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Flirten, Lästern, Tratschen. Und niemand hört mit.
"Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen der Inhalt der Telekommunikation und
ihre näheren Umstände [...]"
§ 85 Telekommunikationsgesetz, beschlossen vom Deutschen Bundestag.
Entscheidungen für die Freiheit. Deutscher Bundestag
Mit diesem Slogan hat der Deutsche Bundestag Ende Mai 2002 eine Anzeigen-
und Plakat-Kampagne zur Imagewerbung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen
gestartet. Schade nur, dass das Grundrecht auf die Wahrung des Fernmeldegeheimnisses
aus Artikel 10 Grundgesetz (GG) zu den am stärksten ausgehöhlten Grundrechten
des Grundgesetzes gehört. Was der Werbeslogan nämlich verschweigt sind
die vielfältigen und im Zuge der Anti-Terror-Gesetzgebung noch ausgeweiteten
Befugnisse der deutschen Sicherheitsbehörden zum Sammeln von Telekommunikationsdaten.
Durch diese Befugnisse wird auch zunehmend das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz
1 GG) beschnitten.
Die diesen Grundrechtsbeschränkungen zugrundeliegenden Regelungen gehen
dabei nicht ausschließlich von den deutschen Gesetzgebungsorganen aus.
Auch auf europäischer Ebene wird im Rahmen der Europäischen Union immer
stärker darauf gedrängt, den staatlichen Sicherheitsbehörden Telekommunikationsüberwachung
zu ermöglichen.
Auf der Ebene des Europarats ist im Jahr 2001 ein neues Regelungsinstrument
hinzugekommen, ein völkerrechtliches Übereinkommen mit dem neumodischen
Namen Cybercrime-Konvention. In dieser haben sich die Mitgliedstaaten
verpflichtet, die Voraussetzungen für eine umfangreiche Überwachung der
mit Computern durchgeführten Telekommunikation zu schaffen und bei der
Verwertung der so gewonnenen Erkenntnisse eng zusammenzuarbeiten.
1
Arten der Telekommunikationsüberwachung
Als Telekommunikationsüberwachung kann die Weitergabe drei verschiedener
Arten von Daten durch (heutzutage) private Telekommunikations-Dienstleistungsunternehmen
an staatliche Sicherheitsbehörden (Polizei, Geheimdienste) bezeichnet
werden, denen eine ansteigende Eingriffsintensität bezüglich der Rechte
der BürgerInnen zugeordnet werden kann: die Überwachung der Bestandsdaten,
der Verbindungsdaten und der Telekommunikationsinhalte (für Erläuterungen
zu diesen Begriffen siehe Kasten).
Bedeutung der Telekommunikationsüberwachung
Durch den Boom der Informationsgesellschaft kommuniziert jedeR von uns
häufiger und unter Nutzung von mehr verschiedenen technischen Einrichtungen.
Dadurch werden bei immer mehr Telekommunikations-Unternehmen Namen und
Adresse, die persönlichen Bestandsdaten, hinterlassen, die bereits Aufschluss
über die persönlichen Kommunikationsgewohnheiten geben können.
Neben dieser quantitativen Veränderung ist auch eine qualitative Änderung
zu beobachten: die Verbindungsdaten eines Menschen sagen auch ohne eine
vollständige Inhaltsüberwachung in zunehmendem Maße mehr über diesen Menschen
aus.
Besonders sichtbar wird dies bei der Nutzung von Mobiltelefonen und des
Internets: Wegen der ständigen technischen Erfassung der Funkzelle, in
der sich ein eingeschaltetes Mobiltelefon befindet, trägt jedeR NutzerIn
ihren persönlichen Peilsender mit sich herum. Beim Surfen im World Wide
Web führt die genaue Adressierung der Inhalte dazu, dass allein aus den
Verbindungsdaten zumindest ungefähr auf die Inhalte der Telekommunikation
geschlossen werden kann.
Die Auswertung der Verbindungsdaten ermöglicht damit die Erstellung von
Bewegungsprofilen einer Person in der tatsächlichen Welt, von "informationellen"
Bewegungsbildern im Bereich der Internetkommunikation und sagen auch ansonsten
eine Menge über die Lebensführung und das gesellschaftliche Verhalten
eines Menschen aus.
Befugnisse zur Datensammlung
Mit diesen tatsächlichen Entwicklungen hat die rechtliche Regelung der
unterschiedlichen Eingriffe nicht Schritt gehalten. Die Herausgabe von
Verbindungsdaten an die Sicherheitsbehörden ist aus Sicht des Fernmeldegeheimnisses
zwar ein weniger schwerwiegender Eingriff als eine vollständige Inhaltsüberwachung,
aber durch die technologischen Neuerungen hat die Eingriffsintensität
beständig zugenommen, ohne dass dies bei der Systematik der Eingriffsermächtigungen
berücksichtigt würde.
Im Folgenden soll zu den deutschen Regelungen (für kurze Erläuterungen
s. Kasten)
zur Erhebung von Telekommunikationsdaten durch Sicherheitsbehörden kurz
Stellung bezogen werden. 2
Die Regelung zur Übermittlung von Bestandsdaten des § 90 TKG bedeutet
praktisch, dass eigentlich gar keine einschränkenden Voraussetzungen für
diesen Eingriff gelten. Die Beschränkung auf die Erforderlichkeit zur
Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben ist wohl die weiteste nach rechtsstaatlichen
Maßstäben denkbare Ermächtigung. Durch die zentrale Verwaltung der Anfragen
bei der RegTP und das weitgehend technisierte Verfahren besteht auch keine
praktische Hemmschwelle, eine solche Anfrage durchzuführen.
Die Regelungen zur Herausgabe von Verbindungsdaten an die Sicherheitsbehörden
wurden durch die Gesetzgebung im Laufe des Jahres 2001 und Anfang 2002
erheblich ausgebaut.
An der für Polizei und Staatsanwaltschaft geltenden, zum Jahresbeginn
in die StPO (§§ 100g und 100h) integrierten Regelung ist dabei im Wesentlichen
neu, dass Verbindungsdaten auch schon herauszugeben sind, wenn eine Straftat
"mittels einer Endeinrichtung" begangen wurde, womit letztlich jede Tat
erfasst wird, die mit Hilfe eines Telefons oder des Internets begangen
wurde. 3
Über brandneue Ermächtigungen zur Erhebung von Verbindungsdaten können
sich allerdings die sämtlichen deutschen Geheimdienste (Bundesamt und
Landesämter für Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst - BND und Militärischer
Abschirmdienst - MAD) freuen. Die inhaltsgleichen Befugnisnormen erfassen
erstmals neben der eher technischen Seite der Kommunikation ("Telekommunikation")
auch die inhaltliche Seite ("Teledienste") und tragen damit der oben beschriebenen
zunehmenden Vermischung dieser beiden Bereiche gerade im Bereich des Internets
Rechnung. Die Eingriffsschwellen für die Ausübung dieser Befugnisse sind
zwar vergleichsweise hoch. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass
es sich hier um Befugnisse von Geheimdiensten handelt, bei denen immer
mit einem Defizit bei der Überwachung der Überwachungsorgane auf ihre
Rechtsstaatlichkeit gerechnet werden muss. 4
Bei der Festlegung von Eingriffsschwellen für Geheimdienste handelt es
sich daher eher um Programmsätze, deren tatsächliche Wirkung für kaum
jemanden nachprüfbar ist.
Im Vergleich zu den Regelungen zu den Verbindungsdaten sind im Bereich
der Inhaltsüberwachung der Telekommunikation keine wesentlichen gesetzlichen
Neuerungen zu verzeichnen.
Dies war bei den Befugnissen der Strafverfolgungsbehörden allerdings auch
nicht erforderlich. Der Katalog des § 100a StPO, der die Straftaten definiert,
zu deren Verfolgung eine Überwachung der Telekommunikation erlaubt ist,
hat im Vergleich zu dem für die Geheimdienste geltenden Katalog des §
3 G 10 im Laufe der Jahrzehnte durch ständige Erweiterungen eine erstaunliche
Länge erreicht.
Folgerichtig haben die Überwachungsanordnungen nach § 100a StPO im Laufe
der vergangenen Jahre ständig in großem Maße zugenommen (1995: 3.667 Anordnungen,
2000: 15.741 Anordnungen). 5 Angesichts
dieser Entwicklung erstaunt es um so mehr, dass es bisher keine (abgeschlossene
6) Untersuchung über den tatsächlichen Nutzen und die
Wirksamkeit dieses erheblichen Grundrechtseingriffs gibt, von dem auch
immer Dritte (denn zur Kommunikation gehören immer zwei) in Mitleidenschaft
gezogen werden.
Auch die Praxis der Ermittlungsmethoden, Mobiltelefone als persönliche
Peilsender zu nutzen, wird rechtlich nach § 100a StPO beurteilt. Die Behörden
machen sich hier die technische Möglichkeit zunutze, die Standortdaten
von Mobiltelefonen auch im Stand-by-Betrieb zu überwachen, wenn also gerade
keine Telekommunikation stattfindet. Diese Praxis wurde im Jahr 2001 durch
eine Entscheidung des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof von der
Rechtsprechung abgesichert, 7 obwohl
diese Art Eingriff von der Vorschrift in keiner Weise gedeckt ist. Rechtsstaatlich
ist es erforderlich, dass jeder Grundrechtseingriff auf eine transparente,
ausreichend bestimmte, vor allem auch spezielle Rechtsgrundlage gestützt
wird. Diesen Erfordernissen wird aber gerade nicht mehr genügt, wenn der
§ 100a StPO, der eigentlich für den guten alten Fernmeldeverkehr von Festnetzanschluss
zu Festnetzanschluss konzipiert ist, ohne einen Handschlag des parlamentarischen
Gesetzgebers von Ermittlungsbehörden und Rechtssprechung auf wesensmäßig
völlig andere Eingriffe angewendet wird.
Einziger (und zweifelhafter) Trost angesichts der ausufernden Nutzung
der in diesem Abschnitt angesprochenen Eingriffsbefugnisse ist, dass es
sich zumindest im Ansatz um Regelungen zur Individualüberwachung handelt.
Es sind also immer bestimmte Personen betroffen, die aus einem (guten?)
Grund die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden erregt haben.
Datenspeicherung
Die zunehmend erhobene Forderung nach einer Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten
durch die Telekommunikations-Unternehmen bedeutet dagegen die Forderung
nach einem ständigen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung der gesamten Bevölkerung, der die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung
ad absurdum führt.
Dabei ist es höchst einleuchtend, dass die (erweiterten) Befugnisse zur
Erhebung von Verbindungsdaten durch die Sicherheitsbehörden noch viel
wertvoller werden, wenn auch auf Daten aus der Vergangenheit zugegriffen
werden kann. So muss nicht erst eine gewisse Zeit abgewartet werden, bis
sich aussagekräftige Nutzungs- oder Bewegungsprofile erstellen lassen;
dies kann durch Auswertung von gespeicherten Daten im Falle einer Überwachungsanordnung
beinahe sofort erfolgen.
Das bisherige deutsche und auch das auf diesem Gebiet maßgeblichen Einfluss
besitzende EU-Recht widersprechen zur Zeit solchen Begehrlichkeiten
8 allerdings vom Grundansatz her noch vollkommen. Für
die Telekommunikations-Dienstleister werden von der deutschen Telekommunikations-Datenschutzverordnung
(TDSV) nicht etwa Mindestspeicherpflichten normiert, sondern im Gegenteil
Höchstspeicherfristen festgelegt.
Das EG-Recht, auf dem diese Systematik bisher aufbaut, wird sich allerdings
demnächst ändern. Ein Richtlinienentwurf zur Neuregelung der Datenschutzbestimmungen
im Telekommunikationsbereich ist inzwischen vom Europäischen Rat, der
Kommission und dem Europaparlament gebilligt worden. Dieser eröffnet den
Mitgliedstaaten explizit die Möglichkeit, Speicherpflichten für Verbindungsdaten
vorzusehen. Obwohl europarechtlich so nur die Möglichkeit und keine Verpflichtung
für die Mitgliedstaaten zur Datenspeicherung geschaffen wurde, ist zu
befürchten, dass diese Änderung der entscheidende Dammbruch ist. Die meisten
europäischen Regierungen wollen eine Speicherpflicht und der Harmonisierungsdruck
im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit wird dafür
sorgen, dass die Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten zu Lasten des
Datenschutzes genutzt werden wird. 9
Was tun?
Faktisch lässt sich gegen die momentane Entwicklung angesichts der stets
geschürten Terrorangst wenig tun. Die ewigen VerfechterInnen der "Inneren
Sicherheit" haben zur Zeit das Heft fest in der Hand.
JedeR einzelne kann allerdings durch die entsprechende Vorsicht und Sensibilität
dafür sorgen, dass wenigstens ein Bewusstsein dafür erhalten bleibt, wo
der/die Einzelne seine/ihre Datensätze verstreut hat und eben auch ein
Bewusstsein dafür, in welchem Ausmaß die wohl unvermeidlich anfallenden
Verbindungsdaten Aufschlüsse über unser aller Lebensführung zulassen.
Auch kann jedem/jeder nur geraten werden, sich zum Schutz der Inhalte
der eigenen Telekommunikation über die Möglichkeiten der Verschlüsselung
10 und der Anonymisierung insbesondere des Internetverkehrs
11 zu informieren, die Scheu davor abzulegen und die
bestehenden Möglichkeiten auch umfassend zu nutzen.
Auch eine Renaissance des guten alten persönlichen Gesprächs bzw. des
Postbriefs kann nur befürwortet werden. ;-)
Jan Gehrken
Anmerkungen:
1 Hilbrans, Die Cybercrime-Konvention,
in: Bürgerrechte & Polizei (CILIP) 1/2002, 54 ff.
2 Überblick bei Eckardt, Neue Regelungen
der TK-Überwachung, in: Datenschutz und Datensicherheit (DuD) 2002,
197 ff.
3 Eckhardt DuD 2002, 197 (199).
4 S. dazu Detjen, Dienste außer Kontrolle,
in: Forum Recht (FoR) 2002, 62.
5 S. dazu Bizer, Praxis der TK-Überwachung,
DuD 2002, 216 ff. und Albrecht u.a., Rechtswirklichkeit und Effizienz
der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO. Projektbeschreibung
und Arbeitsbericht, http://iuscrim.mpg.de/forsch/krim/albrecht.html,
zuletzt besucht am 18.5.2002.
6 In Arbeit ist die in Fn. 5 genannte
Untersuchung von Albrecht u.a.
7 S. dazu u.a. Gercke, Überwachung des
Mobilfunkverkehrs, in: CILIP 1/2002, 20 (22 ff.), Entscheidung
unter http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/2/01/bg2-42-01.php3,
zuletzt besucht am 20.5.2002.
8 S. z.B. Krempl, CDU/CSU beantragt
neue Einschnitte ins Telekommunikationsgeheimnis, http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/9580/1.html,
zuletzt besucht am 19.6.2002.
9 Bunyan, Was wird aus den Verkehrsdaten?
in: CILIP 1/2002, 45 ff.
10 http://www.gnupg.org/gph/de/manual/.
11 http://www.datenschutzzentrum.de/projekte/anon/links.htm.
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