In Berlin hat das Kammergericht (KG) in einem Beschluss vom 16.08.2023 (Az.: 3 ORs 46/23) erklärt, wenn sich Aktivist*innen mit Sekundenkleber auf der Straße festklebten, könne dies nach § 113 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt*innen strafbar sein.
Eine Aktivistin der „Letzten Generation“ hatte sich in Berlin im Rahmen einer Straßenblockade mit Sekundenkleber auf die Straße geklebt. Polizist*innen brauchten etwa 60 bis 90 Sekunden, um den Kleber zu lösen. Das Amtsgericht (AG) Tiergarten verurteilte sie dafür unter anderem wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Das KG hob die vorinstanzliche Entscheidung des AG Tiergarten zwar wegen fehlerhafter Beweiswürdigung auf. Dennoch gab es den Richter*innen am AG für die erneute Verhandlung grundsätzlich mit, dass das Festkleben auf der Fahrbahn durchaus als Widerstandshandlung mit Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB bewertet werden könne. Ein solcher Widerstand liege vor, wenn „eine durch tätiges Handeln bewirkte Kraftentfaltung“, die sich gegen den*die Amtsträger*in richte und dazu geeignet ist, die Vollstreckungshandlung zu verhindern oder zu erschweren. Das Festkleben auf der Straße sei in seiner physischen Wirkung mit dem Anketten vergleichbar und könne als Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB verstanden werden. Auch, wenn das Hindernis mit Hilfe eines Lösungsmittels beseitigt werden könne, sei der Widerstand körperlich spürbar; der Annahme von Gewalt stehe dies nicht entgegen.
Bei der Frage danach, ob der Widerstand im konkreten Fall als gewaltsam zu bewerten sei, müssten alle Umstände des Einzelfalls und insbesondere der Aufwand betrachtet werden, der nötig sei, um den Widerstand zu überwinden. Dass die Polizist*innen den Kleber in diesem Fall in etwa 60 bis 90 Sekunden lösen konnten, wertet das KG als starkes Indiz für ein Vorliegen von Gewalt.
Mehrere Gerichte der unteren Instanzen hatten in ähnlichen Fällen noch anders entschieden. So zum Beispiel am 20.04.2023 das LG Berlin (Az.: 503 Qs 2/23), das argumentierte, die Widerstandshandlung könne nur dann als gewaltsam zu qualifizieren sein, wenn der Widerstand nur mit einem nicht ganz unerheblichen Kraftaufwand überwunden werden könne. Auf den zeitlichen Aufwand für die Überwindung des Widerstands komme es nicht an – wenn doch, sei ein Aufwand von wenigen Minuten unerheblich. Sonst würde der Gewaltbegriff überdehnt und gegen das Analogieverbot verstoßen.
Das KG sieht die Wortlautgrenze scheinbar nicht so eng, jedenfalls nicht so sehr, dass es dafür einen harten Kurs gegen Klimaaktivist*innen aufgeben würde.