch anderem Bundesstaat
- ausdrücklich vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen; jedoch
bestand kein Zweifel, dass sie nicht wählen durften.
Nach der Revolution 1848 konstituierte sich in Frankfurt am Main die Nationalversammlung.
Die Männer, die 1848/49 hier um eine gemeinsame deutsche Verfassung stritten,
beschäftigten sich auch ausgiebig mit einem künftigen gesamtdeutschen
Wahlrecht: Gleich, unmittelbar, geheim sollte es sein - aber nicht für
Frauen. Einziger Streitpunkt in diesem Zusammenhang blieb nunmehr die
(akademische) Frage, ob das weibliche Geschlecht ausdrücklich von der
Teilnahme ausgeschlossen werden müsse oder dies - als Selbstverständlichkeit
- konkludent geschehen könne (die zweite Lösung wurde dann vorgezogen).
Auf Grundlage des 1849 verabschiedeten Reichswahlgesetzes konstituierte
sich später der deutsche Reichstag. Dieses Gesetz entfaltete zwar keine
Bindungswirkung auf die Gesetzgebung der Länder, was diese aber nicht
zugunsten der Frauen, sondern vielmehr zur Festlegung anderweitiger Beschränkungen
nutzten (z. B. preußisches Dreiklassenwahlrecht, Erfordernis direkter
Steuerzahlung in Bayern).
Auf kommunaler Ebene sind bald erste Lockerungen erkennbar: So maß die
bayerische Gemeindeordnung von 1869 Frauen (wie auch juristischen Personen)
das aktive Wahlrecht zu, allerdings mussten sie sich in der Ausübung von
Männern vertreten lassen; die Frau musste dem Mann eine spezielle Vollmacht
ausstellen und konnte, da sie das Wahllokal nicht betreten durfte, über
seine Stimmabgabe keine Kontrolle ausüben.
Die Heranbildung des modernen Staatsbürgerbegriffs
Warum die Nichtteilnahme von Frauen an Wahlen fast immer als selbstverständlich
angesehen wurde, erhellt ein Blick auf das rechtswissenschaftliche Rollenbild
der Frau als Teil der Familie:
Von den Naturrechtslehrern des 17. Jahrhunderts (Grotius, Pufendorf) wurde
die Familie als kleinste Einheit des Staates propagiert, die ebenso wie
dieser hierarchisch strukturiert ist, mit einem (männlichen) Familienoberhaupt
an der Spitze, dem sich Frau und Kinder unterzuordnen haben. Immanuel
Kant sah demgegenüber eine solche Funktionsteilung als naturrechtswidrig
an und betonte die Freiheit des Individuums. Staatsbürgerliche Rechte
besitzt die Frau bei ihm aber auch nicht, da es ihr nach seiner Auffassung
an der "natürlichen Qualifikation" fehlt. Einzelne seiner Zeitgenossen
wie Schlözer und Hippel kritisierten den Gedankengang Kants als unlogisch
und betonten den Zusammenhang zwischen Mangel an Bildung und Mangel an
Rechten der Frau; es sei demzufolge nur natürlich, der Frau auch Staatsbürgerrechte
zuzumessen. Fichte verneint das Vorliegen einer Zweckausrichtung der Ehe
auf die Staatsraison und reduziert die Ehe auf einen privatrechtlichen
Vertrag, in dem die Frau ihr eigenes Leben zugunsten ihres Mannes aufgegeben
habe.
Demgegenüber sehen Marx und Engels die "Familie" nur als Instrument zur
Besitzstandswahrung, somit sei dieses Institut als kontraproduktiv für
die Erlangung des Ziels der Freiheit von Eigentum und Abhängigkeiten abzulehnen;
nur über die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft an sich gelange die
Frau aus ihren vielschichtigen Abhängigkeiten heraus.
Die Staatslehre des 19. Jahrhunderts vermittelt bald ein uneinheitliches
Bild, da - bedingt durch die fortschreitende Industrialisierung - bei
vielen ein Wandel in den Auffassungen über die Familie festzustellen ist:
Nicht mehr der Status in der Familie ist nun für die äußeren Beziehungen
maßgebend, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse der Einzelnen. Immer
mehr Vertreter machten nun den Umfang des Einflusses am Eigentum fest,
sahen die Frau aber immer noch als allein in der Familie verwurzelt. Einen
progressiven Ansatz, der auch Beachtung im deutschen Raum fand, verfolgte
der Angloamerikaner John Stuart Mill: Er empfand die gesellschaftliche
Unterordnung der Frau als widernatürlich und zeigte auf, dass die moderne
Gesellschaft quasi zwangsläufig in eine andere Richtung führt.
Auseinandersetzungen um das Frauenstimmrecht
Im Deutschen Reich sind ab 1848 erste zaghafte Versuche einer bürgerlichen
Frauenbewegung erkennbar, sich mit ihren Zielen einzubringen. In kleinen
Zirkeln trafen sich Frauen aus der ökonomisch unabhängigen Bürgerschicht,
ihre Themen waren die benachteiligenden Ehegesetze und die Ehescheidung.
Zahlreicher geworden, organisierten sich die regionalen Frauenvereine
1894 im "Bund deutscher Frauen" (BDF), der schließlich mit der Zulassung
von Mädchen zum Abitur und zum Hochschulstudium (allerdings vorerst noch
ohne die Möglichkeit, einen qualifizierenden Abschluss zu erlangen) erste
Erfolge erringen konnte. Von konfessionellen Frauengruppen abgelehnt,
blieb ein Wahlrecht für Frauen vorerst noch Randthema, auch vom persönlichen
Gang in die Politik war noch keine Rede.
Massenwirkung bekam die Frauenbewegung erst mit dem Aufkommen der sozialdemokratisch
geprägten ArbeiterInnenbewegung: Insbesondere die 1863 gegründete SPD
schrieb sich die Forderung nach einem allgemeinen Wahlrecht auf die Fahnen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gründeten sich spezielle sozialdemokratische
Frauenwahlvereine, die öffentlichkeitswirksame Frauenversammlungen und
Demonstrationen organisierten. Indes galt den ProtagonistInnen wie August
Bebel und Clara Zetkin die Forderung nach dem Stimmrecht für Frauen -
ähnlich wie die nach gleichberechtigter Beteiligung der Arbeiter - als
bloßes Kampfmittel zur Herstellung rechtlicher Gleichheit der Klassen,
die in die klassenlose Gesellschaft münden sollte.
Auch der liberale Teil der bürgerlichen Frauenbewegung um Minna Cauer,
Helena Lange und nicht zuletzt Anita Augspurg entschloss sich zur Mobilisierung
in Frauenversammlungen und auf der Straße. Daneben wurden aus ihren Reihen
entsprechende Petitionen an die deutschen Parlamente verfasst, die jedoch
allesamt keinen Erfolg hatten. Besonderes Aufsehen erregte 1906 der (ebenfalls
erfolglose) Versuch, gerichtlich die Eintragung in die Listen zu den preußischen
Gemeindewahlen zu erzwingen. 1
Einen Einschnitt erlebte die bürgerliche Frauenbewegung durch den Streit
um die allgemeine Wahlrechtsfrage: Schließlich spaltete sich 1911 der
BDF in drei konkurrierende Verbände.
Erschwerend für die sozialistische wie die bürgerliche Bewegung wirkte,
dass bis 1908 Frauen in vielen deutschen Staaten (u.a. auch in Bayern
und Preußen) keinen politischen Vereinen angehören durften. Gerade Arbeiterinnen
waren staatlichen Repressionen ausgesetzt.
In den deutschen Parlamenten spiegelten sich die Diskussionen auf der
Straße nicht angemessen wieder: Als einzige der Parteien vertrat die SPD
die Forderung nach einem allgemeinen Wahlrecht und dem Frauenstimmrecht;
allerdings brachten sich die Abgeordneten der anderen Parteien nur selten
mit sachlichen Argumenten ein.
Der Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 vertiefte zunächst die Trennungen
innerhalb der Frauenbewegung: Die einen wurden aus patriotischer Motivation
tätig im "Nationalen Frauendienst" und ersetzten die im Land fehlenden
Frontsoldaten an den Arbeitsstätten, die anderen formierten sich schon
früh in der v.a. von Frauen getragenen Friedensbewegung. Diese Friedensbewegung
unterlag nicht nur staatlicher Kriminalisierung, sondern wurde selbst
innerhalb der SPD bekämpft, die sich dem "Burgfrieden" der Parteien angeschlossen
hatte.
Mitte 1917 schlug die Stimmung um: Das bürgerliche Frauenstimmrechtslager
wiedervereinigte sich und begann, mit der sozialdemokratischen Frauenbewegung
zusammenzuarbeiten, die durch die kurz zuvor erfolgte Abspaltung der pazifistischen
USPD von der SPD ihren radikalen Flügel verloren hatte. Mit Frauenversammlungen
und Demonstrationen übte die nun schlagkräftige Bewegung politischen Druck
aus.
Letztendlich durchgesetzt wurde das Frauenstimmrecht dann in der Novemberrevolution
1918. Nach der blutigen Niederschlagung einer Friedensdemonstration in
Kiel hatten sich im ganzen Deutschen Reich Arbeiter- und Soldatenräte
gebildet; am 7. November 1918 besetzten Revolutionäre um Kurt Eisner den
Münchener Landtag und riefen die Republik aus, zwei Tage später geschah
das gleiche am Berliner Reichstag. Der neue Reichskanzler Friedrich Ebert
(SPD) bildete als Regierung den "Rat der Volksbeauftragten". In seiner
ersten Veröffentlichung vom 12. November 1918 rief der Rat zur Wahl einer
verfassunggebenden Nationalversammlung zum 19. Januar 1919 auf: "Alle
Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach demokratisch gleichem,
geheimen, direkten Wahlrecht auf Grundlage des proportionalen Wahlsystems
für alle mindesten 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu
vollziehen." 2 Das Ziel der Frauenstimmrechtsbewegung
war erreicht.
Götz Schulz-Loerbroks studiert Jura und lebt in Erlangen.
Anmerkungen
1 Entscheidungen des Preußischen Obersten
Verwaltungsgerichts, Band 51, 12 ff.
2 Reichsgesetzblatt 1918, 1303.
Literatur:
Bebel, August, Die Frau und der Sozialismus, 1879.
Heepe, Kathrin, Zur Geschichte des Frauenwahlrechts, in: Juristische
Ausbildung 1989, 232 ff.
Hofmann-Göttig, Joachim, Emanzipation mit dem Stimmzettel, 1986.
Rosenbusch, Ute, Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland, 1998.
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