Am 21.06.2022 hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. (9 U 92/20) bestätigt, dass Unternehmen nichtbinäre Menschen im Grundsatz nicht mit falscher Anrede adressieren dürfen.
Die klagende Person und die Beklagte hatten gegen das zuvor in derselben Sache ergangene Urteil (Az. 2-13 O 131/20; siehe ReKu von Mareike Sinz in FoR 1/2021) des Landgerichts (LG) Berufung eingelegt.
Das LG hatte einen Unterlassungsanspruchs auf § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog gestützt. Die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Nr. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) hatte es als nicht erfüllt angesehen und Schadensersatzansprüche aus § 21 AGG verneint.
Das OLG bestätigt im Ergebnis die Unterlassungsansprüche der klagenden Person, räumt der Bahn aber für die Umstellung ihrer Onlinedienste, nicht jedoch für die personalisierte Korrespondenz mit der klagenden Person, eine Umstellungsfrist bis zum 01.01.2023 ein. Es stützt sich nun direkt auf das AGG. Dieses sieht geringere Hürden vor als die vom LG gewählte Variante über § 1004 BGB analog. Zudem sprach das OLG der klagenden Person 1000 Euro als Entschädigung zu.
Der Schutz der geschlechtlichen Identität nach dem AGG und als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts steht nichtbinären Personen unabhängig davon zu, ob sie ihren Personenstandseintrag haben ändern lassen oder nicht. Ausschlaggebend ist nicht die Geschlechtsbezeichnung im Personenstandsregister, sondern, dass das Selbstverständnis einer Person von ihrer eigenen nichtbinären Geschlechtsidentität dauerhaft und verfestigt ist.
Das OLG bestätigt im Grundsatz, dass Unternehmen nichtbinäre Menschen nicht mit falscher Anrede anreden dürfen. Dies war überfällig und ist sehr zu begrüßen.
Dass der Beklagten durch das OLG eine etwa halbjährige Umstellungsfrist für ihre Onlinedienste eingeräumt wurde, leuchtet mit Sicht auf den aktuellen Zustand dieser Dienste zunächst ein. Warum die Beklagte ebendiese Onlinedienste nicht bereits eigenständig angepasst, oder diese Anpassung zumindest ernsthaft angestrebt hatte, wird jedoch nicht klar. Schließlich handelt es sich um geltendes Recht, das die Beklagte in ihren Stellenanzeigen bereits seit 2019 beachtet.
Mit fortschreitender Zeit dürfte es für Unternehmen immer schwerer werden, darzulegen, warum sie ihre Systeme noch nicht entsprechend angepasst haben. Für die Zukunft zu hoffen ist, dass Gerichte dies mitberücksichtigen werden, Unternehmen notwendige Anpassungen von sich aus vornehmen, und nichtbinäre Menschen nicht erst werden klagen müssen, um nicht diskriminiert zu werden.