Heft 1 / 2001:
Fragwürdige Dienstleistung
Bundeswehr im Umbruch
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Politische Justiz
 

Totalverweigerer in Dauerarrest

Die Zeit vom 9. Oktober bis 6. November 2000 verbrachte der Erfurter Student Ronny S. im Jugendgefängnis Weimar. Der engagierte Anarchist hatte sich nach zehn Monaten Ableistung geweigert, den Zivildienst fortzusetzen, da er sich als "Kriegsdienstleistender ohne Waffe" nicht weiter an "organisierter Gewalt" beteiligen wollte. S. berief sich vor dem zuständigen Amtsgericht Hersbruck ausdrücklich nicht auf seine Gewissensfreiheit, da es sich bei Art. 4 Grundgesetz um ein herrschaftssicherndes Gesetz handelte, sondern forderte die in § 53 Abs. 1 Zivildienstgesetz die für Dienstflucht in diesem Staat vorgesehene Höchststrafe von fünf Jahren. Der Richter wandte - ausdrücklich unter Berücksichtigung des Erscheinungsbildes des Angeklagten - Jugendstrafrecht an. Das getroffene Urteil von 180 Arbeitsstunden erkannte S. auch nicht an, da diese Strafe dem Zivildienst zu sehr ähnele und er Zwangsdienste generell ablehne.

Kronzeugenregelung auf dem Prüfstand

25 Jahre nach dem Überfall auf die OPEC-Konferenz in Wien wird vor dem Landgericht Frankfurt/Main Hans-Joachim Klein und Rudolf Schindler als zweien der sechs Täter der Prozess gemacht. Vorgeworfen wird ihnen dreifacher Mord und Geiselnahme. Klein, der sich schon 1977 von seinen ehemaligen Gesinnungsgenossen der Revolutionären Zellen (RZ) gelöst hatte, war - kurz bevor er sich selbst stellen wollte - 1999 in Frankreich festgenommen worden. In der Haft hatte er eine besondere Rolle am OPEC-Anschlag bestritten; insbesondere habe er keines der drei Opfer getötet. Stattdessen machte Klein von der bis Ende 1999 geltenden Kronzeugenregelung (vgl. FoR 2/00, 70) Gebrauch: Er bezichtigte (neben der im Januar 2000 verhafteten und noch in französischer Auslieferungshaft sitzenden Sonja Suder) Schindler als einen der Haupttäter des Wiener Anschlags. Doch Zeugenaussagen (u.a. des langjährigen Klein-Freundes Daniel Cohn-Bendit) ließen Schindler eher als Randfigur erscheinen; bei seiner medienwirksamen Vernehmung in Paris bezichtigte der Anführer des OPEC-Überfalls Illich Ramirez Sanchez ("Carlos") vielmehr Klein, selbst geschossen zu haben, und bezeichnete Schindler als in Wien unbeteiligte Randfigur. Im gleichen Verfahren fungiert auch das ehemalige RZ-Mitglied Tarek Mousli als umstrittener Kronzeuge, gegen den z.Zt. in Berlin ein Gerichtsverfahren läuft; seine Aussage, Schindler sei der "zuverlässigste Schütze der RZ" wertet die Bundesanwaltschaft als ausdrücklichen Hinweis auf eine Tatbeteiligung Schindlers am OPEC-Anschlag.

CDU gibt Gummi

Die "Kinder-statt-Inder"-Kampagne der CDU zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hatte ein juristisches Nachspiel. Allerdings saß am 16. November 2000 nicht Jürgen Rüttgers, sondern ein Antirassist auf der Anklagebank des Amtgerichts Aachen, dem vorgeworfen wurde, am Rande einer Protestaktion gegen einen Rüttgers-Auftritt in Aachen zwei Reifen eines Wahlwerbetransporters zerstochen zu haben. Allein beruhend auf ungenauen Zeugenaussagen von lokalen Polizisten und Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) wurde der Beschuldigte wegen Sachbeschädigung zu 30 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt. Er kündigte noch im Gerichtssaal an, Berufung gegen das Urteil einzulegen, und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass eines Tages statt seiner die für die Kampagne verantwortlichen Personen aus der CDU auf der Anklagebank sitzen.

Prozess gegen Andrea Klump beginnt

Kurz nach dem Abschluss des Verfahrens gegen Monika Haas (vgl. FoR 2/00, 70) steht mit Andrea Klump ein weiteres mutmaßliches Mitglied der Rote Armee Fraktion (RAF) vor Gericht. Klump wird u.a. zweifacher versuchter Mord und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen: So soll sie im Juni 1988 vor einem von NATO-Angehörigen bewohnten Hotel in Rota (Spanien) ein mit Sprengstoff präpariertes Moped deponiert haben; nur weil damals einer der Zünder vorzeitig explodierte, war es nicht zur Vollendung gekommen. Zu Beginn des Prozesses äußerte sich Klump nicht zu den Vorfällen in Spanien, bestritt aber den Vorwurf der Mitgliedschaft in der RAF. Vielmehr habe sie 1984 aufgrund ihres Engagement gegen die NATO-Doppelbeschlüsse und für die Rechte der politischen Gefangenen kurz vor der Verhaftung gestanden und sich deshalb entschlossen, im Ausland unterzutauchen. Vor Gericht musste auch eine BKA-Vertreterin einräumen, ihr eine RAF-Mitgliedschaft nicht nachweisen zu können. Bei Klumps Verhaftung am 15. September 1999 in Wien war der ebenfalls als RAF-Mitglied gesuchte Horst-Ludwig Meyer von der Polizei erschossen worden.

Kriminalisierung der Anti-Atom-Bewegung

Dass AtomkraftgegnerInnen nicht nur unter Observierungen und Abhöraktionen zu leiden haben (vgl. FoR 4/00, 140), zeigte sich am 9. Oktober 2000: Bei einem Spaziergang auf dem Stichgleis zum AKW Biblis wurden drei Personen durch die Polizei unter dem Vorwurf des versuchten Anschlags auf öffentliche Einrichtungen und Bahnanlagen festgenommen. Die Castor-Gegner wurden erkennungsdienstlich behandelt und zur Abgabe von Speichelproben gezwungen, durch die ihre vollständige DNA rekonstruiert werden kann. Die Zeit des Polizeigewahrsams wurde für Hausdurchsuchungen bei den dreien benutzt, wobei auch Zimmer nichtbeteiligter Mitbewohner von der Polizei durchsucht wurden. Die Beute blieb mager: ein Computer, mehrere Flugblätter, sowie eine Ausgabe der anarchistischen Zeitschrift "Graswurzelrevolution". Nach eintägigem Gewahrsam wurden die Atomkraftgegner wieder freigelassen, die Ermittlungen laufen jedoch weiter, nunmehr auch wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB).