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Schon früher hatten planende Kriminelle in Italien in bestimmten strafverfahrensrechtlichen
Vorschriften ein gern gebrauchtes Instrument zur Verhinderung von Verurteilungen.
Sie konnten "berechtigte Zweifel (legitimo sospetto) an der Unabhängigkeit"
der für ihre Verfahren zuständigen Behörden äußern und so erreichen, dass
die Zuständigkeit für Ermittlung und Entscheidung auf einen anderen Bezirk
verlagert wurde. Bei geschickter Ausnutzung dieser Regelung kam es dazu,
dass die Verfahren von Gericht zu Gericht so lange weitergereicht wurden,
dass entweder die Ermittlungen und deren Ergebnisse völlig undurchschaubar
geworden waren, so dass kein Nachweis der Taten mehr geführt werden konnte,
oder dass Verjährung eingetreten war. Ein Beispiel hierfür war das Verfahren
wegen eines Anschlags der so genannten schwarzen Terroristen 1969 in Mailand,
das von Mailand nach Catanzaro (Calabrien) verlegt wurde, wo es mangels
Sachnähe nicht angemessen ermittelt und verhandelt werden konnte.
Mit der Reform des italienischen Strafverfahrensrechts Ende der achtziger
Jahre wurde diese Regelung abgeschafft, um derartigen Missbrauch zu verhindern.
Dreizehn Jahre später jedoch wurde diese praktische Regelung wieder neu
entdeckt. Am 1. August 2002 hat der italienische Senat hat mit den Stimmen
des Mitte-Rechts-Bündnisses ein Gesetz verabschiedet, das eben diese Verschiebung
der Zuständigkeit von Behörden auf andere Bezirke wegen "berechtigtem
Verdacht" auf Voreingenommenheit wieder ermöglicht. Gleichzeitig läuft
die Verjährungsfrist unverändert weiter, so dass dem endgültig entscheidenden
Gericht schließlich sehr viel weniger Zeit zur Behandlung der Sache zur
Verfügung steht, als wenn die Zuständigkeit von Anfang an in einem Bezirk
gelegen hätte. Der Verdacht liegt nahe, dass das Gesetz, das im September
sehr wahrscheinlich ohne Probleme die Abgeordnetenkammer passieren wird,
nicht von ungefähr zu einem Zeitpunkt beschlossen wurde, zu dem gerade
in Mailand ein Verfahren gegen Ministerpräsident Berlusconi kurz vor dem
Abschluss steht. Wenn dieser laufende Prozess, in dem es um Korruption
und Finanzfälschungen geht, der neuen Regelung entsprechend in eine andere
Stadt verlegt werden würde, so stünden Berlusconis Chancen nicht schlecht,
dass die Taten bis zum Verfahrensabschluss verjährten. Neben dem italienischen
Ministerpräsidenten kommt das neue Gesetz natürlich auch den alten Bekannten
von der Mafia und anderen Kriminellen, die sich Rechtsbeistand leisten
können, der die prozessrechtlichen Regelungen in geschickter Weise für
seine MandantInnen zur Anwendung bringen kann, zugute.
Anna Luczak, Freiburg
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