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Asylmissbrauch und Sozialhilfebetrug wird ihnen vorgeworfen und damit
das Betreiben ihrer Abschiebung begründet. Doch wer sind "sie"? Das ist
die alles entscheidende Frage.
Nach Ansicht der Behörden handelt es sich bei den mehreren tausend von
Abschiebung bedrohten Menschen um TürkInnen und nicht, wie von den Betroffenen
geltend gemacht, um staatenlose libanesische KurdInnen, die auf der Flucht
vor dem Bürgerkrieg im Libanon in den 80er Jahren in Deutschland rechtmäßig
Zuflucht fanden. Die Behörden stützen sich auf sichergestellte türkische
Pässe und türkische Personenstandsregister. Doch auch die Innenbehörden
der Länder wissen um die komplizierten Fluchtgeschichten der Betroffenen.
Sie gehören einer arabischstämmigen Minderheit an, deren Vorfahren in
der Türkei gelebt haben und seit den 20er Jahren in den Libanon ausgewandert
sind. Dort waren sie nicht registriert, hatten keine Bürgerrechte und
daher auch keine Pässe. Auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg benutzten viele
die Türkei als Transitland und beschafften sich dort türkische Dokumente,
um überhaupt nach Deutschland zu kommen. Die als Beweis angeführten türkischen
Melderegister werden über Jahrzehnte ohne Zutun und ohne Kenntnis der
Betroffenen fortgeschrieben, selbst wenn die Personen schon vor 1930 aus
der Türkei ausgewandert sind.
Mittlerweile leben viele der kurdisch-libanesischen Familien seit mehr
als 15 Jahren in Deutschland und sind dort in Schule, Arbeit und Freundeskreis
integriert. Doch seit zwei Jahren leben sie in einem traumatischen Ausnahmezustand.
Aufenthaltstitel und Arbeitserlaubnisse wurden ihnen entzogen, Duldungen
werden oft nur jeweils um zwei Wochen verlängert. Ihnen droht die Abschiebung
in ein fremdes Land, in dem sie vor dem Nichts stünden. Der Großteil der
Menschen, die abgeschoben werden sollen, sind Kinder und Jugendliche,
die meisten von ihnen in Deutschland geboren und aufgewachsen.
Nach der bisherigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte müssen sich
selbst minderjährige Kinder die "Passvergehen" ihrer Eltern zurechnen
lassen. Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat nun in einem Fall entschieden,
dass Kinder von mit türkischen Papieren eingereisten KurdInnen aus dem
Libanon unter bestimmten Voraussetzungen nicht unbedingt mit einer Ausweisung
büßen müssen. Bisher hatten sich die Behörden auch in eindeutigen Härtefällen
stets darauf berufen, dass ihnen aufgrund der eindeutigen Rechtslage die
Hände gebunden seien.
Es ist nicht auszuschließen, dass es Fälle gibt, in denen eine kurdisch-libanesische
Herkunft nur vorgetäuscht wurde. Jedoch darf dies nicht pauschal über
das Schicksal bisher rechtmäßig in Deutschland lebender Menschen entscheiden.
Es gilt, die komplexe Fluchtgeschichte zu berücksichtigen und die Ermessensspielräume
grundsätzlich zu Gunsten der Betroffenen auszulegen.
Karin Günther, Göttingen.
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